Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), 1

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), 1
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 58 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 58 €

 

Kontakt

Institution
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
Abteilung
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
PLZ
80636
Ort
München
Straße
Leonrodstraße 46 B
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

soeben ist das Januarheft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte erschienen. Auf zwei Beiträge sei besonders hingewiesen:
Noch nie sind die nationalsozialistische Personalpolitik an deutschen Hochschulen und die Folgen dieses brutalen Eingriffs so präzise rekonstruiert worden wie in der Dokumentation von Michael Grüttner und Sven Kinas.

Frank Bötsch geht der jüngst in der Öffentlichkeit erneut diskutierten Frage nach, wie sich Zeitgeschichte im Film inszenieren lässt.

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze:

Frank Bösch: Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft. Von "Holocaust" zu "Der Untergang".

Seit der Ausstrahlung der Serie Holocaust im Jahr 1979 prägen fiktionale Filme zunehmend die Vorstellungen über den Nationalsozialismus. Welche Bildhaushalte und Deutungen diese in den letzten Jahrzehnten vermittelten und wie sich diese veränderten, untersucht der Artikel systematisch anhand von rund vierzig Filmen und deren öffentlicher Rezeption. Dabei ortet er Schwerpunkte und Grenzen der öffentlichen Erinnerung an den Nationalsozialismus und setzt diese mit gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Trends in Beziehung. Auf diese Weise lässt sich erkennen, dass die historischen Zugänge der Filme durchaus mit denen der Geschichtswissenschaft korrespondierten und beide Seiten sich wechselseitig prägten. Mit Blick auf die Filminhalte werden signifikante Verschiebungen in der audiovisuelle Erinnerungskultur deutlich, wobei sich die späten siebziger Jahre, die späten achtziger Jahre und die Wende zum neuen Jahrhundert als Zäsuren ausmachen lassen.

Frank Bösch, Film, the National Sozialist Past and Historiography. From "Holocaust" to "Downfall".

Since the broadcast of the TV series Holocaust in 1979, fictional movies increasingly shape the understanding of National Socialism. This article analyses which repertoires of images and interpretations were transmitted by these films in the last decades, and inasmuch as they have changed. For this purpose, about 40 films and their public reception were analysed. The article uncovers the central aspects and limits of public remembrance of National Socialism against the background of trends in society and contemporary history. Here one can discern that the historical approaches of the films actually corresponded to those of historians, and that film and historical research mutually shaped each other. Concerning the content, significant changes are pointed out: It is argued that the late 1970s, the end of the 1980s and the turn of the century can be identified as significant watersheds in the audiovisual culture of remembrance.

Riccardo Bavaj: Otto Kirchheimers Parlamentarismuskritik in der Weimarer Republik. Ein Fall von "Linksschmittianismus".

Im Anschluss an eine leidenschaftliche Debatte, die vor nunmehr zwanzig Jahren von der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Ellen Kennedy angestoßen wurde, untersucht der Beitrag die geistige Beziehungsgeschichte zwischen Weimars rechtsphilosophischem Erzfeind Carl Schmitt und seinem linkssozialistischen Schüler Otto Kirchheimer. Vor dem Hintergrund jener im Spannungsfeld von Weimarer Rechts- und Linksintelligenz angesiedelten Forschungskontroverse, die sich auch in den Kontext neuerer Forschungen zum Phänomen von "Austauschdiskursen" einbetten lässt, wird Kirchheimers politisches Denken zwischen seiner Promotion im Jahr 1928 und der nationalsozialistischen "Machtergreifung" von 1933 analysiert. Während auffällige Ähnlichkeiten und Überschneidungen in der Gedankenführung Carl Schmitts und Otto Kirchheimers zutage gefördert werden, arbeitet der Beitrag auch jene geistigen Divergenzen heraus, die seit 1930 zunehmend deutlicher zum Vorschein kamen und in der klaren Frontstellung gipfelten, die Kirchheimer nach Schmitts Rechtfertigung des sogenannten Preußenschlags vom 20. Juli 1932 zu seinem akademischen Lehrer bezog.

Riccardo Bavaj, Otto Kirchheimer's Critique of Parliamentarianism during the Weimar Republic. A Case of 'Left-wing Schmittianism'?

Resuming a passionate debate initiated by the American political scientist Ellen Kennedy twenty years ago, the article traces intellectual transferences between Weimar's state philosophical arch-enemy Carl Schmitt and his left-wing socialist disciple Otto Kirchheimer. It focuses on the period between 1928, the year Kirchheimer obtained his PhD, and 1933, the year of Hitler's 'seizure of power'. In so doing it makes a contribution not only to the study of Weimar's highly fragmented political culture, but also to a recent focus of research, namely the phenomenon of 'exchange discourses' of right- and left-wing intellectuals. While stressing conspicuous resemblances between Schmitt's and Kirchheimer's anti-parliamentarian critique, the article also points out divergences and discrepancies which became increasingly apparent from 1930 onwards, culminating in a harsh attack launched by Kirchheimer against his former doctoral supervisor on the occasion of Schmitt's juristic legitimization of the so-called 'Preußenschlag', von Papen's take-over of power in Prussia on the 20th of July, 1932.

MacGregor Knox, Das faschistische Italien und die "Endlösung" 1942/43.

Die Vorstellung, dass italienische Diplomaten und Soldaten aus humanen Erwägungen Juden im besetzten Kroatien und anderswo vor dem Massenmord im Osten zu retten versuchten, ist ein zentrales Element des schier unverwüstlichen Mythos, der die Rolle des faschistischen Italien im Zweiten Weltkrieg umgibt. Nicht umsonst spricht man bis heute von den "anständigen Italienern". Zeitgenössisches Quellen legen den Schluss nahe, dass die Motive der Italiener sehr viel komplexer waren und dass Rom das deutsche Vernichtungsprogramm viel früher kannte, als man in der Vergangenheit angenommen hatte. Italienische Reserven resultierten beispielsweise aus den Absichten des Außenministeriums, Juden zu internieren, um den Konflikt mit den verbündeten Ustascha zu dämpfen, aus den militärische Forderungen der zunehmend verzweifelten italienischen Besatzungstruppen auf dem Balkan, aus der Angst vor alliierten Kriegsverbrecherprozessen und - von August 1942 an - aus dem das Zusammenbrechen von Mussolinis Regime und dem schließlich panischen Streben seiner Untergebenen nach einem Separatfrieden mit den Westmächten.

MacGregor Knox, Fascist Italy faces the "Final Solution", 1942/43.

The notion that Italian diplomats and soldiers, as the "good guys [brava gente]" within the Axis alliance, compassionately sought to "rescue" Jews in occupied Croatia and elsewhere from mass murder in the East, is a central element in the elaborate mythology surrounding Fascist Italy's role in the Second World War. Contemporary evidence nevertheless suggests that Italian motivation was far more complex than the myth concedes, and that Rome understood the nature of Germany's genocidal program far earlier than once assumed. Italian concerns included (but were not limited to) Foreign Ministry aspirations to intern Jews in order to dampen conflict with its Ustasha client state, the military demands of Italy's increasingly desperate Balkan occupation forces, fear of Allied war crimes trials, and from August 1942 onward the crumbling of Mussolini's regime and the increasingly frantic search of his subordinates for a separate peace with the Western powers.

Roberto Sala, Vom Fremdarbeiter zum Gastarbeiter. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft (1938-1973).

Das Thema des Beitrags ist der Einsatz italienischer Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft. Das Anwerbeverfahren, das auch aus langfristigen migrationspolitischen Entwicklungen auf europäischer Ebene resultierte, entstand durch den Einsatz italienischer Arbeitskräfte im Dritten Reich und wurde durch das deutsch-italienische Abkommen von 1955 in der Bundesrepublik Deutschland wieder aufgegriffen. Durch die Praxis der Anwerbung italienischer Migranten Ende der fünfziger Jahre kam es zur zentralisierten Verwaltung der Arbeitsmigration, welche in den sechziger Jahren die Zuwanderung nach Westdeutschland aus anderen Mittelmeerländern prägte. Ab 1962 scheiterte allerdings gerade die Anwerbung in Italien wegen der Liberalisierung des Arbeitsmarktes in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die mit der strengen staatlichen Reglementierung der Zuwanderung in die Bundesrepublik nicht kompatibel war.

Roberto Sala, From "Foreign Workers" to "Guest Workers": The Recruitment of Italian Labour for the German Economy (1938-1973).

Shaped by long-term developments in migration policy on the European level, the recruitment process of Italian workers for the German economy came to being through the deployment of Italian workers during the Third Reich and was taken up again in the Federal Republic of Germany by the German-Italian treaty of 1955. The practice of recruiting Italian migrants at the end of the 1950s resulted in a centralised administration of the migration of labour, which shaped immigration to West Germany from other Mediterranean countries during the 1960s. After 1962 however, the recruitment failed in Italy of all places, due to the liberalisation of the labour market in the European Economic Community, which was incompatible with the strict state regimentation of immigration practised by the Federal Republic.

Dokumentation:

Michael Grüttner und Sven Kinas, Die Vertreibung von Wissenschaftlern an deutschen Universitäten, 1933-1945.

Keine Darstellung der nationalsozialistischen Diktatur verzichtet darauf, mehr oder weniger ausführlich auf die Massenentlassungen einzugehen, mit denen die Nationalsozialisten nach 1933 die deutschen Hochschulen "säuberten". Dennoch herrscht immer noch große Unklarheit darüber, wie groß die personellen Verluste der Hochschulen in der NS-Zeit tatsächlich waren und was aus den vertriebenen Wissenschaftlern geworden ist.
Der Beitrag legt verlässliche Zahlen für zwei Drittel aller Universitäten vor und kann auf dieser Grundlage ein vorläufiges Gesamtbild von den Vertreibungsverlusten der deutschen Universitäten erstellen. Dabei werden erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Universitäten deutlich, die der Erklärung bedürfen: Einige Hochschulen verloren mehr als ein Drittel des Lehrkörpers, während andere von den Entlassungen nur marginal betroffen waren. Mit dem gesammelten Material ist es erstmals möglich, eine Reihe von Fragen zu beantworten: Wie viele der Entlassenen waren Opfer der nationalsozialistischen Rassenideologie, wie viele wurden aus anderen Gründen entlassen? Wie viele von den entlassenen Wissenschaftlern emigrierten und wie viele blieben im nationalsozialistischen Machtbereich? Wie groß war die Zahl derjenigen, die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden oder Suizid verübten? Abschließend werden einige Konsequenzen der Massenentlassungen diskutiert: der Verlust an wissenschaftlicher Substanz, verbesserte Karrierechancen des wissenschaftlichen Nachwuchses, aber auch die Stärkung des wissenschaftlichen Potentials von Deutschlands zukünftigen Kriegsgegnern. Ein ausführlicher Anhang liefert genaue Daten zu den einzelnen Universitäten und Kurzbiographien jener Hochschullehrer, die Opfer nationalsozialistischer Vernichtungspolitik wurden oder Suizid begingen.

Michael Grüttner and Sven Kinas, The Expulsion of Academics from German Universities,1933-1945.

To some degree, all accounts of the National Socialist dictatorship describe the mass expulsions with which the National Socialists "cleansed" the German universities. Yet, there is still no clarity as to the exact extent of the factually incurred personnel losses at universities during the Nazi Era and what became of the expelled academics. The article provides dependable figures for two-thirds of all universities and can therefore deliver a preliminary overview of the losses by expulsion on this basis.
A detailed appendix provides exact data on the individual universities and short biographies of those professors who became victims of National Socialist extermination policies or committed suicide.

Notiz:

Thomas Schlemmer und Hans Woller, Schreib-Praxis. Ein anwendungsorientiertes Seminar des Instituts für Zeitgeschichte.

Thomas Schlemmer and Hans Woller, Writing in practice. A course of the Institut für Zeitgeschichte.

Rezensionen online:

Oktober – Dezember 2006

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