Zeitschrift für Genozidforschung 18 (2020), 2

Titel der Ausgabe 
Zeitschrift für Genozidforschung 18 (2020), 2
Weiterer Titel 
Ikonographien der Vernichtung

Erschienen
Weilerswist 2020: Velbrück Wissenschaft
Erscheint 
halbjährlich
ISBN
978-3-95832-236-3
Anzahl Seiten
140 S.
Preis
€ 24,90

 

Kontakt

Institution
Zeitschrift für Genozidforschung. Zeitschrift des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum
Land
Deutschland
c/o
Dr. Medardus Brehl (verantwortlich), Institut für Diaspora- Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum, D-44801 Bochum Tel.: +49 (0)234/32 29702, Fax: +49 (0)234/32 14770
Von
Medardus Brehl

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

erschienen ist ein neues Heft der „Zeitschrift für Genozidforschung“ mit dem Themenfokus „Ikonographien der Vernichtung“. Das Heft (140 Seiten) kann zu einem Preis von EUR 24,90 über den Buchhandel oder direkt über den Verlag (<www.velbrueck-wissenschaft.de>) bezogen werden.
Die „Zeitschrift für Genozidforschung“ erscheint halbjährlich. Der Jahresbezugspreis beträgt 49,80 Euro, das Einzelheft 24,90 Euro, incl. MWst., zzgl. Versandkosten. Die Redaktion lädt zur Einsendung von Manuskripten ein, über die Veröffentlichung entscheidet ein peer-review Verfahren. Weitere Informationen zur Zeitschrift finden Sie auf unserer Homepage <www.http://www.idg.rub.de/publikationen/zfg.html.de>

AUS DEM EDITORIAL:

Das neue Heft der „Zeitschrift für Genozidforschung“ rückt unter dem Topos der „Ikonographien der Vernichtung“ die Frage nach den Möglichkeiten und Strategien der narrativen „Bewältigung“ der Erfahrung von kollektiver, vernichtender Gewalt in den Fokus. Die Beiträge des vorliegenden Heftes nähern sich aus historischer, literaturwissenschaftlicher und linguistischer Perspektive den Möglichkeiten und Strategien der Codierung von Gewalterfahrung an, analysieren narrative Strukturen, rhetorische Figuren, Bildproduktionen und Tropen der Codierung verletzender Gewalt. Dabei tragen die Beiträge des Heftes in besonderer Weise dem spezifischen Anliegen der Zeitschrift Rechnung, intensive Untersuchungen empirischen Materials eng zu verbinden mit theoretisch-methodischen Überlegungen, um so nicht zuletzt zu einer Erweiterung und Validierung der Rahmungen einer interdisziplinären und multiperspektivischen Forschung zu kollektiver Gewalt und Genozid beizutragen.

So nimmt Irene Zanol ein Beispiel schriftstellerischen Engagements gegen die Gewaltregime und vor allem die Gewaltpraxis faschistischer Regime am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in den Blick, indem sie den publizistischen Einsatz des Schriftstellers Ernst Tollers für die Zweite Spanische Republik während des Bürgerkriegs (1936-1939) analysiert und dabei vor allem seine groß angelegte Kampagne zur Unterstützung der hungernden Zivilbevölkerung rekonstruiert. Der Artikel zeigt dabei in intensiven Lektüren, dass Tollers das Konzept »Spanien« als Antithese zu den faschistischen Tendenzen und Regimen der 1930er Jahre, ihren Entmenschlichungsstrategien und Gewaltpraktiken entwarf und aus diesem antithetischen Entwurf einen Appell zum humanitären Engagement ableitete.

Den „Ikonographien der Vernichtung“ geht Athanasios Anastasiadis am Beispiel von Überlebendenberichten und literarischen Zeugnissen über das Massaker von Kalavryta nach, bei dem im Dezember 1943 im Rahmen einer »Vergeltungsaktion« der deutschen Wehrmacht die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes ermordet wurde. Anhand des 1978 unter dem Titel „Kalavrita 1943“ veröffentlichten Berichts der Überlebenden Franzeska Nikas sowie des 2014 publizierten Romans „Athos der Förster“ von Maria Stefanopoulou untersucht Anastasiadis exemplarisch zum einen die narrativen Strategien der Konstitution von ›sekundärer Zeugenschaft‹, zum anderen die aus einer Position der Postmemory (Marianne Hirsch) erfolgende Annäherung an die psychosozialen Auswirkungen kollektiver Gewalterfahrungen, die Muster der Codierung generationsübergreifender Folgen einer nicht artikulierten, verborgenen und auch unterdrückten traumatischen Vergangenheit.

Monika Barwińska-Moll rückt in Ihrer Studie die Erfahrung einer bisher von der Forschung zur NS-Gewalt nur wenig berücksichtigen Opfergruppe in das Zentrum: polnische Frauen, die im Konzentrationslager Ravensbrück Opfer von Humanexperimenten wurden. Auf breiter Quellenbasis untersucht sie die Strategien, mit denen die Überlebenden die Erfahrung von Bloßstellung, Demütigung, nachgerade der expliziten Verdinglichung und der multiplen physischen und psychischen Gewalt, artikulieren und zu bearbeiten suchen. Im Rekurs auf die Konzepte »Körper als Situation« (Toril Moi) und »Diebstahl des Körpers« (Hortense Spiller) nimmt der Beitrag die Determinanten von »Weiblichkeit« und der Kategorie des »Geschlechts« in den Blick und arbeitet mit großer Sensibilität heraus, wie die Opfer Körperlichkeit wahrnahmen: ihren eigenen missbrauchten Körper, wie auch die Körper ihrer Leidensgenossinnen. Ein weiter Aspekt der Analyse ist die Konstruktion von Gemeinschaft und Solidarität unter den missbrauchten Frauen, die sich nicht zuletzt in der kollektiven Selbstbeschreibung als »Kaninchen« oder »Versuchskaninchen« artikulierte.

Auf der Basis von Interviews mit Personen, die während der Zeit der griechischen Militärdiktatur Opfer von Folter geworden sind, untersucht Janis Nalbadidacis, auf welche Weise die Folteropfer von ihren Erfahrungen erzählen. Gefragt wird nach Bezügen zu übergeordneten Narrativen ebenso wie nach genrespezifischen Eigenheiten, die sich in den Erzählungen zeigen. Nalbadidacis typisiert dabei nicht zuletzt verschiedene narrative Strategien der Konstruktion und Imaginationen eines »Wir« der Gefolterten und diskutiert systematisch sprachliche Vermittlungsformen dieses primär nicht-sprachlichen Akts der Folter. Ein besonderes Augenmerk richtet er dabei schließlich auf die Bedeutung des Lachens in den Gesprächssituationen der Interviews, die gleichermaßen als Strategie der Distanzfindung von wie auch der Annäherung an die Erfahrung der Gewalt dienten.

Anette H. Storeide schließlich untersucht die Herausforderung, die die Beschäftigung mit Kollaboration mit und Widerstand gegen den NS in ehemals besetzten europäischen Staaten bedeutet. Am Beispiel der öffentlichen Diskussionen über den Holocaust in Norwegen, die in den 1990er Jahren und wieder in jüngster Zeit die norwegische Zivilgesellschaft beschäftigten, zeigt Storeide, dass hierbei nicht allein die Frage nach der historischen Rolle Norwegens im Holocaust verhandelt wurde, sondern ebenso, vielleicht gar zuvorderst die norwegische Selbstwahrnehmung als eine »Nation im Widerstand«. Konfrontiert wird die Analyse dieser Diskussion mit in den letzten 25 Jahren in Norwegen ergriffenen geschichtskulturellen Maßnahmen zur Erinnerung an die ermordeten Juden. Die Beschäftigung mit der Gewaltpolitik der Nationalsozialisten, so zeigt die Verfasserin nachdrücklich, ist in den europäischen Staaten bis heute keine allein historisch-rekonstruktive Arbeit, sondern stellt grundlegende Fragen an die Selbstbilder und kollektiven Identitäten der Gesellschaften.

Inhaltsverzeichnis

ARTIKEL:

Irene Zanol:
»Ich kann hier nicht herumsitzen, wenn sie dort geschlachtet werden!«. Der Schriftsteller Ernst Toller und sein Engagement für Spanien (9–27)

Athanasios Anastasiadis:
Repräsentationen von Gewalterfahrung in Zeitzeugenberichten und in der Fiktion am Beispiel des Massakers von Kalavrytan (28–47)

Monika Barwińska-Moll:
„Versuchskaninchen“ aus Ravensbrück. Über Zeugnisse weiblicher Opfer von Humanexperimenten (47–73)

Janis Nalbadidacis:
Erzählen von der Folter. Zu Foltererfahrungen während der griechischen Militärdiktatur (74–90)

Anette H. Storeide:
Das Thema Holocaust in Norwegen: Geschichtsdiskussion oder Identitätsdebatte? (91–107)

Rezensionen (111–134)
Autorinnen und Autoren (135–136)

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