Kaum ein Begriff ist nach wie vor emotional derart aufgeladen, mit scharfen Vorwürfen belegt und unumstößlichen Bewertungen überzogen wie die gerade einmal viereinhalb Jahre aktive Treuhand. Die „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ entstand ursprünglich im März 1990 auf Anregung des Runden Tisches, um die implodierende DDR-Wirtschaft neu zu ordnen und auf die künftigen Herausforderungen zu orientieren. Doch allein die Losungen der damaligen Protestwelle offenbaren das verheerende Urteil: Treuhändler. Treuhenker. Kohls Mafia in Ostdeutschland. Treuhand in die Produktion. Treuhand in Volkshand. Haut der Treuhand auf die langen Finger. Verraten und verkauft. Vielen Dank für die aktive Sterbehilfe. Stets belogen und beschissen, von der Treuhand rausgeschmissen.
Als Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel Ende 1994 am Detlev-Rohwedder-Haus in Berlin, benannt nach ihrem am 1. April 1991 ermordeten Vorgänger, symbolisch das Filialschild abschraubte, war das öffentliche Bild der Treuhandanstalt bereits festgelegt: Parallel zur radikalen Umbildung der ostdeutschen Ökonomie haben sich Westfirmen die Filetstücke geschnappt, ansonsten sei lästige Konkurrenz beseitigt worden, die „neuen Länder“ lediglich als neuer Markt und durch billige Arbeitsplätze als verlängerte Werkbank des Westens nützlich gewesen. Doch berücksichtigen diese Deutungen den Stand der aktuellen historischen Forschung? Und was wissen wir, 30 Jahre später, über das Wirken der so umstrittenen wie verhassten Organisation? Die Beiträge der aktuellen „Gerbergasse 18“ hinterfragen das Negativimage der Treuhand mithilfe neuer Quellen und Forschungsbefunde.
Auch die Rubriken Zeitgeschichte und Zeitgeschehen enthalten wieder eine vielfältige Mischung. Darunter ein Werkstattbericht über die biografische Spurensuche zu Hermann Flade, der als Oberschüler gegen die Scheinwahlen in der DDR protestierte und vor 70 Jahren für kurze Zeit in das Zentrum der Weltöffentlichkeit geriet. Ein anderer Artikel im Heft zeigt, wie die SED versuchte, den Glauben im katholischen Eichsfeld zurückzudrängen und daran scheiterte. Ein weiterer Beitrag beleuchtet das sogenannte Neuererwesen innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit, womit die Arbeit der Geheimpolizei noch „erfolgreicher“ gestaltet werden sollte. Einem neuen Standardwerk zur deutsch-deutschen Geschichte, dem Buch „Getrennt und doch vereint“ der Historikerin Petra Weber, ist eine ausführliche Rezension gewidmet.
Titelthema: Treuhand
S. 03 Marcus Böick – Treuhand – Next Generation? Zur unverhofften Zukunft einer hochumstrittenen Organisation
S. 08 Andreas Malycha – Im Spannungsfeld zwischen Bonn und Berlin Die Treuhandanstalt und die Bundesregierung
S. 14 Gabriele Knetsch – 30 Jahre Treuhandanstalt Zwischen Legendenbildung und Realität
S. 20 Mandy Tröger – Das letzte Wort hatte die Treuhand? Zur Privatisierung der SED-Presse
S. 26 André Steiner – Die Vereinigung von Carl Zeiss Ost und West Zwei Unternehmen im Umbruch
S. 32 Eva Schäffler – Bundesrepublik goes East Beratungsaktivitäten der Treuhandanstalt und anderer Behörden in Osteuropa
S. 36 Daniel Börner – Zwischen Tatort und Trauma Die Treuhand spaltet bis heute
ZEITGESCHICHTE
S. 40 Karin König – Hermann Flade und die Freiheit Ein Werkstattbericht
S. 48 Christian Stöber – Vom katholischen Milieu zur sozialistischen Vorzeigeregion? Wie die SED versuchte, den Glauben im Eichsfeld zurückzudrängen und daran scheiterte
S. 54 Sascha Münzel – Kreative Tschekisten Ideenmanagement im Ministerium für Staatssicherheit
ZEITGESCHEHEN / DISKUSSION
S. 59 Klaus-Jürgen Neumärker – Zwischen Irrsinn und Ruhm Zur Psychopathologie der Macht
S. 66 Ingo Nathusius – Die Sorgen alter Herren Ein Hausbesuch in Bonn
REZENSIONEN
S. 68 Henning Pietzsch – Die DDR „nur“ eine Fußnote der Geschichte bezogen auf die Bundesrepublik!? Eine neue Gesamtdarstellung setzt Maßstäbe
S. 71 Daniel Börner – Geschichtswissen um jeden Preis? Die komplexen „DDR-Bilder“ von Jugendlichen