Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das neue Heft von Sozial.Geschichte, Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts ist so eben erschienen. Sozial.Geschichte ist die Neue Folge von 1999. Sie können die Zeitschrift im Buchhandel, direkt über den Verlag (http://www.peterlang.net) oder über die Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (http://www.stiftung-sozialgeschichte.de) bestellen. Weitere Informationen zur Zeitschrift und den Themenredaktionen von Sozial.Geschichte finden Sie ebenfalls auf unserer Website http://www.stiftung-sozialgeschichte.de
FORSCHUNG
KarstenLinne: »Weiße Arbeitsführer« – Der nationalsozialistische Traum vom sozialen Aufstieg in Afrika
DOKUMENT
Wolfgang G. Schwanitz: Max von Oppenheim und der »Heilige Krieg«. Zwei Denkschriften zur »Revolutionierung islamischer Gebiete« 1914 und 1940
DISKUSSION
Rüdiger Hachtmann: Bürgertum, Revolution, Diktatur – zum vierten Band von Hans-Ulrich Wehlers »Gesellschaftsgeschichte«
ZEITGESCHEHEN
Sara Roy: Wirtschaftlicher und sozialer Verfall im Westjordanland und Gazastreifen
BUCHBESPRECHUNGEN
Jörg Später: Vansittart. Britische Debatten über Deutsche und Nazis 1902–1945, besprochen von Heinrich Senfft
Klaus Morgenroth / Paul Vaiss / Joseph Farré (Hg.): Les migrations du travail en Europe, besprochen von Dirk Hoerder
Ferruccio Gambino: Migranti nella tempesta. Avvistamenti per l’inizio del nuovo millennio, besprochen von Karl Heinz Roth
Drei Adorno-Biographien, besprochen von Christian Lavagno
Stefan Frech: Clearing. Der Zahlungsverkehr der Schweiz mit den Achsenmächten, besprochen von Marc Buggeln
Ingrid Gilcher-Holtey: Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, besprochen von Karl Heinz Roth
ANNOTATIONEN
Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung (M. v. d. L.); Hilde Sandvik/Kari Telste/Gunnar Thorvaldsen (Hg.): Pathways of the Past. Essays in Honour of Sølvi Sogner (M. v. d. L.); Tobias Bütow/Franka Bindernagel: Ein KZ in der Nachbarschaft. Das Magdeburger Außenlager der Brabag und der »Freundeskreis Himmler« (M. B.); Martin Meier/Stefan Frech/Thomas Gees/Blaise Kropf: Schweizerische Außenwirtschaftspolitik 1930–1948. Strukturen – Verhandlungen – Funktionen (M. B.); Ulf Schmidt: Medical Films, Ethics and Euthanasia in Nazi Germany (K. H. R.); Laurent Mucchielli: Mythes et histoires des sciences humaines (S. M.); Håkon With Andersen u. a. (Hg.): Historie, kritikk og politikk. Festskrift til Per Maurseth (M. v. d. L.); Jan Breman/Partiv Shah: Working in the Mill Nomore; Jan Breman: The Making and Unmaking of an Industrial Working Class (M. v. d. L.)
SUMMARIES
Karsten Linne: »Weiße Arbeitsführer« – Der nationalsozialistische Traum vom sozialen Aufstieg in Afrika
Die Realgeschichte des deutschen Kolonialismus endete 1918, nicht aber seine Phantasie- und Projektionsgeschichte. Kolonien – vornehmlich solche in Afrika – bildeten seitdem Projektionsflächen von Wünschen und Hoffnungen vieler Deutscher. Nach 1933 verstärkte sich diese Tendenz, und es kamen konkrete Planungen hinzu. Dieser Aufsatz widmet sich der sozialen Seite der Planungen und thematisiert die künftige Stellung der Deutschen in den Kolonien. Den deutschen Siedlern, Arbeitern, Angestellten, Soldaten und Beamten sollte in Afrika die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg gegeben werden; den Frauen war dabei eine stabilisierende Rolle zugedacht, die aber auch mit einem gesellschaftlichen Aufstieg verbunden sein sollte. Es war in erster Linie die Deutsche Arbeitsfront, die Aufstiegserwartungen und Bedürfnisse nach sozialer Sicherheit mobilisierte, die man aus den okkupierten Ländern Europas und den afrikanischen Kolonien befriedigen wollte. Der individuelle soziale Aufstieg der Deutschen in Afrika hätte nur auf Kosten der dortigen Bevölkerung realisiert werden können. Die NS-Kolonialplanungen ähnelten, trotz aller rassenpolitischen Radikalität eher der deutschen Kolonialpolitik vor 1914 sowie der damaligen Politik der westlichen Kolonialmächte.
The history of German colonialism really ended in 1918 but not its history based on imagination and projection. Colonies, primarily those in Africa, have since then been subjects of desires and hopes of many Germans. After 1933 this tendency grew stronger and concrete plans were made. This paper is dedicated to the social dimension of these plans and discusses the position of the Germans in the colonies. The German settlers, laborers, office workers, soldiers and civil servants were supposed to have been given the opportunity for social advancement. Women were to play a stabilizing role, which was also connected to social advancement. Primarily it was the Deutsche Arbeitsfront (German Labor Front), who increased expectations and the desire for social security, which were to be met in the occupied European countries and the African colonies. The individual social advancement of the Germans in Africa could have been realized only at the expense of the local population. Despite the radicalism of its racial politics, Nazi colonial planning resembled pre-1914 German colonial policies as well as the policies of the Western colonial powers at the time.
Wolfgang G. Schwanitz: Max von Oppenheim und der Heilige Krieg. Zwei Denkschriften zur Revolutionierung islamischer Gebiete 1914 und 1940
Der deutsche Diplomat Max von Oppenheim hat in den beiden Weltkriegen Pläne vorgelegt, die »islamischen Gebiete unserer Feinde zu revolutionieren«. Erstmals werden ein Auszug des deutschosmanischen Plans von 1914 und ein deutsch-arabischer Plan von 1940 publiziert, und im Licht der deutschen Nah- und Mittelostpolitik erörtert. Max von Oppenheim war der Architekt dieses Heiligen Krieges, der deutsche Abu Djihad. Aus Berliner Sicht war sein Wirken nicht ganz erfolglos: im kolonialen Hinterland sind viele gegnerische Kräfte gebunden worden. Wenn auch die Ziele wie die Eroberung des Sueskanals und die Revolutionierung britischer, französischer und russischer Räume nicht erreicht wurden, so wurde die geistige Basis für den islamistischen Djihad gelegt. Einheimische griffen das Konzept auf und begannen, es zu regionalisieren und letztlich selbst gegen die jüdisch-christliche Tradition zu kehren. Die Djihadisierung des Islams in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in der Tat ein Export mit dem Warenzeichen »Made in Germany«.
The German diplomat Max von Oppenheim has introduced plans »to revolutionize the territories of our enemies« during both World Wars. For the first time, an excerpt of his German-Ottoman plan of 1914 and the German-Arab plan of 1940 are published and discussed in light of German Middle Eastern policy. Max von Oppenheim, the German Abu Jihad, served as the architect of this approach to the Holy war. From the standpoint of the government in Berlin, he was not entirely unsuccessful: a number of hostile factions joined forces in the colonial hinterland. While the Ottomans had failed in their goals to conquer the Suez Canal and in revolutionizing British, French and Russian colonial areas, the intellectual groundwork for an Islamic Jihad was laid. The local populations picked up on this idea and started to regionalize it and eventually turned it against the Judeo-Christian tradition. The Jihadizing of Islam during the first half of the 20th century indeed was trademarked »Made in Germany«.
Rüdiger Hachtmann: Bürgertum, Revolution, Diktatur – zum vierten Band von Hans-Ulrich Wehlers »Gesellschaftsgeschichte« Mit dem vierten Band der »Gesellschaftsgeschichte« hat der Nestor der Bielefelder Schule Hans-Ulrich Wehler seine Deutung der deutschen Geschichte 1914 bis 1948 vorgelegt. Hachtmann diskutiert zwei zentrale Themen, die das Werk durchziehen: Wehlers Verständnis von »Bürgertum« und sein Blick auf »die Revolution«. Im dritten Teil des Essays wird der heuristische Wert der Anwendung des Konzepts »charismatische Herrschaft« auf das NS-Regime und seine hitleristische Verengung durch Wehler ausführlicher betrachtet. Deutlich wird, dass im vierten Band der »Gesellschaftsgeschichte« politische Grundhaltung und sozialkulturell bedingte Ressentiments Wehlers sehr viel stärker durchscheinen als in den ersten drei Bänden.
With his fourth volume of »Social History«, the Nestor of the Bielefeld school, Hans-Ulrich Wehler, presents his interpretation of German history between 1914 and 1948. Hachtmann is discussing two central themes evident throughout the volume: Wehler’s understanding of »the middle class« and his view of »the revolution«. The third part of the essay examines the heuristic value inherent in the application of the concept »charismatic rule« to the Nazi regime and its Hitleristic narrow definition as presented by Wehler. In his fourth volume of »Social History« Wehler’s political viewpoint and sociocultural resentment are much more apparent than in the previous volumes.
Die palästinensische Gesellschaft und Wirtschaft sind zunehmend vom sozialen Verfall geprägt. Die Veränderungen des Landes, der Arbeitsbeziehungen, der Bevölkerungsstruktur und der Gesellschaft sind dramatisch. Eine wesentliche Ursache dafür liegt in der israelischen Besatzungspolitik. Hinzu kommen der Vertrauensverlust in die palästinensische Wirtschaft, und der Zerfall des alltäglichen Lebens; insgesamt eine humanitäre Krise, die durch die Armut und den sozialen Abstieg geschaffen wurde und die keine Parallele in der 37 Jahre langen Besetzung der West Bank und des Gaza haben. Vermutlich sind die Palästinenser seit 1948 nicht mehr mit derartigen Verlusten und Enteignungen konfrontiert. Wenn diese Zusammenhänge keine Beachtung finden, werden sie nicht nur eine friedvolle Lösung des Palästina-Israel-Konflikts verhindern, sondern auch die sozialökonomische Erholung und Weiterentwicklung Palästinas ernsthaft einschränken.
Palestinian society and economy are deteriorating. The transformations in land, labor, demography and society have been dramatic. The current context has many dimensions but is defined primarily by Israel’s continued occupation of Palestinian lands. That context is also defined by the steady erosion of the Palestinian economy, a humanitarian crisis characterized in large part by levels of impoverishment and social decline that have no parallel during Israel’s 37-year occupation of the West Bank and Gaza, and the destruction of ordinary life. Not since 1948, perhaps, have Palestinians faced such conditions of loss and dispossession. If these conditions remain unaddressed, they will not only preclude a peaceful resolution to the Palestinian-Israeli conflict, but also seriously constrain Palestinian socioeconomic recovery and development.