Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ richtet den Blick auf das facettenreiche Epochenjahr 1968. Nicht nur weltweite Jugendproteste fordern die etablierten Gesellschaften (in Ost und West) heraus, mehrere Schlüsselmomente verdichten sich vor fünfzig Jahren: erstmals treten zwei deutsche Mannschaften bei Olympia an, politische Attentate in den USA und der sich radikalisierende Vietnam-Krieg erschüttern die Öffentlichkeit, die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig versinnbildlicht die kirchenfeindliche Politik der SED, eine neue DDR-Verfassung wird im April per Schein-Entscheid mit 94,5 % Ja-Stimmen angenommen und im Juli tritt ein reformiertes Strafgesetzbuch in Kraft, dass „staatsfeindliche Hetze“ und „Republikflucht“ als Delikte nennt sowie die Verfolgung politisch Andersdenkender verschärft. Im Mittelpunkt stand für viele Zeitzeugen der „Prager Frühling“ in der Tschechoslowakei. Doch der gesellschaftliche Aufbruch ohne Zensur und Repression dauerte nur wenige Monate, bevor am 21. August sowjetische Panzer alle Hoffnungen blutig niederschlugen. Mit Interviews, Zeitzeugenberichten und Analysen erinnert der Themenschwerpunkt 1968 an diese Ereignisse. Beispielsweise durch seltene Farbaufnahmen des damaligen Theologiestudenten Manfred Hermann, der die Invasion in Prag fotografierte. Ein anderer Jahrestag ist 30 Jahre her: Eine unabhängige Demonstration für Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Naumburg, die am 2. Februar 1988 nur wenige Minuten andauerte, bevor sie von „Sicherheitskräften“ aufgelöst wurde. Was die 18 mutigen Demonstranten vorwegnehmen, wurde als Friedliche Revolution im Herbst 1989 zur Massenbewegung. Einer der damaligen Akteure, der heutige Geraer Pfarrer Michael Kleim, rekonstruiert die Geschehnisse. Weitere Heftbeiträge behandeln den geheimen Handel mit Kunst und Antiquitäten aus der DDR in den Westen, die Fahrten der Westalliierten durch DDR-Gebiet unter der Chiffre Militärverbindungsmissionen, Chancen und Grenzen der Einbindung von DDR-Zeitzeugen in den Unterricht sowie die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Albanien.
TITELTHEMA 1968
Jürgen Fuchs – Einer aus meinem Haus wurde verhaftet, achtundsechzig. – S. 3 1968 – Chronik eines Epochenjahres – S. 4 „Das magische Jahr 1968“ – S. 6 Ein Gespräch mit dem Journalisten und ehemaligen Botschafter František Černý Hartmut Carlsohn – Junge Leute zog es im Sommer 1968 nach Prag Reiseprotokoll – S. 10 Utz Rachowski – Wir wollten Pilze suchen und fanden Panzer 1968 und meine wunderbaren Jahre mit Reiner Kunze – S. 13 Konstantin Hermann – Die Invasion in Farbe Der Theologiestudent Manfred Hermann fotografierte am 21. August 1968 in Prag – S. 16 „Mittlerweile flachen die Emotionen ab“ Ein Gespräch über Geschichte und Gegenwart des „Prager Frühlings“ mit dem Historiker und Zeitzeugen Jan Pauer – S. 18
ZEITGESCHICHTE
Michael Kleim – „Es war Dienstag, der zweite Februar 1988 …“ Eine fast vergessene Demonstration für Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Naumburg – S. 22 Sascha Münzel – beobachten – berichten – blockieren Die westalliierten Militärverbindungsmissionen im Visier der DDR-Staatssicherheit – S. 28 Christopher Nehring – Von DDR-Millionären, Schmugglern und Raubkunst Der Kunst- und Antiquitätenhandel im Schattenreich von KoKo und MfS – S. 34
ZEITGESCHEHEN/DISKUSSION
Anna von Arnim-Rosenthal – Lebensgeschichten im Klassenzimmer Die DDR-Zeitzeugenarbeit im Spannungsfeld zwischen Überwältigung, Kontroverse und Schülerinteressen – S. 40 Arian Leka – Kupfer aus Spaç für Antennen und erotische Waffen Schizophrenes aus einem untergehenden Staat – S. 46
REZENSIONEN
Ronny Noak – Vom „Kampf der Worte“ zum „Kampf der Taten“ Eine Untersuchung über die SED-Parteischulen in Thüringen – S. 50 Daniel Börner – Feldforschung in Thüringen Wie ein amerikanischer Anthropologe eine deutsche Familienchronik aufblättert – S. 53