»Lokomotiven der Geschichte« hat sie Karl Marx genannt: Revolutionen beflügeln Phantasien, den Traum von einer »besseren Welt«, die Hoffnung auf ein anderes Morgen. Was aber sind Revolutionen aus sozialgeschichtlicher Perspektive? Sind sie immer gewaltsam und ungeplant? Können sie trotzdem ein »Mehr« an Freiheit oder »Emanzipation« bewirken? Gibt es revolutionäre Verlaufsmuster, prägende Akteure, dominante Erzählungen, Mythen und Inszenierungen? Hat der Begriff angesichts einer inflationären Verwendung in der Populärkultur überhaupt analytische Qualität? Diese und weitere Fragen rückt das Archiv für Sozialgeschichte in Band 59 (2019) ins Zentrum.
In 13 Beiträgen werden zeitliche, räumliche und disziplinäre Grenzen der Revolutionsgeschichte hinterfragt. Gab es revolutionäre Bewegungen schon im Mittelalter? Inwiefern wurde die Französische Revolution von 1789 zum Exempel? Wie veränderten sich revolutionäre Dynamiken und Strategien im 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund von totalitären Diktaturen und einer globalisierten öffentlichen Wahrnehmung? Welche Schlussfolgerungen zogen Akteure aus dem Scheitern ihrer revolutionären Hoffnungen? Forschungsberichte zu den Revolutionsjubiläen 1917 und 1918/19 sowie zur Arbeitsmigration in Europa nach 1945, zur Sozial- und Kultgeschichte des Heimcomputers, zur Sprach- und Kommunikationsgeschichte des Nationalsozialismus und zur Geschichte Italiens runden den Band ab.
Beiträge zum Rahmenthema: »Die Welt verändern. Revolutionen in der Geschichte«
Kirsten Heinsohn / Dietmar SüßEinleitung: Probleme und Perspektiven der Revolutionsforschung [S. 3-18] <https://www.fes.de/lnk/revolutionen>
Thomas MergelLokomotiven im Nachbau. Moderne Revolutionsgeschichte als Mimesisgeschichte [S. 19–48]
Andreas FahrmeirRevolutionäre Verlaufsmuster? [S. 49–60]
Veit Groß / Julian ZimmermannEine »revolutionäre Bewegung« im Trecento? Die Tragweite zweier Anachronismen für die Interpretation des Römischen Tribuns Cola di Rienzo (1313–1354) [S. 61–98]
Theo JungDie Stimme des Volkes und sein Schweigen. 1848/49 als Kommunikationsrevolution zwischen Erwartung und Erfahrung [S. 99–130]
Kerstin WolffEine Revolution der Frauen? Die Frauenbewegungspresse und ihre Berichterstattung zur Novemberrevolution [S. 131–146]
Christina EwaldKampf um die Schule. Handlungsdynamiken und Handlungsspielräume in der Revolution 1918/19 am Beispiel der Bildungspolitik in Hamburg [S. 147–170]
Mike SchmeitznerDer Kanzler als Historiker. Hermann Müller und die Geschichte der Novemberrevolution [S. 171–196]
Willy Buschak»Sozialismus und Freiheit«. Wie eine kleine Gruppe im mexikanischen Exil der 1940er-Jahre zu einem neuen Verständnis von Revolution kam und welche Folgen das für Europa hatte [S. 197–228]
Jan De GraafStrikes as Revolutionary History? Probing the Potential for a Revolution in Post-1945 Europe through Wildcat Strikes [S. 229–252]
Andrea Heidy MüllerKirche, Ethnizität und Mythos. Die »Revolution des Poncho« in Ecuador (1960–1990) [S. 253–270]
Frank BöschTransnationale Revolutionen. Die Bundesrepublik und die Systemwechsel im Iran und in Nicaragua [S. 271–286]
Etienne DubslaffDie ostdeutsche Sozialdemokratie und die »friedliche Revolution« [S. 287–306]
Forschungsberichte und Sammelrezensionen
Lutz HäfnerMehr als nur »zehn Tage, die die Welt erschütterten«. Literaturbericht anlässlich des Zentenariums der Russländischen Revolution von 1917 [S. 309–346]
Nadine RossolHistorisierung oder Popularisierung? Die Revolution 1918 / 19 zwischen öffentlichem Jubiläum und geschichtswissenschaftlichen Impulsen [S. 347–368]
Rainer BehringItalien im Spiegel der deutschsprachigen Zeitgeschichtsforschung. Ein Literaturbericht (2013–2018). Erster Teil: Erster Weltkrieg, Kontroversen um den italienischen Faschismus und um Benito Mussolini [S. 369–408]
Stefan SchollFür eine Sprach- und Kommunikationsgeschichte des Nationalsozialismus. Ein programmatischer Forschungsüberblick [S. 409–444]
Maren MöhringJenseits des Integrationsparadigmas? Teil II: Forschungen zur transnationalen Arbeitsmigration in Europa nach 1945 [S. 445–494]
Gleb J. AlbertDer vergessene »Brotkasten«. Neue Forschungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Heimcomputers [S. 495–530]