Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016), 4

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016), 4
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2016: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
ISBN
2196-7121
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Abstracts Oktoberheft 2016 – deutsch

Aufsätze

Bernd Martin, Shanghai als Zufluchtsort für Juden 1938 bis 1947. Konturen einer Zwischenstation

Etwa 18.000 Juden aus Deutschland und Österreich fanden in den Jahren 1938 bis 1941 in der chinesischen Hafenmetropole Shanghai Zuflucht. Sie bildeten zahlenmäßig die drittgrößte jüdische Exilkolonie, und das in einer asiatischen, als exotisch empfundenen Umgebung. Die meist mittelständischen Juden verbrachten zehn Jahre in diesem „Leben auf Abruf“, konnten aber – jedenfalls die jungen und rührigen unter ihnen – überraschend schnell ein Auskommen finden, während den Älteren oft ein „Leben im Wartesaal“, in Gemeinschaftsquartieren bei karger Kost, beschieden war. Ende 1937 hatten die Japaner bis auf die internationalen Enklaven die Stadt besetzt, kümmerten sich jedoch wie der weiter amtierende Stadtrat wenig um die Einwanderer. Eine Einreise- bzw. Passkontrolle fand daher in Shanghai nicht statt. Mit der vollständigen Besetzung nach dem japanischen Kriegseintritt im Dezember 1941 wurde die jüdische Einwohnerschaft indes stärker reglementiert. Vermutlich auf deutschen Druck hin wurden die eingewanderten Juden Anfang 1943 in ein offenes Ghetto zwangsüberführt. Nach der Befreiung durch die Amerikaner im September 1945 warteten die Flüchtlinge oftmals noch bis 1948 auf ihre Ausreise in die USA oder den gerade gegründeten Staat Israel. Einige kehrten sogar nach Deutschland zurück.

Friederike Sattler, Wissenschaftsförderung aus dem Geist der Gesellschaftspolitik. Alfred Herrhausen und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Angesichts der Herausforderung des beschleunigten wirtschaftlich-technischen Strukturwandels der Weltwirtschaft seit den mittleren 1960er Jahren maß der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft den gesellschaftspolitischen Bezügen der Forschung einen gesteigerten Stellenwert zu: Neben dem traditionellen Schwerpunkt der Natur- und Ingenieurwissenschaften rückten nundie Geistes- sowie die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften stärker in den Blick und erfuhren eine Aufwertung. Am Beispiel der Deutschen Bank und ihres Vorstandssprechers Alfred Herrhausen (1930–1989) geht der Aufsatz der Frage nach, ob sich in dieser Neuausrichtung der unternehmerischen Wissenschaftsförderung ein grundlegender Wertewandel der bundesdeutschen Unternehmer und Manager widerspiegelte oder ob es sich dabei nur um eine neue Semantik zur besseren Legitimation einer kaum veränderten Praxis handelte, die den professionellen Anspruch des Managements unterstrich, indem sie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung proklamierte. Die Diskussion über die Notwendigkeit der Heranbildung von „Leistungs- und Verantwortungseliten“ und die von Alfred Herrhausen maßgeblich unterstützte Etablierung der ersten privaten Universität in Witten/Herdecke stehen im Mittelpunkt des Beitrags.

Kieran Heinemann, Aktien für alle? Kleinanleger und die Börse in der Ära Thatcher

Kieran Heinemann nimmt in seinem Aufsatz die Streuung von Aktienbesitz im Zuge der Privatisierung von Staatsbetrieben im Großbritannien der Ära Thatcher in den Blick. Der Autor zeigt Widersprüche zwischen den Intentionen des popular capitalism der konservativen Regierungschefin und den unbeabsichtigten Folgen ihrer Politik für die Finanzmärkte auf. Er skizziert die Veränderungen, die sich aus der Politik der Privatisierung und Deregulierung für die Börsianer ergaben und schildert den Aufstieg neuer Akteure wie der young upwardly-mobile professionals, kurz Yuppies genannt. Vor allem aber fragt Heinemann danach, wie börsenferne Schichten über die Dynamik des Aktienhandels aufgeklärt wurden und richtet das Augenmerk auf ein populäres Börsenwissen, das bereits seit der Nachkriegszeit über den Finanzjournalismus sowie die einschlägige Ratgeberliteratur zirkulierte. Die Position des Kleinanlegers gestaltete sich an globalisierten und deregulierten Finanzmärkten zunehmend prekär. Dennoch wirkte die Börse vor allem durch ihre Nähe zum Wettspiel auf breite Massen anziehend und attraktiv.

Agnes Bresselau von Bressensdorf, Die unterschätzte Herausforderung. Afghanistan 1979, das Krisenmanagement der NATO-Staaten und der Islam als Faktor der internationalen Beziehungen

Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 bildete einen zentralen Ausgangspunkt für die Entwicklung des Islamismus zu einem wirkmächtigen Faktor internationaler Beziehungen. Der Beitrag untersucht erstens diplomatische Initiativen der westlichen Verbündeten für eine politische Lösung des Konflikts durch die Einbindung der islamischen Staaten der Region. Zweitens wird die militärische Unterstützung der im pakistanischen Grenzgebiet lebenden afghanischen Widerstandskämpfer durch die NATO-Staaten herausgearbeitet. Ziel der westlichen Waffenlieferungen war nicht ein schneller Sturz der kommunistischen Regierung in Kabul, sondern ein lang andauernder Guerilla-Krieg, der die sowjetischen Kräfte in Afghanistan nachhaltig binden sollte. Der Beitrag zeigt, dass beide Teile dieses Krisenmanagements, der politische wie der militärische, auf der Prämisse beruhten, durch Appelle an die islamische Solidarität ein schlagkräftiges Instrument gegen den Kommunismus formen und steuern zu können. Den Denkkategorien des Kalten Kriegs verhaftet, begriffen die NATO-Staaten Islam und Islamismus somit als kurzfristig wirksames Mittel politisch-militärischer Mobilisierung und unterschätzten eklatant deren Bedeutung als Grundlage dauerhafter und eigenständiger politischer Machtausübung, die sich auch gegen den Westen richten konnte.

Abstracts Oktoberheft 2016 – englisch

Bernd Martin, Shanghai as a Place of Refuge for Jews 1938 till 1947. Contours of a Stopover Point

Approximately 18.000 Jews from Germany and Austria found refuge in the Chinese harbour metropolis of Shanghai between 1938 and 1941. They formed the third largest Jewish exile colony and lived in an Asiatic environment which was perceived as exotic. A majority of the mostly middle-class Jews spent ten years in this “life on call”. While the young and agile were surprisingly quick in finding a livelihood, older Jews often led a “life in the waiting room” in communal accommodation with meagre fare. In late 1937 the Japanese had occupied the city except for the international enclaves. Like the city administration, which remained in office, they cared little for the immigrants. Thus, entry checks or passport controls did not occur in Shanghai. After the complete occupation following the Japanese entry into the war in December 1941, the Jewish population was however more strongly regulated. Probably due to German pressure, the immigrant Jews were forced to move to an open ghetto in early 1943. After the liberation by the Americans in September 1945, the refugees often had to wait until 1948 for their emigration to the United States or the recently founded State of Israel. Some even returned to Germany.

Friederike Sattler, Research Funding from a Social Policy Perspective. Alfred Herrhausen and the Stifterverband

In view of the challenges posed by accelerated economic-technical structural changes in the world economy since the mid-1960s, the Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft [Donors' Association for the Promotion of Humanities and Sciences in Germany] placed greater emphasis on the social policy connections of research. Next to the traditional emphasis on the natural sciences and engineering, the humanities as well as economics and the social sciences came more strongly into view and were upgraded. Using the example of Deutsche Bank and its board spokesman Alfred Herrhausen (1930-1989), the article pursues the question whether this reorientation of entrepreneurial research funding reflected a fundamental shift in the values of West German entrepreneurs and managers or whether this was simply a semantic change designed to provide more legitimacy to a hardly changed practice, which underlined the professional aspirations of management by proclaiming the adoption of social responsibility. The discussions about the necessity of training an “elite ready to perform and take responsibility” as well as the establishment of a first private university in Witten/Herdecke, with the substantive support of Alfred Herrhausen, are at the centre of this article.

Kieran Heinemann, Shares for All? Small Investors and the Stock Exchange During the Thatcher Era

In his article, Kieran Heinemann reviews the dispersion of share ownership during the course of the privatisations of state-owned enterprises in Great Britain during the Thatcher era. The author reveals contradictions between the intentions of the popular capitalism promoted by the Conservative Prime Minister and the unintended consequences of her policies for the financial markets. He sketches the changes for the stock exchange which resulted from the politics of privatisation and deregulation and describes the rise of new actors such as the young upwardly mobile professionals or Yuppies. Heinemann especially examines whether the dynamics of stock trading were explained to social strata which were distant to the stock exchange and turns his attention to a particularly popular understanding of stocks and shares, which was already circulating in financial journalism as well as in the respective advice literature. The position of the small investor became increasingly precarious in globalised and deregulated financial markets. Nevertheless the stock exchange continued to appear alluring and attractive for the masses especially due to its proximity to gambling.

Agnes Bresselau von Bressensdorf, The Underestimated Challenge: Afghanistan 1979, NATO Crisis Management and Islam as a Factor in International Relations

The Soviet invasion of Afghanistan in December 1979 was a central point of departure for the development of Islamism into an influential factor in international relations. The article firstly examines the diplomatic initiatives of the Western allies towards a political solution of the conflict by integrating the Islamic states of the region. Secondly the military support provided by NATO states to Afghan resistance fighters living in the Pakistani border region is mapped out. The aim of Western weapon shipments was not a quick toppling of the Communist regime in Kabul, but rather a long-lasting guerrilla war designed to tie down the Soviet forces in Afghanistan. The article shows that both the political and the military part of this crisis management were founded on the premise that it would be possible to create and control an effective instrument against Communism by issuing appeals to Muslim solidarity. Trapped in the categories of Cold War thinking, the NATO states saw Islam and Islamism as a means of political and military mobilisation which would be effective in the short term. They grossly underestimated their importance as the foundation for long-term and independent political exercise of power, which could also be directed against the West.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Oktoberheft VfZ 2016

Aufsätze

Bernd Martin
Shanghai als Zufluchtsort für Juden 1938 bis 1947
Konturen einer Zwischenstation

Friederike Sattler
Wissenschaftsförderung aus dem Geist der Gesellschaftspolitik
Alfred Herrhausen und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Kieran Heinemann
Aktien für alle?
Kleinanleger und die Börse in der Ära Thatcher

Agnes Bresselau von Bressensdorf
Die unterschätzte Herausforderung
Afghanistan 1979, das Krisenmanagement der NATO-Staaten und der Islam als Faktor der internationalen Beziehungen

Notizen

VfZ go America
Der erste Band des German Yearbook of Contemporary History ist erschienen

11. Aldersbacher Schreib-Praxis
Ein anwendungsorientiertes Seminar des Instituts für Zeitgeschichte und des Verlags De Gruyter Oldenbourg (24. bis 28. Juli 2017)

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