Die Geschichte sozialer Ungleichheit gehörte einmal zu den Antriebskräften einer „kritischen“ Sozialgeschichte mit umfassendem theoretischem Anspruch, geriet jedoch mit der Sinnkrise der Historischen Sozialwissenschaft aus dem Blick der Forschung. Während innerhalb der Soziologie weiterhin über „Klasse und Schicht“, über Lagen, Milieus und Lebensstile gestritten wurde, haben sich Historikerinnen und Historiker an diesen gegenwartsbezogenen Debatten immer seltener beteiligt.
Der neue Band des Archivs für Sozialgeschichte rückt die Praxis, Semantiken und Diskurse sozialer Ungleichheit wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Sozial- und kulturwissenschaftliche Zugänge werden dabei ebenso diskutiert wie alltags- und erfahrungsgeschichtliche Dimensionen des Themas – von der Industriellen Revolution bis in die 1980er Jahre. Spannend ist auch die Frage, ab wann sich nationale Kontexte für die Produktion von sozialer Ungleichheit auf die Ebene globaler Arbeitsteilung verlagert haben.
BEITRÄGE ZUM RAHMENTHEMA„Dimensionen sozialer Ungleichheit. Neue Perspektiven auf West- und Mitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert“
Friedrich Lenger/Dietmar Süß, Soziale Ungleichheit in der Geschichte moderner Industriegesellschaften 3–24
Christine Fertig, Soziale Netzwerke und Klassenbildung in der ländlichen Gesellschaft. Eine vergleichende Mikroanalyse (Westfalen, 1750–1874) 25–53
Chelion Begass/Johanna Singer, Arme Frauen im Adel. Neue Perspektiven sozialer Ungleichheit im Preußen des 19. Jahrhunderts 55–78
Eva Maria Gajek, Sichtbarmachung von Reichtum. Das Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Preußen 79–108
Sonja Matter, Armut und Migration – Klasse und Nation. Die Fürsorge für »bedürftige Fremde« an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in der Schweiz 109–123
Dietmar Süß, „Ein gerechter Lohn für ein gerechtes Tagewerk“? Überlegungen zu einer Geschichte des Mindestlohns 125–145
Mareike Witkowski, Ein Relikt des 19. Jahrhunderts? Hausgehilfinnen von 1918 bis in die 1960er Jahre 147–168
Jan Stoll, „Behinderung“ als Kategorie sozialer Ungleichheit. Entstehung und Entwicklung der „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“ in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren 169–191
Wilfried Rudloff, Ungleiche Bildungschancen, Begabung und Auslese. Die Entdeckung der sozialen Ungleichheit in der bundesdeutschen Bildungspolitik und die Konjunktur des „dynamischen Begabungsbegriffs“ (1950 bis 1980) 193–244
Jenny Pleinen, „Healthin equalities“ und Gesundheitspolitik im Großbritannien der „Ära Thatcher“ 245–265
Christiane Reinecke, Disziplinierte Wohnungsnot. Urbane Raumordnung und neue soziale Randständigkeit in Frankreich und Westdeutschland 267–286
Sarah Haßdenteufel, Prekarität neu entdeckt. Debatten um die „Neue Armut“ in Frankreich, 1981–1984 287–304
Christoph Weischer, Soziale Ungleichheiten 3.0. Soziale Differenzierungen in einer transformierten Industriegesellschaft 305–342
FORSCHUNGSBERICHTE UND SAMMELREZENSIONEN
Rainer Behring, Italien im Spiegel der deutschsprachigen Zeitgeschichtsforschung. Ein Literaturbericht (2006–2013) 345–394
Annemone Christians/Nicole Kramer, Who Cares? Eine Zwischenbilanz der Pflegegeschichte in zeithistorischer Perspektive 395–415
Torben Lütjen, Aufstieg und Anatomie des amerikanischen Konservativismus nach 1945. Ein Forschungsbericht 417–432
Peter Lösche, 150 Jahre SPD. Die Literatur zum Jubiläum 433–460
Summaries 461–465
Résumés 467–472
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bandes 473–477
Rahmenthema des nächsten Bandes des »Archivs für Sozialgeschichte« 477
Einzelrezensionen des „Archivs für Sozialgeschichte“ finden sich unter <http://www.fes.de/afs>