Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 17 (2006), 4

Titel der Ausgabe 
Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 17 (2006), 4
Weiterer Titel 
Themenheft "Blackness, transnational"

Erschienen
Innsbruck 2006: StudienVerlag
Erscheint 
vier Bände pro Jahr
ISBN
978-3-7065-4264-7
Anzahl Seiten
173 S.
Preis
EUR 20,50

 

Kontakt

Institution
Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften/Austrian Journal of Historical Studies (OeZG)
Land
Austria
c/o
Redaktionsanschrift: Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Universität Wien Universitätsring 1 A-1010 Wien oezg.journal@univie.ac.at
Von
Müller, Sabine

„Blackness, transnational“, Themenheft der ÖZG 4/2006, hg. v. Sabine Müller

Während die US-amerikanischen Black Studies von der Entstehung her eng mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung verwoben sind, ist es in Europa vor allem der Aufschwung der Postcolonial Studies, der dem Begriffspaar Blackness/Whiteness eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden lässt. Richtungweisend waren hier zunächst die Arbeiten von Paul Gilroy und Stuart Hall, die einen ersten Rahmen für europabezogene Studien zur „Epidermisierung“ (Frantz Fanon) von Macht bereitstellten. In letzter Zeit ist vor allem in den deutschsprachigen Postcolonial Studies die Tendenz erkennbar, Menschen schwarzer Hautfarbe über einen erweiterten Kulturbegriff zu Objekten einer Poetik zu machen, die in lokalhistorischer wie mikroanalytischer Hinsicht neue Einsichten ermöglicht. Ihre poststrukturalistischen Prämissen bergen jedoch auch die Gefahr, den Anschluss an meso- und makroanalytische Perspektiven zumindest zu erschweren. Dass sich gleichzeitig mit der wachsenden Distanz zwischen modernen und postmodernen Black bzw. African-American Studies in der europäischen Kulturwissenschaft das Transnationalismus-Paradigma etablierte, nimmt der vorliegende Band zum Anlass, genau diese gedoppelte Perspektive für eine spezifisch europäische und zeitgenössische Blackness-Forschung einzufordern. Die aktuelle Wiederkehr scheinbar alter Konzepte von Rasse und Abendland im Kontext ebenso globalisierter wie globalisierender Ethnifizierungen wird dabei als zusätzliches Indiz verstanden, dass es das Verhältnis von Diaspora, Prä-, Post- und Transnationalismus historisch neu zu denken gilt. Neben epistemologisch und historiografisch argumentierenden Aufsätzen versammelt das Themenheft Beiträge, die sich einer transnationalen Geschichte des ‚schwarzen Europa’ über Gegenstände und Beziehungen nähern, die, wie zu zeigen sein wird, dem Kanon wesentlicher Fakten und Fiktionen des 20. Jahrhunderts nicht zufällig entglitten sind.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

Editorial (5-9)

Sabine Müller
Blackness und Transnationalismus: One plus One? Überlegungen zu einer exemplarischen Herausforderung zeitgenössischer Historiografie (10-50)

Ingo Zechner
„White Negro“ und „Negro White“: Mailer, Fassbinder, Sirk, Vian (51-67)

Michael Huffmaster
Arabella Fields: Black Nightingale or Black Chameleon? (68-80)

Gesa Frömming
Vom „Negersklaven“ zum „Sklaven des Kapitals“:
Der Topos des schwarzen Amerikaners in der Weimarer Linken (81-101)

Georg Vasold
Gerhard Marcks reist nach New York. Oder: Der Negertrompeter (102-118)

Vrääth Öhner
Kolonialismus aus der Sicht des linken Ufers: Négritude, nationale Kultur und humanistische Vision in Auch Statuen sterben von Alain Resnais und Chris Marker (119-130)

Abstracts (131-143)

Forum:

Michelle Ann Stephens
Modernity’s Shadow: The Black Transnation in Historical Perspective (135-138)

Michelle M. Wright
Postwar Blackness and the World of Europe (139-148)

Walter Sauer
Reflexionen zur afrikanischen Diaspora in Österreich (149-154)

Janette Yarwood
Deterritorialized Blackness: (Re)Making Coloured Identities among Youth in Post-Apartheid South Africa (155-173)

EDITORIAL

Das vorliegende Themenheft geht auf eine Konferenz des internationalen ForscherInnennetzwerks BHTW (Berkeley/Harvard/Tübingen/Wien) zurück, die der Frage „Schwarz auf Weiß: Imagining Blackness in Austria and Germany“ gewidmet war. Ausgangspunkt war die Beobachtung einer zunehmenden Divergenz, wenn nicht gar Inkompatibilität und wechselseitigen Blockade historischer Zugänge. Während die US-amerikanischen Black Studies dem Ursprung nach mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung verwoben sind und sich als politische Wissenschaft im modernen Sinn etablierten, war es in Europa vor allem der Aufschwung der Postcolonial Studies, der dem Begriffspaar Blackness/Whiteness eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Richtungweisend waren hier zunächst die Arbeiten von Paul Gilroy und Stuart Hall, die nach der Interdependenz von imaginären und ökonomischen Strategien bei der Entwicklung der „Herrschaftskategorie“ Blackness fragten und damit einen ersten Rahmen für europabezogene Studien zur „Epidermisierung“ (Frantz Fanon) von Macht bereit stellten. Im Gegensatz zu den durch Gilroy und Hall angeregten Studien ist vor allem in den deutschsprachigen Postcolonial Studies die Tendenz erkennbar, Menschen schwarzer Hautfarbe sowie die ihnen zugeordnete Kultur zu Objekten einer Kulturpoetik zu machen, die in lokalhistorischer wie mikroanalytischer Hinsicht neue Einsichten ermöglicht, deren poststrukturalistische Prämissen in makroanalytischen Belangen jedoch mehr verdecken als erklären.
Die Tagung „Schwarz auf Weiß: Imagining Blackness in Austria and Germany“ versuchte, die Impulse der verschiedenen Strömungen aufzunehmen und entlang der Ambivalenzen weiterzuentwickeln, die mit der zunehmenden Differenzierung zwischen modernen und postmodernen Black beziehungsweise Blackness Studies hervortreten. Der vorliegende Band setzt an einem Punkt an, der sich im Verlauf der Konferenz als auffallend erklärungsstark erwies: das Verhältnis zwischen der Geschichte der schwarzen Diaspora und der Geschichte transnationaler Ideologien, Strategien und Praktiken. Während aus der Sicht der amerikanischen Black Studies hier zunächst zu überlegen wäre, ob es sich nicht um einen Pleonasmus handelt, wird aus europäischer Perspektive aufgrund der engen Verbindung zwischen dem so genannten ‚schwarzen Europa’ und der nationalen Idee das historiografische Desiderat sichtbar, die Geschichte kultureller Kartografie mit Fragen des politischen und ökonomischen mapping zu verschränken. Zwar ist das Repertoire europäischer Blackness-Codierungen vergleichbar begrenzt und rubrizierbar: Je nach geo- und sozialpolitischem Kontext pendelte die Figur im Verlauf des 20. Jahrhunderts präzise zwischen afrikanisierenden und amerikanisierenden, modernen und antimodernen Aufladungen hin und her. Gerade die scheinbare Wiederkehr scheinbar alter Konzepte von Rasse und Abendland im Kontext globalisierter Ethnifizierungen bezeugt jedoch die Dringlichkeit, das Verhältnis von Diaspora, Prä-, Post- und Transnationalismus neu zu denken.
Sabine Müller eröffnet den Band mit einem auf Fragen der historiografischen Theorie konzentrierten Aufsatz. Ausgehend vom ‚farbenblinden’ Amerikanismus des frühen 20. Jahrhunderts interpretiert sie das Verhältnis von Blackness und Transnationalismus als exemplarische Herausforderung für den überfälligen Brückenschlag zwischen der Geschichte von Prozessen der Internationalisierung einerseits, und Dynamiken des othering andererseits. Dabei gelte es vor allem, die wechselseitige Abhängigkeit von Praktiken pränationaler, nationaler und postnationaler Ethnifizierung mit der Geschichte der ‚Globalisierung von Ethnizität’ zu verbinden. Nach einem einleitenden Forschungsüberblick wird ein spezielles Problem in den Mittelpunkt gerückt. Eine Vielzahl sich als antirassistisch verstehender Methodologien sei mit Positionen der Neuen Rechten über ein unheilvolles epistemologisches Einverständnis verbunden. Dieses basiere auf einem dualistischen Verständnis von Essenzialismus und ‚Fluidismus’ sowie einem verkürzten, enträumlichten Differenzbegriff. Es blockiere die Entwicklung makroanalytischer Modelle, denen es zwischen kulturellen und ökonomischen ‚flows’ zu unterscheiden gelänge. Als möglichen Ausgangspunkt für neue Wege der Historiografie skizziert die Autorin Stuart Hall’s Konzept des „Schwarzen Dreiecks“, das die restringierte Vorstellung einer ‚Politik des leeren Signifikanten’ leise in eine geopolitische Differenzgeschichte der (schwarzen) Diaspora umformulierte. Am Beispiel von Jean-Luc Godards Black-Power-Groteske „One Plus One“ (GB 1968) wird abschließend eine fordismustheoretische Erweiterung des Hall’schen Modells erprobt und zur Diskussion gestellt.
Ingo Zechner zielt in seinem Beitrag auf eine ähnliche Problematik und plädiert für eine epistemologische Relektüre des aristotelischen Begriffs der Essenz. Dessen traditionelle Kritik in der postkolonialen Kulturwissenschaft erachtet er für ungenügend, die zirkuläre gegenseitige Bestätigung von Rassismus und Antirassismus zu durchbrechen. Anhand dreier ausgewählter Film- und Textbeispiele (Fassbinder, Sirk, Vian) kehrt er die gängige Kritik an der aristotelischen Logik gegen sich selbst und verortet sie in einem Drei-Stadien-Modell des Umgangs mit dem Phänomen Blackness. Veranschaulicht an konkreten Lebensgeschichten des jeweiligen Film- und Textpersonals werden die Stadien durch das jeweils zugelassene beziehungsweise (im doppelten Wortsinn) wahrgenomme Begehren der Akteure definiert. Dieses Begehren als historischen Faktor in Rechnung zu stellen, verlange, die politischen, sozioökonomischen und psychischen Determinierungen des Handlungsspielraums der Akteure zu konkretisieren und historisieren. Erst dann könne eine ihrem Namen gerecht werdende wissenschaftliche Dekonstruktion als abgeschlossen gelten.
Was in den beiden einleitenden, stärker theoretisch ausgerichteten Aufsätzen nur angedeutet wird – eine transnationale Geschichte europäischer Blackness –, konkretisieren die vier folgenden Beiträge in mikrohistorischen Einzelaufnahmen. Michael Huffmaster rekonstruiert die Geschichte der schwarzen Entertainerin Arabella Fields, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch Europa tourte. Er beginnt seine Überlegungen bei einem Phänomen, das Fields signifikant von ihrer berühmteren und weitaus besser erforschten Kollegin Josephine Baker unterschied: Je nach Ort, Zeit und Anlass ihres Auftretens schlüpfte Arabella Fields von einer schwarzen Haut in die andere. In ihren Auftritten präsentierte sie sich einmal als Afrikanerin, ein andermal als Südamerikanerin, Australierin, Südafrikanerin oder als ‚Eingeborene‘ der Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika. Der Autor entfaltet die These, dass es sich hierbei um keinen Zufall handelt, sondern dass diese „Chamäleon-Strategie“ paradigmatisch zu lesen sei. Field’s Spiel der Identitäten könne als eine im Entertainment dargebotene und gerne aufgenommene Entortung von Blackness gelten, die bis zum Zweiten Weltkrieg neben einem dezidiert amerikanistischen Marketing (Josephine Baker) ein zumindest gleichwertiges Inszenierungsverfahren darstellte. Den Erfolg garantierte das Ineinandergreifen zweier Momente. Zum einen wurde eine von geopolitischen Konnotationen gereinigte Blackness vorgeführt, die ihr Gegenstück, die europäische Whiteness, von jeglichem eventuellen Fehlverhalten weißwusch. Zum anderen konnte dank dieser Strategie der zeitgenössische Amerikanismus als ‚laktifizierter’ (Fanon) unhinterfragt bleiben: Dem Publikum wurde die unangenehme Assoziation zwischen dem bestaunten amerikanischen Wirtschaftwunder und seinem ‚Kollateralschaden‘ der Rassendiskriminierung erspart. So opportunistisch diese Strategie auch klingen mag – gerade dieses metaphysische Blackness-Amalgam eröffnete Arabella Fields die Möglichkeit zu politisch hoch provokanten ästhetischen Experimenten. National nicht zuordenbar, konnte sie es nicht nur wagen, auch innereuropäische Kulturen zu travestieren (als jodelnde Kuhmagd im Dirndl). In ihren Auftritten als inkarnierte Karikatur des ‚Hosennegers‘-Stereotyps stellte sie gar die ‚weiße’ Kultur auf die Ebene der ‚schwarzen’ – und dies vor einem Publikum, das in seinem Bewusstsein die völkische Hierarchie der Kulturen eigentlich anerkannte.
Gesa Frömming stellt mit Gerd Arntz und John Heartfield zwei Vertreter jenes Teils der Weimarer Linken ins Zentrum, die der fordistischen Euphorie ihrer Parteigenossen genau jene Tatsachen entgegenhielten, die Arabella Fields ihr Publikum vergessen machen wollte: den amerikanischen Rassismus, verkörpert in Rassegesetzen, Ku-Klux-Klan und Lynch-‚Justiz’. Ihr Beitrag kontrastiert verschiedene Antworten auf die Herausforderung, mit der sich die europäische Linke der Zwischenkriegszeit konfrontiert sah: ‚Was tun?‘, wenn der in Europa erfundene American dream einer vom (europäischen) Ballast der Klassengesellschaft befreiten sozialen Mobilität mit der Notwendigkeit einherging, ethnische Hierarchien zu etablieren? Was, wenn die Zweiklassengesellschaft nur durch eine Zweirassengesellschaft abgelöst werden kann?
Am Beginn von Georg Vasolds Beitrag steht die Irritation über die Gestaltung der documenta I von 1955. Sie war explizit der Rehabilitierung der „Entarteten Kunst“ gewidmet, es fehlten jedoch justament Werke jener Vertreter, deren Diskriminierung das Etikett der ‚Entartung’ diente: links-politische und amerikanische Künstler. Aus diesem langen Schatten der ‚Entarteten Kunst‘ rage ein Kunstwerk der documenta heraus: Gerhard Marcks‘ Bronzestatuette „Der Negertrompeter“. Sie stelle in ihrer Verbindung primitivistischer Züge mit dem Motiv des Jazztrompeters (vage ist Louis Armstrong zu erkennen) eine seltsame Kompromisshandlung dar, die als Ausdruck der Hilflosigkeit der Vertreter der deutschen Nachkriegskunst zu interpretieren sei, dem Phänomen Blackness Gestalt zu geben: Der ‚schwarze’ Gegenstand rührte zum einen an das schmerzhafte Thema Kriegsschuld, zum anderen ließ er an die Präsenz schwarzer Besatzungssoldaten denken. Was die Hochkultur mit wenigen Ausnahmen tabuisierte, wurde von der Massenkultur umso willkommener aufgegriffen. Die Puppenproduktion wurde ebenso umgestellt wie Manufakturen von Gebrauchskunst. Kleine Skulpturen von Afrikanerinnen auf Tigerfellen, mit Vasen und ähnlichen ‚sklavischen‘ Ornamenten ausgestattet, gingen in Massenproduktion: Wohn- wie Spielzimmer der Haushalte in Österreich und Deutschland waren mit kleinen „Negerplastiken“ gut bestückt. Die Boulevardpresse und der Schlager standen mit einer Forderung nach „schwarzen Engeln“ nicht nach. Dieses Missverhältnis zwischen high und low im Umgang mit der neuen geopolitischen Ordnung legt den Verdacht nahe, dass sich die Sprachlosigkeit der Hochkultur in den ‚niederen‘ Genres ein Ventil schuf, das sich jedoch nur für afrikanisierte Phänomene öffnete.
Vrääth Öhner erinnert an Chris Marker’s und Alain Resnais’ Dokumentarfilm Les Statues meurent aussi. Neben den Filmen Jean Rouch’s stellt diese zwischen 1950 und 1953 hergestellte Arbeit von gerade in ihrer vordergründigen filmtechnischen Ratlosigkeit ein singuläres Beispiel dar für die engagierte Auseinandersetzung des modernen französischen Films der 1950er Jahre mit dem französischen Kolonialismus und der Zerstörung afrikanischer Kunst und Kultur als dessen Ergebnis. Les Statues meurent aussi konnte nie große Aufmerksamkeit erzielen: Nach seiner Präsentation bei den Filmfestspielen in Cannes wurde der Film wegen „antikolonialer Tendenzen“ verboten und kam erst wieder 1968, zu einem Zeitpunkt, als er formal und inhaltlich veraltet schien, in die Kinos. Setzt man den Film in Beziehung zu Frantz Fanon’s folgenreichem Buch Schwarze Haut, weiße Masken (1952) sowie zu den Debatten der französischen Intellektuellen über Wesen und Bedeutung der Négritude, so erzwingt dies eine Neubewertung, die auch die Kategorien befragt, die zu seinem Vergessen führten. Öhner verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorstellung eines ‚fehlenden’ Volks, eines Volks, das – mit Deleuze – real sei, bevor es aktuell werde, und ideal sei, ohne abstrakt zu sein. Dieses Bewusstsein der Nicht-Identität zwischen dem Sein von Nationen und dem Werden eines Volkes unterscheide das klassische vom modernen politischen Denken und verschiebe das Verhältnis zwischen dem Wert der Anerkennung von Gleichheit und dem Wert der Erfindung einer Sprache, die (auch?) den „Anteil der Anteillosen“ vernehmbar mache. In seiner Reflexion der Koinzidenz von Dekolonialisierung und Klassenkonflikt, die den antikolonialen Diskurs innerhalb der französischen Nachkriegs-Linken dominierte, erinnere Les Staues meurent aussi auch daran, diese Verschiebung nicht zu vergessen.
Während die Hauptaufsätze auf Konferenzbeiträge zurückgehen, kommen im Forum Autoren zu Wort, die erst im Anschluss für Stellungnahmen zu der neu akzentuierten Thematik eingeladen wurden. Ihre Positionen stecken noch einmal den Raum des Problems ab, mit der historisch belasteten Prämisse eines skalaren, eindimensionalen Raumbegriffs auf eine Weise umzugehen, die seine potenzielle Allianz mit nationalistischen, kolonialistischen und imperialistischen Strömungen bewusst hält, zugleich jedoch nicht auf seine Erklärungskraft verzichtet. Michelle Ann Stephens nähert sich der Thematik über einen historischen Umweg, der die aktuelle Transnationalismus-Diskussion mit einem ihrer folgenreichsten Vorläufer konfrontiert: mit der im frühen 20. Jahrhundert unter anderem von Marcus Garvey, Claude McKay und C.L.R. James verfochtenen Idee einer Black Transnation. Michelle M. Wright nimmt Tony Judt’s aktuelle Studie zu Postwar Europe zum Anlass, um für einen methodischen Zugriff zu plädieren, der die Spezifika einer europäischen Postwar Blackness als Ausgangspunkt nützt, um der transnationalistischen Epistemologie der Middle Passage entgegenzutreten. Walter Sauer belegt in seinen Anmerkungen zur afrikanischen Diaspora in Österreich hingegen, wie unverzichtbar und wertvoll Forschungen sind, die sich der Grenzen nationaler Historiografie zwar bewusst sind, dieses Potenzial aber sorgfältig auszuloten wissen. Janette Yarwood testet abschließend Arjun Appadurai’s nicht unumstrittenes Konzept transnationaler „scapes“ auf seine analytische Kraft im Hinblick auf eines der komplexesten Kapitel des aktuellen global traffic in blackness: die Tendenzen jugendlicher Coloureds im aktuellen Post-Apartheid-Südafrika, dem ‚Nationalismus’ des ANC mit amerikanistisch-deterritorialisierenden Entwürfen von Ich und Kollektiv zu kontern. Gerade weil der von Yarwood analysierte kulturelle Kampf zwischen einem nationalen und transnationalen Hip-Hop so erstaunlich ‚europäisch’ anmutet, bezeugt er noch einmal die Notwendigkeit, ein angemessenes Instrumentarium zumindest zu verlangen.

Sabine Müller (Wien)

BLURB

Black studies in the United States has been bound up since its inception with the civil rights movement, whereas in Europe it has been above all the advent of postcolonial studies that has attracted increased scholarly attention to the conceptual binary of blackness/whiteness. The works of Paul Gilroy and Stuart Hall guided the initial direction of this impulse, providing the first framework for European-related studies of the “épidermisation” of power (Frantz Fanon). Recently, however, particularly in German postcolonial studies, there has been a marked tendency to make persons of black skin color and the culture ascribed to them the object of a cultural poetics whose microanalytic approaches afford new insights in terms of local history, but whose post-structural premises in macroanalytic concerns may conceal more than they clarify. This volume takes the fact that a transnationalist paradigm has established itself alongside the growing distance between modern and postmodern black(ness) studies in Europe as an occasion to call for precisely such a dual perspective for a specifically European blackness studies. The recent return of apparently outdated concepts such as race or Occident in the context of a ‘globalization of ethnicity’ is understood as further indication of the need to rethink historically the relation between diaspora on the one hand, and pre-, post-, and transnationalism on the other. Taking epistemological and historiographical approaches, the contributions of this special issue advance a transnational history of ‘black Europe’ by way of objects and connections which have escaped the canon of essential facts and fictions of the twentieth century.

ABSTRACTS

Sabine Müller: Blackness and Transnationalism: One Plus One? Considerations concerning some specific challenges in current historiography, pp. 10-50

Bypassing the question of ‘European blackness’ altogether, this essay seeks to link two specific perspectives in contemporary historiography: on the one hand the paradigm of transnational history, and on the other the study of processes of othering. In recent research a precarious interaction between a divided discourse on globalization and an anti-essentialist approach to researching the other (with corresponding topoi such as racism, anti-Semitism, orientalism) has become stuck in an epistemological dualism: fluidism versus essentialism. Both points of view obstruct a macroanalytic perspective on the ‘globalization of ethnicity’ appropriate to current political challenges. In a review of current positions, this essay scrutinizes the prevailing assumptions and boundaries of explication (Paul Gilroy’s concept of the Black Atlantic; Stuart Hall’s model of the Black Triangle). It then makes the case — by analyzing Jean-Luc Godard’s One Plus One and the ‘transnational’ image of blackness in the anti-fordist movement of 1968 — that new ways of talking about bodily inheritance are needed in order to avoid the trap of color-blind scholarship. Finally, it argues that a post-humanist epistemology (in terms of race, subjectivity, rationality and agency) is required to get a better idea of the role of racialization in post-national and global processes.

Ingo Zechner: “White Negro” and “Negro White”:
Mailer, Fassbinder, Sirk, Vian, pp. 51-67

By describing the hipsters of the 1950s as “White Negroes” Norman Mailer created the prototype for the adoption of ‘black’ codes by ‘whites’ and at the same time answered the question as to what is black about ‘black culture’. Mailer resorted to racist stereotypes, although he completely reversed their conventional validation. The essay uses Mailer’s “White Negro” as a starting point for questioning the logical conditions of the race discourse. On the basis of Aristotelian logic and Immanuel Kant’s ambivalent race theory, the only characteristics that can be identified as sufficiently defining the concept of race are skin color and descent. Consequently, the rejection of the ‘essentialization’ of certain race concepts which is popular in cultural studies must be critically questioned, as all race concepts lack essence. Taking films by Rainer Werner Fassbinder and Douglas Sirk and novels by Boris Vian as examples, the essay attempts to show how the concept of race loses any remaining validity with the emergence of ‘Negro Whites’ and ‘White Negroes’. It also becomes evident that the difference between their being and their physical appearance is determined not only epistemologically, but also by social relations of power with a political, economic and sexual dimension. The frequent substitution of concepts of ethnicity and culture for the concept of race therefore runs the risk of repeating racism that was thought to have been overcome, or of failing to realize the difference between racism and xenophobia.

Michael Huffmaster: Arabella Fields: Black Nightingale or Black Chameleon?, pp. 68-80

The singer Arabella Fields, who performed throughout Europe during the turn of the nineteenth and twentieth centuries, was known most consistently as ‘The Black Nightingale’. Yet the historical record ascribes to her a disorienting array of identities: from African to Native American to African-American to Australian to South American. Drawing on postmodern notions of identity, this essay argues that her onstage performances provide the key to understanding the enigma of her national and ethnic origins. By granting Fields agency in the construction of her persona, the essay contends that she exploited the ambiguity of blackness to craft a radical subjectivity that undermined essentialist paradigms of identity serving to sustain the enterprise of nationalism.

Gesa Frömming: From „Negro Slave“ to „Slave of Capital“: The Iconographical Representation of ‚Black Americans’ in the Weimar Left, pp. 81-101

This article explores the debate on ‘black Americans’ among Leftists in the Weimar Republic within the framework of their broader anti-imperialist critique of capitalist modernity. Starting with parallels in the iconographical representation of America in works by Arntz and Heartfield, the article reconstructs this debate through an analysis of the Arbeiter Illustrierte Zeitung, articles from Pfemfert's Aktion, and contemporary travelogues and essayistic writings on America. It also shows the importance of Upton Sinclair's novels for this variety of Americanism. The article shows that the social and political reality of African Americans as well as of Africans in the colonies becomes an essential part of the codification of blackness. At the same time, the political instrumentalization of racial stereotypes not only in America, but also in the German nationalist "Schwarze Schmach"-Propaganda becomes the subject of a political critique. However, the discourse partly displays the same stereotypes which it criticizes when used by nationalists.

Georg Vasold: Gerhard Marcks travels to New York,
or: “The Negro-Trumpeter”, pp. 102-118

Gerhard Marcks (1889-1981), one of the most celebrated German artists during the first half of the twentieth century, was invited to participate at the Documenta 1 in 1955. The artefact he exhibited was a little sculpture representing a naked black musician sitting on a stool with a trumpet in his hand. At first sight Marcks´s so called Negro Trumpeter replicates all the xenophobic and racist topoi of the National socialist era. But by contextualizing the sculpture it becomes clear that Marcks instead was searching for a new approach to the modern American way of life. His aim was to focus on an artistic expression that until then had presumably remained unaddressed by twentieth-century European culture. The basic problem Marcks had to face was the fact that in Germany and Austria there was no appropriate artistic mode to deal with American black culture. In Central Europe until at least the 1960s the black body was regarded either as dangerous or as an object of sexual desire. Marcks rejected these prejudices and sought to create a figure that would enable him to liberate his art from the German past as well as from Cold War bondages: bondages that were increasingly forcing artists to accept abstract art as a synonym for free art. In this sense “The Negro-Trumpeter” was a courageous but rare attempt to approach Black America on the basis of an open-minded artistic consciousness.

Vrääth Öhner: Colonialism from the Left Bank’s point of view. Négritude, national culture and humanistic vision in Statues Also Die by Alain Resnais and Chris Marker, pp. 119-130

Les Statues meurent aussi (Statues Also Die), a short documentary film by Alain Resnais and Chris Marker realised between 1950 and 1953, is – apart from the films of Jean Rouch – the only example of modern French cinema in the fifties which deals with the problem of French colonialism. More precisely: with the destruction of African art and culture as a result of French colonialism. Statues Also Die never received much attention, neither at the time of its release nor afterwards. Prohibited on the basis of “anti-colonial tendencies” after the first public screening at the Cannes Film Festival in 1953, the documentary hit the screens only in 1968 – at a time when it seemed already outdated in form and content. Given that Statues Also Die is a contemporary of Frantz Fanon’s Black Skin, White Masks as well as of the debate about Négritude among the writers and intellectuals of the Left Bank, this short documentary film merits re-evaluation, especially when one considers the unique position the film takes on the coincidence of decolonization and class conflict which dominated the anti-colonial discourse of the left at that time.

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