Sozial.Geschichte 19 (2004), 1

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Sozial.Geschichte 19 (2004), 1
Weiterer Titel 

Erschienen
Bern 2004: Peter Lang/Bern
Erscheint 
3 Ausgaben pro Jahr
Preis
Einzelheft 13,30 EUR / 20,00 sFr; Abonnement 34,00 EUR / 48,00 sFr

 

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Institution
Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts
Land
Deutschland
c/o
Sozial.Geschichte Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts Fritz-Gansberg-Str. 14, D-28213 Bremen Tel.: (0421) 218-91 25 Fax: (0421) 218-94 96
Von
Redaktion Sozial.Geschichte

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

das neue Heft von Sozial.Geschichte, Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts ist so eben erschienen. Sozial.Geschichte ist die Neue Folge von 1999. Sie können die Zeitschrift im Buchhandel, direkt über den Verlag (http://www.peterlang.net) oder über die Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (http://www.stiftung-sozialgeschichte.de) bestellen. Weitere Informationen zur Zeitschrift und den Themenredaktionen von Sozial.Geschichte finden Sie ebenfalls auf unserer Website http://www.stiftung-sozialgeschichte.de

Inhaltsverzeichnis

Sozial.Geschichte Neue Folge, 19. Jahrgang, Februar 2004, Heft 1

INHALT:

FORSCHUNG

Jürgen Zimmerer:
Die Geburt des 'Ostlandes' aus dem Geiste des Kolonialismus. Die nationalsozialistische Eroberungs- und Beherrschungspolitik in (post-)kolonialer Perspektive

Summary:
Historische Analysen der deutschen Eroberung und Beherrschung des 'Ostens' während des Zweiten Weltkrieges vernachlässigen einen entscheidenden Traditionsstrang, der zum Verständnis der nationalsozialistischen Politik beizutragen vermag: die Kolonialherrschaft. Dabei weist sie erhebliche strukturelle Ähnlichkeiten mit der nationalsozialistischen Politik auf, basieren beide doch auf einem ähnlichen Verständnis von Rasse und Raum.
Der Artikel untersucht die kolonialen Elemente der deutschen Besatzungspolitik, des Vernichtungskrieges sowie des Genozids und identifiziert Vorläufer und Vorbilder. Manches, was - unter einem verengten eurozentrischen Blickwinkel - einzigartig erscheint, erweist sich als, allerdings extrem radikalisierte, Variante kolonialer Praktiken. Als Rezeptionskanäle dieses kolonialen Wissens werden persönliche Erfahrung, institutionelle Speicherung und kollektive Imagination analysiert.
Der Aufsatz versteht sich als Plädoyer für eine Globalgeschichte von Massengewalt, Besatzung und Völkermord.

Historical analyses of the German conquest and domination of 'the East' during the Second World War neglect an important tradition that helps our understanding of national socialist politics: colonial rule. Both historical phenomena share a set of structural similarities in that they both rest on similar concepts of 'race' and 'space'.
Firstly, this article examines colonial elements of German occupation policy, the war of extermination and genocide. It identifies precursors and models. A number of things that appear - from a narrow euro centric perspective - as unique, prove to be extremely radicalized variants of colonial practices. Secondly, it analyzes reception channels of colonial knowledge, such as personal experience, institutional storage and collective imagination.
To take the colonial roots of Nazi policy serious helps our understanding of why so many 'ordinary Germans' were willing perpetrators. At the very least, colonialism, which possessed very positive connotations at the time, offered the Nazi perpetrators the possibility of exculpating themselves and obscuring the enormity of their own actions. The article makes a case for a global history of mass violence, occupation and genocide.

Imanuel Geiss:
"Ethnische Säuberungen", Massaker und Genozid. Ein historischer Überblick

Summary:
Der Aufsatz versucht eine vergleichende Skizze eskalierender Gewaltanwendungen in Geschichte und Gegenwart, die in der Praxis schwer abzugrenzen sind, da sie oft fließende Übergänge aufweisen, meistens im Rahmen "nationaler" politischer Einheiten: Die strukturgeschichtliche Gemeinsamkeit findet sich in modernen Nationalstaaten, die theoretisch und im ideologischen Selbstverständnis scheinbar unvereinbare historisch-politische Strukturprinzipen miteinander kombinieren - ältere traditionelle Imperien, von Hause aus durch meist kriegerische Expansion übernational heterogen, und moderne Nationalstaaten seit dem Symboldatum 1789, die auf ethnische, religiöse und soziale Homogenität angelegt sind. Da neue Nationalstaaten als postimperiale Nachfolgestaaten meist so heterogen sind wie einst ihr "Mutter"imperium, aus dem sie hervorgegangen sind, provoziert jede administrativ exekutierte Homogenisierung von oben früher oder später Widerstand von unten, jeder Versuch zur Brechung solchen Widerstandes durch gewaltsame Repression Gegengewalt von unten. Wechselseitige Gewalt und Terror von oben und unten eskalieren im Extrem von "ethnischen Säuberungen" über sie oft unweigerlich begleitende Massaker bis zum Völkermord gemäß der UN-Definition von 1948. Dieser Eskalationsmechanismus schlägt in zahlreichen Konflikten des 20. Jahrhunderts durch. Die einzige konstruktive Alternative zu diesem tödlichen Mechanismus ist der Verzicht auf gewaltsame Homogenisierung unter welchem Titel auch immer, am besten durch großzügige Autonomien, mindestens auf kultureller Ebene, wenn irgend möglich auf territorial-politischer bis lokaler Ebene.

The article attempts to sketch a comparison of escalating violence in history and the present day. In practice such phases are often difficult to define, since they often exhibit a smooth transition, mostly into the context of "national" political unity. A commonality in structural history is to be found in modern national states which, theoretically and in their ideological self-understanding, combine apparently incompatible historical-political structural principles, and older traditional empires, innately supranationally heterogeneous, usually through martial expansion, and modern national states since the symbolic year 1789, based on ethnic, religious and social homogeneity. Since new national states, being post-imperial successor states, are often as heterogeneous as the "mother" empires out of which they emerged once were, any administratively executed homogeneity from above provokes resistance from below sooner or later, and any attempts to break such resistance through violent repression, provoke violent reaction from below. In extreme cases, alternating cycles of violence and terror from above and below escalate from "ethnic cleansing" via the massacres which inevitably accompany it, to genocide, according to the UN definition of 1948. This escalation mechanism is evident in numerous conflicts of the 20th Century. The only constructive alternative to this fatal mechanism is the renunciation of violent homogeneity in any form, preferably through generous autonomy, at least at cultural level and, where at all possible, territorial political level down to local level.

ZEITGESCHEHEN

Loïc Waquant:
"Das Gefängnis ist eine gesetzlose Institution". Ein Gespräch über die Entwicklung des US-amerikanischen Strafsystems in der Ära des Neoliberalismus

Summary:
Seit dem Übergang zum Neo-Konservatismus zu Beginn der achtziger Jahre werden die ohnehin halbherzigen sozialen Sicherungssysteme der USA zurückgefahren. An ihre Stelle ist ein neues System der Einschließung der untersten Schichten der "laboring poor" getreten. Inzwischen sind 2,2 Millionen US-Bürger inhaftiert, davon über die Hälfte Schwarze, und 6,7 Millionen Amerikaner stehen unter der Aufsicht der Justiz. In dieser Entwicklung kommt die Umwandlung des Wohlfahrtsstaats zum Strafvollzugsstaat (État pénal) zum Ausdruck, dessen Gefängnisse mit 600.000 Beschäftigten inzwischen zum größten Arbeitgeber der USA avanciert sind. Die öffentliche Hand hat auf ihre sozial- und wirtschaftspolitischen Umverteilungsfunktionen verzichtet und steuert nun mit der eisernen Faust des Gefängnisstaats die Unordnung, die aus der sozialen Deregulierung und dem Anwachsen prekärer Arbeitsverhältnisse auf der Grundlage der Arbeitsarmut entstanden ist. Dabei werden keine neuen Zwangsarbeiterheere geschaffen. Vielmehr werden die untersten Schichten der "laboring poor" hinter Gitter gebracht, um für sie das Risiko eines Abtauchens in die illegalen Schattenwirtschaften zu erhöhen.

Since the transition to neo-conservatism at the beginning of the 1980s, US social security systems, at best half-hearted, have been cut back. In their place, a new system for containment of the laboring poor has emerged. In the meantime 2.2 million US citizens have been taken into custody, more than half of them African Americans, and 6.7 million Americans are under the supervision of the judiciary. This development reflects the transformation of the welfare state into a penal system state (état pénal), whose prisons with their 600,000 employees, have now become the USA's biggest employer. The public authorities have renounced their social and economic redistributive functions. Instead, with the iron hand of the penal state, they are now controlling the disorder based on working poverty which has evolved out of social deregulation and increasingly precarious working conditions. This is not creating new armies of forced labourers. Instead, the lowest strata of the laboring poor are being put behind bars, increasing their risk of descent into the illegal twilight economy.

DISKUSSION

Franz Fillafer im Gespräch mit Georg G. Iggers

Franz Fillafer versucht im Gespräch mit Georg Iggers - deutsch-jüdischer Emigrant, Historiker der Historiographie, Menschenrechtsaktivist und emeritierter Professor für European Intellectual History an der Universität Buffalo/NY - dessen außergewöhnlichen Lebensweg im 20. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Ausgehend von der Doppelautobiographie "Zwei Seiten der Geschichte", die Iggers gemeinsam mit seiner Frau, der Literaturwissenschafterin Wilma Abeles Iggers, verfasste, befragt Fillafer ihn nach seiner Jugend in Hamburg der Weimarer Republik, nach seiner intellektuellen Sozialisation und seinem Selbstbild als Wissenschafter, aber auch über das intellektuelle Stimmungsklima in den U.S.A. nach dem 11. September 2001. Der zweite Teil des Gesprächs behandelt zentrale Problemstellungen und Streitfragen der Geschichtsschreibung wie Wirklichkeitskonstitution. Abschließend geht Iggers auch auf sein jüngstes Projekt einer interkulturellen Historiographiegeschichte ein und gibt somit ein Resümee des grenzüberschreitenden Anspruchs seiner Forschungsarbeit und eine Zustandsbeschreibung der internationalen Geschichtswissenschaft.

The encounter between Franz Fillafer and Georg Iggers, emigrant of German-Jewish origin, historian of historiography, human rights activist and professor emeritus of European Intellectual History at SUNY Buffalo attempts to explore this extraordinary 20th century life both biographically and thematically. Taking "Zwei Seiten der Geschichte", the autobiography Georg Iggers and Wilma Iggers published recently as point of departure, the first chapter deals with historical and political aspects of Iggers' life, comprising his childhood and youth in Hamburg, his intellectual formation and self-perception as historian and the current climate of opinion in the U.S., especially after September 11th. Two further chapters, "Aufklärung und Geschichte" and "Sprache und Geschichte" are dealing with central questions and epistemological predicaments of historiography, language and the construction of reality. The final part of the text, which discusses Georg Iggers' recent project, an intercultural history of historiography, provides a reassessment of Iggers' work crossing boundaries in terms of mental versatileness and international perspective.

BUCHBESPRECHUNGEN

Immanuel Wallerstein: Utopistik. Historische Alternativen des 21. Jahrhunderts, besprochen von Karl Heinz Roth

Isabel Heinemann: "Rasse, Siedlung, deutsches Blut". Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassepolitische Neuordnung Europas, besprochen von Armin Nolzen

Bernhard Rosenkötter: Treuhandpolitik. Die "Haupttreuhandstelle Ost" und der Raub polnischer Vermögen 1939-1945, besprochen von Werner Röhr

Michel Winock: Das Jahrhundert der Intellektuellen, besprochen von Stephan Moebius

Rainer Karlsch/Raymond G. Stokes: Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859-1974, besprochen von Karsten Linne

Thomas Sandkühler (Hg.): Europäische Integration - Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920-1960, besprochen von Heinrich Senfft

ANNOTATIONEN

Gerd Kaiser: Katyn. Das Staatsverbrechen - das Staatsgeheimnis (K.H.R.); Nicole Mayer-Ahuja: Wieder dienen lernen? Vom westdeutschen "Normalarbeitsverhältnis" zu prekärer Beschäftigung seit 1973 (K.H.R.); Sarah Babb: Managing Mexico. Economists from Nationalism to Neonationalism (B.W.); Yves Dezalay/Bryant G. Garth: The Internationalization of Palace Wars. Lawyers, Economists, and the Contest to Transform Latin American States (B.W.); Jan-Otmar Hesse/Christian Kleinschmidt/Karl Lauschke (Hg.): Kulturalismus, Neue Institutionenökonomie oder Theorienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmensgeschichte (K.H.R.); Egbert Scheunemann: Der Jahrhundertfluch. Neoliberalismus, Marktradikalismus und Massenarbeitslosigkeit. Eine allgemeinverständliche Erklärung der Zusammenhänge (K.H.R.); Thorsten Altena: "Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils". Zum Selbst- und Fremdverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884-1918 (J.Z.); Susanne Kuß/Bernd Martin (Hg.): Das Deutsche Reich und der Boxerkrieg (J.Z.); Albert Wirz/Andreas Eckert/Katrin Bromber (Hg.): "Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tansania (1850-1960) (J.Z.)

BUCHEINGÄNGE

AUS ZEITSCHRIFT UND STIFTUNG

Dirk Hoerder erhält den Allan Sharlin-Preis 2003 der Social Science History Association

Karl Heinz Roth erinnert an Michael Hepp (1949-2003)

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Bestandsnachweise 1660-2870