In Millionen Wohn- und Jugendzimmern, in Kasernen, Klassenzimmern und Kneipen spielten Menschen während des Staatssozialismus: Gelände-, Karten-, Brett- und ab den 1980er-Jahren auch Computerspiele. Doch aus Sicht der Staatsmacht sollte das Spielen nicht zweckfrei sein, sondern im Dienst des utopischen Großprojektes stehen: Es galt, »neue Menschen« zu erziehen und die Überlegenheit des Kommunismus im Wettstreit der Systeme zu demonstrieren. Angesiedelt zwischen Unterhaltung und sozialer Disziplinierung, werden Spiele und das Spielen selbst im Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2021 als Sonden zur Untersuchung der staatssozialistischen Gesellschaften herangezogen. Im Spannungsfeld von politischer Steuerung, Mangelwirtschaft und vergnüglichem Kräftemessen erweist sich das Spielen als Instrument der »Erziehungsdiktatur« ebenso wie als Möglichkeit, im kreativen »Probehandeln« Grenzen auszuhandeln und zu überschreiten.
INHALT
Spielen im Staatssozialismus. Zwischen Sozialdisziplinierung und Vergnügen
Spiel, Spielen und Spieltheorie. Neue Perspektiven auf den Staatssozialismus
Juliane Brauer / Maren Röger / Sabine Stach: Spielen im Staatssozialismus. Zwischen Sozialdisziplinierung und Vergnügen – Einführung, S. 1
Thomas Lindenberger: Gesellschaft spielen? Überlegungen zu Kontingenz und Herrschaftspraxis im real existierenden Sozialismus der DDR, S. 19
Neue Spiele, neue Menschen? Konzeptionen, Mechaniken und Praktiken
JULIANE BRAUER: Spielend erziehen. Das sozialistische Spiel in der Pionierorganisation der DDR zwischen Erziehung und Vergnügen, S. 37
Alexandra Evdokimova: Das sowjetische Militärsportspiel »Zarnitsa« zwischen staatlichem und kindlichem Interesse, S. 53
Cathleen M. Giustino: Kindergartenlektionen aus Osteuropa. Spiel und Nachahmung in der sozialistischen Tschechoslowakei und der Sowjetunion, S. 69
Mario Bianchini: »Durch das Spiel zum Wissen«. Computerspielzeug als »real existierende Utopie« in der Deutschen Demokratischen Republik, S. 87
Maren Röger: Kartonierte Möglichkeitsräume. Welten und Grenzen sozialistischer Brettspiele, S. 103
Spielplätze und Spielzeuge. Infrastrukturen, Verfügbarkeit, Spielgemeinschaften
Daniel Böhme: Die Spielzeugproduktion in den Kalischer Kunststoffbetrieben im Polen der Nachkriegszeit zwischen Plan- und Marktwirtschaft, S. 123
Sabine Stach: Skat in der DDR. Zwischen Glücksspiel, Sport und deutscher Einheit, S. 135
Kai Reinhart: Spiel und Sport. Skateboarden im sozialistischen Dresden, S. 157
Nikita Lomakin: Spielen im Untergrund. Handgefertigte Brettspiele in der späten Sowjetunion, S. 177
Martin Thiele-Schwez: Handgefertigte Gesellschaftsspiele in der DDR. Zwischen Bastlerkultur und politischer Subversion, S. 195
hristin Lumme: Deutsch-deutsche Spieleproduktion und -archivierung, S. 215
Next Level. Computerspielen und technischer Fortschritt in den 1980er-Jahren
Angela Schwarz: »Tor in eine komplett neue Welt«? Computerspiele(n) in der DDR – eine Annäherung, S. 227
Gleb J. Albert: Antikommunismus als Bindeglied. Computerspiel-Piraten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs am Ende des Kalten Krieges, S. 245
Jaroslav Švelch: Subversion hinter dem Schutzschild des Fortschritts. Spielen und Schreiben von Computerspielen in den Computerclubs der kommunistischen Tschechoslowakei, S. 267
Patryk Wasiak: Die Debatte über den erzieherischen Wert von Computerspielen und die Ideologie des technologischen Fortschritts im sozialistischen Polen, S. 283
Sebastian Möring: Die paradoxen Spiele der Computerspielkulturen in Ost und West, S. 297
Nachruf In memoriam Gerda Weber (1923–2021), S. 305