Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das neue Heft der Zeitschrift für Genozidforschung ist soeben erschienen. Sie können die Zeitschrift über den Buchhandel oder direkt über den Verlag (www.fink.de) beziehen. Die Zeitschrift für Genozidforschung erscheint halbjährlich. Der Jahresbezugspreis beträgt 34,90 Euro, für Studierende 27,90 Euro. Das Einzelheft kostet 21,00 Euro, incl. MWst., zzgl. Versandkosten. Die Redaktion lädt zur Einsendung von Manuskripten ein, über die Veröffentlichung entscheidet ein peer-review Verfahren. Weitere Informationen zur Zeitschrift finden Sie auf unserer Homepage http://www.ruhr-uni-bochum.de/idg/zeitschrift/index.shtml
Editorial
Die vorliegende Ausgabe vertieft mit ihren Beiträgen exemplarisch Forschungsfragen, die die zentralen Fragestellungen der Genozidforschung ausmachen. Kristin Platt problematisiert den Beitrag der Genozidforschung zur Analyse von Strukturen und Prozessen kollektiver Gewalt: einerseits vor dem Hintergrund jüngster Ansätze zur Erörterung von Kriegen und gewaltvollen Konflikten in der globalen Weltgesellschaft, andererseits unter Einbeziehung von Forschungen zu Genozid, die in der vergangenen Dekade in Deutschland vorgestellt wurden. Björn Opfer untersucht die Minoritätenpolitik der bulgarischen Staatsführung im Zweiten Weltkrieg gegenüber u.a. den Serben, Muslimen, Juden und Roma. Dabei prüft er die einzelnen Formen von Assimilation- und Vertreibungspolitik vor dem Hintergrund nationaler Herrschafts- und Raumvorstellungen in Bulgarien, um nicht zuletzt den Mythos der bulgarischen Judenrettung kritisch zu hinterfragen. Lars Rensmann analysiert und typisiert unter Heranziehung einer breiten Quellenbasis politische Muster im Bereich aktueller Diskussionen um den Nahost-Konflikt. In seinem Nachweis der Aktualität antisemitischer Positionen und der expliziten Mobilisierungsstrategien differenziert er detailliert die einzelnen Argumente und Strategien, um nicht zuletzt die Unzulänglichkeit einer Zuweisung des »Neuen Antisemitismus« an einzelne Parteien oder ein »rechtsextremes« Spektrum deutlich zu machen. Michael Jeismann arbeitet in seiner Problematisierung der deutschen Erinnerung an den Genozid an den Armeniern Leitfragen heraus, die heute an die inszenierten Formen der deutschen Erinnerungspolitik gestellt werden müssen. Denn die systematische Erinnerungspolitik, die sich selbst die Aufgabe der allgemein gültigen Symbolisierung zuerkennt, ist nicht außerhalb zweier Perspektiven zu denken: der Hoffnung auf eine Erleichterung von den Lasten der Vergangenheit einerseits, der Dauerhaftigleit interessenspolitischer Rationalitäten andererseits. Historische Einzelfallforschung über Strukturen und Einzelaspekte von Verfolgung und Völkermord, die Auseinandersetzung mit dem »Erbe« von Genozid – Erinnerung und Leugnung –, die Frage nach den Mustern der Kontinuierung von Feindbildern und Vorurteilen, schließlich die Frage nach dem wissenschaftlichen Beitrag, dies sind Aspekte, welche die transdisziplinäre Genozidforschung kennzeichnen. Die Aktualität ihrer Perspektiven wird in allen vier Beiträgen der vorliegenden Ausgabe deutlich. Die Wichtigkeit, Genozidforschung als eigenständige Perspektive zu verstehen, sollte nicht zuletzt dort ins Auge fallen, wo heute Anstrengungen auffallen, die »Gewalt« der letzten hundert Jahre in eine allgemeine Theorie der »ethnischen Säuberung« oder eine allgemeine Theorie des politischen »Konflikts« zu bannen. Denn beide theoretischen Perspektiven können Völkermord nicht integrieren, wo es darum geht, zwei charakteristische Struktureigenschaften zu erörtern: einerseits den Aspekt der generationenübergreifenden Gestaltung und Überlieferung von ideologischen Elementen und Wissenselementen in Feindbildern und Vorurteilen, an welche die Mobilisierung der einzelnen Verfolgungspolitik gekoppelt wird; andererseits den Aspekt der Institutionalisierung von Sonderorganisationen und Gesetzgebungen für Verfolgung und Mord die nicht im Rahmen von Konflikttheorien oder Vermutungen einer Eskalation einer spezifischen Gewaltpolitik zu erklären sind. So stellt sich die Zeitschrift für Genozidforschung auch mit der vorliegenden Ausgabe wieder der Aufgabe, über die präsentierten Untersuchungen hinaus auch die Perspektiven der Genozidforschung zu verdeutlichen, um insbesondere die Beiträge zur Grundlagenforschung herauszuheben, die die Einzeluntersuchungen leisten.
ARTIKEL:
Kristin Platt: Perspektiven und Aufgaben der Genozidforschung. Vom »sozialen Testament« zum Problem der globalen Enthistorisierung politischer Prozesse S. 8-41
Björn Opfer: Der Wahn vom homogenen Großreich. Die bulgarische Nationalitätenpolitik im besetzten Makedonien während des Zweiten Weltkriegs S. 42-71
Lars Rensmann: Nahost-Konflikt und Globalisierung als neue politische Mobilisierungsfelder in der extremen Rechten und Linken. Politische Ventile von judenfeindlicher Diskriminierungsbereitschaft S. 72-102
Michael Jeismann: Europa und die »Armenische Frage« S. 103-110
REZENSIONEN
Christopher Browning: Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1942, Berlin: Propyläen 2003 (Ingo Haar/Ann-Kathrin Fahrenkamp, Berlin)
Bogdan Musial (Hg.): »Aktion Reinhardt«. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941-1944, Osnabrück: Fibre 2004 (Klaus-Peter Friedrich, Marburg)
Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, Essen: Klartext 2004 (Egbert Witte, Bochum)
Cornelia Hecht: Deutsche Juden und Antisemitismus in der Weimarer Republik, Bonn: Dietz 2003 (Dirk Rupnow, Wien/Leipzig)
Riccardo Bavaj: Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Eine Bilanz der Forschung, München: Oldenbourg 2003 (Egbert Witte, Bochum)
Harro Segebrecht (Hg.): Mediale Mobilmachung I. Das Dritte Reich und der Film, München: Wilhelm Fink 2004 (Rainer Vowe, Bochum)
Gerhard Paul: Bilder des Krieges / Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn/München: Ferdinand Schöningh / Wilhelm Fink 2004 (Harald Welzer, Essen)
Bernhard Giesen / Christoph Schneider (Hg.): Tätertrauma: Nationale Erinnerungen im öffentlichen Diskurs, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2004 (Natan Sznaider, Tel Aviv)
Phyllis Chesler: Der neue Antisemitismus. Die globale Krise seit dem 11. September, Hamburg/Berlin: Schwartzkopff 2004 (Henning Borggräfe, Bochum)
Forschungsbibliographie: Schwerpunkt: Auswahlbibliographie von Neuerscheinungen aus dem Mai 2004 bis zum Mai 2005