»Gestorben wird immer« heißt es in der vielfach ausgezeichneten Fernsehserie »Six Feet Under« über ein Bestattungsunternehmen in Los Angeles, deren Folgen nie allein vom Sterben, sondern immer auch über die Trauer, den Verlust und die Bewältigungsstrategien der Lebenden erzählen. Auch Historiker und Kulturwissenschaftler haben die umfassende Bedeutung des Themas entdeckt. So wird intensiv über die Frage diskutiert, ob moderne Gesellschaften den Tod verdrängen oder sich vielmehr eine Enttabuisierung des Sterbens feststellen lässt.
Der neue Band des »Archivs für Sozialgeschichte« beleuchtet diese Debatten in historischer Perspektive. Im Mittelpunkt des Interesses stehen der schicht- und klassenspezifische Umgang mit Tod und Trauer, die Orte des Todes (Krankenhäuser, private Wohnungen, Schlachtfelder, Friedhöfe) sowie gesellschaftlich relevante Bewegungen und Verbände wie die Kriegsgräberfürsorge oder die Hospizbewegung. Zudem erhalten der Massentod und die Versuche seiner Bewältigung als Kennzeichen der Geschichte des 20. Jahrhunderts besondere Aufmerksamkeit. Der Tod wurde in seinen verschiedenen Ausprägungen zum Gegenstand medizinischer und juristischer Expertise und verband sich mit widerstreitenden Prozessen der Ökonomisierung, Politisierung und Sakralisierung. Nicht zuletzt führen seine unterschiedlichen Formen der Repräsentation vor Augen, dass selbst in Sterben und Tod soziale Ungleichheit zum Ausdruck kommt.
BEITRÄGE ZUM RAHMENTHEMA »SOZIALGESCHICHTE DES TODES«
Ute Planert/Dietmar SüßNichts ist umsonst. Anmerkungen zu einer Sozialgeschichte des Todes S. 3–18 <http://library.fes.de/afs-online/55/04-AfS-55-Einleitung.pdf>
Anna-Maria GötzZwischen Status, Prestige und Distinktion. Das bürgerliche Familiengrab und der Wandel des Bestattungswesens im 19. Jahrhundert S. 19–37
Henning TürkBürgerliche Stiftungen als Memoria und soziale Harmonisierung ›von oben‹ nach der Revolution 1848 / 49. Die Schenkungen und Stiftungen der Familie Jordan in Deidesheim S. 39–53
Moritz BuchnerZivilisierte Trauer? Emotionen als Differenzkriterium im bürgerlichen Italien (1870–1910) S. 54–76
Norman AselmeyerCholera und Tod. Epidemieerfahrungen und Todesanschauungen in autobiografischen Texten von Arbeiterinnen und Arbeitern S. 77–106
Sebastian WeinertDer »Tod« als Argument. Strategien der hygienischen Volksbelehrung vom späten Kaiserreich bis zum Anfang der 1960er-Jahre S. 107–131
Michael Becker/Dennis Bock»Muselmänner« und Häftlingsgesellschaften. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager S. 133–175
Nina JanzVon Toten und Helden. Die gefallenen Soldaten der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs S. 177–203
Lu SeegersDer tote Vater im Familiengedächtnis. Deutschland und Polen nach 1945 S. 205–233
Ann Katrin Düben»So daß dann diese gesamte Grabstätte in Bockhorst verschwindet«. Die Friedhöfe für die Toten der Emslandlager im Spiegel der bundesrepublikanischen Erinnerungspolitik (1945 bis 1970) S. 235–250
René SchlottDie Todesopfer an der Berliner Mauer. Ereignis und Erinnerung S. 251–273
Florian Greiner»Richtig sterben«. Populäres Wissen zum Thema »Tod« seit den 1970er-Jahren S. 275–296
DOKUMENTATION – ANALYSE – KRITIK
Rainer BehringHermann Müller und Polen. Zum Problem des außenpolitischen Revisionismus der deutschen Sozialdemokratie in der Weimarer Republik S. 299–320
Alexander WierzockNähe und Distanz eines Intellektuellen zur Sozialdemokratie. Ein vergessenes Gutachten des Soziologen Ferdinand Tönnies zur Revision des Erfurter Programms S. 321–342
Dieter K. GessnerAvantgarde und Kunstmarkt. Der Zeichner George Grosz in der Weimarer Republik S. 343–372
Veit DammZusammenarbeit der Gewerkschaften und Internationalisierung der Wirtschaft in Westeuropa in den 1970er-Jahren. Das Beispiel grenzübergreifender Gewerkschaftsräte S. 373–392
FORSCHUNGSBERICHTE UND SAMMELREZENSIONEN
Roger ChickeringDeutschland im Ersten Weltkrieg. Betrachtungen zur Historiografie des Gedenkjahres S. 395–444
Knud AndresenWest- und ostdeutsche Jugendszenen in den 1980er-Jahren – ein Individualisierungsschub? S. 445–475
Daniel GersterBildung, soziale Ungleichheit – und Pierre Bourdieu. Ein Literaturbericht S. 477–494