Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 70 (2022), 2

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 70 (2022), 2

Erschienen
München 2022: De Gruyter Oldenbourg
Preis
Jahresabo: € 59,80; Stud.abo: € 34,80; Mitgl.abo. hist. u. pol. Fachverbände: € 49,80; Online-Zugang: € 49,00; Print+Online-Abo € 72,00

 

Kontakt

Institution
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
Abteilung
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
PLZ
80636
Ort
München
Straße
Leonrodstraße 46 B
Von
Florian Hoppe, Geisteswissenschaften, De Gruyter Oldenbourg

Das neue Heft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte ist erschienen, wir wünschen anregende Lektüre!

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Ariane Leendertz
Die Macht des Wettbewerbs. Die Max-Planck-Gesellschaft und die Ökonomisierung der Wissenschaft seit den 1990er-Jahren

Ab Mitte der 1990er-Jahre verschrieb sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ähnlich wie ein global agierendes Unternehmen der ständigen Optimierung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Ebenso wie die Wirtschaft mussten sich auch die Wissenschaftsorganisationen laufend optimieren und strategisch positionieren, um im nunmehr globalen Wettbewerb nicht zurückzufallen. Andernfalls, so argumentierten die Präsidenten der MPG, war der gesellschaftliche Wohlstand in Deutschland in Gefahr. Ariane Leendertz zeigt, wie sich um die Jahrtausendwende eine Ökonomisierung der politischen Sprache der MPG und der gesellschaftlichen Legitimation der Forschungsförderung vollzog. Sie diskutiert auch, welche institutionellen und inhaltlichen Konsequenzen sich mit dieser Ökonomisierung verbinden lassen.

Ariane Leendertz
The Power of Competition. The Max Planck Society and the Economization of Research since the 1990s

Since the mid-1990s the Max Planck Society (in German: Max-Planck-Gesellschaft, abbreviated MPG) dedicated itself to the continuous optimization of its international competitiveness the same as a global concern. Like the business sector, research organisations had to constantly improve their strategic positioning in order not to fall behind in the global race. Otherwise, MPG Presidents argued, social welfare in Germany was under threat. Ariane Leendertz shows, how, at the turn of the millennium, an economization of the political language of the MPG as well as the social legitimation of research funding occurred. She also discusses, which institutional and content-related consequences can be connected with this economization.

José Manuel Sáenz Rotko
Pius XI. in der spanischen Arena. Der Vatikan, das nationalsozialistische Deutschland und das Ringen um die gesellschaftspolitische Ausrichtung des Franco-Regimes 1936 bis 1938

Der Autor beleuchtet die Haltung des Heiligen Stuhls im Spanischen Bürgerkrieg. Er analysiert, warum Papst Pius XI. Partei zugunsten der Aufständischen unter General Franco ergriff, lange bevor der Ausgang des Konflikts absehbar war. Quellen aus den Archiven des Vatikan eröffnen neue Perspektiven auf Entscheidungen und Strategien des Heiligen Stuhls. Sie lassen darauf schließen, dass der Papst vor allem aus einem Grund auf Franco zuging: Er wollte der Gefahr einer nationalsozialistischen Infiltration des Franco-Staats in statu nascendi begegnen. Nachdem im Deutschen Reich 1937 der „Kirchenkampf“ eskaliert war, vollzog der Heilige Stuhl einen radikalen Strategiewechsel in seiner Spanienpolitik. Der völkerrechtlichen Anerkennung Francos folgte ein intensives diplomatisches Engagement mit dem Ziel, den deutschen Einfluss wenn nicht zu brechen, so doch zu marginalisieren. Der Vatikan gewann das ideologische Ringen gegen Hitler: Franco gründete sein Regime auf das Fundament einer traditionalistisch-reaktionären Weltanschauung; die katholische Kirche wurde zu einem seiner Eckpfeiler.

José Manuel Sáenz Rotko
Pius XI. in the Spanish Arena. The Vatican, National Socialist Germany and the Struggle for the Socio-Political Orientation of the Franco-Regime, 1936 to 1938

The author illuminates the position of the Holy See in the Spanish Civil War. He analyses, why Pope Pius XI took sides in favour of the insurrectionists under General Franco, long before the outcome of the conflict was foreseeable. Sources from Vatican archives reveal new perspectives on decisions and strategies of the Holy See. They indicate, that the Pope reached out to Franco mostly for one reason: He wanted to confront the danger of a National Socialist infiltration of the Franco state in statu nascendi. After the Kirchenkampf (church struggle) in the German Reich had escalated in 1937, the Holy See carried out a radical shift in strategy in its policy on Spain: Its international recognition of Franco was followed by intensive diplomatic engagement with the goal of at least marginalising, if not breaking German influence. The Vatican won its ideological struggle against Hitler: Franco based his regime on the foundation of a traditionalist-reactionary Weltanschauung; the Catholic Church became one of its cornerstones.

Martin Tschiggerl/Thomas Walach
Die erfundene „Trümmerfrau“. Der Umgang mit der NS-Zeit in Österreich

2018 eröffnete der damalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der Freiheitlichen Partei Österreichs in Wien feierlich ein Denkmal für die österreichischen „Trümmerfrauen“, was eine breit geführte öffentliche Debatte über deren Stellenwert und Bedeutung auslöste. Der vorliegende Beitrag wirft auf der Basis bisher kaum bearbeiteter Quellenbestände ein Schlaglicht auf die Tatsachen hinter dieser stark emotionalisierten Diskussion. Zwei Feststellungen liefern dazu die Grundlage: Laut den vorliegenden Quellen waren Männer in der Trümmerbeseitigung überrepräsentiert. Bei ebendiesen Trümmerarbeiterinnen und -arbeitern handelte es sich zum Großteil um ehemalige Angehörige der NS-Bewegung, die per Verfassungsgesetz zur Arbeit verpflichtet waren. Im Zentrum des Beitrags steht daher auch die Frage, wie aus dieser gesetzlich verordneten „Notstandsarbeit“ eine spezifisch österreichische Vorstellung von den „Trümmerfrauen“ entstehen konnte.

Martin Tschiggerl/Thomas Walach
The Invented “Rubble Woman”. Dealing with the Nazi Era in Austria

In 2018 then Austrian Vice-Chancellor Heinz-Christian Strache of the Freedom Party of Austria solemnly inaugurated a monument for Austria’s Trümmerfrauen (rubble women) in Vienna. This triggered a broad public debate about their importance and significance. The present contribution highlights the facts behind this strongly emotionalised discussion on the basis of hitherto hardly considered sources. Two conclusions provide the basis of this discussion: According to the available sources, men were overrepresented in the removal of rubble. For the most part, these rubble workers (both male and female) were former members of the Nazi movement, who were on work duty according to a constitutional law. At the centre of this contribution thus stands the question, how this legally prescribed “emergency work” was able to develop into a specifically Austrian idea of the Trümmerfrauen.

Gaëlle Fisher
Geschichtsschreibung und Rechtsprechung. Martin Broszat und die Entschädigung jüdischer Überlebender des Holocaust aus Rumänien 1955 bis 1965

Die Entschädigung hunderttausender Überlebender des Holocaust durch die Bundesrepublik Deutschland war ein präzedenzloser, komplexer und auch umstrittener juristischer Prozess. In den frühen 1950er-Jahren entwickelte sich beispielsweise die Frage nach der Verantwortung für die Verfolgung und Ermordung der Juden im rumänischen Machtbereich während des Zweiten Weltkriegs zu einem bedeutenden Streitpunkt zwischen Überlebenden, ihren Vertretern und den westdeutschen Entschädigungsämtern. Aus diesem Grund kam Sachverständigen eine wichtige Funktion zu; dazu gehörte auch der Mitarbeiterstab des Instituts für Zeitgeschichte, allen voran Martin Broszat. Ausgehend von diesem Fall untersucht Gaëlle Fisher die vielfältigen Spannungen zwischen Geschichtsschreibung und Rechtsprechung.

Gaëlle Fisher
Historiography and Jurisprudence. Martin Broszat and Compensation for Jewish Survivors of the Holocaust from Romania, 1955 to 1965

The compensation of hundreds of thousands of survivors of the Holocaust by the Federal Republic of Germany was an unprecedented, complex and controversial legal process. In the early 1950s, the question of who should be held responsible for the persecution of the Jews in territory under Romanian control during the war developed into a major area of dispute between survivors, their representatives, and West German compensation authorities. In this context, historical experts such as historians from the Institute for Contemporary History, first and foremost Martin Broszat, came to play an instrumental role. While focusing on the case of Romania, Gaëlle Fisher’s article explores a wider set of tensions between history writing and the legal practice.

Bernhard Rieger
„Florida-Rolf“ lässt grüßen. Soziale Dämonen, Auslandssozialhilfe und die Debatte um den Wohlfahrtsstaat in der Ära Schröder

Während der Debatte um die Agenda 2010 erhob die Bild-Zeitung den in Florida ansässigen Sozialhilfeempfänger Rolf J. zum Symbol sozialstaatlicher Dysfunktionalität, um dem Ruf nach Reformen Nachdruck zu verleihen. Nach einer historischen Rekonstruktion der Auslandssozialhilfe als deutscher sozialstaatlicher Sonderpraxis analysiert Bernhard Rieger die von Bild initiierte Kampagne gegen „Florida-Rolf“ und andere „Sozialschmarotzer“. Der Fokus auf erwerbslose, häufig in unkonventionellen Familienverhältnissen lebende Männer verstärkte den Eindruck, bestehende Sozialgesetze ließen konventionelle Männlichkeitsnormen erodieren, verstärkten eine bedrohliche Krise der Arbeitsgesellschaft und bedürften zur Stärkung der Arbeitsethik einer grundsätzlichen Reform.

Bernhard Rieger
“Florida-Rolf” Sends Greetings. Social Demons, Social Assistance Paid Abroad and the Debate about the Welfare State during the Schröder Era

During the debate on Agenda 2010 the Bild newspaper turned social assistance recipient and Florida resident Rolf J. into a symbol of welfare state dysfunction in order to emphasise calls for reforms. After a historical reconstruction of social assistance paid abroad as a special German welfare state practice, Bernhard Rieger analyses the campaign initiated by Bild against “Florida-Rolf” and other “social spongers”. The focus on unemployed men who often lived in unconventional family constellations reinforced the impression that existing welfare legislation eroded conventional norms of masculinity, intensified an ominous crisis of working society and required fundamental reforms in order to strengthen work ethics.

VfZ-Schwerpunkt

Nikolai Wehrs
„Abolish Economists!“ Die Britcom „Yes Minister“ und der Wandel des britischen Konservatismus in der Ära Thatcher

Welchen Anteil hatten Formate der Populärkultur an der Renaissance des politischen Konservatismus nach 1968? Die Britcom „Yes Minister“ (1980–1988) gilt gemeinhin als linke Satire auf den Elitismus des britischen Civil Service. Nikolai Wehrs zeigt dagegen auf, wie zielgerichtet die Autoren der TV-Serie das linke Anti-Establishment-Narrativ mit einem neuen Mittelklassenpopulismus verschmolzen und damit einen politisch-kulturellen Möglichkeitsraum für die konservative Ideologie des Thatcherismus schufen. Zugleich, so die These, lassen sich an „Yes Minister“ zentrale Wandlungsprozesse des britischen Konservatismus unter der Ägide von Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren untersuchen.

Nikolai Wehrs
“Abolish Economists!” The Britcom “Yes Minister” and the Transformation of British Conservatism during the Thatcher Era

What role did formats of popular culture play in the renaissance of political conservatism after 1968? The Britcom “Yes Minister” (1980–1988) is generally viewed as a left-wing satire of the elitism of the British Civil Service. Nikolai Wehrs however shows, how the authors of the TV series purposely merged the left-wing anti-establishment narrative with a new middle class populism and thereby created a political/cultural space of possibility for the conservative ideology of Thatcherism. His thesis simultaneously is that “Yes Minister” allows for the investigation of central transformation processes of British conservatism under the aegis of Margaret Thatcher during the 1980s.

Notiz

Das deutsche Verkehrswesen: Kontinuitäten und Transformationen zwischen NS-Staat, Bundesrepublik und DDR (Ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte)

VfZ-Online

Neu: Zwei weitere Beiträge in der Rubrik „VfZ Hören und Sehen“ und ergänzende Materialien zu Martina Stebers Aufsatz in der Januar-Ausgabe

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