WerkstattGeschichte 33 (2002)

Titel der Ausgabe 
WerkstattGeschichte 33 (2002)
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Themenheft Querulanz

Erschienen
Hamburg 2002: Ergebnisse Verlag
Erscheint 
erscheint dreimal im Jahr
ISBN
3-87916-242-5
Anzahl Seiten
125 S.
Preis
10,23 € (im Abo)

 

Kontakt

Institution
WerkstattGeschichte
Land
Deutschland
c/o
transcript Verlag, Hermannstraße 26, 33602 Bielefeld, Tel. +49 521 393797 0, Fax: (0521) 39 37 97 - 34
Von
Thonfeld, Christoph

Sehr geehrte Damen und Herren, werte KollegInnen,

mit geringer Verspätung, die möglicherweise mit dem Thema des Heftes zusammenhängt, möchten wir Sie auf das Erscheinen der aktuellen Ausgabe von WerkstattGeschichte hinweisen.

Mit freundlichen Grüßen
im Namen der Redaktion,
Christoph Thonfeld

Inhaltsverzeichnis

»querulant«

Editorial
S. 3

Thema

Karoline Grossenbach
Fromme Quergaenger in der Psychiatrie des Vormaerz: Religionswahnsinn bei Patienten des grossherzoglich-hessischen Hospitals Hofheim
S. 5

Cornelia Brink
»Nicht mehr normal und noch nicht geisteskrank …« Ueber psychopathologische Grenzfaelle im Kaiserreich
S. 22

Werkstatt

Cornelia Siebeck
Inszenierung von Geschichte in der »Berliner Republik« Der Umgang mit dem historisch-symbolischen Raum zwischen Reichstagsgebaeude und Schlossplatz nach 1989
S. 45

Debatte

Joan Wallach Scott
Feministische Echos und Nachbeben
S. 59

Bericht

Europe – Israel: a Troubled Relationship
(Dorothee Wierling)
S. 78

Filmkritik

Der Heimatfilm als Horrorfilm: Rosen bluehen auf dem Heidegrab (1952)
(Johannes von Moltke)
S. 82

Expokritik

Mauerspruenge – Klopfzeichen. Kulturkontakte zwischen Ost und West
(Annette Leo)
S. 100

Rezensionen

Brigitte Rauschenbach: Der Traum und sein Schatten
(Claudia Opitz)
S. 103

Karin Stukenbrock: Fruehneuzeitliche Anatomie
(Michael Stolberg)
S. 105

Samuel Schuepbach-Guggenbuehl: Schluessel zur Macht
(Heiko Droste)
S. 106

Christoph Cornelissen: Gerhard Ritter
(Matthias Steinbach)
S. 108

Juergen Osterhammel: Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaates
(Joerg Spaeter)
S. 110

Ursula Baumann: Geschichte des Suizids
(Isabel Richter)
S. 112

Alina Margolis-Edelman: Das Warschauer Ghetto
(Stefanie Schueler-Springorum)
S. 114

Revital Ludewig-Kedmi: Juedische Funktionshaeftlinge
(Beate Meyer)
S. 116

Klaus Hesse/ Philipp Springer: Fotografien des Terrors
(Gerhard Paul)
S. 118

Editorial

Eduard Sonntag, der um 1900 in der Danziger Niederung lebte, traeumte von einer wichtigen Rolle in der Lokalpolitik seines Landkreises. Immer wieder diente er sich der Regierung als »konsequent konservativ« an. Umso empoerter reagierte er, als der Landrat seines Kreises nicht ihn, sondern einen freisinnigen Gutsbesitzer zu seinem Vertrauten machte. Sonntag ueberhaeufte das Danziger Regierungspraesidium und das Berliner Innenministerium mit Beschwerden, in denen er sich selbst zum »Volksanwalt« stilisierte, der im Unterschied zur laschen Toleranz des Landrates gegenueber der liberalen Opposition die Regierungstreue der Landbevoelkerung verteidige. Doch die Buerokratie wischte seinen Furor mit der Feststellung beiseite, Sonntag sei nur »ein Querulant schoenster Sorte«.

Mit dieser amtlichen Etikettierung war Sonntags Scheitern besiegelt. Historiker und Historikerinnen, die haeufig mit Behoerdenakten des 19. und 20. Jahrhunderts arbeiten, wird dies kaum wundern. Stoesst man doch regelmaessig auf Menschen, deren Forderungen jeder inhaltlichen Eroerterung durch den Vermerk entzogen wurden, sie seien »eigensinnige, rechthaberische und ruecksichtslose Persoenlichkeiten« und besaessen eine »unglaublich lebhafte Phantasie«. Kurzum: Sie beharrten gegenueber den Institutionen der Macht auf ihren eigensinnigen Wahrnehmungen und Deutungen der sie umgebenden Wirklichkeit (und ihrer eigenen Person).

Diese »Persoenlichkeiten«, ihre Weltdeutungen und Interaktionen mit den Institutionen gesellschaftlicher Macht in einem Themenheft in den Blick zu nehmen, erschien uns schon aufgrund der Alltagserfahrung im Archiv als lohnendes Experiment. Die oft tragischen Geschichten von »querulanten« Personen blitzen immer wieder in den Akten von Behoerden, Gerichten oder Fuersorgeeinrichtungen auf, und haeufig steht man vor der Frage, wie mit ihnen methodisch korrekt umzugehen sei. Wie »pathologisch« moegen Weltwahrnehmung und –beschreibung dieser Autoren sein? Wie »ernst« darf man ihre Aussagen dort nehmen, wo sie im Widerspruch zum Diskurs der Institutionen stehen? Und schliesslich: Wie gewinnt man Zugang zur jeweils ganz individuellen Welt eines »Querulanten«?

Gerade weil Querulanten so omnipraesent erschienen, glaubten wir, es muesse ein Leichtes sein, ein Themenheft zur Geschichte der Querulanz zu fuellen. Das erwies sich als Irrtum. Zwar bestaetigte uns fast jeder Kollege/jede Kollegin, dass auch ihm/ihr diese Akteure bekannt seien. Alle ermunterten uns, bei diesem spannenden Thema nicht locker zu lassen. Einige deuteten an, reichhaltiges Material bereitliegen zu haben. Nur schreiben wollte fast niemand. Vielleicht ist die Querulanz ein noch zu unerschlossenes und methodisch anspruchsvolles Themenfeld? Dann haette die langwierige Vorgeschichte dieses Heftes immerhin das erkennbar gemacht, was Historiker gern als Desiderat bezeichnen.

t h e m a

Mit Cornelia Brink und Karoline Grossenbach liessen sich zwei Historikerinnen, die seit laengerem zur Geschichte der Psychiatrie arbeiten, darauf ein, sich der Querulanz zu naehern. Beide stellen Menschen in den Mittelpunkt, die von Psychiatern als deviant, therapie- wie verwahrungsbeduerftig definiert worden waren und diesen Fremd- nun Selbstbeschreibungen entgegensetzten, mit denen sie sich selbst als »normal« oder aber als in positivem Sinn »aussergewoehnlich« zu inszenieren suchten. Die »Irrenaerzte« wiederum glaubten, gerade in diesen Reaktionen weitere Belege fuer die Richtigkeit ihrer pathologisierenden Diagnose zu erkennen. Das als Querulanz etikettierte Verhalten erscheint in diesem Kontext als der scheiternde Versuch, Stigmatisierungen von Seiten maechtiger Institutionen durch individuellen Widerspruch abzuwehren. Waehrend Brink anhand von »Irrenbroschueren« der vorletzten Jahrhundertwende den Aushandlungsprozess ueber Normalitaet und Normativitaet ins Zentrum rueckt, eroertert Grossenbach anhand von Patientenakten des fruehen 19. Jahrhunderts das Spannungsfeld zwischen individuellen religioesen Erfahrungen und der neuen psychiatrischen Diagnose des »Religionswahnsinns«.

Vielleicht ist es bezeichnend, dass der Blick damit auf sehr spezifische Auspraegungen der Querulanz faellt. Beabsichtigt war es nicht, und so sollte dieses Heft denn auch gegen den ersten Anschein nicht als Heft zur Psychiatriegeschichte gelesen werden. Vielmehr versucht es, vor dem Hintergrund seiner schwierigen Genese zwei Baelle in das groessere Themenfeld zu werfen, in der Hoffnung, weitere Mitspieler zu einem veritablen Querulanten-Match zu animieren.

Im Mittelteil untersucht Cornelia Siebeck den diskursiven Umgang mit der Geschichtslandschaft zwischen dem Reichstagsgebaeude und dem Schlossplatz im Zuge der Neu- und Umgestaltung der historischen Mitte Berlins nach 1989. Es sei, so ihr Fazit, eine Renaissance der Symbolpolitik in der Bundesrepublik zu beobachten, deren Bezugspunkte der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die damit verbundenen Konsequenzen fuer deutsche Politik und Identitaet darstellten.

Joan Scott plaediert in ihrer keynote address auf der 12. Berkshire Conference on the History of Women fuer eine feministische Analytik der Macht, um gegenwaertige politische Entwicklungen einer kritischen Interpretation zu unterziehen. Ausgehend von einer Kritik an essentialistischen Identitaetsvorstellungen analysiert sie den israelisch-palaestinensischen Konflikt, den »Kampf gegen den Terrorismus«, und sie macht darauf aufmerksam, dass feministische Strategien und Entwuerfe durch Zirkulationen in unterschiedlichen lokalen und institutionellen Kontexten ihre Bedeutung(en) veraendern.
Dorothee Wierling berichtet ueber die Tagung Europe-Israel: a Troubled Relationship am 24./25.11.2002 in Tel Aviv. Ziel dieser Tagung war es, in einem politischen Dialog zwischen Israel und Europa (v.a. Deutschland und Frankreich) dem Problem der Abgrenzung von Israelkritik und Antisemitismus nachzugehen.

Johannes von Moltke analysiert den von Hans Koenig 1952 fertiggestellten Film Rosen bluehen auf dem Heidegrab und stellt seine Analyse in den Kontext der cineastischen Produktion der Aera Adenauer. Innerhalb dieser scheint gerade der Heimatfilm die Geschichtsvergessenheit der deutschen Nachkriegszeit zu repraesentieren. Koenigs Film, vermarktet als kuenstlerisch wertvoller Heimatfilm, enthaelt aber spaetestens am Ende eindeutige Konnotationen des Horrorfilms, die ein differenzierteres Bild der ideologischen Botschaft des deutschen Nachkriegsfilms eroeffnen.

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WerkstattGeschichte erscheint dreimal im Jahr und kostet im Abonnement 36,81 Euro (10,23 Euro je Heft zzgl. Versandkosten). Bestellungen bitte an den Ergebnisse Verlag, Feldstrasse 66, 20359 Hamburg, Tel. 040-43 18 61, Fax 040-43 18 62 17, E-mail: ergebnisse@nexgo.de

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