Internationale Politik 62 (2007), 10

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Internationale Politik 62 (2007), 10
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Neue EU-Länder – Demokratien in der Krise

Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
41962721509956
Anzahl Seiten
160 Seiten
Preis
9,95 €

 

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Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
INTERNATIONALE POLTIK

Neue EU-Länder – Demokratien in der Krise „Osteuropa nervt.“ So fasst Petra Pinzler, bis vor kurzem ZEIT-Korrespondentin in Brüssel, die Stimmung in der Europäischen Union drei Jahre nach der zelebrierten Wiedervereinigung Europas zusammen. Und vor allem nerve ein Land: Polen. Unter der Regierung der Kaczy?ski-Zwillinge habe es das neue EU-Mitglied in kürzester Zeit geschafft, sich als ewiger Störenfried allseits gründlich unbeliebt zu machen. Übrigens nicht zum ersten Mal, wie der amerikanische Europa-Forscher Wess Mitchell mit diesem Zitat aus der New York Times vom 15. Juni 1872 belegt: „Die Verabschiedung des Kompromisses ist vom Verfassungskomitee wegen der Halsstarrigkeit der Polen aufgeschoben worden. Die Polen haben ihr Spiel äußerst ungeschickt gespielt und einen weiteren Beweis für ihre politische Unfähigkeit geliefert.“ Auch damals, im österreichisch-ungarischen Kaiserreich, ging es um europäische Integration. Lassen sich aus dem 19. Jahrhundert Lehren für das 21. ziehen? Wie gefährdet ist Europas heutiges Integrationsprojekt durch die Wirren in Mitteleuropa? Politische Instabilität plagt ja nicht nur Polen, das am 21. Oktober eine neue Regierung wählen muss – auch in Ungarn, der Slowakei, Rumänien regieren derzeit populistische Formationen, geben nationalistische Demagogen unterschiedlicher Couleur den (hasserfüllten) Ton an; rechtsnationale Gruppierungen aus den beiden jüngsten EU-Beitrittsländern Bulgarien und Rumänien, merkt der Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang an, „ermöglichen die Entstehung einer Fraktion der radikalen Rechten im EU-Parlament“. Schon findet, wie die IP-Umfrage in diesem Heft zeigt, nur noch eine hauchdünne Mehrheit der Deutschen (47 Prozent) es gut, dass Polen seit 2004 Mitglied der EU ist; 45 Prozent halten diesen Schritt inzwischen für voreilig. Höchste Zeit also, etwas genauer auf die Prozesse zu schauen, die die mittel- und osteuropäischen Transformationsgesellschaften im Moment so gewaltig durchschütteln. Die Autorinnen und Autoren dieser IP tun das aus verschiedenen Blickwinkeln. Und sie geben Entwarnung: Die „neuen“ Demokratien durchlaufen Bewährungsproben. Wie die „alten“ auch. Immer wieder.

SABINE ROSENBLADT | CHEFREDAKTEURIN

Inhaltsverzeichnis

Neue EU-Länder – Demokratien in der Krise

8 Stephen Bastos, Julian Pänke, Gereon Schuch
Ins Straucheln geraten
Werden die „Neuen“ in der EU gestärkt aus ihren Turbulenzen hervorgehen?
Was ist los in den neuen EU-Staaten in Mitteleuropa? War es voreilig, die ehemals kommunistischen Länder in den exklusiven Klub der Europäischen Union aufzunehmen? So mag es aussehen, aber der Eindruck ist falsch. Denn die „Neuen“ holen nur Entwicklungen nach, für die auch der Westen viel Zeit gebraucht hat.

15 Wess Mitchell
Kaiser, König, Kommission
Was die EU aus dem Scheitern der Habsburger Monarchie lernen kann
Die derzeit in der EU wieder diskutierte Idee einer „Union
der zwei Geschwindigkeiten“ ist zum Scheitern verurteilt. Das ist nur eine der Lehren, die Europa heute aus dem Aufstieg und Scheitern eines anderen historischen Integrationsprojekts ziehen kann: dem österreichisch-ungarischen
Kaiserreich.

22 Konrad Schuller
Der Furor der „Tugend“
Die Kaczynskis: Wenn revolutionärer Anspruch ins Jakobinertum umschlägt
Es war der Zorn über die alten korrupten Eliten in den
neuen Chefsesseln der Demokratie, der die Zwillinge ins Amt brachte. Trotz der wachsenden Willkür ihrer Herrschaft haben sie noch nicht alle Anhänger verloren: Ein Teil der polnischen Bürgergesellschaft scheint bereit, im Kampf gegen das Ancien Régime auch Regelverletzungen zu dulden.

26 Pawel Swieboda
Ein Traum, den es zu bewahren gilt
Warum sich Polen früher oder später mit Europa arrangieren muss Zum Teil ein Missverständnis, zum Teil eine Fehldeutung
der EU, zum Teil schlicht strategische Dummheit: So beurteilt der polnische Europaforscher die EU-Politik der Kaczynskis. Aber es besteht auch Anlass zur Hoffnung, denn die Methode der Zwillinge, die Außenpolitik ganz aufzugeben, wird sich für Polen auf Dauer nicht durchhalten lassen.

30 Michael Frank
Auf Schrott gebaut
Mitteleuropas „Tiger-Demokratien“ suchen Sicherheit im Nationalismus Die ökonomisch prosperierenden „Tiger-Demokratien“ Mitteleuropas sind politisch immer noch auf der Suche nach ihrer Identität. Die große Leere, die der absterbende Kommunismus hinterließ, füllt sich
mit Populismen: Klare Parteiprofile fehlen, Hass prägt die Debatten, demokratische Werte stehen nicht hoch im Kurs. Überraschend ist das nicht.

36 Karl-Peter Schwarz
Dornröschen unter den Wölfen
Rumänien in der Grauzone zwischen Parlamentarismus und Kleptokratie In Rumänien war die Zivilgesellschaft zu schwach, um zu verhindern, dass die alten kommunistischen Eliten ihr Machtmonopol hinter einer demokratischen Fassade über die Wende hinüberretteten. Die EU muss darauf dringen, dass das neue EU-Mitglied Rumänien nicht in der Grauzone zwischen Parlamentarismus und Oligarchie stecken bleibt.

41 Petra Pinzler
Neulinge, Neinsager, Nervensägen
Die neuen EU-Mitglieder mischen nicht zu viel, sondern zu wenig mit Populistische Regierungen, nationale Egoismen, Blockadeverhalten, Abzockermentalität – die neuen EU-Mitglieder aus dem Osten haben sich in der Union nicht gerade beliebt gemacht. Der Eindruck, dass sie die Hauptstörenfriede sind, täuscht allerdings: Nicht ihre Impertinenz, sondern eher ihre Abstinenz bei wichtigen EU-Themen ist das Problem.

44 Paul Lendvai
Voran im Rückwärtsgang
Die postkom-munistischen Staaten zwischen Aufbruch und Absturz
Nach der Euphorie die Ernüchterung: Schon bald nach dem Beitritt mussten große Teile der Bevölkerung der neuen EU-Staaten erkennen, dass die Integration nicht Ende, sondern Anfang eines wirtschaftlichen Anpassungsprozesses
ist. Gute Zeiten für Populisten, die gegen die mühsamen
Reformen mobilisieren und mit dumpfen Ressentiments Stimmen fangen.

50 Reinhold Vetter
Postsozialistische Sozialpolitik
Sozialistische Altlasten, finanzielle Defizite, Klientelpolitik: eine brisante Mischung
Wirtschaftsreformen haben die Ostmitteleuropäer in Hülle
und Fülle hinter sich. Aber ihre sozialen Systeme hinken noch hinterher:
Eine Mischung aus sozialistischen Altlasten, Reformmüdigkeit, finanziellen
Defiziten und alter Klientelpolitik behindert den Aufbau moderner
Sozialstaatsstrukturen – mit potenziell gefährlichen politischen Folgen.

58 Kai-Olaf Lang
Wallungen des Grolls
Stunde der Populisten und Nationalisten: Gefahr für die „jungen“ Demokratien?
Viele neue EU-Bürger sind nach dem Beitritt zur Union enttäuscht
über die politischen und wirtschaftlichen Zustände in ihren Ländern.
Das lassen sie ihre demokratischen Eliten spüren: Populisten und
Nationalisten haben Rückenwind. Sollen die Demagogen gestoppt werden,
müssen die gemäßigten Kräfte programmatische Offerten entwickeln.

64 Marek A. Cichocki
Neue Länder, alte Mythen
Mitteleuropa hat seine eigene Geschichte – das muss der Westen akzeptieren
Die westlichen Kernländer des europäischen Imperiums
sind und bleiben das Vorbild, dem sich die Beitrittsländer anzupassen
haben, erklärte WamS-Kommentarchef Alan Posener in der Ausgabe
9/2007 der IP. Doch was sagen eigentlich die Osteuropäer dazu – etwa,
wenn es um die historische Legitimation der europäischen Einigung geht?

Internationale Politik
72 Afghanistan I | Olaf Ihlau
Sterben für Kabul?
Sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban sind Sicherheit und Stabilität ferner denn je
Afghanistan am Abgrund: Auch im sechsten Jahr nach dem Sturz der Taliban
sind Frieden und Stabilität Lichtjahre entfernt. Die NATO-Strategie aus
Wiederaufbau und Bombardements fordert einen hohen Preis. Ohne
Kursänderung droht der Einsatz am Hindukusch für das größte Militärbündnis
der Welt zu scheitern – mit unabsehbaren Folgen für den Westen.

82 Afghanistan II |
Eckart von Klaeden / Niels Annen
Kampf um den Einsatz
Zwei Außenpolitiker von CDU und SPD über Deutschlands Engagement am Hindukusch

Truppen, Tornados, Terrorbekämpfung: In den kommenden Wochen entscheidet
der Bundestag über eine Verlängerung der drei Afghanistan-Mandate.
Wie lange muss sich Deutschland noch am Hindukusch engagieren? Welchen
militärischen Beitrag kann die Bundeswehr für Sicherheit und Wiederaufbau
leisten? Und was liegt besser in den Händen ziviler Entwicklungshelfer?

92 UN | Gunther Hellmann & Ulrich Roos
Von Windhunden und Hasen
Deutschland sollte auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat verzichten
Eine Reform des UN-Sicherheitsrats ist seit
Jahren überfällig. Dies wird heute selbst von den Bremsern nicht mehr geleugnet.
Die konkrete Umsetzung dieses hehren Zieles erweist sich jedoch
als äußerst schwierig. Auch die deutsche UN-Politik trug zuletzt mehr zum
Problem als zu seiner Lösung bei. Ein klarer Kurswechsel tut not.

100 Deutsche Außenpolitik | Jochen Thies
Das Ende der Symbolpolitik
Neue politische Konstellationen:
Berlin muss endlich Position beziehen
Außenpolitisch sind die Tage, als Kanzlerin Angela „Miss
World“ Merkel neben vielen lahmen Enten auf der Weltbühne brillierte,
vorüber. Nicolas Sarkozy und Gordon Brown setzen eigene nationale Akzente.
Für Deutschland könnte sein halbherziges internationales Engagement
– etwa bei den Auslandseinsätzen – bald zum Problem werden.

104 Russland | Stefan Scholl
Whiskey statt Wodka
Die Opposition in Russland ist schwach – das Establishment zittert trotzdem
Das Ergebnis der Duma- und Präsidentschaftswahlen am
2. Dezember und 2. März gilt als jetzt schon festgelegt: Es wird, so die allgemeine
Erwartung der Russen, von Präsident Wladimir Putin entschieden.
40 Prozent der russischen Wähler finden das aber auch ganz in Ordnung –
nicht zuletzt, weil die Opposition ein so erbarmungswürdiges Bild abgibt.

111 Europäische Union | Alfred Grosser
Verpflichtung Europa
Mehr als Militär und Außenhandel: Plädoyer für die EU als Wertegemeinschaft
Wahrheitssuche, Demokratie, Toleranz: Es fiele nicht
schwer, gemeinsame europäische Werte aufzuzählen. Doch die EU des
Berliner Gipfels fällt inzwischen weit hinter die Vision einer Gemeinschaft
der Grundrechte zurück. Die Union als Verbund der Abwehr an
ihren Grenzen: Soll dies das eigentliche Fundament Europas sein?

118 USA | Christian Hacke
Gefährliche Freunde
Die Mearsheimer/Walt-Debatte und Amerikas Rolle im Nahen Osten
Kaum eine These hat in den USA seit 1945 so hohe Wellen
geschlagen wie die von John Mearsheimer und Stephen Walt zur „Israel-
Lobby“. Doch ihrem zentralen Argument, wonach die USA anstelle der
einseitigen Parteinahme für Israel wieder ihre überparteiliche Maklerposition
im Nahen Osten einnehmen müssen, lässt sich kaum widersprechen.

122 Kulturdialog | Alexandra Kemmerer
Nicht nur fromme Sprüche
Toleranz braucht die Auseinandersetzung mit dem Eigensinn des Religiösen
Immer öfter werden in der Sprache der Religion Konflikte
verhandelt, in denen es um soziale oder kulturelle Fragen geht. Die
Wirkung religiöser Bilder und Symbole wird oft leichtfertig unterschätzt.
Dabei braucht Toleranz vor allem die nüchterne und ernsthafte Auseinandersetzung
mit dem Eigensinn des Religiösen.

130 Frankreichbilder | Daniela Schwarzer
Der „Omniprésident“
Sarkozys dynamische Amtsführung macht Frankreichs Presse (fast) sprachlos
135 Bücherschau
Die wichtigsten außenpolitischen Neuerscheinungen
besprochen von Stephen Bastos, Andreas Eckert, Hanns W. Maull, Constanze Stelzenmüller, Joseph Croitoru, Stephan Bierling und Bert Hoffmann

Kolumnen
70 Werkstatt Deutschland | Franz Walter
Politik ohne Leidenschaft
Im Bundestag herrschen Disziplin und Routine – und es fehlen die Visionen
90 Ökonomie | Helmut Reisen
Neue Heuschrecken
Nach den Hedge- nun die Staatsfonds: doch Protektionismus ist keine Lösung
116 Kultur | Mathias Greffrath
Kunst in Zeiten des Klimawandels
Erfahrungen statt Symbole: Tino Sehgal inszeniert kommunikative Experimente
128 Technologie | Tom Schimmeck
Tausend Terror-Todesarten
… sind vorstellbar: über das ABC
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