Nordost-Archiv VIII (2000), H. 2
Von der Literatur heißt es oft und nicht zu Unrecht, sie sei zeit- und staatenlos, sie gehe weit über die unmittelbaren (biographischen, psychologischen, sozialen, politischen, historischen) Umstände ihrer Entstehunghinaus oder habe mit ihnen wenig zu tun und lasse sich durch sie nicht „erklären“. Demgegenüber scheint die Wirkung von Literatur auf die Wirklichkeit nahe-zu umstritten. Und dies trifft sogar in besonderem Maße auf die betrachtete Region in der Nachkriegszeit zu: die Literatur als Kraft, mit der allen Ernstes zu rechnen ist. Für das literari-sche Wort ist gelebt, gelitten, gestorben, vertrieben, emigriert und nicht zuletzt auch gezahlt worden. Literatur hat Mut und Angst gemacht, sie wurde veröffentlicht, verboten, geschmug-gelt, versteckt, verbrannt und gefunden. Bisweilen hieß es sogar, sie sei wirklicher als die un-faßbare, unmenschliche, destruktive „Realität“. Und wirklich: Während die Nachkriegswirk-lichkeit vor aller Augen schwindet, erweist sich ein nicht unwesentlicher Teil der Literatur dieser Epoche vorerst als weitaus beständiger.
Claudia Sinnig, Hans-Christian Trepte: Editorial
Abhandlungen
Cornelius Hasselblatt (Groningen): Kann Geschichte schön sein? Zur Konstruktion von Vergangenheit in zwei Romanen Viivi Luiks Beate Biehl (Leipzig): Auf der Suche nach einer grenzenlosen Welt – Emil Todes Roman „Im Grenzland“ Stephan Keßler (Greifswald): Der zweite Versuch, die lettische Lyrik zu folklorisieren: Jānis Medenis’ volkstümliche Strophen und die Erforschung der daina-Metrik in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts Leonore Martin (Berlin): Landschaft und Erinnerung – Der „sarmatische Kosmos“ Johannes Bobrowskis Claudia Sinnig (Berlin): In den Spalt zwischen Wort und Ding. Überlegungen zu einer Lokalisierung der Dichtung von Tomas Venclova Dieter Arendt (Marburg): Die Heimkehr nach „Kleckerburg“ oder: Danzig als „literarischer Fixpunkt des Weltgeschehens“. Ein Gedicht von Günter Grass Peter Oliver Loew (Leipzig): Danzig zwischen Fiktion und Geschichte. Zum Wechselspiel von Historiographie und historischer Belletristik Hans-Christian Trepte (Leipzig): Zum Begriff „Heimat“ im literarischen Werk von Czesław Miłosz Beate Biehl (Leipzig): Jann Kross: Pöördtoolitund – Die Drehstuhlstunde Jaan Kross: Die Drehstuhlstunde Grzegorz Musiał Wiesław Adam Berger Julian Kornhauser Henryk Grynberg Zofia Ilińska (1921-1995) Anna Frajlich Aleksandra Ziółkowska Boehm Literaturbericht Giedrius Viliūnas (Vilnius): Publikationen des ausgehenden Jahrzehnts zur litauischen Literatur – ein Überblick Mitteilungen „Die Erforschung der Geschichte der Deutschen in Polen: Stand und Zukunftsperspektiven.“ Tagung der Historischen Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen e.V. vom 29.-31. Oktober 1999 in Mainz (Markus Krzoska) „Über den ‚Königsberg-Text’ der russischen Literatur und die Königsberger Gedichte Josif Brodskis“. Vortrag von Tomas Venclova am 30. Mai 2000 im Sacharov-Haus, Moskau (Claudia Sinnig) Internationale Konferenz „Latvia in the World War II“. Riga, 14. und 15. Juni 1999 (Eva-Clarita Onken)
Rezensionen
Geschichtliche Mythen in den Literaturen und Kulturen Ostmittel- und Südosteuropas, hrsg. v. Eva Behring, Ludwig Richter u. Wolfgang F. Schwarz. (Andreas Lawaty) Die Rückkehr der Geschichte. Osteuropa auf der Suche nach Kontinuität, hrsg. v. Leonid Luks u. Donal O’Sullivan. (Karsten Brüggemann) Wolfgang Geier, Zeitbrüche im Osten. Ansätze vergleichender sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungen. (Ralph Tuchtenhagen) Leszek Belzyt, Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815-1914. Die preußische Sprachenstatistik in Bearbeitung und Kommentar. (Andreas Kossert) James Charles Roy, The Vanished Kingdom. Travels through the History of Prussia, Introduction by Amos Elon. (Joachim Tauber) Ulla Lachauer, Ostpreußische Lebensläufe. (Fritz Bartelt) Hermann Ernst Beyersdorf, Erinnerte Heimat. Ostpreußen im literarischen Werk von Arno Surminski. (Dietmar Albrecht) Louis Ferdinand Helbig, Der ungeheure Verlust. Flucht und Vertreibung in der deutschsprachigen Belletristik der Nachkriegszeit. (Axel E. Walter) Freya Klier, Verschleppt ans Ende der Welt. Schicksale deutscher Frauen in sowjetischen Arbeitslagern. (Anja Wilhelmi) Nationale Minderheiten und staatliche Minderheitenpolitik in Deutschland im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Hans-Henning Hahn u. Peter Kunze. (Georg Michels) Albert S. Kotowski, Polens Politik gegenüber seinen deutschen Minderheiten 1919-1939. (Sabine Bamberger-Stemmann) Robert Traba, Niemcy – Warmiacy – Polacy 1871-1914. Z dziejów niemieckiego ruchu katolickiego i stosunków polsko-niemieckich w Prusach (Deutsche – Ermländer – Polen 1871-1914. Zur Geschichte der katholischen Bewegung in Deutschland und der polnisch-deutschen Beziehungen in Preußen). (Rex Rexheuser) Studien zur Kulturgeschichte des deutschen Polenbildes 1848-1939, hrsg. v. Hendrik Feindt. (Dieter Arendt) Manfred Gebhardt, Joachim Küttner, Deutsche in Polen nach 1945. Gefangene und Fremde, bearb. v. Dieter Bingen. (Ute Caumanns) Deutsche Geschichte und Kultur im heutigen Polen. Fragen der Gegenstandsbestimmung und Methodologie, hrsg. v. Hans-Jürgen Karp. (Ute Caumanns) Erlebte Nachbarschaft. Aspekte der deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Jan-Peter Barian u. Marek Zybura. (Berit Pleitner) Jacek St. Buras, Bibliographie deutscher Literatur in polnischer Übersetzung. Vom 16. Jahrhundert bis 1994. (Hans-Jürgen Bömelburg) Tylusis modernizmas Lietuvoje = Quiet modernism in Lithuania (1962-1982), hrsg. v. Elona Lubytė. (Giedre Bartelt) Lietuva. Praeitis, kultūra, dabartis (Litauen. Vergangenheit, Kultur, Gegenwart), hrsg. v. Saulius Žukas. (Claudia Sinnig) Barbara Christophe, Staat versus Identität. Zur Konstruktion von „Nation“ und „nationalem Interesse“ in den litauischen Transformationsdiskursen von 1987 bis 1995. (Thomas Schmidt) Liūtas Mockūnas, Pavargęs herojus. Jonas Deksnys trijų žvalgybų tarnyboje (Der ermüdete Held. Jonas Deksnys im Dienst von drei Geheimdiensten). (Joachim Tauber) Volker Blomeier, Litauen in der Zwischenkriegszeit. Skizze eines Modernisierungskonflikts. (Uwe Neumärker) Eva-Clarita Onken, Revisionismus schon vor der Geschichte. Aktuelle Kontroverse in Lettland um die Judenvernichtung und die lettische Kollaboration während der nationalsozialistischen Besatzung. (Anja Wilhelmi) Heide W. Whelan, Adopting to Modernity. Family, Caste and Capitalism among the Baltic German Nobility. (Anja Wilhelmi) Thilo Stenzel, Das Rußlandbild des ‘kleinen Mannes’. Gesellschaftliche Prägung und Fremdwahrnehmung in Feldpostbriefen aus dem Ostfeldzug (1941-1944/45). (Karsten Brüggemann) Rußlanddeutsche Schriftsteller. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Biographien und Werkübersichten, hrsg. v. Herold Belger, ergänzt v. Erika Voigt. (Klaus Meyer) Der Finnische Meerbusen als Brennpunkt. Wandern und Wirken deutschsprachiger Menschen im europäischen Nordosten, hrsg. v. Robert Schweitzer u. Waltraud Bastman-Bühner. (Birgit Fernengel) Uwe Neumärker (u.a.), Wolfsschanze – Hitlers Machtzentrale im II. Weltkrieg. (Ernst Vogelsang) Jürgen Tietz, Das Tannenberg-Nationaldenkmal: Architektur, Geschichte, Kontext. (Ernst Vogelsang)