Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54 (2006), 2

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54 (2006), 2
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2006: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 58 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 58 €

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

derzeit wird in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte eine Diskussion um die Protagonisten des 20. Juli ausgetragen. Johannes Hürter und Felix Römer setzen die heftige Debatte fort. Es geht dabei um die Frage: Wie stellten sich die späteren Männer des 20. Juli zu den dunklen Seiten des rassenideologischen Vernichtungskrieges, zu den Kriegsverbrechen und Massenmorden, und wann reagierten sie wie darauf?

Im neuesten Band der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte setzt sich der Spiegel-Redakteur Walter Lehmann mit der bundesdeutschen Spanienpolitik in den 1950er Jahren auseinander und geht insbesonders der Frage nach, in wieweit die gemeinsame NS-Vergangenheit die Beziehungen beeinträchtigte.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Jaroschka

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze:

Manfred Kittel: Eine Zentralstelle zur Verfolgung von Vertreibungsverbrechen? Rückseiten der Verjährungsdebatte in den Jahren 1964 bis 1966.

Hunderttausende Kapitalverbrechen, die während der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa 1945 begangen wurden, sind justiziell nie verfolgt worden. Die Unzufriedenheit der Vertriebenverbände mit diesem Mißstand artikulierte sich immer dann besonders heftig, wenn die bundesdeutsche Justizpolitik — wie während der Debatte um die Verlängerung der Verjährungsfrist für nationalsozialistische Verbrechen 1964/65 — neue Anstrengungen zur Ahndung dieser Verbrechen unternahm. So forderte die Schlesische Landsmannschaft im November 1964 die Errichtung einer Zentralstelle zur Verfolgung von Vertreibungsverbrechen; sie sollte ähnlich wie die mit DDR-Kriminalität befaßte Stelle in Salzgitter zumindest die materiellen Voraussetzungen für die später vielleicht einmal mögliche Ahndung von Verbrechen schaffen. Der Vorstoß scheiterte aber nicht nur daran, daß das Gros der Täter in Osteuropa lebte und daher für die bundesdeutsche Justiz nicht zu greifen war, sondern auch an einem ungünstigen gesellschaftlichen Klima: In einer Phase verstärkter Beschäftigung mit den NS-Verbrechen im Osten und gleichzeitig beginnender Entspannungspolitik zwischen den Blöcken besaßen die Opfer der Vertreibung für die Erinnerungskultur der Bundesrepublik nur noch einen geringen Stellenwert.

Manfred Kittel: A central agency for the prosecution of crimes of expulsion? Drawbacks in the debate about the limitation of crimes in the years between 1964 and 1966.

Hundreds of thousands of capital offences that were committed while the Germans were expelled from eastern central Europe in 1945 have never been prosecuted by the legal authorities. The associations that represent the expelled are dissatisfied with this state of affairs, and they have always articulated their anger vehemently when there were new attempts made in the West German policy of justice to punish these crimes - just like during the debate about prolonging the statutory period of limitation concerning National Socialist crimes in 1964/65. In November 1964, the Silesians in Western Germany postulated the establishment of a central agency for the prosecution of crimes concerning the expulsion of the Germans. It was to be similar to the agency in Salzgitter that dealt with crimes committed by the GDR, and it was to create at least the financial prerequisites for a possible future prosecution of the crimes committed. The attempt failed, but not only because the majority of the culprits lived in Eastern Europe and could therefore not be reached by the West German legal authorities. Another reason was an unfavourable attitude in society. While National Socialist crimes in Eastern Europe were intensively studied, and while a policy of détente between the Eastern and Western bloc was starting to develop, the fate of the expelled Germans was of secondary importance in the Federal Republic's culture of remembrance.

Christiane Eisenberg: Der Weltfußballverband FIFA im 20. Jahrhundert. Metamorphosen eines "Prinzipienreiters".

Am Beispiel der Fédération International de Football Association (FIFA, gegründet 1904) werden drei Organisations- und Handlungsprinzipien internationaler Sportorganisationen untersucht: das Mitgliedschaftsprinzip „ein Land – ein Verband“, das Gebot der weltanschaulichen und politischen Neutralität und schließlich das Abstimmungsprinzip „ein Land, eine Stimme“. Diese Prinzipien hatten während des gesamten 20. Jahrhunderts Geltung. Der Aufsatz untersucht, welche politischen Effekte und Nebeneffekte sich aus diesen Prinzipien ergaben, die von den Akteuren nur schwer zu steuern waren. Im Ergebnis zeigt sich, dass die „Prinzipienreiterei“ seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts eine Funktionserweiterung der FIFA begünstigt hat. Sie ist heute nicht mehr nur Sportverband, sondern zugleich eine auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe tätige Nichtregierungsorganisation.

Christiane Eisenberg: The World Football Association FIFA during the 20th century. Metamorphoses of a Strongly Principled Organisation.

Taking the FIFA (Fédération Internationale de Football Association, established in 1904) as an example, the author examines three principles of organization and action held by international sports associations: the membership principle (“one country – one association”), the principle of ideological and political neutrality (“no politics”), and, last but not least, the voting principle (“one country, one vote”). These principles were regarded as valid during the whole of the 20th century. The essay examines what political effects and side effects resulted from these principles, effects that were difficult to control for the people responsible. It is shown that the fact that the FIFA has always been guided by these principles has furthered an expansion of the functions of the FIFA during the last quarter of the 20th century. It is no longer just a sports association, but also a non-governmental organization which takes action in the field of development aid.

Amedeo Osti Guerrazzi: Kain in Rom. Judenverfolgung und Kollaboration unter deutscher Besatzung 1943/44.

Der vorliegende Aufsatz befaßt sich mit der Kollaboration römischer Bürger bei der Verhaftung und Deportation von Juden aus der italienischen Hauptstadt in der Zeit der deutschen Besatzung zwischen September 1943 und Juni 1944. Nach einem kurzen Überblick über die Forschung, welche die italienische Komplizenschaft entweder ignoriert oder kleingeredet hat, wird zunächst an die Wirkung der faschistischen Propaganda erinnert, in deren Augen die Juden eine tödliche Gefahr für die gesamte Nation darstellten. Während der deutschen Besatzung wurden die Juden Roms von vielen verfolgt — der italienischen Polizei, der Faschistischen Partei, aber auch von Einzelpersonen und Banden, die sich etwa der Gestapo aus eigenem Antrieb andienten, um Juden zu denunzieren. Die berüchtigte Bande um Giovanni Cialli-Mezzaroma, die sich gar einer jüdischen Komplizin bediente, sei hier als ein Beispiel genannt. Darüber hinaus gab es Gelegenheitsdenunzianten, die jüdische Nachbarn oder Kollegen verrieten, um sich die 5000 Lire zu verdienen, die von den deutschen Besatzungsbehörden, aber auch von der faschistischen Polizei für die Ergreifung eines Juden ausgesetzt worden waren.

Amedeo Osti Guerrazzi: Cain in Rome. The persecution of Jews and collaboration during the German occupation 1943/44.

This article deals with the collaboration of Roman citizens in the arrest and deportation of Jews from the Italian capital during the time of the German occupation between September 1943 and June 1944. After a short summary of the research on this topic which has so far ignored or played down the Italian participation, the author brings to mind the effect of the fascist propaganda which depicted the Jews as a lethal danger for the entire nation. During the German occupation the persecutors of the Roman Jews were numerous - the Italian police, the Fascist Party, but also individuals and gangs who offered their services to the Gestapo on their own initiative in order to denounce Jews. The infamous gang around Giovanni Cialli-Mezzaroma who even made use of a Jewish accomplice may serve as an example. Apart from that there were the occasional informers who betrayed Jewish neighbours or colleagues to get the 5000 Lira that were offered as a reward for the arrest of a Jew.

Christoph Kösters: Die katholischen Bischöfe und der 17. Juni 1953.

Wie verhielten sich die deutschen katholischen Bischöfe während des 17. Juni 1953? Nachdem der von Moskau verordnete „Neue Kurs“ dem „Kirchenkampf“ der SED-Diktatur ein Ende gesetzt und am 10. Juni zu einem Übereinkommen der evangelischen Kirche mit der DDR-Regierung geführt hatte, gingen auch die bischöflichen Vertreter der katholischen Diasporakirche auf ein entsprechendes Gesprächsangebot Grotewohls ein und erreichten partielle Erleichterungen des kirchlichen Lebens. Der Volksaufstand am 16./17. Juni 1953 stellte die traditionelle Staatsloyalität bei den katholischen Kirchenführern in der DDR nicht in Frage, sie knüpften diese Loyalität aber an die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, v.a. auch in religiös-kirchlichen Belangen. Die nationale Wiedervereinigung spielte in diesem Zusammenhang eine vergleichsweise nachgeordnete Rolle. Zugleich initiierten die westdeutschen Bischöfe Spendenaktionen zur Linderung der materiellen Not der DDR-Bevölkerung. Die kirchliche Selbstbehauptung, der grundsätzliche Protest gegen die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien und die Unterstützung der Notleidenden entsprachen bischöflichem Selbstverständnis. Die enggezogenen politik- und strukturbedingter Handlungsspielräume gaben der Führung der am Rande des Volksaufstandes stehenden katholischen Diasporakirche keine echten Alternativen.

Christoph Kösters: The Catholic bishops in Germany and June 17th, 1953.

How did the Catholic bishops in Germany react to the events surrounding June 17th, 1953? The “new course” that had been decreed by the leaders in Moscow had put an end to the SED leadership's battle against the Church, and it had led to an agreement between the Protestant Church and the government of the GDR. As a consequence, the bishops of the Catholic Diaspora Church in the GDR accepted Grotewohl's offer to have talks, and they reached some partial alleviations in GDR parish life. The popular uprising on 16th and 17th June 1953 did not question the loyalty to the state which the leaders of the Church in the GDR had traditionally shown, but they connected this loyalty with the restoration of the rule of law, above all in matters concerning church and religion. In this context the national reunification played a comparatively secondary role. At the same time bishops in West Germany campaigned for donations to meet the material needs of the people in the GDR. The self-assertion of the Church, the fundamental protest against the breach of the rule of law, and the support of those in need corresponded with the way the bishops defined themselves. With the room for manoeuvre being limited by the political structures, there were no real alternatives for the leaders of the Catholic Diaspora Church at the margin of the popular revolt.

Diskussion:

Johannes Hürter and Felix Römer: Alte und neue Geschichtsbilder vom Widerstand und Ostkrieg. Zu Hermann Gramls Beitrag "Massenmord und Militäropposition".

In der Diskussion über die Rolle der späteren Verschwörer im Heeresgruppenkommando Mitte während der Anfangsphase des deutschen Vernichtungsfeldzugs gegen die Sowjetunion und über ihren Weg in den Widerstand hat Hermann Graml gegen die Forschungsbeiträge von Johannes Hürter und Felix Römer scharfe Kritik erhoben. In ihrer Erwiderung hinterfragen Hürter und Römer zunächst Gramls Verständnis von der Geschichtswissenschaft als „Magd“ der Geschichtspolitik und kritisieren seine Bevorzugung retrospektiver Quellen gegenüber zeitgenössischen Akten. Anschließend korrigieren sie das impressionistische und verharmlosende Geschichtsbild vom Krieg an der Ostfront, das Graml in seinem Beitrag zeichnet, und widerlegen seine Behauptung, dass ein Blitzkriegskonzept für den Feldzug gegen die Sowjetunion in den Planungen der deutschen Führung nicht existiert habe. Eng verbunden mit dem Blitzkriegskonzept war die radikale deutsche Besatzungspolitik in den eroberten sowjetischen Gebieten. Hürter und Römer weisen nach, dass der Kriegsgerichtsbarkeitserlass auch im Heeresgruppenkommando Mitte als Grundlage der deutschen Besatzungspolitik akzeptiert wurde, was Graml in seinem Aufsatz abstreitet. Zuletzt werden die Kernthemen der Debatte behandelt: die Kooperation des Heersgruppenkommandos Mitte mit der Einsatzgruppe B und die Duldung ihrer zunächst selektiven Erschießungsaktionen in den ersten Wochen des Feldzugs sowie die Komplexität der moralischen und militärisch-professionellen Motive, die den Entschluss zu einem Umsturzversuch bei den oppositionellen Offizieren erst nach und nach reifen ließen.

Johannes Hürter and Felix Römer: Old and new representations of the history of the resistance and the war in the east. Some remarks on Hermann Graml's article "Mass murder and the military opposition".

Hermann Graml has heavily criticized the results of Johannes Hürter's and Felix Römer's research in the context of the discussion on the role the future conspirators played within the command of Heeresgruppe Mitte (army group) during the first phase of the German war of extermination against the Soviet Union, and on their path into resistance. Hürter and Römer refute Graml's criticism. They question his understanding of historiography as an instrument of politics, and they criticize the fact that his preference is for retrospective sources rather than for contemporary records. Hürter and Römer also correct the impressionist pictures Graml uses to play down the war on the eastern front, and they disprove his assertion that the German leaders had not had a concept for a blitzkrieg against the Soviet Union. The radical German policy of occupation in the conquered Soviet territories was closely intertwined with the concept for a blitzkrieg. Hürter and Römer prove that one of the German basic decree (the so-called Kriegsgerichtsbarkeitserlass) was accepted as the basis of the German policy of occupation even in the command of Heeresgruppe Mitte, a fact that Graml denies in his contribution. Last but not least the core issues of the debate are dealt with: the fact that the command of Heeresgruppe Mitte cooperated with the squad of Einsatzgruppe B and that they tolerated the initially selective shootings that were carried out by the Einsatzgruppe in the first weeks of the campaign, as well as the complexity of the conspirators' motives which were made up both of moral and of professional military considerations, and which led them only gradually to their decision to strive for a coup d'état.

Notizen:

Christian Hartmann: Auszeichnungen für die Publikationen des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.

Rezensionen online:

Januar bis März 2006.

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Bestandsnachweise 0042-5702