Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017), 3

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017), 3
Weiterer Titel 
Zeitgeschichte

Erschienen
München 2017: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
ISBN
Print ISSN 0042-5702
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

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Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Gabriele Jaroschka

Aufsätze

Benedikt Stuchtey
Zeitgeschichte und vergleichende Imperiengeschichte
Voraussetzungen und Wendepunkte in ihrer Beziehung

Guido Thiemeyer
Stiefkinder der Integration
Die Bundesländer und die Entstehung des europäischen Mehrebenensystems
1950 bis 1985

Diskussion

Thomas Hertfelder
Opfer, Täter, Demokraten
Über das Unbehagen an der Erinnerungskultur und die neue Meistererzählung der Demokratie in Deutschland

Dokumentation

Jürgen John und Elke Scherstjanoi
„Perestrojka“ in der sowjetischen Besatzungspolitik 1947
Schlüsseldokumente zum Umbau der Militäradministration

Notiz

Zum 70. Geburtstag von Udo Wengst

Rezensionen online

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Benedikt Stuchtey, Zeitgeschichte und Imperialgeschichte. Wendepunkte der internationalen Forschung

Der Aufsatz widmet sich dem produktiven Spannungsverhältnis zwischen Zeitgeschichte und vergleichender Imperiengeschichte. Der Autor plädiert dafür, Imperialismen und Imperien als Analysekategorien mit zeithistorischer Relevanz zu verstehen. Er sieht in den Tendenzen der neueren Imperialismusforschung und insbesondere den Arbeitsergebnissen der New Imperial History das Potenzial, die Geschichte von Kolonialreichen mitsamt ihrer Dekolonisationen als Geschichte der transimperialen Zwischenräume zu schreiben. Schließlich wird auch die Frage gestellt, was das eigentlich „Europäische“ der europäischen Expansion gewesen ist.

Guido Thiemeyer, Stiefkinder der Integration. Die Bundesländer und die Entstehung des europäischen Mehrebenensystems 1950 bis 1985

Der Beitrag ist eine auf Archivalien beruhende Analyse der Auswirkungen der supranationalen europäischen Integration auf das föderale System der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz von 1949 basierte auf einem politischen Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern. Dieses Gleichgewicht wurde gestört, als die Bundesregierung im Rahmen der supranationalen europäischen Integration in den 1950er Jahren begann, Teile der nationalen Souveränität an europäische Organisationen zu delegieren. Die Regierungen der Länder entwickelten verschiedene Strategien, den damit verbundenen Verfassungswandel in der Bundesrepublik zu beeinflussen und ihre schleichende Entmachtung zu verhindern. Insgesamt geht es also um einen Aspekt der „Europäisierung“ der Bundesrepublik Deutschland und die Entstehung des so genannten europäischen Mehrebenensystems.

Diskussion

Thomas Hertfelder, Opfer, Täter, Demokraten. Über das Unbehagen an der Erinnerungskultur und die neue Meisterzählung der Demokratie in Deutschland.

Seit den späten 1990er Jahren hat sich in Deutschland eine neue Meistererzählung der Demokratie herausgebildet, der die jüngeren Synthesen zur Geschichte der Bundesrepublik ebenso folgen wie eine Reihe nationaler Ausstellungs- und Gedenkstättenprojekte. Parallel dazu ist eine Debatte über das „Unbehagen an der Erinnerungskultur“ entbrannt, die das öffentliche Erinnern an die Verbrechen der NS-Diktatur in einer Sackgasse angelangt sieht. Thomas Hertfelder analysiert diese beiden Diskurse und verweist auf ihre Leistungen und Leerstellen: Die Meistererzählung der Demokratie vermag unterschiedliche Deutungen der deutschen Zeitgeschichte nach 1945 zu integrieren und mithin ebenso unterschiedliche biografische und generationelle Erfahrungen aufzurufen – freilich um den Preis der Unterbelichtung solcher Momente, die mit dem Erfolgsnarrativ nur schwer in Einklang zu bringen sind. Die These vom „Unbehagen an der Erinnerungskultur“ hingegen bleibt auf die Shoah fixiert, sie thematisiert zu Recht den Umbruch, vor dem die öffentliche Erinnerung an die NS-Diktatur steht und kritisiert dabei eine stereotype Praxis öffentlichen Erinnerns – allerdings auf unzureichender empirischer Basis. Der Autor arbeitet die Spezifika der Diktatur- und der Demokratieerinnerung in Deutschland heraus, plädiert für eine Verklammerung beider Perspektiven und für eine stärkere Akzentuierung des Erinnerns an demokratische Traditionslinien in all ihrer Ambivalenz.

Dokumentation

Jürgen John/Elke Scherstjanoi, „Perestrojka“ in der sowjetischen Besatzungspolitik 1947. Schlüsseldokumente zum Umbau der Militäradministration

Der weitgehend unbekannte Vortrag des Verwaltungschefs der Sowjetischen Militäradministration (SMA) Thüringens, Ivan S. Kolesničenko, vom 10. Januar 1947 markierte den Beginn des Übergangs vom militärisch zum politisch organisierten (freilich militärisch gesicherten) Besatzungsregime in der SBZ. Ausgangspunkt war die Ende 1946 gewonnene Erkenntnis, zur besseren Durchsetzung ursprünglicher Besatzungsziele, zu denen ein für alle Alliierten und für die Deutschen in den vier Besatzungszonen annehmbarer Friedensvertrag zählte, ein verändertes Verhältnis zur deutschen Seite aufbauen zu müssen. Dieser Übergang überschnitt sich mit den – historiografisch bis heute heftig umstrittenen – deutschlandpolitischen Weichenstellungen des Jahrs 1947. Der Vortrag Kolesničenkos (1907–1984), der als Stellvertreter für Zivilangelegenheiten 1945–1949 der politische Kopf der SMA Thüringens war, kann als ein Schlüsseldokument zur Geschichte der Sowjetischen Militäradministration Deutschlands (SMAD) und ihrer Besatzungspolitik gelten. Die Initiative war mit der SMAD-Spitze abgestimmt, die den Vortrag an die SMA-Verwaltungschefs der anderen Länder und Provinzen verschickte und ihm so zonalen Weisungscharakter verlieh. Der Vorstoß bezweckte veränderte „Arbeitsstile“, andere Organisationsformen, eine – ausdrücklich so genannte – „Perestrojka“ in Prinzipien, Methoden und Strukturen der Besatzungsherrschaft. Im Zentrum standen der Umbau des Kommandanturnetzes und die Stärkung politischer Lenkungsprozesse gegenüber deutschen Behörden, Landesregierungen und Landtagen. Das sollte auf dem Prinzip „Kontrolle statt Intervention“ beruhen. Dieses „Perestrojka“-Konzept beinhaltete keinen deutschlandpolitischen Strategiewandel, hatte aber maßgebliche Bedeutung für die weitere Besatzungspolitik.

Notiz

Zum 70. Geburtstag von Udo Wengst

Rezensionen online

Articles

Benedikt Stuchtey, Contemporary History and History of Empires. Turning Points of International Research

The article investigates the productive tension between contemporary history and comparative imperial history. The author argues in favour of understanding imperialisms and empires as analytical categories with relevance for contemporary history. He sees good prospects for the writing of the history of colonial empires including their decolonisation as a history of trans-imperial intersections based on the current developments and research results of New Imperial History. Finally he poses the question what was actually “European” in the European Expansion.

Guido Thiemeyer, Stepchildren of Integration. The German Federal States and the Emergence of European Multi-Level Governance, 1950 to 1985

The article provides a historical analysis of the impact of supranational European integration on German federalism based on archival research. When it was set up in 1949, the political system of the Federal Republic of Germany was based on a political equilibrium between the Länder and the Federal Government. With the beginnings of supranational European Integration in the 1950s, when the Federal Government transferred certain elements of national sovereignty to European Organisations, this equilibrium was disturbed. From now on the Länder governments developed different strategies to prevent their creeping disempowerment which went along with this constant change of the political system of the Federal Republic. The article therefore deals with an aspect of “Europeanisation” of the Federal Republic of Germany and the emergence of the so-called European multi-level-governance system.

Discussion

Thomas Hertfelder, Victims, Perpetrators, Democrats. About the Uneasiness Regarding the Culture of Memory and the New Master Narrative of Democracy in Germany

Since the late 1990s a new master narrative of democracy has formed in Germany. Newer syntheses on the history of the Federal Republic as well as many national exhibition and memorial site projects all follow this narrative. In parallel a debate has flared up regarding the “uneasiness regarding the culture of memory”, which argues that public commemoration of the crimes of the Nazi dictatorship has reached a dead end. Thomas Hertfelder analyses both of these discourses and points out their achievements and fractures: The democracy master narrative is capable of integrating different interpretations of German contemporary history since 1945 and thus also evokes different biographical and generational experiences – admittedly at the price of underexposing moments which can only be integrated into this success narrative with difficulty. Conversely the thesis of the “uneasiness regarding the culture of memory” remains fixated on the Shoah: It rightly emphasises the radical change which public memory of the Nazi dictatorship faces and in this context criticises a stereotypical practice of public remembrance – however on an insufficient empirical basis. The author presents the specifics of the memory of dictatorship and democracy in Germany and argues in favour of combining both perspectives as well as a stronger emphasis on remembrance of democratic lines of tradition despite their ambivalences.

Documentation

Jürgen John/Elke Scherstjanoi, “Perestrojka” in Soviet Occupation Policy, 1947. Key Documents on the Restructuring of the Military Administration

The largely unknown speech of the chief administrator of SMA (Soviet Military Administration) Thuringia, Ivan S. Kolesničenko (1907–1984), on 10 January 1947 marked the beginning of the transition from a military to a politically organised (albeit militarily secured) occupation regime in the Soviet Zone of Occupation in Germany. The starting point was the realisation in late 1946 that an improved relationship with the German side was necessary for the better implementation of the original goals of the occupation, among them a peace treaty which would be acceptable for all the Allies and the Germans in all four Zones of Occupation. This transition intersected with the changes in policy towards Germany in 1947 – in itself a contentious topic of historiography until today. Kolesničenko’s speech can be seen as a key document for the history of the Soviet Military Administration in Germany (SMAD) and its occupation policy. Between 1945 and 1949 he served as the political head of SMA Thuringia. His initiative was coordinated with the SMAD leadership, which sent copies of the speech to the chief administrators of the other Länder and provinces and thus endued it with the character of an official policy document for the entire zone. The initiative aimed at changed “working styles”, other forms of organisation, an – explicitly so named – “Perestrojka” of principles, methods and structures of occupational rule. At the centre was the restructuring of the network of commanders and the strengthening of political control processes regarding German administrations, Länder governments and Länder parliaments. This was supposed to be based on the principle of “control instead of intervention”. This “Perestrojka”concept contains no strategic change regarding guidelines related to the policy towards Germany, but possessed decisive importance for later occupation practice.

Notes

70. Birthday Udo Wengst

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