Internationale Politik 60 (2005), 10

Titel der Ausgabe 
Internationale Politik 60 (2005), 10
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Die Deutschen und die Welt

Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
1430-175X
Anzahl Seiten
128
Preis
9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Patrick Wagner

Sie sind Export- und Reiseweltmeister, aber mit der Welt „da draußen“ tun sie sich schwer: Die Deutschen wären sich gerne selbst genug – wenn das denn noch ginge. Im hinter uns liegenden Wahlkampf redete so gut wie niemand über Europas schwere Krise, den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, die deutschen Soldaten in Afghanistan, Darfur, Kosovo, den zerfallenden Staat Irak oder den störrischen Atom-Aspiranten Iran. Die Mehrwertsteuer bewegte die Wähler mehr als Deutschlands Rolle auf der Weltbühne. Und Globalisierung wird hierzulande eh als eine Art China-Grippe verstanden – ein Virus, das uns hoffentlich verschont.

Über diese verschrobene Weltwahrnehmung seiner Landsleute hatte uns Peter Glotz einen Titel-Essay für diese IP-Ausgabe versprochen. Er hat ihn nicht mehr schreiben können. Am 25. August ist er gestorben. Wir trauern um unser Beiratsmitglied, unseren publizistischen Berater und brillanten Autor. Er wird dem Land fehlen.

In dieser IP setzen sich nun der Göttinger Politologe Franz Walter, der Berliner Publizist Richard Herzinger, die New Yorker Kulturwissenschaftlerin Marcia Pally, der Bankier Ulrich Cartellieri, der Historiker Andreas Eckert, der außenpolitische Berater des Kanzlers Bernd Mützelburg und der Philosoph und Sozialwissenschaftler Bernhard von Mutius aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Titelthema auseinander. „Es ist, als hätten sich die Deutschen in den Kokon ihrer eigenen unmittelbaren Sorgen eingesponnen,“ resümiert Herzinger. „In welchem Maße innen- und außenpolitische Entwicklungen miteinander verbunden sind, dringt in dieser Gefühlslage kaum noch ins öffentliche Bewusstsein ein.“

Die Erwartungen an die neue Regierung – wie immer sie aussehen mag – sind hoch. Den Mentalitätswandel, den wir brauchen, wird sie allein nicht bewältigen können.

PS: Nach Israels Rückzug aus dem Gaza-Streifen tut sich was im Nahen Osten. Statt der gewohnten amerikanischen Zeitschriftenschau von Tim Müller finden Sie daher in dieser IP eine Nahost-Zeitschriftenschau von Sylke Tempel. Andere Regionalschauen werden folgen.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt:

Die Deutschen und die Welt
Franz Walter: Die ungleichzeitige Wirklichkeit
Neue Regierungen haben in Deutschland noch nie gesellschaftliche Entwicklungsschübe eingeleitet. Und neben der neuliberalen „Wirklichkeit“ existieren durchaus andere Über Deutschlands Malaise, wie sie die hiesigen Meinungseliten seit Jahren beschreiben, herrscht Konsens: Der überzogene Sozialstaat, überbordende Bürokratie, Besitzstandswahrung, Lähmung, Überalterung machen das Land zum Verlierer der Globalisierung. Aber daneben existieren auch andere „Wirklichkeiten“. Hoffnungen auf Wunderheilung durch eine neue Regierung dürften sich als Trugschluss erweisen.

Richard Herzinger: Wir sind uns selbst genug
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Wunschdenken so nahe liegt: Im Wahlkampf kam Außenpolitik nicht vor. Die beschränkte Weltwahrnehmung verbindet Politiker aller Parteien
Als eine Richtungsentscheidung wollten beide politische Lager die vorgezogene Bundestagswahl 2005 verstanden wissen. Doch zumindest ein Bereich kam in der Auseinandersetzung um die große Weichenstellung für die Zukunft der Republik so gut wie überhaupt nicht vor: die Außenpolitik. Der Exportweltmeister will von der Welt nichts wissen, und Politiker aller Parteien befördern die allgemeine Ignoranz.

Marcia Pally: Hänschen klein, ging allein...
Amerikas Liberale hoffen auf eine Soft-Power-Weltmacht Europa. Aber die Deutschen machen es sich gemütlich und können sich von ihrer obsessiven USA-Fixierung nicht lösen
Amerikanische Liberale hoffen seit langem, dass Europa endlich als Soft-Power-Weltmacht die internationale Politik energisch mitgestaltet. Deutschland, das größte EU-Land, trägt besondere Veranwortung. Aber es glaubt heimlich, dass Amerika, das viel gescholtene, ganz gut allein über die Weltordnung wacht. Schade! Ein transatlantischer Weckruf.

Bernd Mützelburg: Großmannssucht – oder aufgeklärte Interessenpolitik?
Das deutsche Engagement auf der ganzen Welt wird unterschätzt. Und wer globale Verantwortung übernimmt, sollte auch am Entscheidungsprozess teilhaben
60 Jahre nach Kriegsende ist das wiedervereinigte Deutschland stärker als je zuvor mitverantwortlich für internationale Stabilität und Ordnung. Diese Aufgabe hat es angenommen. Aber wer Verantwortung übernimmt, sollte auch am Entscheidungsprozess teilhaben. Daher bewirbt sich Deutschland um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Es wird von einer großen Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten unterstützt.

Andreas Eckert: Bitte erklären Sie uns die Welt
Auch die Wissenschaft in Deutschland hat ein Problem mit dem außereuropäischen „Ausland“. Ein Plädoyer für eine Neuorganisation der „Regionalwissenschaften“
Deutschland hat ein schwieriges Verhältnis zur Welt. Auch die Wissenschaft ist belastet durch politische Verstrickungen. Heute liegen die Disziplinen im Streit, und die Organisation der Forschung wird den Herausforderungen nicht gerecht. Darum mündet diese Geschichte und Gegenwartsdiagnose der Regionalwissenschaften in Verbesserungsvorschläge.

Ulrich Cartellieri: Der Zwang zum Aufbruch
Globalisierung bedeutet mehr Wettbewerb. Das kollidiert mit der Befindlichkeit der Gesell-schaft. Doch die Deutschen können sich dem Prozess nicht ohne Schaden entziehen
Mit dem Eintritt Chinas, Indiens und Russlands in die Weltwirtschaft hat sich der global verfügbare Faktor Arbeit verdoppelt. Wird hierzulande begriffen, was das bedeutet? Eher nicht: Diffuse Überlegenheitsgefühle und Wettbewerbsverweigerung prägen eine Gesellschaft, die lieber von alten Zeiten träumt als sich neuen Herausforderungen stellt.

Bernhard von Mutius: Deutschland als lernende Nation
Reformen braucht die Republik. Aber welche? Vielleicht ginge es im „Land der Ideen“ besser voran, wenn weniger palavert und dafür mehr gedacht würde Innovationen und Wachstum, Reformen und Veränderungen braucht das Land: Dieses als Mantra vor sich hinmurmelnd, bewegen sich die Deutschen unsicheren Schrittes in die Zukunft. Aber was genau heißt das? Wie und wo finden wir, was wir suchen? Was könnten wir von anderen lernen? Eine Rede in acht Thesen an uns selbst.

TRANSATLANTIK
Wie die Deutschen die Welt sehen
von Constanze Stelzenmüller
Überraschende Umfragen: Nachbarn und Freunde erwarten immer noch etwas von uns Obwohl Außenpolitik im Wahlkampf kein großes Thema war, hat das Ausland die deutschen Wahlen gespannt verfolgt: Deutschland spielt eine Schlüsselrolle in fast allen europäischen und transatlantischen Zukunftsfragen. Die Umfrage „Transatlantic Trends 2005“ hat in neun EU-Ländern, der Türkei und den USA ausgelotet, welche Erwartungen sich an das Land richten – und wie es sich selbst einschätzt.

GOVERNANCE
Regiert uns die „fünfte Gewalt“?
von Siegmar Mosdorf
Der Staat verliert an Bedeutung, die Wirtschaft stößt ins Machtvakuum vor Der Staat kann viele gravierende Probleme der Gesellschaft nicht mehr lösen – er verliert an Bedeutung. In dieses Machtvakuum stößt immer stärker die Wirtschaft – ihre gesellschaftlichen Aufgaben wachsen. Ist das positiv? Oder eher schädlich? In jedem Fall muss die neue Lage analysiert und verstanden werden, denn ein solcher Prozess bedarf der Steuerung.

UN-REFORM
Verpasste Gelegenheit
von Beate Wagner
Enttäuschte Sehnsucht: Vor allem die USA haben den UN-Reformgipfel torpediert Keine verbindliche Verpflichtung zur Entwicklungsfinanzierung, keine Nennung des Internationalen Strafgerichtshofs, kein Bezug zum Kyoto- Protokoll, kein Auftrag an die UN, Menschenrechtsverletzungen notfalls mit Gewalt zu unterbinden: Mit Änderungsvorschlägen in letzter Minute hat die Supermacht das anspruchsvolle Reformprojekt Kofi Annans verwässert. Ein Ende der Vereinten Nationen bedeutet das dennoch nicht.

DEMOKRATISIERUNG
Für den Primat der Souveränität
von Andrea Gawrich
Es geht auch sanft: eine Entgegnung auf Stephen Krasners Konzept der „geteilten Souveränität“
Äußere Eingriffe in die Souveränität von Staaten haben zugenommen. Sie sind ein Instrument im Krieg gegen den Terrorismus geworden. Die intellektuelle Konzeption dazu hat Stephen Krasner kürzlich auf den Seiten der IP entworfen. Dabei bleiben, so die Autorin, einige Probleme unberücksichtigt. Dieser Beitrag plädiert für ein sanfteres Modell der Demokratisierung, für eines, das auf die innere Entwicklung von Staaten setzt.

EUROPÄISCHE UNION
Der Fisch stinkt vom Kopfe her
von Dietrich von Kyaw
Warum die Bürger rebellieren: Europa fehlt es an starken, entschlossenen Politikern Das vereinigte Europa krankt an schwachem Führungspersonal, vor allem in den Kernstaaten der EU. Daher werden die Probleme nicht entschlossen angegangen, die verunsicherten Bürger nutzen EU-Referenden, um ihren Unmut über nationale Regierungen auszudrücken, es herrscht Verwirrung über Weg, Ziel und Sinn der Union. Doch der Druck, Europa – auch ökonomisch – wieder fit zu machen, wird zunehmen. Zur fortgesetzten Vertiefung wie Erweiterung der EU gibt es keine Alternative.

IRAK
Geordneter Rückzug
von Henning Hoff
Wendepunkt in Washington: Amerika diskutiert die Exit-Strategien
Es steht „nicht gut“ um das besetzte Land, wie der britische Außenminister jüngst mit landesüblichem Understatement konstatierte. Auch die amerikanische Regierung überdenkt eine Änderung ihrer Strategie im Irak – einschließlich der Aufgabe des Zieles, eine Modelldemokratie zu errichten.

GAZA I
Tu’s noch einmal, Ariel!
von Yossi Alpher
Der Rückzug sollte als Präzedenzfall dienen; die israelische Gesellschaft wäre bereit

GAZA II
Keine Angst vor Hamas!
von Ziad Abu Amr
Der Widerspenstigen Zähmung: Die Fundamentalisten entwickeln sich zur politischen Kraft

NAHOSTBILDER
von Sylke Tempel
Ablaufdatum überschritten
Seltsame Theorien zum Ende Israels und die lebendige Debatte im ägyptischen Wahlkampf

BUCHKRITIK
von Henning Schröder und Helmut Strizek
Der Tschekist und seine Oligarchen
Sechs Bücher über Russland unter Putin und eine Abrechnung mit Frankreichs Afrika-Politik
Noch kurz vor den Wahlen haben sich Gerhard Schröder und Wladimir Putin getroffen und die deutsch-russische Freundschaft wie Gas durch eine Pipeline strömen lassen. Doch was wissen wir von Russland?

Kolumnen
WERKSTATT DEUTSCHLAND von Karl-Rudolf Korte
Rückblick auf Ausnahme-Wahlen
One-Man-Show vs. neue Nüchternheit: Noch nie waren Inhalte so zentral im Wahlkampf

ÖKONOMIE von Jim O’Neill
Die europäische Krise
Das große Projekt in Gefahr: Europas Wirtschaft bleibt hinter dem globalen Wachstum zurück

KULTUR von Mathias Greffrath
Die Rückkehr des Religiösen
Was die Kirche wirklich kann: Normen für alle und Selbstkritik für die Welteliten

TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck
Gott versus Darwin
Der Kreationismus trägt jetzt Tarnanzug: der Erfolg der Pseudowissenschaft Intelligent Design

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am