Wettlauf um Wohlstand Rund um die jährlichen G-8-Gipfel stehen die ganz großen Menschheitsfragen im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Allen voran immer wieder die eine: Wie rotten wir Hunger und Armut aus? Wie ermöglichen wir jedem Menschen, nicht nur den vom Glück ihrer Geburt begünstigten Bewohnern der reichen Industrieländer, ein Leben in Würde, mit Arbeit, ohne Not? Hinzugekommen ist eine neue Frage: Wie bewältigen wir das – durch die Globalisierung angetriebene – rasante weltweite Anwachsen der Mittelschichten, ohne dabei das Klima unseres Planeten nachhaltig zu ruinieren? Die Erwartungen an die G-8, den informellen Club der mächtigsten Staaten, sind dabei regelmäßig hoch, die Gipfelbeschlüsse vielversprechend. Die Umsetzung lässt dann allerdings oft zu wünschen übrig. Mit der „Energiesicherheit“, Wladimir Putins zentralem Gipfelthema im vergangenen Jahr in St. Petersburg, ist es nicht weit her. Und die üppigen Hilfszusagen an Afrika im schottischen Gleneagles 2005 harren weiterhin ihrer Erfüllung: Die Rockmusiker Bono, Bob Geldof und Herbert Grönemeyer haben gerade darauf hingewiesen, dass von den dort versprochenen 25 Milliarden Dollar (bis 2010) bisher nur magere 2,8 Milliarden ausgezahlt worden sind. Auch Deutschland hinkt hinterher. Aber ist mehr Geld für Afrika die Lösung? Und ist die böse Globalisierung schuld daran, dass die Kluft zwischen Arm und Reich weltweit immer größer wird? Müssen wir uns auf künftige „Weltkriege um Wohlstand“ einstellen, weil die asiatische Konkurrenz uns unsere Arbeitsplätze raubt? Die Autorinnen und Autoren dieser IP zeichnen ein differenzierteres Bild. Paul Collier etwa, Ökonom aus Oxford, schlägt der G-8 ein klares Programm für Afrika vor: Neben Entwicklungshilfe sind eine aktive Handelspolitik, internationale Standards und externe Sicherheitsgewährleistung vonnöten, um die ärmste Milliarde der Menschheit zu retten. Deren Problem, so Collier, ist eben nicht die Globalisierung – sondern im Gegenteil gerade die zunehmende Abkopplung von ihr. Auch die Deutschen haben sich mit der Globalisierung inzwischen angefreundet: Laut IP-Umfrage sieht die Mehrheit (55 Prozent) darin heute eher eine Chance als eine Bedrohung. SABINE ROSENBLADT | CHEFREDAKTEURIN
Wettlauf um Wohlstand 8 Rainer Hank Konkurrenz belebt das Geschäft Der Westen braucht offene, nicht geschlossene Märkte Die These liegt im Trend: Im Wettlauf um Wohlstand werden Amerika und Europa von Asien abgehängt, bedrohen Freihandel und Globalisierung die Arbeitsplätze der Mittelschicht. Doch wer mit dem Appell an transatlantischen Protektionismus Alarm schlägt, verkennt: Der Westen liegt weiter im Rennen – und braucht offene, nicht geschlossene Märkte.
18 Horst Siebert Kein Weltkrieg um Wohlstand ... sondern das Gegenteil: Vom Freihandel profitieren alle Angesichts des rasanten Aufstiegs von Ländern wie China und Indien wird gern von einem drohenden „Weltwirtschaftskrieg“ gesprochen. Doch Außenhandel ist kein Nullsummenspiel. Vielmehr kann die internationale Arbeitsteilung mit den für sie entwickelten institutionellen Regeln dazu beitragen, dass Kriege unwahrscheinlicher werden.
26 Bettina Weiguny Gewinner aus Galizien Wie sich Zara weltweit behauptet und dennoch Jobs in der Heimat schafft Die Produktion nach Asien auszulagern ist nicht der einzige Weg, wettbewerbsfähig zu bleiben. Das gilt sogar für die schon totgesagte europäische Textilindustrie. Der spanische Modekonzern Zara macht es vor: Statt in chinesischen Sweat Shops lässt der Konzern in Spanien, Portugal und der Türkei schneidern – und überholt damit die Konkurrenz.
34 Thomas Straubhaar Die zweite Welle rollt Wer die Chancen der Globalisierung nicht erkennt, hat schon verloren Die positiven Folgen der Globalisierung sind nicht wegzudiskutieren. Noch nie hatten so viele Menschen so gute Lebensbedingungen wie heute. Nach dem Wachstum geht es jetzt an das Aufbrechen von verkrusteten nationalen Strukturen. Auch dies birgt Chancen, die jedoch – vor allem von den Deutschen – erkannt und genutzt werden müssen.
44 Klaus Deutsch Kühle Bäder in Heiligendamm Klima, Energie, Finanzmärkte: Die heiklen Themen des G-8-Gipfels Die Weltwirtschaft boomt zwar, aber dennoch knirscht es vernehmlich im Gebälk: Viele Hausaufgaben der globalen Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik sind seit zu langer Zeit ungelöst. Wenn die Anpassung der herrschenden Ungleichgewichte nicht bald gelingt, könnten internationale Finanzakteure sie erzwingen – zum Schaden Europas.
50 Henrik Enderlein Wer regiert die internationalen Finanzbeziehungen? Eine Korrektur der Ungleichgewichte in den Weltfinanzmärkten ist überfällig Eine Korrektur der Ungleichgewichte in den Weltfinanzmärkten ist überfällig. Das Doppeldefizit der USA, die künstlich unterbewerteten Währungen in Asien, der steigende Euro – schon seit Jahren schwelt ein Konflikt in den internationalen Finanzbeziehungen, der letztlich die Weltkonjunktur bedrohen könnte. Die G-7/G-8 sehen machtlos zu.
58 Fredrik Erixon & Andreas Freytag Freihandel für Fortgeschrittene Warum Deutschland es bislang versäumt hat, die Doha-Runde voranzubringen Totgesagte leben länger: Das galt bislang für die Doha-Runde der WTO zur Liberalisierung des Welthandels. Doch ausgerechnet im Jahr des deutschen G-8-Vorsitzes ist Doha auf dem besten Weg, komplett zu scheitern. Deutschland hat es versäumt, seine Präsidentschaft zum Vorwärtskommen der Runde zu nutzen.
66 Katharina Gnath Mehr Einbeziehung: Ja, Erweiterung: Nein Die G-8 und der Dialog mit den Schwellenländern Eine entscheidende Herausforderung der G-8 sieht die Bundesregierung in dem richtigen Umgang mit den großen Schwellenländern. Hierbei setzt sie auf eine Intensivierung des Dialogs im Rahmen des „Outreach“. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch über Heiligendamm hinaus müssen langfristige Kooperationsstrukturen geschaffen werden.
70 Jeffrey D. Sachs Wie die Welt zu retten wäre Klimawandel, Armut und Krankheit ließen sich mit geringen Mitteln bewältigen Ganz Afrika mit Hilfe von Moskitonetzen von Malaria zu befreien, würde 1,5 Milliarden Dollar für fünf Jahre kosten; das Pentagon allein gibt für Rüstung am Tag 1,8 Milliarden Dollar aus. Mit solchen Zahlen versucht Jeffrey D. Sachs, bis 2006 Direktor des UN-Millennium-Projektes, die reichen Geberländer aufzurütteln. Hier seine G-8-Gipfelagenda.
78 Paul Collier Die G-8 und die „Bottom Billion“ Die Ärmsten der Erde brauchen Anschluss an die Globalisierung Es ist nicht die Globalisierung, sondern gerade die Abkoppelung von ihr, die der ärmsten Milliarde Menschen ein Leben in Elend beschert. Diese Kluft wird stetig tiefer. Sie ist mit Entwicklungshilfe allein nicht zu schließen. Gebraucht werden 1. eine aktive Handelspolitik, 2. internationale Standards und Regeln sowie 3. externe Sicherheitsgewährleistung.
84 Michael Friedrich Aufstand der Ratlosen Den Globalisierungskritikern fehlt die Idee, wie eine „andere Welt“ aussehen soll Erst kam die Botschaft abhanden, dann verloren sich die Anhänger: Nur wenige Jahre nach ihrer Hochzeit fehlt den Globalisierungskritikern die Idee, wie „eine andere Welt“ aussehen soll. Längst reden auch die Erzfeinde von G-8 und WTO über soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz – die Realität hat die einstigen Gipfelstürmer überholt.
Internationale Politik 94 Russland I | Angela Stent Selektive Partnerschaft Russland und die USA müssen lernen, zu wetteifern und zu kooperieren Enttäuschte Erwartungen auf beiden Seiten nach dem Honeymoon der neunziger Jahre, aber auch Russlands Aufstieg zur Energiemacht und Amerikas Schwierigkeiten im Irak belasten das Verhältnis von Moskau und Washington. Was fehlt, ist ein institutionalisierter bilateraler Dialog. Beide Länder müssen lernen, zu wetteifern und zu kooperieren.
100 Russland II | Alyson Bailes Putins Poker Die derzeitige Beziehungskrise ist eher eine NATO-interne als eine west-östliche Russlands Frustration über amerikanische Raketenabwehrund Truppenstationierungspläne ist groß. Aber die derzeitige Krise ist bei genauerer Betrachtung eher eine NATO-interne als eine west-östliche: Offenbar fühlen sich die neuen NATO-Mitglieder durch die Allianz nicht wirklich abgesichert. Deshalb streben sie Separatverträge mit den USA an.
106 Energie | Alan Riley & Frank Umbach Russisches Roulette Gazprom und die Gaslücke – eine Gefahr für Deutschland und Europa Investitionsstau, Intransparenz, Versorgungsunsicherheit: Russlands Stellung als Energielieferant Europas steht durch einen bedrohlichen Engpass auf dem Spiel, der Deutschland am härtesten treffen könnte. Die EU muss reagieren – durch konsequente Verhandlungsmacht gegenüber Moskau und rasche Diversifizierung ihrer Energieträger.
114 Kosovo | Jörn Sack Jenseits des Amselfelds Die Schwachstellen des Ahtisaari-Plans für das Kosovo Der Plan des UN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari für das Kosovo – Unabhängigkeit, aber eingeschränkte Souveränität – hat von fast allen Seiten Beifall erhalten. Bei näherer Betrachtung des Planes zeigen sich allerdings gravierende Schwächen. Die vernünftigere Lösung im Vergleich zur Unabhängigkeit wäre die Autonomie.
122 Europäische Union | Jürgen Trittin Europa postnational denken Nicht Selbstbestimmung, Handlungsfähigkeit ist das Gebot der Stunde Muss Europa sich von den USA emanzipieren? Braucht es endlich „Selbstbestimmung“, um seine Rolle als „fünfter Pol“ in der multipolaren Welt zu spielen? Der grüne Politiker Jürgen Trittin meldet Bedenken an gegen Egon Bahrs Thesen: „Euronationalismus“ sei nicht das richtige Rezept für die Bewältigung der heutigen globalen Herausforderungen.
129 Türkei | Zeyno Baran Die Macht der Generäle Das türkische Militär schützt den säkularen Staat. Das muss der Westen begreifen Seit 80 Jahren ist das Militär – als Erbe Kemal Atatürks – der Hüter der säkularen Republik Türkei. Auch in den Augen vieler Türken schützt es den Staat vor der Re-Islamisierung. Daher geht vom Generalstab auch weniger Gefahr für die Demokratie aus als von den Besonderheiten des türkischen Wahlsystems: Das muss vor allem Europa verstehen.
134 Israel | Matthias Künzel Warum Israel so nicht kritisiert werden kann Eine Erwiderung auf Alfred Grosser Israels Regierung muss wie jede andere demokratisch gewählte Regierung dieser Welt kritisiert werden. Doch derzeit wird das Land in einer Zangenbewegung attackiert: Hier die eliminatorischen Antisemiten à la Achmadinedschad, dort die „fellow travellers“ des Antisemitismus, die den Versuch, Israel zu delegitimieren, mit gedämpftem Echo weitertragen.
142 Russlandbilder | Stefan Scholl Denkmalschänder und Hintermänner Russen und Esten ringen um ihre Vergangenheit 146 Buchkritik | Alexandra Kemmerer, Thomas Speckmann, Erich Weede, Sven Gareis Wege zum Wirtschaftswunder Wie man den Dialog mit China führt, die Entwicklung ankurbelt und die Globalisierung meistert
Kolumnen 92 Ökonomie | Norbert Walter Gesucht: Der „Geist von Rambouillet“ Was wir brauchen, ist eine Politik zur Förderung unternehmerischen Verhaltens 104 Werkstatt Deutschland | Christoph Keese Erfolgreiches Notbündnis Der Aufschwung der Wirtschaft ist auch ein Aufschwung der Großen Koalition 120 Kultur | Mathias Greffrath Verscherbelte Öffentlichkeit Hamburg verkauft seine Website an Springer – eine verpasste Chance 140 Technologie | Tom Schimmeck Bewegte Geschöpfe Die Entwicklung der Roboter schreitet voran. Nun sollen sie auch Gefühle zeigen Service 6 Rückschau / IP-Frage 146 Buchkritik 156 Leserforum 157 Dokumentation 158 Impressum 160 Vorschau www Nachwuchsforum