EditorialDie Beiträge zum von Florian Bieber, Daniela Mehler und Ksenija Petrović herausgegebenen Schwerpunkt dieser Ausgabe von Südosteuropa gehen auf die Konferenz „Populismus und Euroskeptizismus in Südosteuropa seit 1989“ zurück, die im Juni 2011 vom Graduiertenkolleg „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena organisiert wurde. Die Autorinnen und Autoren analysieren Populismus und Euroskeptizismus in einzelnen Staaten Südosteuropas aus multidisziplinärer und vergleichender Perspektive.
Der Politologe Martin Beischl betrachtet die Auswirkungen des EU-Beitritts auf den Euroskeptizismus von Parteien in mittelost- und südosteuropäischen Ländern, insbesondere in Polen, Bulgarien und Kroatien. Er konstatiert erhebliche Unterschiede in den einzelnen Fällen.
Von einer spezifischen oder gar einheitlichen Form des Euroskeptizismus in der Region, so Beischl, kann keine Rede sein. Olaf Leiße geht der Frage nach, wie rechte Parteien im Europäischen Parlament auf den Beitritt südosteuropäischer Länder reagieren. Die Mehrzahl der südosteuropäischen Rechtsparteien vertritt einen ausgeprägten Nationalismus in Bezug auf ihr eigenes Land, gleichzeitig aber eine proeuropäische Politik. Insgesamt dürften, so Leiße, die Parteien am rechten Rand zu heterogen und zu uneinig sein, um künftig eine gewichtige Rolle in der europäischen Parlamentsarbeit zu spielen.
Die Ethnologin Katerina Gehl untersucht die antielitäre (Selbst-)Darstellung von Politikern in Bulgarien als „Volksmenschen“ und Privatpersonen in der Öffentlichkeit, die Gehl als offenkundigstes Merkmal bulgarischer Politikvermittlung in den letzten Jahren definiert. Gerade die mediale Suggestion von Volksnähe verstärke paradoxerweise die Eliteposition zahlreicher Politiker. Gehl kommt zu dem Schluss, dass die Sprache und die Verhaltensweisen bulgarischer Politiker mit westlichen Konzepten von Populismus eher schwer zu fassen seien.
Die Philologin und Kulturwissenschaftlerin Aleksandra Salamurović untersucht sprachliche Muster rund um den EU/Europa-Diskurs anhand ausgewählter Medienberichte aus Serbien und Kroatien. Sie konstatiert keine signifikante Veränderung der politischen Sprache seit den 1990er Jahren. Vielmehr hätten die Identitätskrisen der letzten Jahrzehnte zu einer gewissen repetitiven Formelhaftigkeit der Sprachstrukturen geführt.
Die Historikerin Rosanna Dom zeigt, dass, auch wenn in Moldova zwei Drittel der Bevölkerung einem sofortigen EU-Beitritt zustimmen würden, diese Haltung von den dortigen russophonen Eliten, ebenso wie von jenen in Transnistrien, nicht unbedingt geteilt wird. Allerdings handele es sich bei dieser populistischen Bewegung um einen zahlenmäßig kleinen Teil der russischen und russophonen Minderheit, die aber dennoch deren Gesamtbild in Moldova präge. Die antieuropäischen Diskurse sind, so Dom, mit traditionelleren antiwestlichen Diskursen eng verknüpft, weshalb das Konzept des Euroskeptizismus auf die russischsprachige Elite in Moldova nur begrenzt anwendbar ist.
Sabine Rutar – Redaktion –
INHALTSVERZEICHNIS
Schwerpunkt: Populismius und Euroskeptizismus in Südosteuropa Daniela Mehler, Ksenija Petrović, Florian Bieber: Populismus und Euro-skeptizismus in Südosteuropa seit 1989 152-166
Martin Beischl: Euroskeptizismus vor und nach dem EU-Beitritt: Mittelost- und südosteuropäische Parteien im Vergleich 167-192
Olaf Leiße: Rechte Parteien im Europäischen Parlament und der Beitritt Südosteuropas – eine Gefahr für die europäische Demokratie? 193-216
Katerina Gehl: Populismus in Bulgarien? Ausdrucksformen des Politischen im gegenwärtigen bulgarischen Mediendiskurs 217-238
Aleksandra Salamurović: Der politische und mediale Diskurs in Serbien und Kroatien zwischen Euroskeptizismus und Populismus 239-263
Rosanna Dom: Die russische Elite in der Republik Moldau: Populismus und Euroskeptizismus? 264-285
Buchbesprechungen Kosta Nikolić / Vladimir Petrović (Hgg.), Od mira do rata: Dokumenta Predsedništva SFRJ 1991., Tom I. (januar – mart 1991.) (Robert Lučić) 286-288
Dejan Djokić / James Ker-Lindsay (Hgg.), New Perspectives on Yugo-slavia. Key Issues and Controversies (Marc Živojinović) 288-290
Thomas M. Bohn / Marie-Janine Calic (Hgg.), Urbanisierung und Stadt-entwicklung in Südosteuropa vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, 47. Internationale Hochschulwoche der Südosteuropa-Gesellschaft in Tutzing, 6.-10.10.2008 (Kristina Popova) 291-293
Oliver Schwarz, Erweiterung als Überinstrument der Europäischen Union? Zur Europäisierung des westlichen Balkans seit der EU-Osterweiterung (Sandrino Smeets) 293-295
Manfred Sapper / Volker Weichsel (Hgg.), Quo vadis, Hungaria? Kritik der ungarischen Vernunft (Christine Müller) 295-297
Damian Popolo, A New Science of International Relations. Modernity, Complexity and the Kosovo Conflict (Daniel Silander) 297-298
Jochen Töpfer, Politische Eliten in Slowenien und Makedonien. Rationale oder symbolische Politik? (Anton Sterbling) 299-300