Rechtsterrorismus hatte in Deutschland bis vor wenigen Monaten kein Gesicht, wenn überhaupt, dann meinte man allenfalls, im fernen Norwegen seine Fratze kurz gesehen zu haben, nun schaut man auf ein Gruppenbild mit Dame, von dem man fürchtet, dass es ein Vexierspiegel der Gesellschaft ist. Dass hierzulande aus provinziellen Verhältnissen heraus, unter einer staatlichen, aber anscheinend gleichfalls provinziellen, womöglich gar kooperativen Observanz, eine kriminelle Kleingruppe über ein Jahrzehnt hinweg mit einer beachtlichen Schar an Unterstützern und Symphatisanten einen tödlichen Terror entfalten konnte, dessen öffentliche Einzelspuren, die von vierzehn Bankrauben über mindestens einen Sprengstoffanschlag bis zur Tötung von neun migrantischen Mitbürgern und einer Polizistin quer durch die Republik führten, nicht durch gesellschaftliche Aufmerksamkeit, journalistische Recherche oder staatliche Ermittlung, sondern nur durch einen Akt finaler Selbstauslöschung zusammengeführt wurden, ist eine Zäsur in der Geschichte Deutschlands.
Diese Zäsur hat eine politische Betriebsamkeit ausgelöst, von der nicht klar ist, ob sie die richtigen Antworten gibt oder eher vermeiden will, dass entscheidende Fragen gestellt werden. In einem Verbot der NPD wird parteiübergreifend ein probates Mittel erkannt. Doch trifft, wer die NPD ins Visier nimmt, auch den Rechtsterrorismus? Oder wird auf diese Weise nur starker Staat gespielt, weil dieser sich zuvor bei Observation und Strafverfolgung als schwach erwiesen hat? Zeigt diese Rechte tatsächlich die „aktiv kämpferische aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“, welche allein ein Parteienverbot begründen könnte? Und hat sie überhaupt die Stärke und Zielgerichtetheit, die verfassungsmäßige Ordnung zu bedrohen? Auf welchen stillschweigenden Rückhalt in der Gesellschaft kann sie bauen? Gibt es noch einen Extremismus der Mitte, und wenn ja, wie groß ist er, welche Ausdrucksformen hat er? Wie nimmt sich der deutsche Rechtsextremismus im internationalen Vergleich aus? Diesen Fragen will die vorliegende Ausgabe der vorgänge nachgehen.
INHALTSVERZEICHNIS
Editorial (1)
Armin Pfahl-TraughberSoziale Potenziale des politischen Rechtsextremismus (4)
Frank DeckerWarum der parteiförmige Rechtspopulismus in Deutschland so erfolglos ist (21)
Dierk BorstelPlädoyer für einen Paradigmenwechsel bei der Bekämpfung des Rechsextremismus (29)
Anna Klein, Eva GroßRechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (39)
Karin PriesterRechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa. Übergänge und Differenzen (52)
Thomas GrumkeGlobalisierte Anti-Globalisten. Wie vernetzen sich Rechtsextremisten international und warum? (60)
Nils Schuhmacher, Christoph SchulzeRechte Pop-Rebellen. Einige Anmerkungen zu Modernisierungen in der extremen Rechten (68)
Frauke Büttner, Juliane Lang, Esther LehnertWeder harmlos noch friedfertig. Mädchen und Frauen im Rechtsextremismus (77)
Martin KutschaDie Erkenntnisse des Polyphen. Anmerkungen zum Verfassungsschutz (86)
Peter Fischer Zur Aussagekraft von Seymour Lipsets „Extremismus der Mitte“ (95)
Astrid Bötticher, Miroslav MarešAnti-Extremismus (101)
Sven LüdersDie Rechtsextremismusdatei – Aktionismus ohne Erkenntnisgewinn (109)
Essay
Arata Takeda Das regressive Menschenopfer. Vom eigentlichen Skandalon des gegenwärtigen Terrorismus (116)
Michael Th. GrevenDer Spread als neue Legitimation? (130)
Autorinnen und Autoren (133)