Geschichte im Westen 33 (2018) - Der Kalte Krieg in der Region
Editorial
Der Kalte Krieg, der nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland aus den bisherigen Kriegsverbündeten und Alliierten erbitterte Feinde machte, markierte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neue weitreichende Konfliktlinien und Deutungsmuster. Er spaltete die Welt unter Führung der Sowjetunion und den USA in Ost und West und bildete dabei einen spezifischen „Erfahrungsraum“. Es ging nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen unvereinbar erscheinenden politischen Ideologien samt ihrer konkurrierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsentwürfe. Die Systemkonkurrenz zwischen den beiden Blöcken bzw. ihren Führungssupermächten umfasste neben den politischen und militärischen Dimensionen auch wirtschaftliche, technische, kulturelle und sportliche Anstrengungen, um die Bedeutung und den Einfluss des jeweils anderen weltweit einzudämmen und zurückzudrängen.
In „Stellvertreterkriegen“, etwa in Korea oder Afghanistan, maßen die Supermächte ihre militärischen Kräfte verdeckt. Andere Konflikte, wie die Berlin-Blockade 1948/49, die Kubakrise 1962 und das atomare Wettrüsten Anfang der 1980er Jahre, drohten in die direkte Konfrontation und damit in einen Dritten Weltkrieg abzugleiten. Eine zentrale Nahtstelle des fast fünf Jahrzehnte währenden Konflikts verlief mitten durch Europa und teilte Deutschland. In der Bundesrepublik und der DDR wurden jeweils Mittelstreckenraketen der NATO und des Warschauer Pakts stationiert. Hochrechnungen über Trägersysteme und Sprengköpfe – amerikanische Pershing II und Cruise Missiles standen sowjetischen SS-20-Raketen gegenüber – schürten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs die Bedrohungsängste. Dabei ist zu fragen, welche Folgen der Kalte Krieg vor Ort hatte. Wie konkretisierte er sich in der Region?
In Nordrhein-Westfalen mit der Bundeshauptstadt Bonn zeigten sich die mit den Bedrohungsszenarien verbundenen politischen Spannungen und gesellschaftlichen Unruhen besonders deutlich, so etwa Anfang der 1980er Jahre, als Hunderttausende zur Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten zusammenkamen. Das Themenheft spürt mit sieben Beiträgen exemplarisch den regionalen Spuren des Kalten Krieges nach. Für das Rheinland zeigen Wolfgang Wegener und Frank Möller, dass neben der militärischen Präsenz mit Sicherheitsanlagen, atomaren Waffensystemen und Waffenlagern auch eine Parallelwelt von getarnten Bunkeranlagen und Bauwerken zur Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen des Zivilschutzes existierte, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Am Beispiel der Britischen Rheinarmee in Nordrhein-Westfalen legt dann Peter Speiser Spannungen und Annäherungen im deutsch-britischen Verhältnis dar. Er erläutert, wie vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts trotz mancherlei Schwierigkeiten vor Ort aus ehemaligen Kriegsgegnern Verbündete wurden.
Doch auch im kulturellen und erinnerungspolitischen Sektor ist die Systemkonkurrenz nicht zu übersehen. Insbesondere die frühen Jahre der Bundesrepublik waren stark durch das Erbe des Nationalsozialismus und durch Antikommunismus geprägt. Alfons Kenkmann analysiert die Rahmenbedingungen, Deutungen und erinnerungspolitischen Vereinnahmungen des durch eine Polizeikugel in Essen getöteten FDJ-Mitglieds Philipp Müller in Ost- und Westdeutschland. Yvonne Wasserloos nimmt anschließend das Konzert von Wolf Biermann in Köln 1976 und die Ausbürgerung des Sängers aus der DDR zum Anlass, die ästhetisch-performative Wirkung des Auftritts am Rhein zu untersuchen. Es wird deutlich, wie stark auch die Medien an der Inszenierung und Verbreitung des „Falls Biermann“ beteiligt waren.
Sabine Kittel präsentiert dann exemplarisch die Vorgehens- und Arbeitsweise der Ostspionage an Westuniversitäten. An der Universität Münster gab es bis Mitte der 1980er Jahre mindestens zwei Hochschulmitarbeiter, die für die Stasi tätig waren. Der Themenschwerpunkt schließt mit einem Blick von außen bzw. vom Osten auf die Friedensbewegung in Nordrhein-Westfalen in den 1980er Jahren. Hierfür wertet Alexander Friedman die Berichterstattung in der Prawda und anderen, in der Sowjetunion stark verbreiteten Publikationen aus.
SCHWERPUNKTTHEMA: DER KALTE KRIEG IN DER REGION
Sabine Mecking Editorial (S. 7–8)
Frank Möller Zur Topografie des Kalten Krieges im Rheinland Spurensuche in einer Parallelwelt (S. 9–46)
Peter Speiser Botschafter in Uniform? Die Beziehungen der Britischen Rheinarmee zur deutschen Zivilbevölkerung 1948–1957 (S. 47–62)
Wolfgang Wegener Archäologie und das 20. Jahrhundert Zeugnisse des Kalten Krieges (S. 63–90)
Alfons Kenkmann Philipp Müller Vom Friedensdemonstranten West zum Widerstandshelden Ost (S. 91–115)
Yvonne Wasserloos Performanz und Politik in der Systemkonkurrenz Wolf Biermanns Konzert in Köln 1976 (S. 117–134)
Sabine Kittel Die unterwanderte Universität? Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster im Fokus der Staatssicherheit der DDR in den 1970er und 1980er Jahren (S. 135–160)
Alexander Friedman Gespenst der "Germashima" Die sowjetische Rezeption der Friedensbewegung in Nordrhein-Westfalen in der ersten Hälfte der 1980er Jahre (S. 161–176)
BEITRÄGE AUßERHALB DES SCHWERPUNKTES
Hans Hauptstock und Heiner Stahl Rundfunksäulen und (Volks-)Gemeinschaftsempfang Zur Beschallung der Öffentlichkeit in rheinischen Kommunen während der NS-Diktatur (S. 177–199)
Markus Köster Umerziehung durch Schock-Bilder? Zu Entstehung und Einsatz alliierter Filmaufnahmen der NS-Verbrechen in Westfalen 1945 (S. 201–225)
Sara-Marie Demiriz Vom „Gastarbeiter“ zum Mitbürger Integration durch Bildung in Nordrhein-Westfalen am Beispiel der Revierarbeitsgemeinschaft für kulturelle Bergmannsbetreuung im Ruhrgebiet (S. 227–255)
TAGUNGSBERICHT
Agnes Weichselgärtner „Der Kalte Krieg in der Region“ Wissenschaftliche Jahrestagung des Brauweiler Kreises für Landes- und Zeitgeschichte e.V., Vogelsang IP/Schleiden, 8.-9. März 2018 (S. 257–261)
Autorinnen und Autoren (S. 263–264)