Politische Haft ist kein historisches Phänomen. Das zeigt schon der Blick auf die wachsende Zahl an Haftliteratur, die weltweit entsteht, vor allem in autoritären Staaten. Waren im 20. Jahrhundert vor allem „staatsgefährdende“ Schriftsteller und Publizisten betroffen, werden im 21. Jahrhundert zunehmend Autoren, Aktivisten und Künstler angegriffen, die online aktiv sind. So wie der saudische Blogger Raif Badawi, der seit über acht Jahren in Haft ist und vom dem es seit Januar kein Lebenszeichen mehr gibt. Badawi hatte sein Heimatland für mangelnde Religions- und Meinungsfreiheit kritisiert, das Urteil gegen ihn gab seinem Buch den Titel: 10 Jahre und 1000 Peitschenhiebe. Sein Fall und der Protest von Menschenrechtsgruppen gegen seine fortgesetzte Inhaftierung wird im neuen Heft vorgestellt.
Auch in der DDR gab es sie offiziell nicht, die „Politischen“. Sie galten als kriminell, teilten mit allen anderen Häftlingen Zellen und Gefängnisse. Angeklagt und verurteilt wurden sie aber mit politischen Paragrafen, ausgelegt und zurechtgebogen als „Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik“. Darunter zählten etwa „Ungesetzliche Sammlung von Nachrichten“, „Staatsfeindliche Verbindungen“ oder „Ungesetzlicher Grenzübertritt“. Wie viele Opfer die politische Justiz in der SBZ und der DDR fabriziert hat, ist bis heute nicht bekannt. Schätzungen reichen bis zu 250000 Personen im Zeitraum zwischen 1949 und 1989. Momentan recherchiert ein Teilprojekt des Forschungsverbundes „Landschaften der Verfolgung“, um die konkrete Zahl in einer Datenbank zu erfassen.
Weitere Beiträgen im Heft beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen und Fragestellungen, so der Geschichte des Jugendwerkhofs Königstein nahe Dresden, dem Ende der Stasi-Kreisdienststelle in Jena im Dezember 1989 oder einem Rückblick des ehemaligen Erlanger Oberbürgermeisterd Dietmar Hahlweg auf die Ereignisse 1989/90 und die Bedeutung der Städtepartnerschaft. Ein persönlicher Bericht des Fotografen Michael Kerstgens über seine Bildreportage in Mühlhausen 1990 diskutiert die spannende Frage, wie wir uns anhand von Fotografien erinnern können und wollen.
Titelthema: Politische Haft
S. 03 Peter Joachim Lapp – Politische Haft in der DDR
Ein persönlicher Bericht
S. 08 Gerd Laudert – Der rote Doktor
Ein Werkstattbericht
S. 13 Anke Geier – Vom Speziallager in den Knast
SMT-Verurteilte aus Sachsenhausen in der Strafvollzugsanstalt Untermaßfeld
S. 19 Baldur Haase – „Unser Strafrecht entspricht dem humanistischen Charakter unseres Arbeiter- und Bauernstaates“
Anmerkungen zum Menschenbild der DDR-Justiz
S. 23 „Ich bin einfach mit dem Fotoapparat los und habe mir die Haftanstalten angesehen.“
Ein Gespräch mit Günther „Aljoscha“ Schau über sein Engagement für politische Gefangene und deren Angehörige in der DDR
S. 27 Konstanze Helber / Carla Ottmann – Das Schweigen brechen
Hafterfahrungen politisch verfolgter Frauen
S. 31 Steffi Lehmann / Peter Wellach / Birte Schramm – Die Gedenkstätte Kaßberg-Gefängnis
Ein Lernort für Demokratie in Chemnitz
S. 35 „Ich fände es schön, wenn man ins Gespräch kommt und nicht gleich nach dem Kino nach Hause geht.“
Ein Gespräch mit der Regisseurin Luisa Bäde über den Dokumentarfilm „Solange Sie noch Arme haben“
S. 38 Nina Heike Scholz – Zehn Jahre Gefängnis und 1000 Peitschenhiebe
Der friedliche Protest des Bloggers Raif Badawi gegen das saudische Regime
ZEITGESCHICHTE
S. 40 Maria Pretzschner – Der Jugendwerkhof Königstein 1949–1955
Eine Sonderausstellung auf der Festung Königstein
S. 46 Daniel Börner – „Es gab keine Bedienungsanleitung“
Das Ende der Geheimpolizei in Jena im Dezember 1989
S. 49 Dietmar Hahlweg – Als die Trabis zu Tausenden kamen
Erinnerungen an das Jahr 1989 und Gedanken zur Einheit heute
ZEITGESCHEHEN / DISKUSSION
S. 54 Michael Kerstgens – ZwischenZeiten – Mühlhausen 1990
Ein Fotobuch und seine Folgen
REZENSIONEN
S. 59 Wolfgang Schuller – Den Osten verstehen wollen
Drei persönliche Bücher über Folgen und Fragen von 1989
S. 63 Sebastian Hollstein – Mehr fragen, sprechen, zuhören
Wie „Nachwendekinder“ das Schweigen ihrer Eltern brechen
S. 64 Doris Liebermann – Plädoyers gegen das Vergessen
Marko Martin porträtiert Jahrhundertzeugen
S. 66 Gerold Hildebrand – Keine Kriegsspiele
Die „Frauen für den Frieden“ in Ost-Berlin