Die Allgegenwart und die „Macht der Bilder“ verändern politische und alltagskulturelle Diskurse sowie die Wahrnehmungsmuster von Wirklichkeit. Insbesondere Zeithistorie hat mit den in den letzten Jahrzehnten entwickelten visuellen Produktionen und Praktiken das Forschungsfeld „Visual History“ entwickelt, „das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst“, so Gerhard Paul in seinem handbuchartigen Artikel zur Visual History auf Docupedia. Der vorliegende Heftschwerpunkt „Visual History und das Ruhrgebiet“ nimmt in seinen Beiträgen Ansätze einer kritischen Bildhistoriografie auf, die Bilder nicht nur als Abbild sondern auch als dynamischen Faktor geschichtlichen Wandels sieht. Ferner interessieren Veränderungen der visuellen Wahrnehmung von Wirklichkeit und wie sie sich in der Art und Weise des Sehens der Bildproduzenten und der -rezipienten widerspiegeln.
Anhand von fotografischen Darstellungen, mit denen seit den 1920er Jahren Bildbände dem Ruhrgebiet einen visuellen Ausdruck geben wollten, weist S. Schneider auf deren „ideologischen Gebrauch zur Konstituierung eines offiziösen Images“ in einer „fortlaufenden Meta-Erzählung von Modernität und Wandel“ der Region hin. R. Stremmel fragt in seinem Beitrag nach der Einbindung von Industriefotografie an der Konstitution des Mythos Ruhrgebiets, deren Eigenständigkeit aber weit über diese Funktion hinausweise. Das Konzept von „Visual History“ dient S. Grebe, T. Dupke und G. Cramm als Reflexionsebene für die Sammlungs- und Ausstellungsarbeit des Fotoarchivs des Ruhr Museums, wie es in einem dokumentierten Gespräch zum Ausdruck kommt. Den Werdegang des Fördergerüsts von Schacht 12 der Zeche Zollverein zur Bildikone des Ruhrgebiets zeichnet G. Parak anhand von differenten bildlichen Inszenierungen im historischen Verlauf nach. Der Bildern zugedachten aufklärerischen Funktion geht M. Köster anhand der Präsentation von „Schockbildern“ nationalsozialistischer Verbrechen in der Nachkriegszeit nach, die ihre Wirksamkeit als ein wichtiger Bestandteil des kollektiven Bildgedächtnis“ zum Nationalsozialismus bis heute bewahrt haben.
Zahlreiche Institutionen im Ruhrgebiet bieten sich als Arbeitsorte der „Visual History“ an, wie den qualitativen Bestands- und Aufgabendarstellungen zu entnehmen ist. Indirekt wird mit dieser „Leistungsschau“ das Anliegen des Aufbaus eines „Bundesinstituts für Fotografie“ in Essen unterstützt. Abgedruckt wird in der Rubrik der Mitteilungen des Ruhr Museums eine Stellungnahme des Verbunds Zentrum für Fotografie Essen (S. 70 f.), mit der nachdrücklich die Standortempfehlung Essen aus der Geschichte sowie der gegenwärtigen Arbeitsstruktur der Beteiligten – Folkwang Universität der Künste, Historisches Archiv Krupp, Museum Folkwang und Ruhr Museum – untermauert wird.
Corona wird nachhaltig die Geschichtskultur im Ruhrgebiet beeinflussen, was sich bereits kurzfristig an vielen ausgefallenen Ausstellungen, Vorträgen, Buchpräsentationen und anderen Events zeigte. Nach und nach nehmen die Aktivitäten wieder zu, die auf die Beteiligung bzw. den Besuch von Geschichtsinteressierten abzielen. Dies zeigt sich auch an den wieder zunehmenden Mails unserer auf aktuelle Informationen aus der Geschichtskultur hinweisenden Mailingliste, in die Sie sich unter www.geschichtskultur-ruhr.de eintragen können.
Editorial Franz-Josef Jelich
Visual History und das Ruhrgebiet
Kontraste. Die Konstruktion des Ruhrgebiets in Bildbänden – Sigrid Schneider
Im Auftrag. Industriefotografie im Ruhrgebiet von den Anfängen bis in die 1960er Jahre – Ralf Stremmel
Visual History im Fotoarchiv des Ruhr Museums – Stefanie Grebe, Thomas Dupke, Giulia Cramm
Der Förderturm der Zeche Zollverein – vom Aufstieg einer Bildikone – Gisela Parak
„Schockfilme“ – Alliierte Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus – Markus Köster
Quellenbestände zur Visual History im Ruhrgebiet:
Visuelle Quellen zur Geschichte des Bergbaus im montan.dok – Michael Farrenkopf und Stefan Przigoda
Film und Fotografie im Historischen Archiv Krupp – Manuela Fellner-Feldhaus und Simone Snyders
Strukturwandel endet nie. Die Fotosammlung des LVR-Industriemuseums – Michael Gaigalat
Das Bild-, Film-, Tonarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen – Ralf Springer
Das Fotoarchiv des Ruhr Museums – Stefanie Grebe
Kinemathek im Ruhrgebiet – FilmArchiv für die Region – Paul Hofmann
IndustrieFilm Ruhr – Neuentdeckung historischer Filmquellen aus Wirtschaftsarchiven des Ruhrgebiets – Astrid Dörnemann und Stefan Przigoda
Pixelprojekt – Ruhrgebiet – Peter Liedtke
Das rheinische Braunkohlenrevier im Industriefilm – Felix Frank
Beiträge
Erinnerung an 100 Jahre Abwehr des Kapp-Lüttwitz-Putsches – Stefan Goch
Dortmund erinnert sich – Axel Heimsoth
Über Dich freuet sich die ganze Schöpfung – Christof Krieger
Das Projekt „Schicht am Schacht. Das Paulusviertel nach der Kohle“ in Recklinghausen – Johanna Beate Lohff
Die Militärkapelle in Wesel im 19. Jahrhundert – Jérémy Gaudais
Mitteilungen der Herausgeber
Deutsches Bergbau-Museum Bochum
Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher
Regionalverband Ruhr / Referat Industriekultur
Ruhr Museum
Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets
Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur
Museen und Ausstellungen
Aufbruch in die Moderne. Familie Viegener und die Fotografie
Revierfolklore. Zwischen Heimatstolz und Kommerz
Boten, Helfer und Gefährten. Beziehungen von Mensch und Tier im Wandel
Come out, Essen. Ausstellung zur Geschichte lesbisch-schwuler Emanzipation
Vom Schuften und Chillen. Warum wir arbeiten
Josef Koudelka. Industries
Versorgt! – Betriebliche Fürsorge bei der GHH
Mythos Neue Frau. Mode zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und Republik
Veranstaltungen
Jüdisches Museum Westfalen
Exile Kulturkoordination e.V.
Begleitprogramm der Ausstellung „Come out, Essen! 100 Jahre lesbischschwule Emanzipation“
Reihe zur Mülheimer Geschichte 2020
Stadtarchiv Bochum – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte
Bildungswerk der Humanistischen Union. Das Ruhrgebiet und die Republik zwischen Zivilisationsbruch und Zivilcourage
Rezensionen
Bleidick, Dietmar (Bearb.), Manfred Rasch und Andreas Zilt (Hg.): Findbuch zum Bestand Dortmund-Hörder Hüttenunion AG und Vorläuferunternehmen (1841–1966)
Alexandra Apfelbaum und Silke Haps (Hg.): Von „Stahlschachteln“ und Bausystemen. Zum Umgang mit Stahlbauten der Nachkriegszeit
Frank Becker und Daniel Schmidt (Hg.): Industrielle Arbeitswelt und Nationalsozialismus. Der Betrieb als Laboratorium der „Volksgemeinschaft“ 1920-1960
Lena Fiedler und Helene von Schwichow: „Ruhrtopien“. Zwei Reisen in die größte Stadt Deutschlands
Susanne Gesser, Nina Gorgus und Angela Jannelli (Hg.): Das subjektive Museum. Partizipative Museumsarbeit zwischen Selbstvergewisserung und gesellschaftspolitischem Engagement
Karola Geiß-Netthöfel, Dieter Nellen, Wolfgang Sonne (Hg.): Vom Ruhrgebiet zur Metropole Ruhr. SVR – KVR – RVR 1920–2020
Annotationen
Hans-Joachim Koenen (Konzept, Redaktion und Layout), Hildegard Schneiders (Text): Spuren der Preußen in Gelsenkirchen
Pentek, Alexander: Gelsenkirchens verschwundene Tierparks – Ein Ückendorfer Braunbär, Hirsche im Stadtgarten und der alte Zoo am Junkerweg
Laura Di Betta, Christin Ruppio, Barbara Welzel (Hg.): Vor dem Bauhaus: Osthaus. Einblicke in eine Fotosammlung
Arnold Maxwill (Hg.): Bergarbeiterdichtung. Schreiben zwischen Erfahrung, Sentiment und Zorn
Arnold Maxwill (Hg.): „Der Ruf gilt dir, Kamerad!“ Deutsche Arbeiterdichter im Porträt
Walter Köpping: Wir fürchten nicht die Tiefe. Kunst und Kultur der Bergleute in Deutschland
Willi Kulke (Hg.): Vom Schuften und Chillen. Warum wir arbeiten
Wilfried Reininghaus: Der Arbeiteraufstand im Ruhrgebiet 1920
Johannes Wilkes und Rainer Götzfried: Emscher-Touren. In 5 Tagen mit dem Fahrrad durch den Pott
Ruhrgebietsbibliografie
Adressenverzeichnis
Autorinnen und Autoren