Internationale Politik 59 (2004), 10

Titel der Ausgabe 
Internationale Politik 59 (2004), 10
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Amerika

Erschienen
Bielefeld 2004: W. Bertelsmann Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
3-7639-3220-8
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
EUR 10,00

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Chladek, Tilmann

EDITORIAL

Seit der Versailler Hilfsrichter Alexis de Tocqueville, finanziert vom französischen Justizministerium, im Mai 1831 eine neunmonatige Reise durch die Vereinigten Staaten antrat - angeblich um das fortschrittliche Strafvollzugssystem zu studieren - und nach seiner Rückkehr 1835 das grandiose Werk "Über die Demokratie in Amerika" vorlegte, haben sich die Europäer mit der Neuen Welt gedanklich auseinander gesetzt. "Amerika", schreibt der Berliner Politikwissenschaftler Claus Offe in seinem jüngsten Buch "Selbstbetrachtung aus der Ferne. Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten", "ist für die Europäer immer schon kein exotisches Gewächs, sondern ein Ast am eigenen Stamm. Wie kommt es dann, dass dieser Ast ganz unvertraute Blüten treibt und Früchte trägt? Amerika provoziert die Frage, die zu stellen im Falle von Asien und Afrika keinerlei Sinn macht: Die Frage, ob im Laufe der Zeit wir wie sie oder vielmehr sie wie wir sein werden, und, falls keines von beiden, wie sich fortbestehende Differenzen erklären und bewerten lassen."

Im Herbst 2004, kurz vor den Wahlen am 2. November, stellt sich diese Frage mit großer Dringlichkeit. Denn in den vier Regierungsjahren des Republikaners George W. Bush haben sich Europäer und Amerikaner tief voneinander entfremdet - so tief, dass sich das ehemals enge Verhältnis nie wieder herstellen lassen wird, wie in dieser Ausgabe der junge Regensburger Politologe Stephan Bierling vermutet. Andere hoffen, dass ein Wahlsieg des Demokraten John Kerry den alten transatlantischen Westen wiederbeleben wird. Aber ist es tatsächlich nur der "Bushismus", der die USA in eine "Phase autoritärer und reaktionärer Regression" (Stanley Hoffmann) gestürzt hat, die das Land in den Augen Europas so bedrohlich fremd hat werden lassen? Oder gibt es Tendenzen - wie die wieder erstarkende Religiosität - die den säkularen Europäern schlicht unbegreiflich sind? Driftet auseinander, was sich immer weniger gegenseitig kennt und versteht? Mit anderen Worten: Sind wir noch eine "Wertegemeinschaft"?

In dieser Ausgabe erläutern mehrere Amerikaner, wie ihr Land derzeit denkt, fühlt und handelt. Und ein Europäer, der in Washington lebende Brite Anatol Lieven, wandelt auf den Spuren Tocquevilles: Er wirft einen überaus kritischen Blick auf den neuen amerikanischen Nationalismus, der für ihn Züge des "Wilhelminismus" trägt. Ob "gütiger Imperator" oder "autoritäre Macht" - Amerika wird uns weiterhin beschäftigen.

Sabine Rosenbladt

Inhaltsverzeichnis

AMERIKA 2004

Stanley Hoffmann
Die Gefahren des Imperiums

Anatol Lieven
Der Kampf um die amerikanische Seele

Marcia Pally
Gottes eigenes Land?

Robert J. Lieber
Die neue "Grand Strategy"

Theo Waigel
Rettet den Stabilitätspakt!

ANALYSEN / ESSAYS / STANDPUNKTE / DEBATTEN

Der Kampf um Amerikas Seele 1
von Anatol Lieven
Während Europa zunehmend als postnational anzusehen ist, hat sich in den USA eine neue, aggressive Form des Nationalismus entwickelt, die sich aus Kontrollverlustängsten der weißen Mittelschicht speist und den hasserfüllten europäischen Nationalismen des frühen 20. Jahrhunderts ähnelt. Diese Entwicklung birgt laut Anatol Lieven, Senior Associate des Carnegie Endowment, große Gefahren für Amerikas Position in der Welt.

Gottes eigenes Land? Die Trennung von Kirche und Staat in den USA 13
von Marcia Pally
Die Europäer laufen leicht Gefahr, so die New Yorker Kulturwissenschaftlerin Marcia Pally, das Verhältnis der Amerikaner zu ihrer Religion fundamental misszuverstehen. Anders als die Europäer haben die Amerikaner Religion und Kirchen nie als Herrschaftssystem kennen gelernt, sondern nur als Ausdruck ihrer jeweiligen religiösen und sozialen Bedürfnisse. Darum ist Religion trotz der offiziellen Trennung zwischen Kirchen und Staat in den USA aus dem öffentlichen Leben nicht fortzudenken und übt auch auf die Politik einen bedeutenden Einfluss aus.

Können Minderheiten Wahlen entscheiden? Die Rolle der Afroamerikaner und Hispanics 29
von Manfred Berg
Der letzte Zensus im Jahr 2000 ergab, dass sich nur noch 69 Prozent der amerikanischen Bevölkerung der Gruppe der Weißen mit europäischen Wurzeln zurechnen. Welche Folgen hat diese Veränderung der Gesellschaft für die Politik? Manfred Berg, Leiter des Zentrums für USA-Studien an der Universität Halle-Wittenberg, analysiert die Entwicklung und zeigt, wie die Parteien um die Gunst der Einwanderer buhlen.

Die Gefahren des Imperiums 39
von Stanley Hoffmann
Der Harvard-Professor erläutert anhand aktueller Politikbeispiele, warum die imperiale Versuchung für die USA so groß ist. Imperiale Politik höhle die Autorität der USA im Ausland aus und untergrabe im Innern seine Institutionen; außerdem könnten Unilateralismus und Präventivkriege andere Staaten zum Nachahmen verführen und die Welt damit in einen Dschungel verwandeln. Letztendlich bleibt Hoffmann aber optimistisch: Die Amerikaner werden einsehen, "dass ein imperiales Amerika weder wünschenswert noch möglich ist".

Die amerikanische Ära. Die "Grand Strategy" der USA nach dem 11. September 2001 49
von Robert J. Lieber
Die Bedrohungen seit dem 11. September, die Handlungsunfähigkeit der UN und anderer internationaler Organisationen, aber auch die Wahrnehmung Amerikas als allein dominierender - also zur Führung befähigter - Nation erzwingen die Neugestaltung der "Grand Strategy". Die USA werden sich jedoch nie gänzlich der Kooperation mit anderen Staaten entziehen können, so der Washingtoner Politologe und einstige Berater von Al Gore.

"Gütiger Imperator". Hegemonialmacht oder Imperium: Die amerikanische Empire-Debatte 63
von Carlo Masala
Wird die einzig verbliebene Supermacht nach dem Irak-Abenteuer künftig auf Selbstbeschränkung und Multilateralismus setzen, um das amerikanische Imperium zu managen? Carlo Masala, Research Advisor am NATO Defence College, analysiert die amerikanische Debatte über "die Rückkehr des Imperiums": Welchen Weg Amerika einschlägt, entscheidet darüber, ob es dasselbe Schicksal wie alle anderen Imperien vor ihm erleiden wird.

Auseinander gelebt. Das Ende der transatlantischen Sonderbeziehungen 69
von Stephan Bierling
Die Zeiten der transatlantischen Freundschaft sind vorbei. Während sich die USA auf weltpolitischer Bühne mit den Osamas und Saddams dieser Welt herumplagen, übernimmt die EU lediglich die Rolle des antiamerikanischen Kritikers und macht sich bei den Opfern amerikanischer Bomben beliebt. Nicht nur der sicherheitspolitische Dissens, sondern auch wirtschaftliche, sozio-kulturelle und demographische Unterschiede machen Europa als verlässlichen Partner für die USA immer weniger attraktiv.

Die CIA und ihre Partner im Ausland. Austausch von Geheimdiensterkenntnissen, Terrorismus und der Irak-Krieg 75
von Robert Gerald Livingston
Der Bericht der Sonderkommission zum 11. September und der Bericht des Senats-Geheimdienstausschusses über die Entwicklungen bis zum Irak-Krieg stellten in diesem Sommer die US-Nachrichtendienste in all ihren Schwächen bloß. Die meisten "Fakten", die als Rechtfertigung für den Krieg in Irak dienten, waren bestenfalls schlampig recherchiert, schlimmstenfalls aber nur gefälscht. Auch mit der weltweit größten finanziellen und technischen Ausstattung ihrer Dienste können die USA die Abhängigkeit von ausländischen Quellen nicht kompensieren.

Bye, bye, Old Europe? Die Neuaufstellung der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland 83
von Helga Haftendorn
Die amerikanische Streitkräftestruktur wurde nach dem 11. September einer grundlegenden Überprüfung unterzogen. In der Folge kündigte der Präsident den Abzug von rund 70 000 der in Übersee stationierten Soldaten an, davon die Hälfte aus Deutschland. Für Helga Haftendorn, die lange Jahre Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin lehrte, wird mit diesem Truppenabzug zweifelsohne ein Symbol transatlantischer Beziehungen geschwächt; eine Gefährdung der Sicherheit Deutschlands vermag sie darin jedoch nicht zu erkennen.

Im langen Schatten von Jacques Delors. Sieben Aufgaben für die neue Kommission 91
von Josef Janning
Die EU-Kommissionen nach der von Jacques Delors geleiteten vermochten es nicht mehr, an dieses Vorbild anzuknüpfen, das politische Gestalterin der europäischen Einigung war. Das heißt jedoch nicht, dass die neue Kommission bedeutungslos wäre. Sie hat sieben wichtige Aufgaben bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union in einer globalen Umbruchzeit zu erfüllen. Dabei steht zuoberst, dass sie die Balance zwischen den nationalen Interessen und einem europäischen Gesamtinteresse halten muss.

Globalisierung gestalten. Die G-20 als wichtiges Element der Global Governance 98
von Hans Eichel
Um die Herausforderungen der Globalisierung zu meistern, muss der bestehende internationale Ordnungsrahmen - global governance - überprüft und neu justiert werden. Das hat sich die 1999 auf deutsche Anregung hin geschaffene Gruppe der 20 zum Ziel gesetzt. Der deutsche Finanzminister analysiert, inwiefern dieses Forum der Finanzminister und Notenbanker unter deutschem Vorsitz im Jahr 2004 nachhaltiges Wachstum fördern kann.

Der Stabilitätspakt darf nicht aufgeweicht werden! 103
von Theo Waigel
Der Autor, als deutscher Finanzminister "Erfinder" des Stabilitätspakts, übt scharfe Kritik: Mit Nachhaltigkeit hat die deutsche Finanzpolitik schon seit einigen Jahren nichts mehr am Hut. Eine Änderung des Stabilitätspakts zu Gunsten der deutschen oder französischen Defizitsünder würde die Schuldenlast für kommende Generationen inakzeptabel verstärken. Deswegen darf es gerade für die größte Volkswirtschaft der EU keine Ausnahmen geben.

Ein schwarzer Tag für Deutschland und Polen 107
von Basil Kerski
Bundeskanzler Schröder sowie Bundespräsident Köhler hatten sich in den Sommermonaten um harmonische Beziehungen mit Polen bemüht. Dennoch überraschte das polnische Parlament am 10. September 2004 mit Forderungen nach Reparationszahlungen für polnische Verluste im Zweiten Weltkrieg. Werden die unterschiedlichen Positionen auf Seiten von Regierungen, Vertriebenenverbänden, deutschem Bundesverfassungsgericht und polnischen Parteien die deutsch-polnischen Beziehungen, an deren Genesung man doch so sehr gearbeitet hat, ernsthaft vergiften können?

AUS AMERIKANISCHEN ZEITSCHRIFTEN

Männer ohne Empire 113
von Tim B. Müller
Kann es im Wahlkampf eine intelligente politische Debatte geben? James Fallows, Arthur Schlesinger und andere amerikanische Autoren versuchen es. Erstaunlich ist der Konsens im sicherheitspolitischen Establishment, auch unter Parteigängern der Regierung, dass die Politik der Bush-Regierung Amerika in eine strategischen Katastrophe geführt hat.

BUCHKRITIK

In neuer Befindlichkeit. Die Außenpolitik der USA im Zeitalter des internationalen Terrorismus 117
von Stephan Bierling
Haben die Vereinigten Staaten und ihr Präsident angemessen auf die Herausforderung des internationalen Terrorismus reagiert? Oder nutzen sie die Anschläge vom 11. September 2001, um ein neues Imperium zu errichten? Vollzieht Washington mit seinem Bekenntnis zu Hegemonie, Unilateralismus und Präemption einen grundsätzlichen Kurswechsel? Stephan Bierling stellt vier Neuerscheinungen vor, die sich mit den Chancen und Risiken amerikanischer Macht auseinander setzen und damit helfen, Klarheit in die Debatte zu bringen.

Neue Bücher zur internationalen Politik 121
Halper/Clarke, America Alone. The Neo-Conservatives and the Global Order; Heinemann-Grüder, Im Namen der NATO. Sicherheitspolitik und Streitkräftereform in Osteuropa; Röhrich, Die Macht der Religionen. Glaubenskonflikte in der Weltpolitik

DOKUMENTATION

Dokumente zu den Entwicklungen in den USA 125

Amerika 2004 ist ein Land im Wahlkampf und zugleich eine Nation, die vor vielen Herausforderungen zu Hause und in der ganzen Welt steht. Vom Haushaltsdefizit über die Bedeutung der Minderheiten in der Innenpolitik bis zu Amerikas globaler Rolle als einzige militärische Supermacht präsentiert diese Dokumentation aus der Unmenge des in den vergangenen Monaten publizierten Materials eine Auswahl der relevantesten Texte. Was nicht im Heft abgedruckt ist, finden Sie unter <http://www.internationalepolitik.de>.

Press Release of the U.S. Census Bureau, 26 September 2003 (Excerpts)

Remarks by the Chairman of the Council of Economic Advisers, Gregory Mankiw, at the 2004 Washington Economic Policy Conference in Washington, DC, 25 March 2004 (Excerpts)

Carnegie Endowment Report, Universal Compliance: A Strategy for Nuclear Security,Released 21 June 2004 (Excerpts)

Address by John R. Bolton, Under Secretary for Arms Control and International Security, to the American Enterprise Institute in Washington, DC, 24 June 2004 (Excerpts)

Namensartikel des US-Außenministers, Colin L. Powell, und des Hohen Beauftragten für die GASP der EU, Javier Solana, veröffentlicht am 25. Juni 2004 in der Financial Times

Erklärung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zur Unterstützung des irakischen Volkes beim US-EU-Gipfel am 26. Juni 2004 in Dromoland Castle in Shannon (Irland)

Conclusions of the Report on the U.S. Intelligence Community’s Prewar Intelligence Assessments on Iraq by the Senate Intelligence Committee, Released 9 July 2004 (Excerpts)

Executive Summary of the 9/11 Commission Report: Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks upon the United States, Released 22 July 2004 (Excerpt)

Pew Hispanic Center/Kaiser Family Foundation, The 2004 National Survey of Latinos: Politics and Civic Participation, 22 July 2004 (Excerpts)

Rede des demokratischen Präsidentschaftkandidaten, John F. Kerry, vor dem Nominierungsparteitag am 29. Juli 2004 in Boston (Auszüge) 127

Remarks by U.S. President, George W. Bush, on the Intelligence Reform, 2 August 2004 (Excerpts)

Speech by U.S. President, George W. Bush, at the 122nd Knights of Columbus Convention in Dallas, 3 August 2004 (Excerpts)

Pressemitteilung des amerikanischen Statistischen Bundesamtes (U.S. Census Bureau), US-Wirtschaftsministerium, vom 9. August 2004

Rede des amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, bei der Veteranenkonferenz am 16. August 2004 in Cincinnati (Auszug) 129

Rede der amerikanischen Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice, vor dem U.S. Institute of Peace am 19. August 2004 in Washington, DC (Auszüge)

9/11 National Security Protection Act, Draft Bill introduced by the Chairman of the Senate Intelligence Committee, Senator Pat Roberts, 22 August 2004 (Excerpts)

Report by the National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) and the People For the American Way Foundation (PFAWF), 27 August 2004 (Excerpts)

Rede des amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, vor dem republikanischen Nominierungsparteitag am 3. September 2004 in New York (Auszüge) 130

Rede des ehemaligen US-Handelsministers, Peter G. Peterson, am 7. September 2004 in New York (Auszüge) 133

Speech by Presidential Nominee, John F. Kerry, at the New York University, 20 September 2004 (Excerpts)

Rede des amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, vor der 59. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 21. September 2004 in New York (Auszüge) 135

Remarks by President George W. Bush and Senator John F. Kerry in First 2004 Presidential TV Debate, 30 September 2004 (Excerpts)

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