Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 4

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 4
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 66 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 66 €, Print- und Online-Abo 66 €

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

in Kürze erscheint die jüngste Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Lesen Sie u.a., was der US-Geheimdienst erfuhr, als er Alfred Andersch im Vernehmungslager Fort Hunt abhörte. Neue Details aus dem Leben des Schriftstellers und seiner Weggefährten werden Sie überraschen.

Ergänzt wird das Oktoberheft der VfZ durch die Bibliographie zur Zeitgeschichte, einer Auswahlbibliographie des Instituts für Zeitgeschichte, die Ihnen das Auffinden einschlägiger Literatur zur Geschichte des 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Deutsche Geschichte, Europäische Geschichte und Geschichte der Internationalen Beziehungen erleichtert.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Aufsätze

Ralf Stremmel, Zeitgeschichte im Fernsehen. Die preisgekrönte Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ als fragwürdiges Paradigma

Die Präsentation von Zeitgeschichte im Fernsehen erreicht ein Massenpublikum. Manches spricht dafür, dass sie Geschichtsbilder in den Köpfen der Menschen so sehr prägt wie kein anderes Medium. Der Beitrag versucht, operationalisierbare Qualitätskriterien für Geschichtsdokumentationen im Fernsehen zu benennen. Dabei muss die Funktionsweise des Mediums ebenso berücksichtigt werden wie der Adressatenkreis. Unverzichtbar bleibt daneben aber ein sachgerechter und analytisch-kritischer Umgang mit Informationen. An den aufgestellten Kritierien wird anschließend die Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“, eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks aus dem Jahr 2007, gemessen. Sie ist mehrfach preisgekrönt und gilt auch in fachwissenschaftlichen Publikationen mittlerweile als Paradigma gelungenen Geschichtsfernsehens. Die empirische Analyse der Dokumentation ergibt jedoch, dass der Film höchst manipulativ ist, zentrale Informationen unterschlägt, die meisten Behauptungen nicht belegt und die herangezogenen Quellen nicht hinreichend kontextualisiert. So gesehen stellt die Sendung richtige Fragen, gibt aber meist falsche Antworten.

Ralf Stremmel, Contemporary History on Television. The Award-Winning Documentary “Shattering Silence” as a Questionable Model

The presentation of contemporary history on television reaches a mass audience. There is ample evidence that it shapes the historical views of the general public more than any other medium. The article attempts to identify quality criteria that can be utilised to rate historical documentaries shown on television. These criteria have to take into account both the way the medium functions as well as the target audience. Yet the manner of handling information must be appropriate to the topic and take an analytical-critical approach. The established criteria are then used to evaluate the documentary “Shattering Silence” produced by Norddeutscher Rundfunk in 2007. It received multiple awards and is also considered a prime example for a successful historical television program even in professional historical publications. The empirical analysis of the documentation shows, however, that the film is highly manipulative, fails to mention essential information, does not back up most of its allegations and does not sufficiently contextualise the sources used. Viewed in this light, the program asks the right questions, but mostly provides the wrong answers.

Thomas Vordermayer, Die Rezeption Ernst Moritz Arndts in Deutschland 1909/10 – 1919/20 – 1934/35

Insbesondere seit seinem 50. Todesjahr 1910 entfaltete sich in Deutschland eine überaus intensive Auseinandersetzung mit Ernst Moritz Arndt (1769–1860), die sich erst während des Zweiten Weltkriegs abschwächte. Ungeachtet des durchaus facettenreichen, auch liberales Ideengut beinhaltenden Gesamtwerks dieses wohl wirkmächtigsten Dichters und politischen Publizisten der antinapoleonischen Befreiungskriege, war die Rezeption Arndts während des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reiches gleichermaßen von durchweg radikalnationalistischem und völkischem Ideengut dominiert. Unter diesen Vorzeichen etablierte sich sowohl auf wissenschaftlicher als auch außerwissenschaftlicher Ebene lange vor der nationalsozialistischen Machtergreifung ein komplexreduziertes Bild Arndts, das nach 1933 nahezu bruchlos in die Ideologie und Propaganda des Nationalsozialismus integriert werden konnte. Der Aufsatz beleuchtet anhand der naturgemäß von einer besonders hohen Publikationsdichte begleiteten Gedenkjahre den Verlauf der Arndt-Rezeption im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und arbeitet dabei die innere Entwicklung der ausschlaggebenden Deutungsmuster heraus.

Thomas Vordermayer, The Reception of Ernst Moritz Arndt in Germany 1909/10 – 1919/20 – 1934/35

Since 1910, the 50th anniversary of his death, there was a particularly intensive public debate about Ernst Moritz Arndt (1769–1860) in Germany until it somewhat subsided during the Second World War. While his opus contained multifaceted, even liberal ideas, Arndt′s reception as the probably most influential poet and political writer of the anti-Napoleonic Wars was mostly dominated by radical nationalist and Völkisch ideas during the German Empire, the Weimar Republic and the Third Reich. Under this nationalist banner, a simplistic understanding of Arndt developed on the research level as well as in the general public long before the National Socialists gained power; after 1933, this image was easily integrated into Nazi ideology and propaganda. The article illuminates Arndt′s reception during the first third of the 20th century using the especially numerous publications accompanying his anniversary years and presents the inner development of the determining patterns of interpretation.

Monica Fioravanzo, Die Europakonzeption von Faschismus und Nationalsozialismus (1939–1943)

Der Aufsatz beschäftigt sich mit den Plänen für ein Neues Europa, die nach 1939 vom faschistischen Regime entwickelt worden sind, und den Veränderungen, denen sie – je nach Lage der Dinge an der Front – unterworfen waren. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs rief Giuseppe Bottai, damals Erziehungsminister, die kulturelle Elite des Landes auf, über die geistigen und kulturellen Grundlagen des Neuen Europa nachzudenken. In diesem Zukunftsgebilde sollte es eine klare Hierarchie zwischen kleineren und größeren Staaten geben, und sollte Teil eines riesigen euro-asiatisch-afrikanischen Raumes sein, der von den imperialistischen Mächten Italien, Japan und dem Deutschen Reich dominiert würde. Über dieses Projekt wurde in Italien viel diskutiert, was auf deutscher Seite für Misstrauen sorgte. Zum Konflikt zwischen den „Achsen“-Partnern kam es 1942, als Italien – trotz verheerender Niederlagen – den Versuch machte, die geistige Führung im künftigen Europa zu behaupten – in klarer Abgrenzung vom NS-Regime, das sich nur auf Gewalt und den Mythos der Rasse stützte, während die Faschisten ihre Überlegenheit mit dem Christentum und der Tradition des alten Rom begründeten. Im Frühjahr 1943 distanzierte sich die faschistische Führung von solchen hybriden Plänen. Nun lancierte man die Idee eines „Europa der Nationen“, wobei klar war, dass damit die Kooperation mit dem Deutschen Reich auf eine harte Probe gestellt wurde. Der Zusammenbruch des Regimes 1943 beendet diese Planspiele: Das Neue Europa würde es nur im Zeichen des Nationalsozialismus geben – oder gar nicht.

Monica Fioravanzo, The Fascist and the National Socialist Concept of Europe (1939–1943)

The article explores the plans for a New Europe developed by the Italian Fascist Regime after 1939 as well as its later modifications according to the situation at the front. At the eve of the Second World War, Giuseppe Bottai, at the time minister for education, called upon the cultural elite to think about the cultural foundations of the New Europe. This future entity was supposed to exhibit a clear hierarchy between smaller and larger states and be part of a gigantic Euro-Asiatic-African area dominated by the imperialist powers Italy, Japan and the German Reich. This project was much discussed in Italy, which resulted in German suspicions. Conflict between the “Axis” partners erupted in 1942, when Italy – despite devastating defeats – attempted to claim intellectual leadership of future Europe – clearly distancing itself from the Nazi Regime which only relied on violence and the Race Myth, while the Fascists founded their superiority on Christianity and the tradition of Ancient Rome. In Spring 1943, the Fascist leadership dissociated itself from such hybrid plans. They now launched the idea of a “Europe of the Nations”, even though it was clear that this would strongly strain cooperation with the German Reich. The collapse of the Fascist Regime in 1943 ended these intellectual games: The New Europe would only come about under National Socialist auspices – or not at all.

Konrad Dussel, Wie erfolgreich war die nationalsozialistische Presselenkung?

Wie wurden die rund 15.000 nationalsozialistischen Presseanweisungen der Vorkriegszeit von zunächst etwa 3.000 (1933) und später noch 2.000 (1939) Zeitungen im Reich umgesetzt? Diese Frage kann nur auf der Basis von Stichproben beantwortet werden. Der Aufsatz stellt ein Modell zu ihrer Bildung vor und präsentiert die Ergebnisse einer Vorstudie mit zwei Mannheimer Zeitungen, dem nationalsozialistischen „Hakenkreuzbanner“ und der bürgerlichen „Neuen Mannheimer Zeitung“. Bei diesen beiden Zeitungen war die Lenkung der Zeitungsinhalte fast hundertprozentig erfolgreich. Leichte Abweichungen gab es nur in Randbereichen. Und selbst die Unterschiede zwischen den beiden Zeitungen waren nur minimal und durchaus systemkonform.

Konrad Dussel, How successful was National Socialist Control of the Daily Press?

How did pre-WWII newspapers in Germany (roughly 3,000 in 1933 and 2,000 in 1939) implement the approximately 15,000 press directives issued by the National Socialists? This question can only be answered based on a sample survey. The essay presents a model for the creation of such a survey as well as the results of a pilot study analyzing two Mannheim newspapers – the National Socialist Hakenkreuzbanner and the mainstream Neue Mannheimer Zeitung. The control of the editorial content in these two papers was almost 100 percent successful. Slight aberrations were noticeable only in marginal areas. Moreover, the differences between the newspapers were minimal; both conformed to the system.

Dokumentation

Felix Römer, Alfred Andersch abgehört. Kriegsgefangene „Anti-Nazis“ im amerikanischen Vernehmungslager Fort Hunt

Seit einigen Jahren bezieht die Forschung zur Wehrmacht im NS-Staat neue Impulse von einer lange vergessenen Quellengattung: den Abhörprotokollen aus westalliierten Vernehmungslagern des Zweiten Weltkriegs. Nun ist ein weiterer Aktenbestand erschlossen worden: die über 100.000 Seiten umfassende Sammlung des US-amerikanischen Geheimlagers Fort Hunt bei Washington. Dieses bislang unbekannte Konvolut umfasst Abhörprotokolle, Vernehmungsberichte, Befragungen und lebensgeschichtliche Daten von mehr als 3000 deutschen Kriegsgefangenen aus der Zeit von 1942 bis 1945. Den hohen Quellenwert dieses Bestands bestätigt das darin überlieferte Gefangenendossier über den Schriftsteller Alfred Andersch. Die Lauschangriffe und Verhöre dokumentieren neue Details aus seiner Biographie: Anderschs Beschäftigung mit dem Schicksal seiner früheren „halbjüdischen“ Ehefrau, seine Ansichten über die deutsche Kriegsgesellschaft sowie Einzelheiten zu seinem literarischen Werk. Darüber hinaus enthält die Aktenserie Dossiers über eine Reihe seiner Weggefährten, die wie er in der Wehrmacht gedient hatten. Die Gefangenenakten offenbaren die Grundzüge des zeitgenössischen Denkens dieser gebildeten, bürgerlichen „Anti-Nazis“ und verorten Andersch im Kontext eines regimekritischen, aber kaum nonkonformistischen Segments in der Wehrmacht. In den Akten zeichnet sich ab, dass viele dieser Hitlergegner zwar die NS-Herrschaft entschieden ablehnten, sich zugleich jedoch eine gewisse Identifikation mit der Nation und ihrem militärischen Wertesystem bewahrten. Auf Grund derartiger Überzeugungen konnten sich selbst „Anti-Nazis“ in die Streitkräfte des NS-Staats integrieren– ein wesentlicher Faktor, warum Heterogenität und Konformismus in der Wehrmacht keinen Widerspruch bildeten.

Felix Römer, Tapping Alfred Andersch. Prisoner of War “Anti-Nazis” in the US Fort Hunt Interrogation Camp

For a few years research on the Wehrmacht in the Nazi state has received new impulses from a long forgotten source category: transcripts of tapped conversations made in Western Allied Interrogation Camps during the Second World War. Now another collection of files has been unlocked: over 100,000 pages of files from the secret US camp at Fort Hunt near Washington. This hitherto unknown collection contains protocols of tapped conversations, interrogation reports and biographical data on more than 3000 German prisoners of war made between 1942 and 1945. The high historiographical value of this collection is confirmed by the prisoner dossier on the writer Alfred Andersch contained therein. The eavesdropped conversations and interrogations exhibit new details of his biography: Andersch preoccupation with the fate of his previous “half-Jewish” wife, his views about German war society as well as details pertaining to his literary work. Additionally the file series contains dossiers about a number of his companions who, like him, had served in the Wehrmacht. The prisoner files reveal the main features of the contemporary thinking of these educated, Bourgeois “Anti-Nazis” and place Andersch into the context of a segment of the Wehrmacht that was critical of the Regime, but hardly non-conformist. The files reveal that many of these opponents of Hitler were decisively against Nazi rule, but simultaneously preserved a certain degree of identification with the nation and its military value system. Due to such convictions, even “Anti-Nazis” were able to integrate into the armed forces of the Nazi state – a decisive factor due to which heterogeneity and conformism did not have to contradict each other in the Wehrmacht.

Rezensionen online (Juli–September 2010)

Reviews online (July–September 2010)

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