INHALTSVERZEICHNIS
Aufsätze:
Kim Christian Priemel: Industrieunternehmen, Strukturwandel und Rezession. Die Krise des Flick-Konzerns in den siebziger Jahren.
Die Auflösung des Flick-Konzerns wurde 1985 weithin als Beleg für das Ende des Familienunternehmens und als klassischer Fall gescheiterter Firmennachfolge gedeutet. Gleichwohl gibt es für das Scheitern des bis dahin bedeutendsten deutschen Familienkonzerns viele Gründe. Die Kombination mehrerer, sich wechselseitiger überschneidender Problemlagen im Fall Flick waren im Grunde durchaus repräsentativ für die Herausforderungen und Schwierigkeiten, vor die sich die westdeutsche Industrie in den 1970er and 1980er Jahren gestellt sah, aber auch für deren Versäumnisse und Fehlentscheidungen. Dazu zählten fehlgeleitete Investitionsstrategien, Modernisierungs- und Rationalisierungsdefizite sowie Kapitalisierungshemmnisse. Ferner waren es interne Defizite in der Unternehmensorganisation und -kommunikation, die zur Ideenarmut an der Spitze führten, die in Notzeiten traditionell Zuflucht beim Staat suchten. Diese Praxis mündete in die Spendenaffäre der 1980er Jahre und verschärfte die Krise des Flick-Konzerns. Der Fall Flick zeigt, wie sehr die Unternehmensführungen dem Strukturwandel verkannten oder unterschätzten und so selbst zur Krise beitrugen. Ferner illustriert er einige grundsätzliche, Probleme familienunternehmerischer Organisation ebenso wie den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung von Politik und Privatwirtschaft in der ausgehenden „Bonner Republik“.
Edward D. R. Harrison: Hugh Trevor-Roper und „Hitlers letzte Tage“.
Das erfolgreichste Buch des Oxforder Historikers Hugh Trevor-Roper entsprang seiner Arbeit als britischer Nachrichtenoffizier. 1945 wurde er beauftragt, die Umstände von Hitlers Tod zu ermitteln, um Mythen zu zerstreuen, die aus Stalins vorsätzlichen Schweigen um das Ende des deutschen Diktators entstanden. Später veröffentlichte er seine Erkenntnisse beeindruckend schnell in einem stilistisch brilliantem Buch. Hitlers letzte Tage hat der Zeit überraschend gut standgehalten. Obwohl Trevor-Roper Raschnings Gesprächen mit Hitler zuviel Vertrauen schenkte und gegenüber Speer zu nachgiebig war, ist sein Verständnis des Nazismus und dessen Anführer in den meisten anderen Punkten tiefgründig und seine Darstellung von Hitlers Tod weitgehend korrekt. Trevor-Ropers Interpretation Nazideutschlands im Sinne von institutionellen Rivalitäten antipiziert Studien, die von Wissenschaftlern in der Bundesrepublik während der 1960er verfasst wurden.
Hedwig Richter und Ralf Richter: Der Opfer-Plot. Probleme und neue Felder der deutschen Arbeitsmigrationsforschung.
Charakteristisch für die Forschung über die Arbeitsmigration in Deutschland ist ein teleologischer, stark normativ gefärbter Erzählplot. Er beginnt mit der Unterdrückung der Arbeitsmigranten, führt über ihren Protest und endet in der Integration in die (west-)deutsche Gesellschaft. Untersucht man den Fall der italienischen Migranten bei Volkswagen in Wolfsburg seit den 1960er Jahren, nimmt man deren Arbeitswelt sowie den Eigensinn und die sozialstrukturelle Prägung dieser Migranten in den Blick, dann wird deutlich, dass ein bemerkenswerter Transfer süditalienischer politischer und kultureller Strukturen ins deutsche Unternehmen und in die deutsche Kommune stattfand. Dieser neue Zugang erlaubt ferner den Fokus auf die Remigranten zu richten, die bisher von den Forschern zur Arbeitsmigration weitgehend übergangen wurden, obwohl sie doch die Mehrheit der Arbeitsmigranten ausmachten.
_Olaf Blaschke: Die „Hand am Puls der Forschung“. Konjunkturen der Zeitgeschichtsschreibung und ihre Verleger seit 1945.
Diskutieren Historikerinnen und Historiker die Bücher ihrer Kollegen, ignorieren sie meist den Anteil der Verleger an diesen Produkten. Rezensionen besprechen die Argumente der Verfasser. Tatsächlich aber haben Verlage darüber entschieden, ob es diese Bücher überhaupt gibt. Viele Titel auch der Zeitgeschichtsschreibung wurden sogar verlagsseitig angeregt, andere sind nie erschienen, weil Verleger sie nicht wollten. Der erste Teil des Essays zeigt, dass die Verleger und Lektoren “gatekeeper” einen doppelten Einfluß auf die Zeitgeschichtsschreibung ausübten: unmittelbar durch ihre Entscheidungen über einzelne Titel oder Buchreihen, aber vor allem mittelbar, indem sie Ordnungsstrukturen für das Feld der Historiker bereitstellten, die deren Wahrnehmungsmuster prägten. Im zweiten Teil wird der doppelte Verlagseinfluß anhand von buchhandelsgeschichtlichen Konjunkturen skizziert, die sich für die Zeitgeschichtshistoriographie seit 1945 nachzeichnen lassen.
Dokumentation:
Stephan Lehnstaedt und Kurt Lehnstaedt: Fritz Sauckels Nürnberger Aufzeichnungen. Erinnerungen aus seiner Haft während des Kriegsverbrecherprozesses.
Fritz Sauckel ist der einzige der im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess Angeklagten, dem noch keine Biographie gewidmet ist. Erstmals wird hier ein autobiographischer Text Sauckels vorgelegt, der wesentliche Details zum Werdegang des Thüringer Gauleiters und späteren Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz enthält. Die Quelle ist darüber hinaus für die Geschichte der NSDAP während der Weimarer Republik relevant, denn für deren Aufstieg besaß Thüringen eine Schlüsselstellung. In erster Linie aber bieten die vorliegenden Aufzeichnungen die seltene Möglichkeit, die politischen Einschätzungen und Motive sowie die personellen Netzwerke eines nationalsozialistischen Spitzenfunktionärs während der 20er- und frühen 30er-Jahre zu erforschen.
Notizen:
Horst Möller: Hermann Graml, dem langjährigen Chefredakteur der VfZ, zum 80. Geburtstag.
Jörn Retterath: Die Krise der Arbeitsgesellschaft 1973–1989. Eine Sektion des Instituts für Zeitgeschichte auf dem 47. Deutschen Historikertag in Dresden.
Thomas Schlemmer und Hans Woller:: Schreib-Praxis. Das Institut für Zeitgeschichte und der Oldenbourg Verlag organisieren zum dritten Mal ein anwendungsorientiertes Schreibseminar (7.–11. September 2009)