Jahrbuch fuer Universitätsgeschichte 5 (2002)

Titel der Ausgabe 
Jahrbuch fuer Universitätsgeschichte 5 (2002)
Weiterer Titel 
Universität und Kunst

Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise / jährlich
Preis
€ 39,00

 

Kontakt

Institution
Jahrbuch für Universitätsgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion: Prof. Dr. Martin Kintzinger, Universität Münster, Historisches Seminar, Domplatz 20–22, 48143 Münster; E-Mail: <m.kintzinger@uni-muenster.de>
Von
Bott, Marie-Luise

Jahrbuch für Universitätsgeschichte

Band 5 / 2002

Universität und Kunst

Gastherausgeber
Horst Bredekamp, Gabriele Werner

EDITORIAL

Universitäten waren seit ihrer Gründung nicht nur Galerien der Repräsentation ihrer Mitglieder in Bild und Stein sowie Auftraggeber für die künstlerische Ausgestaltung ihrer Räume, sondern auch, was weniger bekannt ist, Orte, an denen Kunst gesammelt und ausgestellt wurde. Zudem schulten Universitäten über Jahrhunderte das Wahrnehmungsvermögen und die ästhetische Bildung, indem sie im Rahmen des Studium generale einen allgemeinen Zeichenunterricht anboten.
Von diesen vier Hauptfeldern, die das Verhältnis von "Universität und Kunst" bestimmt haben, ist die bildliche Würdigung bedeutender Forscher und Lehrer zurückgegangen, auch die Institution des Universitätszeichenlehrers findet sich nur noch an wenigen Universitäten. Im Rahmen von Kustodien werden an fast allen Universitäten weiterhin die Kunstbestände betreut, vermittelt und vermehrt. Zudem sind im Verhältnis von Kunst und Naturwissenschaften sowie Medizin neue Begegnungsmöglichkeiten und Überschneidungen hinzugekommen.

Visualisierungstechniken werden auf ihre Tauglichkeit zur Informations- und Wissensvermittlung von der Kunst und der Wissenschaft gleichermaßen erprobt. Und da sich immer wieder erwiesen hat, daß Kunst und Naturwissenschaften parallel vorgehen, wurde und wird angenommen, daß die Kunst ein Seismograph und Kompensator für all das sei, was die Naturwissenschaften aus dem Rahmen ihrer Apriori ausblenden müssen. Dabei scheint offen zu bleiben, ob sie die Schönheit und das der Vernunft nicht Zugängliche nur kryptisch zu reflektieren bereit seien oder ob ihnen die Idee des Schönen eine subversive und engagierte Kategorie innerhalb ihrer eigenen Disziplinen sein könne. Detlef Gantens Beitrag und das Interview mit Reiner Dietz sind Dokumente einer solchen eindringlichen Erwartung an die Kunst von Seiten der Medizin und der Naturwissenschaften. Überdies ist das Feld einer ästhetischen Praxis hinzugekommen, die, bislang weitgehend unerkannt, aus den Werkstätten und Labors selbst stammt. Im selben Maß, in dem sich die Versuchsreihen auf die Bildschirme der Computer verlagert haben, ist ein Gestaltungswille in die Welt der Naturwissenschaft gezogen, der es oftmals schwer macht, die Grenzen zum Design und zur Bildenden Kunst zu ziehen.

Aus diesem Grund schien es geboten, den Themenschwerpunkt des Jahrbuchs zur Universitätsgeschichte nicht nur durch die facettenreiche Geschichte der Verbindung von Universität und Kunst an Beispielen schlaglichtartig zu beleuchten, sondern auch die aktuellen Entwicklungen anzusprechen. Ernst Peter Fischer beschreibt, wie die Wahrnehmung von Welt bei der Herstellung eines Weltbildes beginnt und dieses als kulturell-ästhetisches imago vom künstlerischen Bild abhängt. Um jedoch deutlich zu machen, dass dies kein ausschließliches Problem des Medienzeitalters ist, steht der aktuellen Diskussion ein historisches Beispiel zur Seite. Angela Fischels Analyse des Bildarchivs von Ulisse Aldrovandi zeigt, wie der kunsttheoretische Blick auf die technischen Bilder als Arbeits- und Erkenntnismittel die Forschungen zu den historischen Anfängen der visuellen Naturphilosophie und Naturgeschichte aktualisiert hat.

Arma et litterae, Waffe und Buch, könnte als gemeinsames Motto über den historisch weit auseinanderliegenden Beiträgen von Andrea von Hülsen-Esch und Kathrin Hoffmann-Curtius stehen. Daß der Gelehrte die militärische Stärke als zivile Tugend adaptiert und im Herrscherlob die Waffenstärke mit der Gelehrsamkeit verbindet, hat in der Frühmoderne andere Ursachen als die kriegerische Propaganda, mit der Professoren der Friedrich-Wilhelms-Universität Revanche für den verlorenen ersten Weltkrieg dadurch forderten, daß sie unter dem Motto Invictis victi victuri im Jahre 1926 ein Kriegerdenkmal im Universitätsgarten der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin errichteten. Indem beide Beiträge aber von einer verwandten professoralen Identitätsgeschichte handeln, werden die politischen Zwecke deutlich, denen die Allianz zwischen Universität und Kunst dienen konnte.

Dieser Aspekt begleitet auch Johannes Bauers Beitrag zu den Gipsabgusssammlungen an deutschsprachigen Universitäten. Er zeigt die wechselvolle Geschichte der Abgüsse antiker Skulpturen für die Schulung des Sehens in der universitären Ausbildung. Dieser didaktische Auftrag beschränkte sich nicht auf die von den Antiken angesprochenen Fächer der Klassischen Archäologie und der Kunstgeschichte. Dies gilt auch für die von Elke Schulze am Beispiel der Berliner Universität untersuchte Institution des Universitätszeichenlehrers, dessen Aufgabe neben dem Unterricht für Hörer aller Fakultäten vor allem auch in der Zeichenausbildung der Mediziner und Naturwissenschaftler lag.

In der genauen Darstellungen der Forschungsergebnisse waren Kunst und Medizin über Jahrhunderte enge Verbündete, und dies galt gleichfalls für alle naturwissenschaftlichen Fächer, denen es um die visuelle Prägnanz des Forschens und Darstellens ging. Dabei gab es jedoch immer wieder Wechselwirkungen zwischen der ästhetischen Darstellung und der Konstruktion des Bildes der erforschten Ergebnisse. Was von naturwissenschaftlichen Fächern visualisiert wurde, läßt sich daher kaum von den Stilen und dem ästhetischen Geschmack der Epochen trennen. Da sich dies bis heute nicht verändert hat, wäre eine Jahrbuch zum Thema "Universität und Kunst" nicht vollständig, wenn diese besondere Verbindung, die dann allerdings eher "Naturwissenschaft und Kunst" heißen müsste, nicht auch thematisiert würde. Das Jahrbuch wird daher mit diesem Thema eröffnet und geschlossen.

Zunächst jedoch erörtert Andrea Meyer Ludowisy, mit welchem didaktischen Programm sich die 1648 gegründete Académie Royale de Peinture et de Sculpture von ihren italienischen Vorbildern absetzte und sich stattdessen auf die intellektuelle Tradition des französischen Systems einer Höheren Bildung berief. Ein in der Forschung wenig berücksichtigter Umstand, der Analphabetismus einer hohen Zahl der Kunststudenten, wird von Meyer Ludowisy als ein Zentralproblem der theoretischen kunstgeschichtlichen Ausbildung an der Académie mit markiert.

Die letzten beiden Beiträge sind Beispiele aktuellen Mäzenatentums durch Universitäten. Ausgehend von einem Artikel, der 1794 in der Berliner Monatsschrift erschienen war und in dem der Mangel an Kunstwerken in den damals "berühmtesten Universitäten im Protestantischen Deutschlande" - Göttingen, Halle und Jena - beklagt wird, entwickelt Franz-Joachim Verspohl die Geschichte der kunsthistorischen Lehre und der Sammlung in Auftrag gegebener oder angekaufter Kunst an der Universität Jena, die bis zu den "Acht Magnifizenzen" von Anke Doberauer aus dem Jahr 1997 und zu Frank Stella führt.

In der Universitätslandschaft Berlins einzigartig sind die künstlerischen Aktivitäten auf dem Campus Berlin-Buch mit dem Skulpturenpark des Max-Delbrück-Centrums für Molekularbiologie und mit der nun schon seit vier Jahren erfolgreich betriebenen Galerie in der Franz-Volhard-Klinik. Gudrun Kühnes Beschreibung der Wirkung ihrer Galerietätigkeit schließt den Kreis zu Detlef Gantens einleitenden Worten.

Horst Bredekamp, Gabriele Werner, November 2001

Außerhalb des Themenschwerpunkts berichtet Marek Podlasiak über Paul Ssymank, den Chronisten der freistudentischen Bewegung in Deutschland. 1920 erhielt der promovierte Historiker an der Universität Göttingen erstmalig in Deutschland einen Lehrauftrag für Hochschulkunde und leitete das Hochschularchiv der Deutschen Studentenschaft. Die Etablierung seiner privat betriebenen hochschulkundlichen Buch- und Dokumentensammlung als einem eigenen Institut für Hochschulkunde an der Universität gelang Ssymank jedoch nicht. Sie wurde 1929 lediglich als "wissenschaftlicher Apparat für Studentengeschichte" in die Universitätsbibliothek übernommen. Weitere Institutionalisierungspläne machte der Nationalsozialismus zunichte. Der Freimaurer Ssymank wurde 1933 aus dem Schuldienst entlassen, konnte aber dank Unterstützung des Kurators seinen Lehrauftrag an der Universität bis 1938 fortsetzen. 1937 zwangen die Nationalsozialisten ihn dazu, seine Sammlung an das "Reichsinstitut für Hochschulkunde und Studentengeschichte" in Würzburg zu verkaufen, das der gleichgeschalteten Deutschen Studentenschaft und der Stadt unterstand. Dieses 1953 wiedereröffnete Institut ist heute Bestandteil der Universitätsbibliothek Würzburg.

Patricia Mazóns Studie zur Zulassung ausländischer Studentinnen als Gasthörerinnen an deutschen Universitäten bis zur gesetzlichen Regelung der Immatrikulation von Frauen kommt zu einem bedrückenden Ergebnis: Insbesondere russisch-jüdischen Gasthörerinnen gegenüber wurden im Vergleich zu deutschen Frauen höhere Bildungskriterien als Zulassungsvoraussetzung angelegt, um gerade diese Gruppe von Universitäten in Deutschland auszugrenzen. Friedrich Althoff schließlich plädierte 1905 für eine ordentliche Immatrikulation von Frauen, weil er voraussah, daß die Einführung fester Kriterien die Zahl der ausländischen Gasthörerinnen reduzieren würde, was "den besseren Elementen", nämlich deutschen Frauen, zugute käme. Die neuen Richtlinien produzierten letztlich eine Gruppe von Studentinnen, die "noch elitärer" und auf höhere Standards verpflichtet war als die ihrer männlichen Kommilitonen.

Folker Reicherts wissenschaftsgeschichtlicher Kommentar beleuchtet Max Webers Heidelberger Abschiedsrede 1919 aus der Sicht einer Tagebuchaufzeichnung des Mediävisten Karl Hampe. Dabei stehen die politischen Schlußfolgerungen des Kriegsgegners und Regierungskritikers, der Weber anders als die Mehrzahl seiner gelehrten Kollegen bald nach Beginn des Ersten Weltkriegs geworden war, insbesondere aber die Frage der Kriegsschuld im Zentrum von Hampes Aufmerksamkeit.

Die Miszelle von Thomas Henne und Karsten Kretschmann untersucht Friedrich Carl von Savignys antijüdische Argumentation im Falle Joseph Brogis, eines jüdischen Medizinstudenten aus Posen, der Provokationen seiner Kommilitonen 1812 - unmittelbar vor Einführung des aufklärerisch-etatistischen Judenedikts in Preußen - vor das Ehrengericht der Berliner Universität brachte. Im Anschluß daran drucken wir Michael Borgoltes Begrüßungsrede zum Auftakt der internationalen Tagung "Marc Bloch - Historiker und Widerstandskämpfer" (1997) an der Humboldt-Universität, die an Blochs Berliner Studium erinnert und sich zuletzt sehr persönlich an dessen Sohn, den Historiker Etienne Bloch, wendet.

Unsere neu eingeführte Rubrik "Aus den Universitätsarchiven" eröffnet Winfried Schultze mit einer Auflistung der Nachlässe und einem Hinweis auf Deposita im Archiv der Berliner Humboldt-Universität.

Band 6 des Jahrbuchs mit Prof. Rainer C. Schwinges als Gastherausgeber wird dem Thema "Universitäten im Mittelalter" gewidmet sein.

Marie-Luise Bott

Inhaltsverzeichnis

INHALT

Horst Bredekamp, Gabriele Werner:
Editorial [9]

I. Abhandlungen

Detlev Ganten:
Universität und Kunst. Der Dreiklang aus Wissenschaft, Kunst und Humanität
[13]

Ernst Peter Fischer:
Wissenschaft und Kunst. Über die Rolle der Bilder in der Ausübung und Vermittlung von Naturwissenschaft [17]

Angela Fischel:
Bildfehler und Fehler der Natur. Bildtheorie und Erkenntnistheorie bei Ulisse Aldrovandi [41]

Elke Schulze:
"Einführung in die Kunst des Zeichnens zum Zweck bewussten Sehens." Das Lektorat Akademisches Zeichnen an der Friedrich-Wilhelms-Universität [51]

Andrea von Hülsen-Esch:
Gelehrte als uomini famosi in Oberitalien im 14. und 15. Jh. [69]

Kathrin Hoffmann-Curtius:
Das Kriegerdenkmal der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität 1919-1926: Siegexegese der Niederlage [87]

Johannes Bauer:
Gipsabgußsammlungen an deutschsprachigen Universitäten. Eine Skizze ihrer Geschichte und Bedeutung [117]

Andrea Meyer Ludowisy:
The Académie Royale de Peinture et de Sculpture and the native roots of its didactic traditions [133]

Franz-Joachim Verspohl:
Über den "Mangel an Gemälden und andern Kunstwerken auf deutschen Universitäten". Preußische Aufklärung [151

Gudrun Kühne, Rainer Dietz:
Kunst und Klinik. Die Galerie der Franz-Volhard-Klinik in Berlin-Buch [163]

Marek Podlasiak:
Paul Ssymank - Chronist der deutschen Studentengeschichte [171]

Patricia Mazón
Die Auswahl der "besseren Elemente". Ausländische und jüdische Studentinnen und die Zulassung von Frauen an deutschen Universitäten 1890-1909 [185]

II. Editionen

Folker Reichert:
Max Webers Abschied von Heidelberg [199]

III. Miszellen

Thomas Henne, Carsten Kretschmann:
Friedrich Carl von Savignys Antijudaismus und die 'Nebenpolitik' der Berliner Universität gegen das preußische Emanzipationsedikt von 1812. Anmerkungen zu einem berühmten Fall der Universitätsgerichtsbarkeit. [217]

Michael Borgolte:
Marc Bloch und sein Studium in Berlin [227]

IV. Aus den Universitätsarchiven

Winfried Schultze:
Nachlässe im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin. Schriftgut persönlicher Herkunft als Bereicherung der Verwaltungsakten [233]

V. Rezensionen

Matthias Middell:
Zur Nachkriegsgeschichte deutscher Universitäten 1945-1949 (Heidelberg, Freiburg, Bonn) [245]

Matthias Steinbach:
"Die permanente Erfindung einer Tradition." Neuerscheinungen zur Universität Tübingen in Kaiserreich und Weimarer Republik [247]

Wolfgang Eric Wagner:
"Landesuniversität" und "Auslandsstudium". Neue sozialgeschichtliche Untersuchungen der Universitätsbesucherschaft im spätmittelalterlichen Reich [251]

Klaus Meyer:
Die Universitätsgeschichte Petersburgs im Streit [255]

Marc Schalenberg:
Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Tagungsbericht [258]

Autorenverzeichnis [261]

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Sprache
Bestandsnachweise 1435-1358