Das sechste Massenaussterben von Flora und Fauna hat bereits begonnen. Die politischen Maßnahmen und zivilgesellschaftlichen Kampagnen, die darauf abzielen, die Katastrophe noch zu stoppen oder wenigstens einzudämmen, werden meist damit begründet, dass Tiere und Pflanzen verloren gehen könnten, die Menschen das Überleben sichern oder die der Menschheit in Zukunft nützlich sein könnten. In dieser Ausgabe von Tierstudien wird der Blick umgekehrt und das Artensterben von den Tieren aus perspektiviert, um auf weniger anthropozentrische Weise für den Erhalt von Arten und Individuen zu argumentieren.
Dabei werden die unterschiedlichen Narrative analysiert, die sich in den wissenschaftlichen Debatten und künstlerischen Verhandlungen von Artensterben formiert haben. Aus ihrer jeweiligen disziplinären Perspektive reflektieren und deuten die Autor*innen das gegenwärtige Verschwinden bzw. den drohenden Verlust von Arten und zeigen, wie beides in Texten, Kunstwerken, Filmen und Museen als Denkfigur und ästhetische Größe produktiv gemacht wird.
Im Fokus der Artikel stehen u. a. ausgestorbene Elefanten, die letzten Wandertauben, verschwundene Nebelparder und gefährdete Insekten, aber auch erfolgreicher Fischschutz, Rewilding-Narrationen und taxidermische Präparate bedrohter Spezies. Die Beiträge thematisieren musikethnologische, ethische, kultur- und literaturwissenschaftliche und theologische Debatten zum anthropogenen Ökozid sowie Fragen der zwischenartlichen Gerechtigkeit.
Extinction. Das große Sterben bildet damit einen der ersten deutschsprachigen Sammelbände im Kontext des neuen Forschungsfeldes der Extinction Studies.
INHALT
Editorial
Extinct: Verschwundene Arten
Daniel Lau Das Aussterben des Syrischen Elefanten
Vinciane Despret P is for Passenger pigeon (Ectopistes migratorius) also known as (auf deutsch) W wie Wandertaube, in Amerika Wildtaube genannt. Eine Welt geht
Marcus Coates Extinct Animals, 2019
Um- und Auswege: Schutzmaßnahmen für gefährdete Arten
Christian Zumbrägel Vom Fischsterben zum Fischschutz. Wasserbauten als Kontaktzonen von Menschen und Fischen im 20. Jahrhundert
Julia Ditter Verhandlungen von Rewilding im britischen Gegenwartsroman
Theologische, philosophische und musikethnologische Überlegungen zum Artensterben
Simone Horstmann Die Abschaffung der Arten. Theologische Extinction Studies zwischen annihilatio mundi und décréation
Anna Wienhues Zwischenartliche Gerechtigkeit und das Insektensterben. Wann handelt es sich beim Artentod um eine Ungerechtigkeit?
Helena Simonett Stilles Sterben. Das Verstummen traditioneller indigener Klangpraktiken in Nordwest-Mexiko
Storytelling: Literarischer und künstlerischer Umgang mit anthropogenem Artensterben
Wolfgang Schwerdt Rotbarts wilde Verwandte. Zur Kulturgeschichte des anthropogenen Artensterbens
Nina-Marie Schüchter Das Riff als Tatort des Ökozids. Die Inszenierung von (Meeres-)Tieren als prekäre Existenzen
Katrin Petroschkat / Susanne Schmitt Barfly // Drinks for Insects, 2018
Künstlerische Positionen: Double Death
Christina M. Schachtschabel Dioramen I –V. Ästhetiken um 1830, 2017/2021
Alisa Hecke / Julian Rauter The Big Sleep. Recherchen zur Taxidermie (Auszug), 2020
Lina Tegtmeyer Von toter Biodiversität in Museen der Aufklärung. Auszüge von Zeichenstudien im Museum für Naturkunde Berlin, 2018–2020
Rezensionen
Abbildungsverzeichnis
Call for Papers: Kohabitation, Koexistenz, Konvivialität