Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), 4

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), 4
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2015: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
S. 473 - S. 659
Preis
Abo € 59,80 pro Jahr

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Klehr, Evelyn

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Heinrich August Winkler
Von der deutschen zur europäischen Frage
Gedanken zu einem Jahrhundertproblem

Alexander Wolz
Das Auswärtige Amt und die deutsche Entscheidung zur Remilitarisierung des Rheinlands

Yfaat Weiss
Von Prag nach Jerusalem
Jüdische Kulturgüter und israelische Staatsgründung

Viola Balz und Ulrike Klöppel
Wendung nach Innen
Sozialpsychiatrie, Gesundheitspolitik und Psychopharmaka in der Deutschen Demokratischen Republik 1960–1989

Diskussion

Paul Köppen
Weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf
Zur Verweigerung einer quellenbasierten Diskussion über Heinrich Brünings Sparpolitik

Dokumentation

Johannes Hürter und Matthias Uhl
Hitler in Vinnica
Ein neues Dokument zur Krise im September 1942

Notizen

Eine verlässliche Ausgabe und ein unredlicher Angriff

Zehnte Aldersbacher Schreib-Praxis. Ein anwendungsorientiertes Schreibseminar des Instituts für Zeitgeschichte und des Verlags De Gruyter Oldenbourg (20. bis 24. März 2016)

Abstracts für das Oktoberheft 2015 – deutsch

Heinrich August Winkler, Von der deutschen zur europäischen Frage. Gedanken zu einem Jahrhundertproblem

Fast 200 Jahre lang, von der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im Jahr 1806 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, hat sich Europa immer wieder mit der „deutschen Frage“ auseinandersetzen müssen. Eine Lösung brachte erst der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990: Deutschland wurde in den Grenzen von 1945 „in Frieden und Freiheit“ wiedervereinigt; seine Mitgliedschaft in der NATO beantwortete die deutsche Frage als Problem der europäischen Sicherheit. Mittlerweile kursiert jedoch das Wort von der „neuen deutschen Frage“, die aus der vermeintlich hegemonialen Stellung der Bundesrepublik innerhalb der Europäischen Union erwachse. Doch ist die deutsche Frage tatsächlich in neuer Form zurückgekehrt – oder ist nicht vielmehr die europäische Frage weiterhin so offen, wie man sie 1991 beim Abschluss des Vertragswerks von Maastricht gelassen hat?

Alexander Wolz, Das Auswärtige Amt und die deutsche Entscheidung zur Remilitarisierung des Rheinlands

Die Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone im Rheinland am 7. März 1936 ist ein wichtiger Wendepunkt in der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs. Der Coup festigte die Stellung des nationalsozialistischen Regimes im Innern wie nach außen, so dass es von diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr gab, Hitlers Kriegswillen zu bändigen und das Deutsche Reich ohne Krieg in die Schranken zu weisen. Dabei waren die genauen Umstände der Rheinlandkrise bislang unklar. Erst die Analyse der Konzeptionen, die das Auswärtige Amt mit dem Locarnopakt verband, zeigt die Motivkette, die der Krise ursächlich zu Grunde lag. Nach 1933 waren die Diplomaten zunächst bereit, am Locarnopakt festzuhalten. Doch der Austritt aus dem Völkerbund und Gerüchte, England und Frankreich hätten sich in einem Militärbündnis zusammengeschlossen, nährten die Zweifel, ob der Locarnopakt rechtlich und politisch noch gültig sei. Als der Versuch Deutschlands gescheitert war, die anderen Mächte auf eine Modifizierung Locarnos festzulegen, sah man im Auswärtigen Amt keine Alternative zur Aufsagung des Pakts. Während die Diplomaten einen politischen Schritt planten, entschloss sich Hitler, die Kündigung Locarnos mit einer militärischen Aktion zu verbinden, und formte damit einen Gewaltcoup, wie er für die nationalsozialistische Außenpolitik charakteristisch werden sollte.

Yfaat Weiss, Von Prag nach Jerusalem. Jüdische Kulturgüter und israelische Staatsgründung

Vor dem Hintergrund zweier, im Jahre 2012 in Israel durchgeführter Gerichtsverfahren untersucht dieser Beitrag die Ansprüche, die auf jüdische Kulturgüter, die nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust nach Jerusalem verbracht wurden, sowie die Rechtfertigungen dieser Maßnahmen. Der Prozess vor dem Familiengericht in Tel Aviv um den Nachlass von Max Brod hat erhebliches Aufsehen erregt, weniger bekannt ist das Verfahren vor dem Bezirksgericht in Jerusalem, bei dem die Israelitische Kultusgemeinde zu Wien auf die Herausgabe des nach dem Kriege nach Israel überführten dortigen Gemeindearchivs geklagt hat. Der Aufsatz stellt diese Fälle mit dem Transfer von deutsch-jüdischen Kulturschätzen in Verbindung, die nach dem Raub durch die Nationalsozialisten nach dem Krieg in der Tschechoslowakei aufgefunden wurden. Indem er sie für sich beanspruchte, manifestierte der junge jüdische Staat seinen Anspruch auf die kollektive Vertretung der Juden.

Viola Balz/Ulrike Klöppel, Wendung nach Innen. Sozialpsychiatrie, Gesundheitspolitik und Psychopharmaka in der Deutschen Demokratischen Republik, 1960–1989
Der Beitrag beschäftigt sich mit den Reformbemühungen in der DDR bezüglich der Psychiatrie zwischen 1960 und 1989. Aufgrund von bisher unausgewerteten Archivunterlagen des Gesundheitsministeriums sowie psychiatrischer Publikationen haben wir rekonstruiert, wie sich der Staat und die Psychiater bemühten, die psychiatrische Fürsorge zu verändern. Während der 1960er wurde einigen reformorientierten Krankenhausärzten ein gewisser Einfluss auf die Planung der psychiatrischen Fürsorge eingeräumt, der ab den 1970ern zugunsten einer Handvoll parteitreuer Psychiater eingeschränkt wurde. Um die Psychiatrie in Richtung rehabilitativer Formen der Fürsorge weiterzuentwickeln, förderten die Reformer psychotrope Medikamente, um die Patienten zu mobilisieren. Tatsächlich stellte sich heraus, dass diese hauptsächlich zu sedativen Zwecken eingesetzt wurden. Eine andere Maßnahme, um die psychiatrischen Anstalten zu leeren, war die Gesundheitserziehung. Damit wurde das Risiko, eine psychische Störung zu entwickeln oder dass sich eine Störung verfestigte, an die Eigenverantwortung der Staatsbürger delegiert.

Paul Köppen, Weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf. Zur Verweigerung einer quellenbasierten Diskussion über Heinrich Brünings Sparpolitik

Trotz aussagekräftige Archivmaterialen und eines recht eindeutigen Forschungsstandes behauptet Knut Borchardt, einer der einflussreichsten Wirtschaftshistoriker Deutschlands, im jüngsten Aprilheft der VfZ kurzerhand, dass es 1930 keine ernstzunehmenden finanziellen Hilfsangebote Paris an Deutschland gegeben hat. Damit will er offenbar um jeden Preis an seiner inzwischen recht traditionellen Sichtweise auf Heinrich Brünings Kanzlerschaft festhalten, nach der die damalige Sparpolitik aufgrund von „Zwangslagen“ letztlich alternativlos gewesen sei. Dabei legen gerade die persönlichen Äußerungen Brünings – zeitgenössisch wie aus der Rückschau – andere Interpretationen zumindest nahe. Borchardt wird sich wohl am Ende damit abfinden müssen, dass es Historiker gibt, die bereit sind, diese Quellen ernst zu nehmen.

Johannes Hürter/Matthias Uhl, Hitler in Vinnica. Ein neues Dokument zur Krise im September 1942

Der September 1942 war ein Kulminationspunkt des Zweiten Weltkriegs. In diesem Monat verfehlte der zweite deutsche Ostfeldzug das Ziel, die Sowjetunion entscheidend zu schwächen und mit dem kaukasischen Erdöl eine Schlüsselressource für die erfolgreiche Weiterführung des Krieges zu erobern. Wie das Deutsche Reich in einem globalisierten Krieg bestehen könne, wurde endgültig zu einem unlösbaren Rätsel. Die Enttäuschung über diese operative wie strategische Entwicklung entlud sich in einem heftigen Konflikt Hitlers mit seinen Generalen, denen er die Schuld an den Misserfolgen gab. Ein im Archiv des russischen Verteidigungsministeriums neu entdecktes Besprechungsprotokoll gibt die Haltung Hitlers in diesem Streit erstmals unmittelbar wieder. Das Dokument zeigt einen Diktator, dem die strategischen Konzepte ausgingen, der aber zugleich seine militärische Befehlsallmacht durchsetzte und damit eine Voraussetzung dafür schuf, dass die Wehrmacht ihrem „Führer-Feldherrn“ in die totale Niederlage folgte.

Abstracts für das Oktoberheft 2015

Heinrich August Winkler, From the German to the European Question. Thoughts on a Centennial Problem

For almost two hundred years, from the dissolution of the Holy Roman Empire in 1806 to the reunification of Germany, Europe repeatedly had to deal with the “German Question”. It was only solved by the accession of the GDR to the Federal Republic of Germany on 3 October 1990. Germany was reunified within the borders of 1945 “in peace and freedom”; its membership in NATO answered the German Question regarding European security. In the mean time, however, there is talk of a “New German Question”, which supposedly results from the alleged hegemonic position of the Federal Republic within the European Union. Thus, the German Question has actually re-emerged in a new format – or is it not rather the European Question which is still open to the same extent as it was in 1991 at the conclusion of the Maastricht Treaty?

Alexander Wolz, The German Foreign Office and the German Decision to Remilitarise the Rhineland

The reoccupation of the demilitarised zone in the Rhineland on 7 March 1936 was an important turning point in the prehistory of the Second World War. The coup strengthened the National Socialist regime both internally and externally, so that after this point it became impossible to suppress Hitler’s will to war and to put the German Reich in its place without the necessity of a war. The exact circumstances of the Rhineland crisis, however, have hitherto remained unclear. Only an analysis of the draft plans, which the German Foreign Office outlined for the Locarno Treaty, reveals the chain of motives which lay at the heart of the crisis. After 1933 the diplomats were at first ready to stick with the Locarno Treaty. But after the German withdrawal from the League of Nations and rumours that England and France had concluded a military alliance, doubts grew whether the Locarno Treaty was still in force legally and politically. When the German attempt to get the other powers to commit to a modification of Locarno failed, the German Foreign Office saw no alternative other than the cancellation of the treaty. While the diplomats were planning a political step, Hitler decided to connect the termination of Locarno with a military operation, and thus turned it into the sort of violent coup which was to become characteristic for National Socialist foreign policy.

Yvaat Weiss, From Prague to Jerusalem. Jewish Cultural Assets and the Creation of the Israeli State.

Against the background of two court cases in Israel in 2012, this article investigates the nature of the claims raised and their supporting arguments regarding Jewish cultural treasures transferred to Jerusalem after the Second World War and the Holocaust: The Max Brod estate case at the Tel Aviv Family Court, which drew considerable public attention, and the less well-known case at the Jerusalem District Court involving the records of the Community Archive of the Israelitische Kultusgemeinde zu Wien [Vienna Jewish Community], which were moved to Israel after the War. The article links these cases to the transfer of Nazi-plundered German-Jewish cultural treasures found in Czechoslovakia after the War. It was through these claims that the young Jewish State of Israel asserted its collectivity.

Viola Balz/Ulrike Klöppel, A Turn Inwards. Social Psychiatry, Health Policy and Psychiatric Medication in the German Democratic Republic, 1960–1989

The article focuses on the efforts to reform the psychiatric system of the GDR over the time period from 1960 to 1989. Based on up to now un-evaluated archival material of the Ministry of Health and psychiatric publications we have reconstructed how the state and psychiatrists struggled to transform the psychiatric services. Whereas in the 1960s a number of reform-oriented clinicians were granted some influence on the planning of psychiatric services their options were restricted from 1970 onwards in favour of a handful of psychiatrist who were loyal to the party. In order to develop the psychiatric system further towards rehabilitative forms of care the reformers promoted psychotropic drugs with the intention to mobilize the patients. However, it turned out that they were mainly used for sedative purposes. Another means to purge psychiatric services was health education. With this the risk to develop or perpetuate mental health problems was relegated to the self-responsibility of the citizens.

Paul Köppen, That Which Must Not Be, Cannot Be. On the Refusal to Engage in a Source-Based Discussion about Heinrich Brüning's Austerity Policy.

In spite of indicative archival material and in clear opposition to the current state of research, the highly influential economic historian Knut Borchardt claims in 2015’s spring issue of the VfZ that there never were any serious French loan offers to Germany in 1930. By doing so, Borchardt adheres to his by now rather traditional interpretation of Heinrich Brüning’s chancellorship as a period of “predicaments” in which the policy of austerity was ultimately the only possible alternative. Yet it is, most notably, Brüning’s personal statements in contemporary sources and in his later comments which do offer quite different interpretations. Finally, Borchardt has to accept that other historians are willing to take those accounts seriously.

Johannes Hürter/Matthias Uhl, Hitler in Vinnica. A New Document on the Crisis in September 1942

September 1942 was a culmination of the Second World War. In this month, the second German Eastern Campaign failed at decisively weakening the Soviet Union and at capturing the Caucasus oil fields needed for the successful continuation of the War. How the German Reich was supposed to face a globalised war now became an insoluble enigma. The disappointment about this operative as well as strategic development resulted in a vehement conflict between Hitler and his generals, who he blamed for the failures. A meeting protocol newly discovered in the archives of the Russian Defence Ministry presents Hitler’s attitude directly for the first time. The document reveals a dictator who was running out of strategic concepts, but who simultaneously asserted his universal power of command and thereby created the prerequisites for the Wehrmacht to follow their “Führer-Commander” into total defeat.

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