62 (2003), Heft 1
Aufsätze
Frank Becker Sicherheit, Freiheit, Nation – Die frühliberale Debatte über die Heeresverfassung in Publizistik und Landtag Sachsen-Weimar-Eisenachs
Mit dem Niedergang des ersten französischen Kaiserreichs wurde auch für die frühliberale Bewegung die Frage der Wehrverfassung zum Gegenstand. Die Überwindung napoleonischer Herrschaft, welche die Umsetzung vieler liberaler Ziele blockierte, erforderte ein adäquates militärisches Instrumentarium. Aber auch für die Zukunft mußte es um eine Wehrverfassung gehen, die liberalen Leitvorstellungen nicht nur entsprach, sondern sie auch nicht bedrohte. Pressefreiheit und Verfassung machten dabei das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zu einem Zentrum der besonders bis 1819 intensiv in der „Öffentlichkeit” geführten Debatte, ehe Karlsbader Beschlüsse und erste Entscheidungen über die Bundeskriegsverfassung sie beschränkten. Aus frühliberaler Perspektive stellte die allgemeine Wehrpflicht im Kontext einer Volksbewaffnung die politisch, national, moralisch und militärisch geeignetste Lösung dar. Ein Dienst in ihren Reihen erschien für den bisher exemierten Bürger nun als heilige Pflicht, sollte gar seinen Bürgerstatus erst begründen. Für das stehende Heer verblieb dagegen nur die Rolle als - in ihrer inneren Struktur völlig gewandelte - Vorhut der Nationalbewaffnung. In der Realität des frühen Weimarer Landtags fanden diese Vorstellungen allerdings kaum Widerhall. Weder Volksbewaffnung noch allgemeine Wehrpflicht konnten sich hier lange behaupten, obwohl die Vorgaben des Deutschen Bundes sie keineswegs ausschlossen. Rücksichten auf das Gemeinwohl, die freie Entfaltung des Bürgers und den Besitz hatten angesichts des Verblassens der unmittelbaren Kriegserfahrung eindeutig Vorrang.
With the decline of the first French empire, for the early liberal movement the question of the military constitution became an important issue. In order to overcome Napoleonic power which blocked many liberal aims an adequate military instrument became imperative. In future perspective, a military constitution was necessary that not only met central liberal ideas but also did not impose a threat to those objectives. Freedom of press and its constitution made the Grand Duchy of Saxony-Weimar-Eisenach a center of discussion in 'public' especially until 1819 when the Resolutions of Carlsbad and first decisions regarding the Federal Military Constitution put limits to the debate. From an early liberal point of view, compulsory military service in the context of a national militia appeared to be the best political, national, moral, and military solution. Service in the ranks should not only be regarded as a holy task by the citizen who had been exempted from military duty before but also be mandatory to establish citizenship. According to these deliberations, the standing army – with a completely changed internal structure – was to play the limited role of a vanguard of the national militia. But in the reality of the early Weimar Landtag these ideas found little response. Neither national militia nor compulsory military service were sustained for a long time although the regulations of the German Confederation did not prohibit them. With the memory of the war fading, consideration of public good, the free development of every citizen, and protection of property was given priority.
Thorsten Loch »Aufklärung der Bevölkerung« in Hamburg. Zur deutschen Inlandspropaganda während des Ersten Weltkrieges
Das Bild der Organisation und des Inhalts der deutschen Inlandspropaganda auf der Ebene der stv. Generalkommandos (GK) während des Ersten Weltkriegs ist geprägt von Vorstellungen aus der Zwischenkriegszeit und einer fragmentarischen Quellenlage. Demnach wurde die Inlandspropaganda mit der Übernahme der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) zugunsten der stv. GK dezentralisiert, die mit der Organisation zugleich auch den Inhalt bestimmten, wie Gunther Mai am Beispiel Württembergs nachwies. Das Beispiel Hamburg zeigt, dass im Korpsbezirk des stv. GK IX Altona zwar die Impulse zur Aufnahme der Inlandspropaganda vom stv. GK ausgingen, dieses aber von sich aus gewillt war, die Inlandspropaganda an bereits bestehende zivile und amtliche Aufklärungsausschüsse zu delegieren. Das nutzte der Hamburger Senat, um in seinem Bereich einen Aufklärungsausschuß zu etablieren. Dieser warb weniger im Sinne der 3. OHL für einen Siegfrieden, als vielmehr für die Situation der Stadtväter, die sich mit Lebensmittelunruhen und politischen Streiks konfrontiert sahen.
The ideas that evolved during the time between the wars and the fact that there is only fragmentary source material available have had a forming influence on the picture of the organization and the contents of the German domestic propaganda pursued at the level of Deputy General Commands during World War I. It suggests that with the 3rd Supreme Army Command’s assuming its function, the domestic propaganda was decentralized in favor of the Deputy General Commands which determined both its organization and its contents, as Gunther Mai proved taking Württemberg as an example. The example of Hamburg shows that whereas it was the Deputy General Command that produced the impetus to establish domestic propaganda in the corps area of responsibility of Deputy General Command IX Altona, it was willing on its own to delegate this function to the existing civilian and governmental educational committees. The Hamburg Senate used this to establish an educational committee in its area. This committee tried to get support for the situation of the city elders, who faced unrest created by food shortages and political strikes, rather than for peace by victory as intended by the 3rd Supreme Army Command.
Regina M. Delacor Weltanschauungskrieg im Westen. Zur Rolle der Wehrmacht bei Geiselexekutionen im besetzten Frankreich 1941/42
Die Jahre 1941/42 stellten im besetzten Frankreich einen Wendepunkt in der Taktik und Methodik der Okkupationsherrschaft der deutschen Militärverwaltung dar. Seit dem Einmarsch 1940 hatte die Besatzungsverwaltung mit ihrer Politik des Terrors begonnen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion kam es zur offenen Verfolgung von Kommunisten und Juden. Attentate auf Wehrmachtsangehörige dienten als Anlass, um nun den Weltanschauungskrieg auch im Westen zu praktizieren. Dabei waren Geiselnahmen und Exekutionen der Zivilbevölkerung bereits geplant, ihre theoretischen Überlegungen reichten sogar in die Zeit vor dem Westfeldzug hinein. Noch vor der Wannsee-Konferenz unterbreitete die in Frankreich stationierte Wehrmachtsführung den Vorschlag, die Widerstands-bekämpfung in das ideologisch begründete Programm der Vernichtung der europäischen Juden einzubinden und Massendeportationen der jüdischen Bevölkerung durchzuführen. Somit wurden in den ersten zwei Jahren der Besatzung infolge der Repressionspolitik des Militärbefehlshabers in Frankreich die Weichen gestellt für eine schrittweise Eskalierung des Terrors im westlichen Europa.
The years of 1941/42 presented a turning-point in tactics and methods of occupation policy of the German military administration in France. Since the invasion of 1940, the Germans followed a policy of terror. After the attack of the Soviet Union, communists and Jews were frankly persecuted. The assaults against German soldiers gave occasion to practice the ideological war also in Western Europe. Taking hostages and executions of civilians were planed, the theoretical reflections proceeded even from the time before the occupation of France. Still before the Conference of Wannsee happened, the German occupation authorities in France proposed the integration of the struggle against the Resistance in the ideologically founded program of the extermination of the European Jews and to proceed to mass deportations of the Jewish population. Consequently, in the two first years of Occupation the military commander in France put step by step the points for an escalation of terror in Western Europe.
Miszellen
Wolfgang Bühling Balthasar Neumann als Soldat – Zur Biographie des Meisters des rheinisch-fränkischen Barock
Enrique Brahm García Chiles Militär unter deutschem Einfluß 1885-1930
Max Plassmann Wehrmachtbordelle. Anmerkungen zu einem Quellenfund im Universitätsarchiv Düsseldorf
Friedrich Elchlepp Die U-Boot-Waffe der DDR. Ein Zeitzeugenbericht
Nachrichten aus der Forschung
Sönke Neitzel »The Home-Coming of Prisoners of War after World War II: Ideology, Family, Narrative«. Workshop des Internationalen Komitees für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges vom 26. bis 29. Juni 2002 in Hamburg, Universität der Bundeswehr
Esther-Beate Körber »Die preußische Armee unter dem Ancien régime (ca. 1713--1806)«. Bericht über die Tagung der Arbeitsgemeinschaft zur Preußischen Geschichte, Evangelische Akademie Hofgeismar, vom 30. September bis 2. Oktober 2002
Gundula Bavendam »Besatzung. Funktion und Gestalt militärischer Fremdherrschaft«. Jahrestagung des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V., Augsburg, 1. bis 3. November 2002
Rezensionen
Jörg Rüpke Oliver Stoll, Zwischen Integration und Abgrenzung: Die Religion des Römischen Heeres im Nahen Osten
Michael Fröhlich Peter Wende, Großbritannien 1500-2000
Thomas Lindner Michael Busch, Absolutismus und Heeresreform. Schwedens Militär am Ende des 17. Jahrhunderts
Falko Heinz Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20. Jahrhundert. Im Auftr. des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Gerhard P. Groß; Martin Rink
Falko Heinz Deutsche im Amerikanischen Bürgerkrieg. Briefe von Front und Farm 1861-1865. Hrsg. von Wolfgang Helbich und Walter D. Kamphoefner
Frank Nägler Lawrence Sondhaus, Naval Warfare, 1815-1914
Peter Walkenhorst Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich
Sönke Neitzel Ian F. W. Beckett, The Great War, 1914-1918
Gerhard Krebs Mark R. Peattie, Sunburst. The Rise of Japanese Naval Air Power 1909-1941 Reluctant Allies. German-Japanese Naval Relations in World War II, by Hans-Joachim Krug [et al.]
Bernd Jürgen Wendt »Bürokratien«. Initiative und Effizienz, hrsg. von Wolf Gruner und Armin Nolzen
Bernd Jürgen Wendt Horst Boog, Gerhard Krebs, Detlef Vogel, Das Deutsche Reich in der Defensive. Strategischer Luftkrieg in Europa, Krieg im Westen und in Ostasien 1943-1944/45
Armin Owzar Peter Longerich, Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur »Endlösung«
Jörg Hillmann Dirk Levsen, Krieg im Norden. Die Kämpfe in Norwegen im Frühjahr 1940
Wolfgang Bühling Franz Selinger, Von »Nanok« bis »Eismitte«. Meteorologische Unternehmungen in der Arktis 1940-1945
Wolfgang Bühling Herwig Danner, Kriegsfischkutter
Frank Gerlich Matthias Schröder, Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942-1945
Andreas Kunz Das letzte halbe Jahr. Stimmungsberichte der Wehrmachtpropaganda 1944/45. Hrsg. von Wolfram Wette, Ricarda Bremer und Detlef Vogel
Winfried Heinemann Georges-Henri Soutou, La guerre de Cinquante Ans. Les conflict Est-Ouest 1943-1990
Hans-Joachim Harder L’exploitation du renseignement en Europe et aux États-Unis des années 1930 aux années 1960. Sous la direction de Georges-Henri Soutou, Jacques Frémeaux, Olivier Forcade
Hans-Joachim Harder Crises and Compromises. The European Project 1963-1969, ed. by Wilfried Loth
Kerstin von Lingen Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Hrsg. von Norbert Frei in Zusammenarb. mit Tobias Freimüller [u.a.]
Ute Frevert Jay Lockenour, Soldiers as Citizens. Former Wehrmacht Officers in the Federal Republic of Germany 1945-1955
Bruno Thoß Torsten Oppelland, Gerhard Schröder (1910-1989); Franz Eibl, Politik der Bewegung. Gerhard Schröder als Außenminister 1961-1966
Clemens Heitmann Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, hrsg. von Gerd-Rüdiger Stephan [u. a.]
Rüdiger Wenzke Im Gleichschritt? Zur Geschichte der NVA. Mit Beitr. von Reinhard Brühl [u.a.], hrsg. von Walter Jablonsky und Wolfgang Wünsche
Armin Wagner Walter Richter, Der Militärische Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee der DDR und seine Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit
Carlo Masala Lawrence Freedman, Kennedy’s Wars. Berlin, Cuba, Laos and Vietnam
Klaus Schmider Brendan Simms, Unfinest Hour. Britain and the Destruction of Bosnia
Clemens Heitmann Norman M. Naimark, Fires of Hatred. Ethnic cleansing in twentieth-century Europe
Annotationen
Stephan Huck Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, hrsg. von Ronald G. Asch [u.a.]
Stefan Wunsch Nation und Europa. Studien zum internationalen Staatensystem im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Peter Krüger zum 65. Geburtstag, hrsg. von Gabriele Clemens
Eckart Busch Preußen 1701/2001. Hrsg. von Karl-Günther von Hase und Reinhard Appel
Karlheinz Deisenroth Ida Mück, Preußen-Atlas. Kartenbildliche Darstellung von Preußens Wachstum mit Erläuterungen und Beilagen
Karlheinz Deisenroth G.-Michael Dürre, Die steinerne Garnison. Die Geschichte der Berliner Militärbauten
Jürgen Heuchling Günter de Bruyn, Die Finckensteins. Eine Familie im Dienste Preußens
Heiner Möllers Helmut Schmersal, Philipp Scheidemann 1865-1939
Thomas Morlang Udo Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1884-1914)
Thomas Morlang Werner Haupt, Die deutsche Schutztruppe 1889/1918
Michael Fröhlich Eugen Fischer-Baling 1881-1964. Manuskripte, Artikel, Briefe und Tagebücher, hrsg. und eingel. von Ralf Forsbach
Jörg Hillmann The Fighting at Jutland. The Personal Experiences of Sixty Officers and Men of the British Fleet. Ed. by Harold W. Fawcett and Geoffrey W.W. Hooper
Heiner Möllers Christian Knatz, »Ein Heer im grünen Rock«? Der Mitteldeutsche Aufstand 1921, die preußische Schutzpolizei und die Frage der inneren Sicherheit in der Weimarer Republik
Heiner Möllers Michael Wala, Weimar und Amerika. Botschafter Friedrich von Prittwitz und Gaffron und die deutsch-amerikanischen Beziehungen von 1927 bis 1933
Rüdiger Overmans Markus Eikel, Französische Katholiken im Dritten Reich. Die religiöse Betreuung der französischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter 1940-1945
Ludger Tewes Birgit Panke-Kochinke, Monika Schaidhammer-Placke, Frontschwestern und Friedensengel. Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg
Rüdiger Overmans Matthias Reiß, »Die Schwarzen waren unsere Freunde«. Deutsche Kriegsgefangene in der amerikanischen Gesellschaft 1942-1946
Rüdiger Overmans Die Tragödie der Gefangenschaft in Deutschland und in der Sowjetunion 1941-1956. Hrsg. von Klaus-Dieter Müller, Konstantin Nikischkin und Günther Wagenlehner
Axel Grießmer Manfred Lau, Schiffssterben vor Algier. Kampfschwimmer, Torpedoreiter und Marine-Einsatzkommandos im Mittelmeer 1942-1945
Jürgen Heuchling Heinz Magenheimer, Entscheidungskampf 1941. Sowjetische Kriegsvorbereitungen, Aufmarsch, Zusammenstoß
Detlef Vogel Winfried Mönch, Entscheidungsschlacht »Invasion« 1944?
Frank Nägler Wolf Graf von Baudissin, Dagmar Gräfin zu Dohna, ...als wären wir nie getrennt gewesen. Briefe 1941-1947. Hrsg. und mit einer Einf. von Elfriede Knoke
Alexander Neumann Gedächtnis, Geld und Gesetz. Vom Umgang mit der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges. Hrsg. von Jakob Tanner und Sigrid Weigel
Aleksandar-S. Vuletić M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau 1946-1961. Bundestagskandidaten und Mitglieder der westzonalen Vorparlamente. Eine biographische Dokumentation. Hrsg. von Martin Schumacher
Jörg Echternkamp Rolf Steininger, Deutsche Geschichte. Darstellung und Dokumente in vier Bänden
Bruno Thoß Helga Haftendorn, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung 1945-2000
Rolf Steininger Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen. Mit Beiträgen von Wilfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig, hrsg. von Jürgen Zarusky
Ursula Hüllbüsch Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1971. Bd 1: 1. Januar bis 30. April, Bd 2: 1. Mai bis 30. September, Bd 3: 1. Oktober bis 31. Dezember. Wiss. Leiterin: Ilse Dorothee Pautsch, Bearb.: Martin Koopmann, Matthias Peter und Daniela Taschler
Ulrich Lappenküper Frank Fischer, »Im deutschen Interesse«. Die Ostpolitik der SPD von 1969 bis 1989
Rüdiger Overmans Stuart I. Rochester, Frederick Kiley, Honor bound. American prisoners of war in Southeast Asia, 1961-1973
Karlheinz Deisenroth Das Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr. Eine Dokumentation. Von Kurt Ringelmann [u.a.]
Lutz Neumann Militär und Gesellschaft im Kontext europäischer Sicherheit. Wie modern ist das Denken Graf Baudissins im 21. Jahrhundert? Hrsg. von Hans-Georg Ehrhart
Clemens Heitmann Hans Krech, Der Afghanistan-Konflikt 2001. Ein Handbuch