Mauern und Grenzzäune erleben derzeit eine Wiederkehr, Abschottung hat Konjunktur. Selbst in Europa sind Grenzanlagen – gut 30 Jahre nach Ende des Eisernen Vorhangs – häufig die erste Wahl der Mittel. Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ widmet sich dem Themenfeld Grenzen und Gewalt in der Geschichte und spannt dabei den Bogen in die Gegenwart. Wo sich entlang des früheren Todesstreifens mittlerweile ein „Grünes Band“ bildet, zielt der Rückblick auf die sichtbaren und auch unsichtbaren Narben des DDR-Grenzregimes bis heute. Dass wir die Grenzopfer namentlich kennen und um ihre Biografien wissen, ist Ergebnis intensiver und jahrelanger Recherchen, etwa in Form eines biografischen Handbuchs des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin, das kürzlich erschien. Andere Beiträge des Titelthemas fragen nach den Folgen der Zwangsaussiedlungen 1952 in Thüringen, spektakulären Fluchtwegen von DDR-Bürgern, der Zwangsmigration in der Tschechoslowakei ab 1948 oder dem dichten Netz an Agentenschleusen der Stasi in Richtung Oberfranken. In einem Interview berichtet die amerikanische Autorin Isabel Fargo Cole über die Entstehung ihres Romans „Die grüne Grenze“. Daneben bietet die neue „Gerbergasse 18“ wieder eine Fülle an weiteren Beiträgen zur Zeitgeschichte, darunter ein biografischer Rückblick auf die Verfolgung der kirchlichen Jugendarbeit in der DDR, die Ausbürgerung des russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn im Jahr 1974 und neue Forschungen zum berüchtigten Militärgefängnis Schwedt. In der Rubrik Diskussion plädiert der 1953 in Jena geborene Roland Jahn, seit 2011 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, für einen veränderten Umgang mit den Lebenserfahrungen in der Diktatur. Jahn argumentiert, dass das Aufklären, das Erzählen und das Reflektieren des eigenen Verhaltens in der DDR eine Chance für gegenseitigen Respekt vor der Biografie ist, denn Schweigen und Wegsehen lässt das Geschehen nicht verschwinden.
TITELTHEMA: Grenzen und Gewalt
Jochen Staadt – Todesursache „Brustdurchschuß links“ Das DDR-Grenzregime und seine Opfer in Thüringen – S. 3
„Geschichte als lückenhaftes Geflecht aus widersprüchlichen Perspektiven inszenieren“ Ein Gespräch mit der Schriftstellerin und Übersetzerin Isabel Fargo Cole über ihren Roman „Die grüne Grenze“ – S. 8
Anke Geier – Pottiga – ein Dorf an der Grenze Von der Grenzsicherung zur Zwangsumsiedlung im Jahr 1952 – S. 10
Siegfried Wittenburg – „Es fehlt Wasser an Bord“ Eine glimpflich gescheiterte Flucht über die Ostsee – S. 15
David Kovarik – „staatlich unzuverlässig“ Zwangsmigrationen im tschechischen Grenzgebiet zwischen 1948 und 1955 – S. 18
Peter Engelbrecht – Grenz-Geheimnisse Neue Erkenntnisse über Spionage und Agententätigkeit des MfS in Oberfranken – S. 23
ZEITGESCHICHTE
Eckardt Hoffmann – Die Verfolgung der kirchlichen Jugend in der SBZ und der DDR Erfahrungen und Erlebnisse – S. 26
Lenore Lobeck – Die Schwarzenberg-Legende Geschichte und Mythos im Niemandsland – S. 33
Manfred Wilke – Ausbürgerung als Methode Alexander Solschenizyns Ankunft in der Bundesrepublik 1974 – S. 38
ZEITGESCHEHEN / DISKUSSION
Matias Mieth/Rüdiger Stutz – Jena auf 888 Seiten Das „Lexikon zur Stadtgeschichte“ ist erschienen – S. 42
Doris Liebermann – „Das Entscheidende war, dass wir malen konnten und dadurch eine größere Sicht auf die Welt bekamen.“ Ein Atelierbesuch bei dem Maler Peter Herrmann – S. 47
Roland Jahn – Respekt vor der Biografie Dankesrede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde am 8. Juni 2018 – S. 52
REZENSIONEN
Thomas Purschke – Mythos Schwedt Ein Gespräch mit Arno Polzin über seine Forschungen zum DDR-Militärknast – S. 56
Wolfgang Schuller – Marxistische Schöpfungsgeschichte als Gruppenporträt Christina Morina rekonstruiert den Marxismus als Generationserlebnis – S. 59