WerkstattGeschichte 32 (2002)

Titel der Ausgabe 
WerkstattGeschichte 32 (2002)
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Ethnisierung

Erschienen
Hamburg 2002: Ergebnisse Verlag
Erscheint 
erscheint dreimal im Jahr
ISBN
3-87916-241-7
Preis
im Abo 20 DM je Heft plus Versandkosten

 

Kontakt

Institution
WerkstattGeschichte
Land
Deutschland
c/o
transcript Verlag, Hermannstraße 26, 33602 Bielefeld, Tel. +49 521 393797 0, Fax: (0521) 39 37 97 - 34
Von
Thonfeld, Christoph

Inhaltsverzeichnis

WERKSTATTGESCHICHTE, HEFT 32
11. Jg., Dezember 2002
ISBN 3-87916-241-7

"Ethnisierung"

Inhalt
Editorial
Thema

Johanna Gehmacher
De/Platzierungen - zwei Nationalistinnen in der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Ueberlegungen zu Nationalitaet, Geschlecht und Auto/biographie
Mariana Hausleitner
Gegen die Zwangsrumaenisierung. Die Kooperation von Bukowiner Deutschen, Juden und Ukrainern in der Zwischenkriegszeit
Sandra Maß
Von der "schwarzen Schmach" zur "deutschen Heimat". Die Rheinische Frauenliga im Kampf gegen die Rheinlandbesatzung, 1920-1929
Gesine Krueger
"... this splendid old Zulu people." Anfaenge der Ethnisierung von Politik im suedlichen Afrika

Werkstatt
Stefanie Schueler-Springorum
Baskische Rueckenschmerzen oder: Die "Ethnisierung" des Alltags
Joachim Drews
Die "Gleichschaltung im Stullenverzehr". Ernaehrungspsychologie im "Dritten Reich" - zwei Fundstuecke

Tagungsbericht
Angelika Epple
Neue Perspektiven: Geschlechtergeschichte nach dem linguistic turn, Weingarten 13. - 15. Juni 2002

Expokritik
Jan-Holger Kirsch
Angemessen dargestellt? Die Ausstellung "Holocaust" des Deutschen Museums in Berlin

Rezensionen
Andreas Blauert/ Gerd Schwerhoff (Hg.): Kriminalgeschichte
(Andreas Bendlage)
Rolf Schulte: Hexenmeister
(Gerd Schwerhoff)
Valentin Groebner: Gefaehrliche Geschenke
(Rainer Walz)
Christoph Ernst: Konfliktfeld Wald
(Bernward Selter)
Thomas W. Gaethgens, Juergen Kocka u.v.a.: Maezenatentum als buergerliche
soziale Praxis
(Andreas Ludwig)
Maren Lorenz: Koerpergeschichte - Fotogeschichte: Zwei Einfuehrungen
(Martina Kessel)
Helge Matthiesen: Buergerliches Greifswald
(Henrik Bispinck)
Isabel Richter: Volksgerichtshofprozesse 1934 - 1939
(Isabel Heinemann)
Beate Meyer: Die NSDAP in Hamburg-Eimsbuettel
(Birthe Kundrus)

Annotationen
Ulrike Weckel: Fruehe Frauenzeitschriften
(Hans Erich Boedeker)

Editorial

"Schwarze Haut, weisse Masken" (1952) und "Die Ethnisierung des Sozialen" (1993) - zwei laengst zu Schlagworten gewordene Buchtitel, die auf die soziale Konstruktion von "ethnischen", "rassischen", "nationalen" Identitaeten aufmerksam machen wollten. Heute gehoert es quasi schon zum guten Ton, auf die sprachliche Verfasstheit von historischen Phaenomenen und Begriffen hinzuweisen. Dennoch wird immer wieder versucht, Ethnizitaet als uebergeordnete, allgemeingueltige Kategorie zu benutzen, die eindeutig von "race", Nationalitaet, Stamm zu unterscheiden ist, oder "Ethnisierung" einem spezifischen historischen Zeitraum zuzuordnen - aehnlich wie "Nationalismus" dem "buergerlichen Zeitalter". Ethnisierung gilt als ein Prozess, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte und besonders die Zeit der Weltkriege und der Entkolonialisierung betreffe: Einmal wird "ethnisches Bewusstsein" als eine Antwort auf das Ende des "buergerlichen Zeitalters" verstanden, im Sinne der Ausbreitung eines "ethnischen" Nationalismus im Unterschied zu einem politischen Nationalismus (insbesondere der Franzoesischen Revolution). Auch beschreibe Ethnisierung die Reaktionen auf den Zusammenbruch der Vielvoelker- und Kolonialstaaten, aus denen ethnisch gegen die Kolonialmacht argumentierende neue Nationalstaaten hervorgingen. Ethnisierung sei darueber hinaus eine Antwort auf den globalen Charakter von Migrationsprozessen, die weltuebergreifenden Migrationskulturen und transnationalen Beziehungen des sog. postindustriellen oder postmodernen Zeitalters. Im Sinne einer postmodernen Politik der Differenz oder der identity politics wird Ethnisierung des weiteren oftmals eine positive Bedeutung fuer die Entkolonialisierung, Dezentralisierung oder Pluralisierung von Geschichte zugesprochen. Die Unterschiedlichkeit der Definitionen resultiert vor allem aus den jeweiligen historischen Kontexten, in denen geforscht wird. Widerspruch gegen ein auf einen historischen Zeitraum festgelegtes, an den hegemonialen Geschichtserzaehlungen der "westlichen Welt" orientiertes Erklaerungsraster regt sich beispielsweise in der ostmitteleuropaeischen Forschung: "Ethnizitaet" als politische Strategie der Kollektivbildung (im Sinne der Konstruktion einer Abstammungsgemeinschaft) ist gleichzeitig aelter und juenger als die erste Haelfte des 20. Jahrhunderts. Peter Radcliff hat auf die differierenden Gebrauchsweisen und Kontexte der diversen im Zusammenhang mit "Kollektivbildungen" kursierenden Begrifflichkeiten aufmerksam gemacht. Volk/"race"/Nation/Ethnie/Kultur/Stamm haben unterschiedliche Geschichten und unterschiedliche Bedeutungen. Waehrend beispielsweise "race" in den us-amerikanischen Forschungen selbstverstaendlich genutzt wird - und dort als ein politisches und theoretisches Konzept bedeutungsvoll ist -, wird "Rasse" aufgrund der nationalsozialistischen Geschichte im deutschen Forschungszusammenhang nicht als politischer oder analytischer Begriff verwendet. Auch in der britischen Forschung rsp. OEffentlichkeit wird "race" eher gemieden. Dort spricht man, so Radcliff, eher von "minority ethnic communities" oder "ethnic minorities". Auch die Unterscheidung zwischen Ethnizitaet und Nationalitaet ist historisch und hat unterschiedliche Konnotationen. Erinnert sei beispielsweise an die Kaempfe der zionistischen und jiddischistischen Juden und Juedinnen um eine Anerkennung als Nationalitaet mit entsprechenden politischen und kulturellen Rechten im habsburgischen Vielvoelkerstaat. Juden galten im habsburgischen Staat "nur" als Ethnie oder Religionsgemeinschaft, die sich den diversen Nationalitaeten zuordnen mussten, waehrend die Anerkennung als Religionsgemeinschaft beispielsweise im deutschen Kontext oftmals als Anerkennung als gleichberechtigte deutsche StaatsbuergerInnen interpretiert wurde.

In diesem Heft werden Selbstverstaendigung und Kollektivbildung in der historischen Praxis ausgelotet. In den Beitraegen wird Ethnisierung nicht im vorhinein definiert, sondern im historischen Prozess kontextualisiert. Im Zentrum der Beitraege stehen Entstehungszusammenhaenge von Ethnisierungen im Spannungsfeld von verschiedenen Moeglichkeiten der Kollektivbildung. Das Heft soll damit zu einer Forschungsweise beitragen, die die Komplexitaet des historischen Geschehens zum Gegenstand macht, statt sich an grossen Theorien und allgemeingueltigen Begriffen abzuarbeiten. Ausgehend von den Diskussionen um Geschlecht und Nation untersucht Johanna Gehmacher die Auto/biographien zweier politisch aktiver Nationalistinnen. Die als radikale Frauenrechtlerin beginnende Kaethe Schirmacher wandte sich im Laufe ihres politischen Lebens der extrem nationalistisch gepraegten Ostmarkenpolitik im deutschen Kaiserreich zu und die Britin Maude Gonne wurde zu einer Verfechterin der irischen Unabhaengigkeit. Die Autorin zeigt "die interferierenden Prozesse von Politisierung und Nationalisierung der Geschlechterverhaeltnisse" anhand zweier empirischer Beispiele auf. Ihr Insistieren auf "Ver/ortungen" im konkreten - beide Frauen leben lange Zeit ihres Engagements in Paris - wie im uebertragenen Sinn - in der (maennlich dominierten) Politik - eroeffnet den Lesenden neue Perspektiven auf die parallele Konstituierung von Individuum und Nation.

Mariana Hausleitner macht in ihrem Beitrag auf ein in den hegemonialen Geschichtserzaehlungen bislang wenig beachtetes Phaenomen aufmerksam: In der nach dem ersten Weltkrieg einer massiven Rumaenisierungspolitik ausgesetzten Bukowina kooperierten nichtrumaenische Organisationen - juedische, deutsche und ukrainische - auf der Basis ethnisch organisierter Vertretung. Sie versuchten damit, ihren auf habsburgischen Traditionen und vom Voelkerbund verbrieften Minderheitenrechten beruhenden Anspruch auf Autonomie in Schul-, Sprach- und Kulturpolitik zu verteidigen. Damit geraet ein Phaenomen in den Blick, das noch recht wenig systematisch untersucht wurde, naemlich interethnische Kooperation. Dieses Beispiel einer Politik der Interessenvertretung, das von den Nationalisierungsprozessen des rumaenischen Zwischenkriegsstaates, spaeter aber auch von nationalsozialistischen Einfluessen zerstoert wurde, zeigt, dass es Versuche zur Loesung von "ethnischen" Konflikten, die gemeinhin als identity politics v.a. in den USA verortet werden , auch in Osteuropa gab. Der Beitrag von Sandra Maß widmet sich der "Rheinischen Frauenliga" gegen die Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg. Sie untersucht die Politik der die Liga tragenden Frauen und Frauenorganisationen aus der Frauenbewegung und die Veraenderung der Themenfelder im Verlauf der Weimarer Republik. Dadurch kann sie zeigen, wie sich der rassistische zu einem nationalistischen Diskurs verschob. Ihr Fazit, dass das rassistische Selbstverstaendnis bestehen blieb, obwohl auf die rassistische Propaganda der ersten Nachkriegsjahre nicht mehr explizit Bezug genommen wurde, verweist darauf, wie eng die diversen Kollektivbildungen miteinander verbunden sein koennen.

Der letzte Beitrag des Hauptteils kritisiert von mehreren Seiten die "Vorstellung vom grundlegenden und unveraenderlichen "Stammesprinzip" als Organisationsweise afrikanischer Gesellschaften". Gesine Krueger zeigt am Beispiel der Geschichte der "Zulu-Nation", wie neben Kolonial- und Kriegspolitik, Geschichtsschreibung im 19., 20. (und 21.) Jahrhundert auch Teile der neuen und alten afrikanischen Fuehrungsschichten sich das Prinzip der "Stammesgesellschaften" zu eigen machten. Abschliessend analysiert sie die Konzepte von "Zulu-Identitaet" im Briefwechsel zwischen der Missionarin Harriette Colenso und dem Zulu-Koenig Dinuzulu kaCetshwayo. Der Briefwechsel der beiden steht nicht nur im Kontext einer neu entstehenden Briefkultur, die der Selbst- und Gruppenvergewisserung diente, sondern verweist auch auf die durchaus vorhandenden Deutungsunterschiede im Bezug auf die "Zulu-Identitaet(en)".

Im Mittelteil diskutiert Stefanie Schueler-Springorum auf der Grundlage eines neu erschienen Buchs die Folgen der "Ethnisierung des Alltags" im Baskenland. Sie kommt zu dem Schluss, dass dort "der Versuch eines modernen nation-building" stattfindet, "der einhergeht mit dem gewalttaetigen und sozialen Ausschluss all jener, die nicht dazugehoeren wollen - so "baskisch" sie auch immer sein moegen." Ihre Beschreibungen der Unsicherheit, Gefaehrdung und Bedrohung des Alltags gewinnen angesichts der hiesigen, allenfalls sporadischen Berichterstattung, die in erster Linie an der Sensationalitaet von Attentaten und einer europaweiten "Terrorismusbekaempfung" orientiert ist, aber vielleicht auch angesichts verbreiteter Sympathien fuer den Francogegner ETA an Aktualitaet und Brisanz. Joachim Drews stellt die Ernaehrungspsychologie als ideologische Verbindung von Psychologie und Ernaehrungswissenschaften im Nationalsozialismus vor. Er geht den Versuchen einer staatlichen Beeinflussung der Nahrungswahl und der Appetiterziehung im Dritten Reich, die helfen sollten, die sog. Fettluecke zu schliessen, nach. Drews rueckt aber auch eigensinnig handelnde und essende Menschen ins Blickfeld, denn: Das "ewige Butterbrot" konnten auch die NS-Ernaehrungspolitiker der deutschen Bevoelkerung nicht abgewoehnen.

Der Tagungsbericht von Angelika Epple widmet sich der Geschlechtergeschichte "beyond the linguistic turn". Ausgangspunkt der Tagung war der Versuch der Positionierung der Geschlechtergeschichte jenseits der Vorwuerfe von Nischensuche und Beliebigkeit. Ihr Beitrag bilanziert die weiterhin bestehenden Spannungen zwischen den Kategorien diskursiver Konstruiertheit und subjektiver Erfahrung von Realitaet und beschreibt die muehsame Suche nach neuen Metanarrativen. Jan-Holger Kirsch hat sich die Ausstellung "Holocaust" des Deutschen Historischen Museums in Berlin angesehen. Neben bewegenden Entdeckungen hat er auch konzeptionelle Defizite ausgemacht. Er plaediert fuer eine Historisierung der Darstellungskonventionen und regt an, die getrennten Praesentationsformen von Geschichte und Erinnerungsgeschichte zu ueberdenken.

Dietlind Huechtker und die Redaktion

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