Diese Ausgabe von Tierstudien widmet sich der Denkfigur des Wilden. Wildheit gehört zu den grundlegenden kulturellen Zuweisungen von Animalität, wobei nicht nur Raubtiere, sondern auch Barbaren, Kinder und Naturausschnitte als wild gelten können. Dabei wird das Wilde meist assoziiert mit dem Ungezügelten, mit Fremdheit und Sprachlosigkeit. Die Zuschreibung von Wildheit kann genauso der Aus- und Abgrenzung des Anderen und des Unzivilisierten dienen wie als positive, vitale Qualität mit subversiver Kraft gemeint sein. Für die einen ist der Teil der Natur wild, der nicht von Menschen kontrolliert werden kann, für die anderen der, der unterworfen und gezähmt werden muss. Als unkorrumpierte Natur kann Wildnis mit den dort heimischen Tieren Erholung bieten – oder aber Gefahren bergen.
Es existieren Skalen, um die spezifische Wildheit von Labormäusen zu testen, und es gibt eine eigene Kategorie von Tieren, die landläufig einfach als „Wild“ bezeichnet und damit als jagdbar markiert wird. Dennoch bleiben alle Definitionen von ‚wild‘ und ‚Wildheit‘ stets vorläufig. Dieser wandelbare Topos wird in Tierstudien nun aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven verhandelt und neu gedacht.
Inhalt
Editorial
Poetologische Konzepte von Wildheit
Sebastian Schönbeck: Auf, auf, auf. Die wilden Hunde Penthesileas
Belinda Kleinhans: Poetik der Wildheit. Das wilde Tier im kanadischen Gegenwartsgedicht
Mediale und praxeologische Herstellung von Wildheit
Alexander Kling: Wildheit als Naturalisierungseffekt. Zur Medialität und Rhetorik von Johann Elias Ridingers und Barthold Heinrich Brockes’ Wolfsdarstellungen
Marcello Pocai: Die gebändigte Kreatur. Zur verleugneten Differenz von Wildtier und domestiziertem Tier in der modernen Pferdeausbildung
Wildtierethik und Wildtiergesetzgebung
Leonie Bossert: Hilfe für Gnus, Schildkröten und Wildkaninchen? Eine Diskussion um Hilfspflichten gegenüber wildlebenden Tieren
Clemens Butzert: Wilde Tiere in gesetzlichen Grenzen
Grenzgänger zwischen „wild“ und „zahm“
Nadir Weber: Zahmes Wild? Zu den organisatorischen Hintergründen der spektakulären Jagderfolge frühneuzeitlicher Fürsten
Elisabeth Luggauer: Die Ordnung von Wildheit Hunde in städtischen Räumen
Bernd Kleinhans: „Alles ist gut, solange du wild bist...“ Die Zähmung des wilden Kindes als Topos im Kinder- und Jugendfilm
Die konzeptuelle und räumliche Verortung der Wildnis
Volker Sommer: In freier Wildbahn. Aus- und Ansichten eines Anthropologen
Mariel Jana Supka: Wohnzimmer als Wildnis – Wildnis als Wohnzimmer. Wie asiatische Marienkäfer die häusliche Ordnung durcheinander bringen können
Künstlerische Positionen
Loredana Nemes: GIER
Nicole Schuck: Zeittiere
Kurt Wilhelm Hofmann: Geweihe aus dem Zyklus „Memento Mori“
Rezensionen
Abbildungsverzeichnis
Call for Papers: Experiment