Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 16 (2005), 4

Titel der Ausgabe 
Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 16 (2005), 4
Weiterer Titel 
Das Gerede vom Diskurs - Diskursanalyse und Geschichte

Erschienen
Innsbruck 2005: StudienVerlag
Erscheint 
vier Bände pro Jahr
Anzahl Seiten
160
Preis
19.- Euro

 

Kontakt

Institution
Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften/Austrian Journal of Historical Studies (OeZG)
Land
Austria
c/o
Redaktionsanschrift: Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Universität Wien Universitätsring 1 A-1010 Wien oezg.journal@univie.ac.at
Von
Franz X. Eder

ÖZG-Themenheft "Das Gerede vom Diskurs - Diskursanalyse und Geschichte"

Inhaltsverzeichnis

Franz X. Eder
Editorial

Reiner Keller
Wissen oder Sprache? Für eine wissensanalytische Profilierung der Diskursforschung, ÖZG 16/2005/4, 7-47.

Peter Haslinger
Diskurs, Sprache, Zeit, Identität. Plädoyer für eine erweiterte Diskursgeschichte, ÖZG 16/2005/4, 49-66.

Rüdiger Graf
Diskursanalyse und radikale Interpretation. Davidsonianische Überlegungen zu Grenzen und Transformationen historischer Diskurse, ÖZG 16/2005/4, 67-86.

Andreas Frings / Johannes Marx
Wenn Diskurse baden gehen. Eine handlungstheoretische Fundierung der Diskursanalyse, ÖZG 16/2005/4, 7-47.

Claudia Bruns
Wissen - Macht - Subjekt(e). Dimensionen historischer Diskursanalyse am Beispiel des Männerbunddiskurses im Wilhelminischen Kaiserreich, ÖZG 16/2005/4, 49-66.

Forum

Markus Stauff
Mediengeschichte und Diskursanalyse. Methodologische Variationen und Konfliktlinien, ÖZG 16/2005/4, 126-135.

Susanne Lettow
Endlich Ordnung in der Werkzeugkiste. Zum Potenzial der Foucaultschen Diskursanalyse. Bericht vom Workshop an der Freien Universität Berlin, 29.4.-30.4.2005, ÖZG 16/2005/4, 136-141.

Astrid von Schlachta
Politische Kommunikation in Europa. Theorie und Praxis im Internationalen Graduiertenkolleg "Politische Kommunikation", ÖZG 16/2005/4, 142-150.

Editorial, ÖZG 16/2005/4, 5-10

Die Geschichtswissenschaften ringen nach wie vor mit der Diskursanalyse. Handelt es sich bei Ihr, wie Philipp Sarasin meint, womöglich um gar "keine Methode, die man 'lernen' könnte, sondern [eher um] eine theoretische, vielleicht sogar philosophische Haltung"?1 Ist Achim Landwehr zu folgen, der einen konkreten methodischen Vorschlag für das Vorgehen bei historischen Diskursanalysen präsentiert hat?2 Oder erweist sich die Historiographie einmal mehr als 'verspätete Disziplin', die dem theoretischen und methodischen Wandel der Sozial- und Kulturwissenschaften hinterherhinkt und sich im besten Fall des dortigen Methodenrepertoires bedienen kann?3

Mit diesem Text rief die ÖZG vor rund einem Jahr zur Diskussion über "Das Gerede vom Diskurs - Diskursanalyse und Geschichte" auf. Publiziert werden sollten Artikel zur Reflexion und Kritik des Diskursparadigmas, der Diskurstheorie und -analyse in den Geschichtswissenschaften. In den Texten sollte es um die Entwicklung und den Stand der Diskursdiskussion in der Historiographie gehen, um konkrete methodologische und methodische Fragen, um die explizite Anwendung diskurs-analytischer Methoden sowie die Platzierung der historischen Diskursanalyse entlang der Text/Kontext-Problematik.

Mit über fünfzig eingelangten Abstracts übertraf die Reaktion auf den Call for Papers bei weitem unsere Erwartungen und zeigte, dass wir mit der Thematik einen Nerv der historiographischen Debatte getroffen hatten. Gleichzeitig sprengte das Angebot jedoch den Rahmen einer geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift. Im vorliegenden Heft finden sich deshalb zunächst Beiträge zu theoretischen Fragen von Diskurs und Diskursanalyse. Ende 2006 wird im VS Verlag für Sozialwissenschaften ein Sammelband Historische Diskursanalysen. Theorie, Genealogie, Anwendungen erscheinen, der weitere rund fünfzehn Artikel enthält und sich unter anderem mit Fragen der Genealogie der Diskursanalyse sowie der Anwendung diskursanalytischer Methoden in den historischen Kultur- und Sozialwissenschaften beschäftigt.

Die Beiträge dieses Heftes zeigen erneut, dass Michel Foucault nach wie vor den Ausgangspunkt der Diskursdebatte in den Geschichtswissenschaften bildet. Allerdings problematisieren die AutorInnen Unschärfe und methodisch-technische Begrenztheit des Foucaultschen 'Werkzeugkastens'. Bei der Definition von Diskursen haben sie sich weitgehend angenährt: Unter Diskursen werden in diesem Heft vor allem Praktiken verstanden, die Aussagen zu einem bestimmten Thema systematisch organisieren und regulieren und damit die Möglichkeitsbedingungen des (von einer sozialen Gruppe in einem Zeitraum) Denk- und Sagbaren bestimmen. Welche der involvierten drei Ebenen - textuelle, diskursive und soziale Praktiken - in der Diskursforschung fokussiert wird und wie sie aufeinander bezogen werden, ist allerdings in Diskussion. Ob es sich bei der (historischen) Diskursanalyse um eine bestimmte Methode handelt oder um ein Forschungsprogramm beziehungsweise eine Forschungsperspektive, wird hingegen nicht mehr diskutiert: Diskursanalyse zu betreiben bedeutet heute differente wissenschaftlich ausgearbeitete Methoden und Verfahren einsetzen zu können - je nachdem, welche der drei Ebenen aufgrund von Frage- und Hypothesenstellungen und des vorhandenen Quellenkorpus in den Vordergrund rückt.

Manche der vor allem in den Sozialwissenschaften etablierten Richtungen der Diskurstheorie und -analyse werden in der bisherigen historiographischen Diskussion - und in diesem Heft - weniger berücksichtigt. Das gilt insbesondere für stärker textorientierte Schulen (wie die "Kritische Diskursanalyse" Norman Faircloughs oder den "Diskurshistorischen Ansatz" bei Ruth Wodak), für die pragmatische Richtung (etwa Teun van Dijks) oder die diskursethische Konzeption (im Sinne von Jürgen Habermas). Die Gründe dafür mögen in der Spezifik historischen Materials zu suchen sein, aber auch in teils statisch-synchronen teils idealistischen Diskursbegriffen - und wohl auch an scheinbar unüberbrückbaren Disziplinenschranken. Die im Heft versammelten AutorInnen widmen sich dagegen der Ausarbeitung, Erweiterung und Integration der drei Diskursebenen und der methodischen (sogar untersuchungstechnischen) Modellierung der diskursanalytischen Forschungspraxis. Mit ihren Überlegungen zu den textuellen, diskursiven und sozialen Praktiken problematisieren sie zugleich klassische Begriffspole der Kultur- und Sozialwissenschaften: Text/Kontext, Struktur/Handlung und Diskurs/Subjekt.

Nur einige der im Heft aufgeworfenen Fragen können hier vorweg genannt werden: Wie und mit welchen Begriffen können die zeitlichen Dimensionen von Diskursen gefasst und untersucht werden? Wie bestimmen sich die Grenzen eines bestimmten Diskurses, wie können dessen Persistenz, Wandel und Austausch mit anderen Diskursen gedacht und erforscht werden? Welche Funktion nehmen (historische) Akteure als Produzenten, Distribuenten und Rezipienten von Diskursen ein? Welche Handlungsmöglichkeiten stehen dem 'dezentrierten Subjekt' im und gegenüber dem Diskurs offen? Wie ist die vielfach beschworene Interaktivität von Diskursen und Akteuren zu konzipieren? Und wie werden dabei innovative Prozesse in Gang gesetzt? Sind angesichts der Heterogenität historischen Materials überhaupt Vorgaben für diskursanalytische Methoden und Arbeitstechniken möglich? Welche theoretischen und methodischen Angebote verwandter Fächer - insbesondere der Philosophie, Sprachwissenschaft und Soziologie - können für die geschichtswissenschaftliche Diskursanalyse fruchtbar gemacht werden?

Nach Reiner Keller ist vor allem eine wissensanalytische Profilierung der historischen Diskursforschung notwendig, um so die Kluft zwischen theoretischer Haltung und empirischer Sprachforschung überbrücken zu können. Mit Foucault versteht Keller unter Diskursen Praktiken, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Bei der Diskursanalyse werden "Prozesse der sozialen Konstruktion und Vermittlung von Deutungs- und Handlungsweisen auf der Ebene von institutionellen Feldern, Organisationen und sozialen Akteuren" rekonstruiert. Folgerichtig präsentieren sich konkrete Diskurse für die HistorikerInnen nicht als ontologische Objekte, sondern als hypothetische Strukturierungszusammenhänge von Aussagen samt den in deren Produktion, Distribution und Rezeption involvierten Akteuren. Unter Berufung auf Bourdieu und Giddens konzipiert er die postulierte Relation von Diskurs und Akteur - seine Ausführungen über Sprecherpositionen, Identitätsangebote und soziale Akteure machen deutlich, dass hier vor allem soziologische beziehungsweise sozialgeschichtliche Fragestellungen adressiert werden. Für das methodische Vorgehen bei der wissenssoziologischen Diskursanalyse schlägt Keller eine "interpretative Analytik" vor, bei der Deutungsmuster, Klassifikationen, Phänomen- beziehungsweise Themen- sowie narrative Strukturen im Mittelpunkt stehen.

Peter Haslinger plädiert für eine erweiterte "Diskursgeschichte", indem er einmal die gegenwärtigen Problemstellungen resümiert: Fragen der Korpusbildung und Repräsentativität, der Grenzziehung, zentraler und peripherer Diskurspositionen, die Rolle des Subjekts, das Ordnungskriterium der Zeit sowie die Bedeutung der narrativen Identität stünden auf der Tagesordnung. Unter Heranziehung der kommunikationswissenschaftlichen Propaganda-, Diffusions- und Rezeptionsforschung fokussiert er performative Aspekte von Diskursen, etwa die Drohung mit nichtsprachlichen Mitteln und begleitenden (Gewalt-)Handlungen. Der begrifflichen Schärfung dient sein Vorschlag, den Diskursbegriff in der empirischen Arbeit möglichst präzise und sparsam einzusetzen sowie Begriffe wie "Thema" und "Debatte" definitorisch zu klären. Fragen der Distribution und Breitenwirkung wie der Trägermedien von Diskursen zu behandeln ist in Haslingers Erweiterungsprogramm genauso vorgesehen wie die Berücksichtigung sprach- und zeitüberbrückender Redesysteme. Wie Keller stellt auch Haslinger eine modellhafte Vorgangsweise für das diskursanalytische Arbeiten zur Diskussion.

Der Grenzziehung und Transformation historischer Diskurse - die Frage, warum in einem Diskurs nur bestimmte Aussagen erscheinen und andere, im semantischen, lexikalischen und grammatikalischen Spektrum einer Zeit ebenfalls verfügbaren unberücksichtigt bleiben beziehungsweise unterdrückt werden - nimmt Rüdiger Graf zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Er spricht sich für die Verbindung des angloamerikanischen, akteursbasierten und des französischen, unpersönliche Sprachstrukturen voraussetzenden Diskursbegriffes aus - und zwar mit Hilfe der Theorie "Radikaler Interpretation", die vor allem Donald Davidson vertritt. Demnach ist als Grundlage einer gelingenden Kommunikation und des bedeutungsvollen Gebrauchs von Worten eine Dreiecksbeziehung von Sprecher, Interpret und Welt vorauszusetzen. Beim Spracherwerb werden keine autonomen Regeln angeeignet, sondern bestimmte Annahmen über die Welt, die angesichts 'besserer' Weltbilder (wenn auch nur langfristig) ersetzt werden können. Bei der Diskursanalyse sollten damit die zentralen, von den meisten Teilnehmern implizit oder explizit für wahr und unproblematisch gehaltenen Annahmen eruiert werden. Diskursiver Wandel wiederum würde sich dort abzeichnen, wo die Sprecher diese Grundannahmen problematisieren. Jedoch auch in der Radikalen Interpretation würden sich die Grenzen von Diskursen nicht aus der Absteckung der (letztlich unüberschaubaren) Grundannahmen einer Zeit ergeben, sondern entlang von Forschungsfragen und -hypothesen.

Andreas Frings und Johannes Marx geht es um eine handlungstheoretische Fundierung der Diskursanalyse. Sie verstehen Sprechen als sprachliches Handeln, das denselben Mustern folgt wie jede Form des Handelns. Bei der Diskursanalyse müssten Äußerungen als Produkte subjektiv rationaler Wahl aus Äußerungsalternativen verstanden werden. Ebenfalls in Anschluss an Davidson meinen die Autoren, dass Interpreten dem Sprecher dabei zwar nicht 'wahre', aber zumindest 'begründete', das bedeutet von diesem für wahr gehaltene Überzeugungen unterstellen können. Bei der Diskursanalyse müssten Äußerungen dann entsprechend des sprachlichen Kontexts gedeutet werden, Diskurse folgten den Regeln des Sprechens im sozialen Kontext: "Da der einzelne Sprecher in der Regel das Ziel verfolgt, verstanden zu werden, wählt er Äußerungen, die im gegebenen sozialen Kontext verständlich sind." Prozeduren, nach denen bestimmt wird, was in Diskursen sagbar ist und was ausgeschlossen bleibt, werden von den involvierten (sozialen) Akteuren vorgegeben. Deren soziale Rationalität beziehungsweise 'Eigenlogik' ließe sich in der historischen Analyse anhand der Kriterien der 'Alltagspsychologie' entschlüsseln. So kommt der in der Historiographie beliebte Intentionalismus ins Spiel: Nur wenn dem 'alltäglichen' Sprechen eine Intention samt einer geteilten sozialen Rationalität unterstellt wird, ist bedeutungsvolles und damit gelingendes Handeln und Kommunizieren möglich.

Ein weiteres Desiderat der historischen Diskursforschung stellt die Wirkung von Diskursen auf historische Akteure dar. Auch wenn diese heute nicht mehr als passive und entscheidungsunfähige Diskursmarionetten gesehen werden, bleiben ihre Konturen weiterhin unterbestimmt. Zumeist werden für sie durch Diskurse geprägte, aneignungsfähige Subjektpositionen, Wissensformationen, Deutungen und Normen parat gehalten, gegen und für die sie sich entscheiden, die sie aber auch modifizieren und damit ihrerseits auf den Diskurs rück/einwirken können. Wie dies im konkreten Fall geschieht, ist bislang wenig diskutiert. Claudia Bruns führt am Beispiel des Männerbunddiskurses im Wilhelminischen Kaiserreich ein Stück weit vor, wie sich die Trias von Wissen-Macht-Subjekt als gültige Definition bestimmter männlicher Wirklichkeit durchsetzen und dem Einzelnen als 'authentisches' und 'persönliches' Subjektivierungsangebot präsentieren konnte. Die maskulinistischen Theoretiker führten dabei Strategien und Wissensstränge der Homosexuellenemanzipation, der Freudschen Psychoanalyse, aber auch solche anthropologischer und rassenhygienischer Provenienz im Konstrukt eines essentiellen mann-männlichen Eros zusammen. Sie schufen damit eine für die Mitglieder der Wandervogelbewegung stimmige 'intime' Wahrheit, "die das Subjekt anreizte, sich in diesem schmeichelhaften und modernen Spiegel zu betrachten und gleichzeitig seine soziale Distinktion, seinen geschlechtlichen und rassistischen Ein- und Ausschluss konstituierte". Zu diskutieren bleibt, wann und warum selbst mächtigste Diskurse an den widerspenstigen Erfahrungen der Akteure scheitern konnten und wie deren abweichende Interpretationen in den diskursiven Prozess rückgebunden wurden.

Im Forum dieses Heftes zeigt Markus Stauff in einem Review Artikel, dass auch die Mediengeschichte von einem diskursorientierten Ansatz profitieren kann, was allerdings in den Medienwissenschaften selbst heftig umstritten ist. Einige von deren Ansätzen behandeln Medien nicht mehr als vorgängige und vorauszusetzende Gegenstände (etwa als technische Kommunikationsobjekte), sondern als in Diskursen und durch Diskurse konstituiert und wirksam gemacht. So gesehen, ergeben sich erst durch die diskursive Verflechtung von Apparaten und sozialen Praktiken die konkreten kommunikativen Einsatzmöglichkeiten und 'Handhabungen' einzelner Medien. Aufgabe einer den eigenen Gegenstandsbereich (mit-)reflektierenden Mediengeschichte sei es demnach, die diskursive Konstruktion der Medien und nicht das 'Gerede' über diese zu erforschen.

Um methodische Selbstreflexion in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen ging es auch Ende April 2005 beim Workshop "Endlich Ordnung in der Werkzeugkiste. Zum Potenzial der Foucaultschen Diskursanalyse" an der Freien Universität Berlin. Dabei hat sich, so Susanne Lettow, die Heterogenität des Foucaultschen Instrumentariums als große Stärke zur Vermeidung vorschneller Kanonisierung und Schulenbildung erwiesen. Auch bei diesem Workshop wurde jedoch deutlich, dass die Konkretisierung zentraler Foucaultscher 'Werkzeugbegriffe' und deren theoretische Inbezugsetzung noch keineswegs von der Aufgabenliste der Diskurswissenschaften zu streichen sind. Angeregt wurden zudem Konfrontationen und Integrationen von Begriffen aus dem theoretischen Repertoire der Kultur- und Sozialwissenschaften - etwa von Begriffen Foucaults und den mehr handlungs- und prozessorientierten Ansätzen von Bourdieu, Berger oder Luckmann - sowie eine Reflexion über die Grenzen des Diskurses und der Diskursanalyse.

Nicht unmittelbar auf die Foucaultsche Richtung der Diskursanalyse, sondern auf Kosellecks "Begriffsgeschichte" und die "New Intellectual History" bezieht sich das Internationale Graduiertenkolleg "Politische Kommunikation". Nach Astrid von Schlachta rückt aber auch dort die Text/Kontext-Problematik in den Vordergrund: Von der Antike bis zur Gegenwart werden in den laufenden Forschungsarbeiten die politische Kommunikation in Europa als gesellschaftliche Orientierungsleistung und als Wandel von Normen in allen sprachlichen und zeichenhaften Erscheinungsformen begriffen sowie politische Sprachen und Herrschaftslegitimationen in einem interaktiven Zusammenhang interpretiert.

KritikerInnen beklagen nach wie vor die inflationäre Verwendung des Diskursbegriffs und erklären ihn zum umbrella term, Mode- und Allerweltsbegriff, dessen theoretische und methodische Unbestimmtheit ihn für den wissenschaftlichen Sprachgebrauch disqualifiziere. Die Diskursbeiträge dieses Heftes belegen jedoch, dass in dieser Debatte noch lange nicht die letzten Worte gesprochen sind.

Franz X. Eder / Wien

Anmerkungen

1 Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt am Main 2003, 8.
2 Vgl. Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2001, 103 f.
3 Vgl. Reiner Keller, Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Wiesbaden 2004; u. ders. u.a., Hg., Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursforschung, 2 Bde., Opladen 2001 u. 2003.

Abstracts, ÖZG 16/2005/4, 123-125

Reiner Keller: Knowledge or Language? Towards a 'studies of knowledge' approach in discourse research, pp. 11-32

This contribution starts with a critical discussion of recent work on discourse theory and analysis in historical research by Achim Landwehr and Philipp Sarasin. It argues against both a study of language bias in discourse research, as proposed by Landwehr, and the notion of 'discourse theory as philosophical attitude' put forward by Sarasin. The article then outlines a research programme for discourse analysis, which can be termed the 'sociology of knowledge approach to discourse' (wissenssoziologische Diskursanalyse). Such an approach may also prove useful for historical discourse research too. Going beyond questions of language, the -sociology of know-ledge approach to discourse looks at social relations and the politics of knowledge, as well as the discursive construction of reality as a 'material' process. This approach to discourse integrates insights from Foucault's theories of discourse into interpretative paradigms from the social sciences, especially the 'German' approach to the -sociology of knowledge. Furthermore, it combines research questions focused on the concept of 'discourse' with methods drawn from qualitative social research. The author advocates the use of analytical concepts from the -sociology of knowledge, such as interpretative frameworks, classification systems, phenomenological and narrative structures, and the use of methodological strategies from 'grounded theory'.

Peter Haslinger: Discourse, Language, Time, Identity. A plea for an extended history of discourse, pp. 33-59

To date, discourse analysis in German historiography has not yet established a set of broadly accepted methods. This article begins by addressing some of the problems inherent in theories which have sought to create a model for historical discourse analysis (e.g. relating to the typicality of the sources, centre and periphery situations within discourses, or the relationship between time, identity, and discourse). The author then argues for an expanded methodological approach through the inclusion of further analytical tools, mainly deriving from communication studies. Finally, the article maps out a concrete framework for the implementation of different steps in historical discourse analysis.

Rüdiger Graf: Discourse analysis and radical interpretation. Davidsonian reflections on the boundaries and transformations of historical discourses, pp. 60-80

This paper argues for the reintroduction of historical actors into the analysis of historical discourses. In reviewing current theories, the piece focuses on the problems of (post-)Foucauldian discourse analysis in explaining discursive changes and determining the boundaries of discourses. Since it is not possible to overcome these difficulties within a (post-)structuralist theory of meaning, the author proposes a different approach. Using Donald Davidson's philosophy of language and his theory of 'radical interpretation', the paper argues for an understanding of discourses as being constituted by a set of beliefs shared by the participants. This approach then allows empirical research to define the boundaries of discourses and to explain the transformations they undergo without endowing individual voices with too much linguistic freedom. In contrast to more static theories of discourse formation, the author conceptualizes all discourses as 'inter-discourses', and emphasises their heterogeneity and fluid character.

Andreas Frings and Johannes Marx: When discourses go bathing: creating a basis for discourse analysis via a theory of historical agency, pp. 81-105

The terms 'discourse analysis' and 'discourse theory' may appear to explain a phenomenon, which is in need of explanation. Yet, they actually fail to do so because of a lack of law-like assumptions at the macro-level of discourse. In recognising Foucault's decision to concentrate on the outer appearance of a given discourse (i.e. on the surface of given utterances), one can only assume the existence of abstract mechanisms of exclusion, but without understanding the causes of why a certain mechanism may be working at any given moment. This gap in Foucault's explanatory framework can be solved by employing the model underlying modern, sociological 'Rational Choice' theories (following James S. Coleman and Hartmut Esser) and by hermeneutical concepts developed - mainly by Donald Davidson - in the field of analytical philosophy. The chief clue as to an explanation for the emergence, stability and effects of discursive rules has to be deduced from the presumption of subjective rationality. From this point of view, discourse analysis and hermeneutics not only refer to each other but are mutually dependent on each other. Finally, this approach integrates hermeneutical understanding and discourse analysis in a deductive explanatory framework.

Claudia Bruns: Knowledge - Power - Subject(s). Dimensions of historical discourse analysis: the example of the discourse on male bonding during the Wilhelmine Empire, pp. 106-122

The article examines three significant aspects of discourse analysis: the production of scientific knowledge, power-relations, and the modern subject. The author gives a brief definition of these terms from a Foucauldian perspective and outlines the advantages of discourse analysis compared to other historical methods and theories (such as the history of ideas, classical social history, and ideological criticism). As the author points out, discourse analysis allows for the conceptualization of fiction and reality, theory and practice, culture and politics in a more integrated fashion than the other, above-mentioned approaches. Special emphasis is placed on the need to integrate the subject - with its own forms of physical, emotional, and psychological self-perception and self-expression - into discourse analysis. In addition to this theoretical discussion, the article includes a detailed analysis of male-bonding discourses in the German Empire, which provide a useful example of how discourse analysis can fully integrate the dimensions of knowledge, power and the subject.

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