Das Hauptthema der Januarfolge der Internationalen Politik (IP) im Jahr 2004 ist die (Nicht-)Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Henning Riecke versucht in seinem einleitenden Essay, die rüstungskontrollpolitische Landschaft darzustellen, und zwar mit dem Schwerpunkt der Nichtverbreitung. Harald Müller untersucht, ob Nordkorea und Iran nicht auch plausible Gründe für ihre bisherige Nuklearpolitik gehabt haben. Sebastian Harnisch erörtert die poltischen Folgen für die europäischen Staaten, die sich der "Proliferation Security Initiative" des amerikanischen Präsidenten angeschlossen haben. Michael A. Levi stellt die jüngste Entwicklung auf dem Gebiet der amerikanischen so genannten "Mini-Atombomben" vor und erörtert ihre politische Bedeutung. Christoph Grams und Jan C. Irlenkaeuser skizzieren den gegenwärtigen Entwicklungsstand der geplanten amerikanische Raketenabwehr und überlegen, welche politische Konsequenzen sich daraus für die Europäer ergeben.
Fraser Cameron stellt die Sicherheitsstrategie der EU vor, und Klaus Naumann überlegt, welche militärischen Mittel die EU brauchen wird.
Wang Jisi legt die strategischen Interessen der VR China und die mögliche Interaktion dieses Riesenreichs mit der Außenwelt dar. Keizo Takemi versucht eine ähnliche Analyse für Japan, das inzwischen von mindestens drei Kernwaffenmächten umgeben ist.
Ulrike Guérot schließlich in ihrem engagiert geschriebenen Standpunkt einen Ausblick, wie es denn nun mit der Europäischen Union nach dem Scheitern des Brüsseler Gipfels weiter gehen soll.
Januar 2004 -- Nr. 1 -- 59. Jahr E 10,00 -- 2728
PROLIFERATION
Henning Riecke Nichtverbreitung: Problem gelöst?
Harald Müller Nukleare Möchtegerne: Iran/Nordkorea
Grams / Irlenkaeuser Raketenabwehr
Michael A. Levi Mini-Nukes
Ulrike Guérot (Ver)fassungslose EU
ANALYSEN / ESSAYS / STANDPUNKTE / DEBATTEN
Nichtverbreitungspolitik. Im Aufwind oder in der Krise? 1 von Henning Riecke Die bestehenden Regime zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme haben, so Henning Riecke vom Forschungsinstitut der DGAP, die Welt sicherer gemacht. Gleichzeitig jedoch gibt es Krisensymptome, die die Wirksamkeit dieser Regime in Frage stellen; für Riecke sind dies fehlende Universalität, Regelbruch, Probleme der Verifikation, ungenügende Durchsetzung der Regeln, ein Paradigmenwechsel der USA sowie fehlende Antworten auf die Gefahren von Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen.
Warum die Bombe? Die nuklearen Möchtegerne Iran und Nordkorea 12 von Harald Müller Für die beiden "Hauptsorgenkinder" der nuklearen Proliferation, so der renommierte Friedensforscher und Professor für Internationale Politik in Frankfurt, steht die eigene nationale Sicherheit im Vordergrund: Nicht zuletzt durch die Einordnung auf die "Achse des Bösen" durch den amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, fühlen sie sich bedroht. Da das internationale Nichtverbreitungsregime ihre Ängste nicht beruhigen kann, liegt es in der Hand der amerikanischen Regierung, durch sicherheitspolitische Zugeständnisse die Lage zu stabilisieren.
Transatlantische Kooperation tut Not. Europa, die USA und die Massenvernichtungswaffen 19 von Sebastian Harnisch Die Europäische Union hat im Jahr 2003 eine ganze Reihe konzeptioneller Überlegungen für eine kohärente Nichtverbreitungspolitik angestellt. Doch die vom amerikanischen Präsidenten vorgestellte "Proliferation Security Initiative", der sich einige EU-Staaten angeschlossen haben, sieht im Zweifelsfall auch militärische Abfangmaßnahmen vor. Die EU-Regierungen müssen sich bald entscheiden, ob sie dazu bereit sind - unter bisher unklarer völkerrechtlicher Lage - oder nicht.
Mini-Nukes und andere Entwicklungen. Die amerikanische Debatte über neue Nuklearwaffen 26 von Michael A. Levi Für die Vereinigten Staaten stellen Nuklearwaffen, chemische oder biologische Waffen im Besitz echter oder vermeintlicher Feinde des Landes eine Bedrohung dar. Seit Amtsantritt der Regierung von Präsident George W. Bush wird in Washington intensiv über neue Nuklearwaffen nachgedacht, um dieser Bedrohung begegnen zu können. Michael A. Levi von der Brookings Institution in Washington unterzieht "Amerikas nukleares Abenteuer" einer kritischen Prüfung.
Raketenabwehr. Die USA ziehen davon, wer folgt? 31 von Christoph Grams und Jan C. Irlenkaeuser Der Irak-Krieg und die nukleare Bewaffnung Nordkoreas und Irans haben die Debatte um Raketenabwehr in den Hintergrund gedrängt; doch weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit tut sich auf diesem Feld einiges. Die Autoren beschreiben den technischen Entwicklungsstand der amerikanischen Raketenabwehr-Programme und untersuchen die europäische Position dazu.
Europas neue Sicherheitsstrategie 39 von Fraser Cameron Allein die Tatsache, dass im Dezember 2003 die Sicherheitsstrategie verabschiedet wurde, sei als ein Erfolg zu bewerten, so der Studiendirektor des European Policy Center in Brüssel. Das Papier folgt weitgehend der amerikanischen Strategie, macht aber vor allem an einer Stelle einen entscheidenden Unterschied: es lässt zwar militärische Maßnahmen zu, aber nur im Notfall und unter UN-Mandat. Der Präemption wird eine Absage erteilt.
Streitkräfte des 21. Jahrhunderts. Die NATO und die Optionen der EU 51 von Klaus Naumann Das politische Ziel der Strategie von EU und NATO müsse unverändert darin bestehen, bewaffnete Konflikte zu vermeiden. Unter dieser Prämisse stellt der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, General a.D. Klaus Naumann, Überlegungen zur Zukunft der NATO und zur erforderlichen Modernisierung der europäischen Streitkräfte an.
Machtfaktor China. Die strategischen Ziele der Volksrepublik in Asien 59 von Wang Jisi China strebt bessere bilaterale Beziehungen mit allen Nachbarstaaten an und will aktiver an multilateralen Sicherheits- und Wirtschaftsvereinbarungen teilnehmen. Aber viele Fragen sind noch offen: Wie wird sich das Verhältnis zu den USA entwickeln, kann das Taiwan-Problem gelöst werden, welche Rolle spielt Nordkorea, wird Japan Partner oder Konkurrent?
Plädoyer für multilaterale Absicherung. Japan und die Nuklearisierung Nordkoreas 67 von Keizo Takemi Japan ist von drei Kernwaffenstaaten umgeben - einen weiteren, Nordkorea, wird es in seiner Nachbarschaft nicht zulassen. Der Autor plädiert für gemeinsame, koordinierte Diplomatie, um Sicherheit, Stabilität und auch Wohlstand in der Region zu fördern. Japan werde keine Remilitarisierung anstreben, doch falls das Land von einem bevorstehenden Kernwaffenangriff bedroht sei, schließe die Denkschule der "Militärrealisten" einen Präemptivschlag nicht aus.
(Ver)fassungslose EU 72 von Ulrike Guérot Die europäische Verfassung ist gescheitert. Doch ein Scheitern birgt immer auch die Chance eines Neuanfangs und der sei allemal besser als ein fauler Kompromiss wie der Vertrag von Nizza. Die Hoffnung, bis Ende 2004, wie Bundeskanzler Schröder es möchte, eine Einigung zu erzielen, teilt Ulrike Guérot nicht, sie setzt eher auf Luxemburg, das mit seinem Ministerpräsidenten und überzeugten Europäer, Jean-Claude Juncker, die EU-Präsidentschaft im Jahr 2005 übernimmt.
BUCHKRITIK
Orientierungswissen. Effektivere Instrumente zur Analyse der internationalen Beziehungen 75 von Dirk Nabers Nicht immer hinkt die politikwissenschaftliche Theoriebildung der politischen Realität hinterher. Der deutschen Politikwissenschaft bescheinigt Dirk Nabers eine "enorme Sensibilität" dafür, dass man auf die weltpolitischen Veränderungen mit neuem theoretischen Handwerkszeug, ausgefeilten Analysemethoden und innovativeren Konzepten reagieren müsse. Er stellt drei Neuerscheinungen vor, die diese These untermauern.
Neue Bücher zur internationalen Politik 77 Lewis, Die Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert; Prätorius, In God We Trust. Religion und Politik in den U.S.A.; Soell, Helmut Schmidt. 1918-1969. Vernunft und Leidenschaft; Schwelien, Helmut Schmidt. Ein Leben für den Frieden.
DOKUMENTATION
Dokumente zu Sicherheit und Nichtverbreitung 83 Im Frühjahr 2003 führten die USA und Großbritannien siegreich einen Krieg gegen Irak - angeblich wegen der Gefahr von irakischen Massenvernichtungswaffen. Auch wenn dort bis heute keine derartigen Waffen gefunden worden sind, so beschäftigt das Schreckensbild von ABC-Waffen im Besitz von "Schurkenstaaten" oder gar Terroristen weiter Regierungen, Bündnisse und internationale Organisationen. Erst zum Jahreswechsel 2003/2004 bahnten sich hier einige viel versprechende Veränderungen an. Die NATO und die Europäische Union befassten sich auf ihren Tagungen außerdem noch mit anderen sicherheitspolitischen Themen wie etwa mit ihrer strategischen Partnerschaft oder dem Aufbau militärischer Fähigkeiten.
Erklärung der EU und NATO über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, am 16. Dezember 2002 vom Nordatlantikrat und vom Politischen und sicherheitspolitischen Ausschuss der Europäischen Union in Brüssel verabschiedet 86
Rede des deutschen Außenministers, Joschka Fischer, zum Beitritt sieben europäischer Demokratien zur NATO vor dem Deutschen Bundestag am 9. Mai 2003 in Berlin (Auszüge) 87
Verteidigungspolitische Richtlinien des deutschen Verteidigungsministeriums vom 21. Mai 2003 (Auszüge) 89
Rede des amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, vom 31. Mai 2003 auf Schloss Wawel bei Krakau (Auszüge zu Nichtverbreitung und Terrorismus) 98
Kommuniqué des Treffens des Nordatlantikrats auf Ebene der Außenminister, am 3. Juni 2003 in Madrid 99
Erklärung des chinesischen Außenministeriums über die Versammlung der Pekinger Sechs zur Abrüstung Nordkoreas am 29. August 2003 in Peking 105
Kommuniqué des französischen Vorsitzes und Erklärung zu den Grundsätzen des Abfangens, verabschiedet auf der Konferenz über die Initiative zur Sicherstellung der Nichtverbreitung vom 3. und 4. September 2003 in Paris 106
Namensartikel des amerikanischen Außenministers, Colin L. Powell, zum Kay-Bericht über Irak vom 7. Oktober 2003 in der "Washington Post" 109
Rede des russischen Ministers für Atomenergie, Alexander Rumjanzew, über Kernenergie und Nichtverbreitung am 5. November 2003 vor dem Ersten Ausschuss für Abrüstung und Internationale Sicherheit der UN-Generalversammlung (Auszüge) 111
Gemeinsame Erklärung des amerikanischen Energieministers, Spencer Abraham, und des Ministers der Russischen Föderation für Atomenergie, Alexander Rumjanzew, über die Zusammenarbeit beim Transfer von Hochangereichertem Uranbrennstoff russischen Ursprungs in die Russische Föderation vom 7. November 2003 114
Gemeinsame Pressekonferenz des amerikanischen und des deutschen Außenministers, Colin L. Powell und Joschka Fischer, am 17. November 2003 in Washington, DC (gekürzt) 115
Einführungserklärung des Generaldirektors der IAEO, Mohammed el-Baradei, auf der Gouverneurstagung am 20. November 2003 in Wien 119 Erklärung zu den militärischen Fähigkeiten, verabschiedet auf dem Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Verteidigungsminister am 1. Dezember 2003 in Brüssel 123
Kommuniqué des Verteidigungsplanungsausschusses und der Nuklearen Planungsgruppe über das Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Verteidigungsminister am 1. Dezember 2003 in Brüssel 125
Kommuniqué über das Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Außenminister im NATO-Hauptquartier am 4. Dezember 2003 in Brüssel (Auszüge) 128
Gemeinsame Presseerklärung des NATO-Generalsekretärs und des EU-Vorsitzes über das Ministertreffen zwischen NATO und EU am 4. Dezember 2003 in Brüssel 131
Hörfunkinterview des amerikanischen Außenministers, Colin L. Powell, mit Michael Reagan am 23.Dezember 2003 (Auszug) 134