Berliner Debatte Initial 24 (2013), 1

Titel der Ausgabe 
Berliner Debatte Initial 24 (2013), 1
Weiterer Titel 
Bildung und Biologie / Leben mit dem Stalinschen Terror

Erschienen
Potsdam 2013: WeltTrends
Erscheint 
4 Ausgaben jährlich
ISBN
9783941880566
Anzahl Seiten
162 Seiten
Preis
€ 15,00

 

Kontakt

Institution
Berliner Debatte Initial. Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal
Land
Deutschland
c/o
Berliner Debatte Initial, PF 580254, 10412 Berlin, Tel.: (+49-331) 977 4540, Fax: (+49-331) 977 4696, E-Mail: redaktion@berlinerdebatte.de; Redaktion: Ulrich Busch, Erhard Crome, Wolf-Dietrich Junghanns, Raj Kollmorgen, Thomas Möbius, Thomas Müller (verantwortlicher Redakteur), Gregor Ritschel, Robert Stock, Matthias Weinhold, Johanna Wischner. Redaktionelle Mitarbeit: Adrian Klein, Benjamin Sonntag.
Von
Müller, Thomas

Was bedeutet es, dass Neurobiologen in Fernsehtalkshows als Experten für Bildung und Erziehung auftreten? Was bedeutet es, dass Kritiker der Institution Schule auf die Hirnentwicklung von Heranwachsenden verweisen, wenn sie für Veränderungen werben? Was bedeutet es, dass immer mehr Kinder und Jugendliche die Diagnose erhalten, an einer biologisch bedingten Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu leiden, die medikamentös zu behandeln ist? Was bedeutet es, dass Bildungsreformer Methoden und Erkenntnismuster aus den Biowissenschaften und der Medizin als neuen Maßstab pädagogischer Forschung empfehlen?

Bei diesen Fragen setzen die Beiträge des aktuellen Themenschwerpunkts von Berliner Debatte Initial ein. Sie zielen darauf, kritische Perspektiven auf die pädagogische Präsenz der Biowissenschaften zu entwickeln und Aspekte anzusprechen, die bislang kaum Beachtung fanden. Unter der leitenden Frage, wie sich das pädagogische Feld unter dem Einfluss der Biowissenschaften wandelt, verbinden sie theorieorientierte mit empirischen Zugängen. Thomas Müller setzt sich mit dem Angebot auseinander, Erziehung und Bildung auf biowissenschaftliche Grundlagen zu stellen. Er ordnet dieses Angebot in einen größeren epistemischen Zusammenhang ein, den er als naturalistisch bezeichnet, und untersucht verschiedene Tendenzen einer Naturalisierung des Pädagogischen. Am Beispiel der ADHS beleuchtet Nicole Becker Grenzverschiebungen zwischen Medizin und Pädagogik. Sie kann zeigen, dass die Frage, ob ein verhaltensauffälliges Kind (noch) als „schwierig“ oder (schon) als „krank“ gilt, von Experten höchst unterschiedlich bewertet wird und Auswirkungen auf Familie und Schule hat. Ob die Hirnforschung bei Lehrkräften tatsächlich so nachgefragt ist, wie man zuweilen vermutet, untersucht Jonas Frister. Er zeichnet ein differenziertes Bild der Erwartungen und Interessen professioneller Pädagogen, das von der Sehnsucht nach Rezeptwissen bis zur Rechtfertigung eigener pädagogischer Überzeugungen reicht. Ulrich Salaschek lenkt schließlich den Blick zurück auf biowissenschaftliche Deutungsangebote. Seine These ist, dass die bildgebende Hirnforschung den Menschen als neuronale Maschine begreift – ein Menschenbild, das etwa bei der zunehmenden Einnahme von Psychopharmaka handlungswirksam wird.

Der erste Beitrag dieses Heftes ist einem ganz anderen Thema gewidmet: Richard Wagner, vor 200 Jahren, am 22. Mai 1813, in Leipzig geboren und vor 130 Jahren in Venedig gestorben, war das größte Musikgenie des 19. Jahrhunderts, ein Künstler von europäischem Rang und von säkularer Bedeutung. Aus Anlass des diesjährigen Wagner-Jubiläums eröffnen wir den neuen Jahrgang mit einem Essay von Ulrich Busch, der die Rolle des Geldes im Werk Wagners sowie dessen Verhältnis zu Geld, Kredit und Schulden zum Gegenstand hat.

Im Nebenschwerpunkt präsentieren wir vier Beiträge, die sich mit der Bewältigung des Stalinschen Terrors im heutigen Russland auseinandersetzen. Wir setzen damit die Diskussion aus Heft 1/2012 fort. Die hier versammelten Texte gehen zurück auf eine internationale Konferenz, die im Oktober 2012 in Sankt Petersburg stattfand. Es war die 5. Tagung, die u. a. vom Moskauer Rosspen-Verlag – dort erscheint dieses Jahr der dazugehörige Sammelband –, von der Jelzin-Stiftung, der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ und der Lichatschow-Stiftung organisiert wurde. Zu den Mitveranstaltern gehörten die Leningrader Eremitage, das Staatsarchiv der Russischen Föderation und das Archiv für sozialpolitische Geschichte (beide Moskau). Die Idee, „Leben im Terror“ als Tagungsthema zu wählen, geht zurück auf den Schriftsteller und Schirmherren der Veranstaltung, Daniil Granin. Debattiert wurde über gesellschaftliche Mechanismen und Techniken des Terrors, Widerstand, das Verhältnis von Terror und Sozium, den Stellenwert regionaler Identitäten, die Akteure des Terrors sowie die Erinnerung an den Terror und die Geschichtspolitik. Neben dem Moskauer Soziologen Lew Gudkow und zwei Mitarbeitern der Petersburger Menschenrechtsorganisation „Memorial“, Irina Flige und Alexander Margolis, kommt auch Anatoli Rasumow zu Wort, der seit 1995 zu den Herausgebern des „Leningradskij Martirolog“ gehört und die Gruppe „Wiedergegebene Namen“ leitet. Bis auf den heutigen Tag sind elf Bände erschienen, die Namenslisten, biografische Skizzen über die Opfer des Terrors und ausgewählte Dokumente über Planung und Durchführung des „Großen Terrors“ in und um Leningrad enthalten. Rasumows Beitrag über den Gedenkfriedhof Lewaschowo ist der gleichnamigen Broschüre entnommen, die demnächst auch in deutscher Sprache erscheint. Alle Aufsätze des Nebenschwerpunkts handeln von einer „unbewältigten Vergangenheit“, vom Umgang mit der Erinnerung, der Gedenkkultur und Geschichtspolitik in Russland im Allgemeinen und in Sankt Petersburg im Besonderen.

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Editorial (S. 3–5)

Ulrich Busch: „Das Gold ist schuld!“ Zur Rolle des Geldes im Leben und im Werk Richard Wagners (S. 6–23)

SCHWERPUNKT: Bildung und Biologie. Die pädagogische Präsenz biowissenschaftlichen Wissens

Thomas Müller: Erziehung auf biowissenschaftlicher Grundlage? Aktuelle Tendenzen der Naturalisierung von Bildung und Erziehung (S. 24–34)

Nicole Becker: Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie: ADHS aus Sicht von Experten und Eltern (S. 35–50)

Jonas Frister: Die Hirnforschung aus der Sicht von Praktikern (S. 51–63)

Ulrich Salaschek: Bildgebende Hirnforschung zwischen Hype und Kritik. 20 Jahre funktionelle Magnetresonanztomographie (S. 64–79)

NEBENSCHWERPUNKT: Leben mit dem Stalinschen Terror
Zusammengestellt von Wladislaw Hedeler

Irina Anatoljewna Flige: Denkmale für die Opfer des Sowjetterrors. Eine Bestandsaufnahme (S. 80–87)

Alexander Dawydowitsch Margolis: Orte der Erinnerung an den Terror in Sankt Petersburg und im Leningrader Gebiet (S. 88–92)

Anatolij Rasumow: Zur Geschichte des Gedenkfriedhofes Lewaschowo (S. 93–98)

Lew Gudkow: Spiele mit Stalin - Über das Legitimationsdefizit des Putin-Regimes (S. 99–108)

WEITERE BEITRÄGE

Max Koch: Wohlfahrt ohne Wachstum. Theoretische Debatte und sozialpolitische Implikatio-nen (S. 109–124)

Mario Neukirch: Offshore-Windkraft als Plan B der Energiekonzerne? (S. 125–136)

Oliver Neun: Die Geburt des amerikanischen „Neokonservatismus“. Daniel Bell, Michael Harrington und die Zeitschrift „Dissent“ (S. 137–147)

BESPRECHUNGEN UND REZENSIONEN

Michael Nedo (Hg.): Ludwig Wittgenstein. Ein biographisches Album. Rezensiert von Mariele Nientied (S. 148–150)

Wolfgang Uwe Eckart: Medizin in der NS-Diktatur. Ideologie, Praxis, Folgen. Rezensiert von Regina Casper (S. 151–153)

Wladislaw Hedeler: Zwei unangepasste Intellektuelle: Karl Radek und Chaim Zhitlowsky (S. 154–156)

Gunther Teubner: Verfassungsfragmente. Gesellschaftlicher Konstitutionalismus in der Globalisierung. Rezensiert von Oliver Römer (S. 157–161)

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