Die Weltwirtschaft befindet sich in einer dramatischen Lage. Weltproduktion und Welthandel schrumpfen in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß. Wie diese Krise letztlich historisch zu bewerten sein wird, steht heute noch aus. Auf jeden Fall aber wird sie als eine „große Krise“ in die Geschichte eingehen.
Deutschland ist von der Finanz- und Wirtschaftskrise in besonderem Maße betroffen, durch den Exportrückgang ebenso wie durch den Rückgang der Produktion und nachfolgend der Unternehmensgewinne, der Investitionen, der Beschäftigung, der Produktivität, der Einkommen und des Konsums. Der Arbeitsmarkt zeigt bisher noch kaum Verwerfungen durch die Krise. Die Experten rechnen jedoch für 2010 mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Trotz massiver staatlicher Interventionen droht eine Deflationsspirale, deren wirtschaftliche und politische Folgen unabsehbar sind.
Die Politik reagiert hierauf bisher vor allem mit Maßnahmen eines konservierenden Aktionismus. Sie will „eine Brücke“ bauen, die über die Untiefen der Krise hinwegführt, und danach weitermachen wie vor der Krise. Je tiefer die Krise jedoch das Leben der Menschen verändert, umso deutlicher wird, dass es danach kein Zurück zum Davor geben wird. Die Welt wird dann eine andere sein, in Deutschland wie im globalen Maßstab. Dies impliziert, die Krise nicht nur als Katastrophe, sondern zugleich auch als Chance zu begreifen, als Chance für wirtschafts- und gesellschaftspolitische Reformen sowie für die Lösung der anderen großen Krisen dieser Welt, der Umweltkrise vor allem, aber auch der Ernährungs-, der Wasser-, der Energie-, der Rohstoffkrise usw.
Die Zeitschrift Berliner Debatte Initial hat bereits 2008 mit dem Schwerpunktheft „Endlose Depression“ (Heft 4/2008) einen viel beachteten Beitrag zur wissenschaftlichen Interpretation der Krise geleistet. Mit diesem Heft soll die Diskussion über die Hintergründe, die Deutungsversuche und die interdisziplinäre Erklärung der Krise im Lichte der aktuellen Ereignisse fortgesetzt werden. Dabei wird versucht, die wissenschaftliche Interpretation der Krise mit der Frage nach den Chancen für die „Energiewende“ – als dem wesentlichen Ausweg aus dieser Krise wie aus der krisenhaften Situation der Menschheit überhaupt – organisch zu verknüpfen. Das Heft ordnet sich damit ein in den Kanon zahlreicher Veröffentlichungen, welche gegenwärtig versuchen, über das bloße Entsetzten und Staunen über das Ausmaß und die Folgen der Krise hinauszugehen, indem sie Fragen und Konzepte aufgreifen, welche als Lösungsansätze für die Überwindung der Krise dienen.
INHALTSVERZEICHNISSCHWERPUNKT: WEGE AUS DER KRISE
Editorial: Die Finanz- und Wirtschaftskrise – Chancen für Reformen und für eine globale Energiewende (S. 2-4)
Andreas Pickel: Kann der Keynesianismus die neoliberale Weltordnung retten? (S. 5-11)
Mario Candeias: Die letzte Konjunktur: Organische Krise und „postneoliberale“ Tendenzen (S. 12-24)
Ulrich Busch: Krisenverlauf und Krisendeutung im globalen Finanzmarktkapitalismus (S. 25-43)
Klaus Müller: Vom Marktversagen zum Staatsversagen – alles Krise oder was? (S. 44-54)
Katherine Stroczan: Das Gespenst der Aktienkultur oder das Behagen in der Unkultur (S. 55-61)
Rainer Land: Die globale Energiewende und die politische Agenda von Barack Obama (S. 62-66)
Energiewende international. Rainer Land sprach mit Hermann Scheer (S. 67-74)
Andreas Willnow: „Grüner New Deal“? (S. 75-86)
Weitere Beiträge
Thomas Schubert: „Abbau Ost“ – Bericht von einem Abend in Potsdam (S. 87-94)
Danny Schindler: Repräsentation versus Partizipation? Demokratietheoretische Überlegungen (S. 95-105)
Eva Boesenberg: Wie Sport Geschlecht und ‚Race‘ festschreibt (S. 106-116)
Michael Jäckel, Daniel Kofahl: „Man hat etwas anderes vermutet ...“ Zur Phänomenologie des kulinarischen Geschmacks (S. 117-134)
Rezensionen und Besprechungen
Alfred Kosing: Innenansichten als Zeitzeugnisse. Philosophie und Politik in der DDR. Besprochen von Camilla Warnke (S. 135-146)
Günter Butzer, Joachim Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Rezensiert von Mariele Nientied (S. 147-149)
Kurt Bayertz, Myriam Gerhard, Walter Jaeschke (Hg.): Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Rezensiert von Thomas Müller (S. 150-155)
Colin Crouch: Postdemokratie. Rezensiert von Christian Kaiser (S. 156-157)
Roger Karapin: Protest Politics in Germany. Movements on the Left and Right. Besprochen von David Kramer (S. 158-160)