Mit dem Aufkommen konservativer, autoritärer und populistischer Bewegungen haben sich nicht zuletzt in Ländern des ehemaligen Ostblocks neue, illiberale Regime etabliert. Inwieweit die Ursprünge dieser Entwicklung in die Zeit des Staatssozialismus zurückreichen, wird zunehmend auch von den Geschichtswissenschaften diskutiert. Diese Perspektive stellt die lange vorherrschende Interpretation infrage, der Zusammenbruch des Kommunismus sei ein säkularer Triumph des „Westens“ und seiner Werte von Demokratie, Pluralität und Liberalität gewesen. Die Beiträge des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung 2022 fragen nach der Bedeutung konservativer Denkfiguren in den staatssozialistischen Gesellschaften, nach Heimat, autoritären Mentalitäten, patriarchalen Familienbildern und ethnischer Homogenität. Sie ermöglichen einen Blick zurück auf die Ursprünge des postkommunistischen Antiliberalismus der Gegenwart. Geografische Schwerpunkte bilden die SBZ/ DDR, Rumänien und die Sowjetunion sowie ihre Nachfolgestaaten.
Konservatismus und Autoritarismus im StaatssozialismusJens Gieseke: Konservatismus und Autoritarismus im Staatssozialismus. Zur Einführung, S. 1
Peter N. Gengler: Deutsche Opferrolle und sozialistische Staatsbildung. Neue Perspektiven auf »Flucht und Vertreibung« und die Deutsche Demokratische Republik, 1945–1950, S. 25
David G. Tompkins: Israelbild und Antisemitismus im spätsozialistischen Polen und der DDR, S. 49
Daniel Logemann: Polenfeindlichkeit in der DDR. Leipzig in den 1970er- und 1980er-Jahren, S. 69
Ann-Judith Rabenschlag: Völkerfreundschaft, Vertragsarbeiter und völkische Identität – Alltagsrassismus in staatlichen und gesellschaftlichen Diskursen der DDR, S. 85
Adela HÎncu: Ambivalentes Empowerment. Sozialwissenschaftliche Forschung über die Ungleichstellung von Frauen im spätsozialistischen Rumänien, S. 105
Mioara Anton: Rückkehr zum Autochthonismus. Die junge sozialistische Generation in Rumänien zwischen Alternativkultur und ideologischer Indoktrination, S. 127
Jan Claas Behrends: Die dunkle Seite der Perestroika. Autoritäre Strukturen, russischer Nationalismus und imperiales Denken unter Gorbačëv und El’cin, S. 149
Karsten Brüggemann: Sowjetestland zwischen »bürgerlichem« und »internationalistischem« Nationalismus. Versuch einer Neubewertung, S. 165
Anton Liavitski: Perestroika und die Ursprünge von Lukašėnkas Konservatismus, S. 189
MiszelleRainer Huhle: »Transitional Justice« – Wege und Sonderwege, S. 205