Comparativ 22 (2012), 5

Titel der Ausgabe 
Comparativ 22 (2012), 5
Weiterer Titel 
Borders in Imperial Times. Daily Life and Urban Spaces in Northeast Asia

Erschienen
Erscheint 
Erscheint fünfmal jährlich (mit einem Doppelheft) im Umfang von je ~140 Seiten.
Anzahl Seiten
141 S.
Preis
Einzelheft EUR 12,00, Jahresabonnement EUR 50,-

 

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Institution
Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsforschung
Land
Deutschland
Ort
Leipzig
c/o
Comparativ Universität Leipzig Leipzig Research Centre Global Dynamics IPF 348001 Ritterstrasse 24 04109 Leipzig GERMANY e-mail: comparativ@uni-leipzig.de
Von
Middell, Matthias

Borders in Imperial Times. Daily Life and Urban Spaces in Northeast Asia
Herausgegeben von Frank Grüner, Susanne Hohler & Sören Urbansky

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze
Frank Grüner / Susanne Hohler / Sören Urbansky
Borders in Imperial Times: Daily Life and Urban Spaces in Northeast Asia, S. 7

Blaine Chiasson
Playing Guest and Host on the Manchurian Stage: Debating Modernity in the Chinese Northeast, S. 14
Am 12. Januar 1924 wurden im Harbiner Klub der Ostchinesischen Eisenbahn im Beisein von Vertretern der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zwei Operetten aufgeführt. Der Sohn des Mandarin von Cesar Cui und Die Geisha von Sidney Jones waren beide leichte Stücke mit orientalischer Thematik, von denen die Organisatoren hofften, dass sie das multikulturelle Milieu Harbins widerspiegeln würden. Stattdessen verließen die chinesischen Verwaltungsbeamten die Aufführung unter Protest, weil sie die Stücke als Beleidigung Chinas auffassten, während die meisten Russen die Aufregung nicht nachvollziehen konnten. In der folgenden Woche wurde Harbin von Demonstrationen paralysiert, auf denen die protestierenden Menschen eine öffentliche Entschuldigung und den Rücktritt des russischen Leiters der Eisenbahn forderten. Die unterschiedlichen Reaktionen auf die Demonstrationen spiegeln die Spaltung zwischen den jetzt unter chinesischer Kontrolle lebenden Russen und den in ihrer Rolle als Machthaber noch unsicheren Chinesen wider. Aufbauend auf meiner Monographie Administering the Colonizer: Manchuria’s Russians under Chinese Rule, 1919–1929 argumentiere ich, dass das alltägliche Leben in der ehemaligen Eisenbahnzone durch Spannungen zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen geprägt war. Nach 1917 sahen sich die Russen gezwungen, ihre Position in der Mandschurei neu zu verhandeln. Aber obwohl sie nun chinesischer Kontrolle unterstellt waren, behielten die Russen Schlüsselpostionen in Wirtschaft und Verwaltung. Die chinesische Verwaltungselite des Distrikts war bestrebt, die ehemalige russische Kolonialverwaltung zu erhalten und zu verbessern. Sie reagierte empfindlich auf Vorwürfe, sie sei zu unorganisiert, um über eine europäische Gemeinschaft zu herrschen. Umso mehr zeigte sie sich entschlossen, die Region als modern und progressiv zu präsentieren. In diesem Beitrag werden die Opern-Demonstrationen mit den Debatten um den Beitrag der einzelnen Bevölkerungsgruppen zur Entwicklung der Region verglichen, die innerhalb der Harbiner Gesellschaft zur Erforschung der Mandschurei geführt wurden. Insgesamt soll gezeigt werden, dass die erhitzte post-koloniale Atmosphäre in der ehemaligen Eisenbahnzone vor allem zu Auseinandersetzungen darüber führte, wie sich jede Gemeinschaft selbst repräsentierte und wie sie von anderen dargestellt wurde.

Frank Grüner / Rudolph Ng
Borders in Daily Life and the Press: Harbin's Russian and Chinese Newspapers in Early Twentieth Century, S. 27
Russische und chinesische Zeitungen, die in der multikulturellen Stadt Harbin zwischen 1900 und 1932 erschienen, stehen im Zentrum dieses Beitrags. Eine vergleichende Analyse von russischen und chinesischen Presseorganen soll Aufschluss darüber geben, wie die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen Grenzziehungen zwischen den Kulturen und grenzüberschreitende Phänomene im Alltag der mandschurischen Stadt kommunizierten. Im Mittelpunkt dieser Studie steht die Frage, wie sich Russen und Chinesen in einer kulturellen Kontaktzone wie Harbin gegenseitig wahrnahmen und wie sie in einem von konkurrierenden Herrschaftsansprüchen, Werten und Lebensentwürfen bestimmten Raum Grenzen aller Art konzeptualisierten. Exemplarisch werden solche Prozesse mit Blick auf „Epidemien“, vor allem hinsichtlich der verheerenden Pestepidemie von 1910/11, und „Wirtschaft“ untersucht. Beide Untersuchungsbereiche waren von umfassenden Interaktionen und Verflechtungen beider Bevölkerungsgruppen sowie von Konkurrenzsituationen und Konflikten geprägt. Es zeigt sich, dass es zwar durchaus stereotype Bilder vom anderen gab, dass diese wechselseitigen Wahrnehmungen aber keineswegs statisch waren und in spezifischen Kontexten durchaus unterschiedlich, sogar widersprüchlich ausfielen. Interessant ist daher mit Blick auf bestimmte diskursive Praktiken nicht nur die Frage, was in welcher Weise kommuniziert wurde, sondern auch die Frage danach, welche Bereiche des gemeinsamen Alltags nicht thematisiert wurden. Das multilinguale Pressewesen war Ausdruck der sozioökonomischen und kulturellen Diversität der kosmopolitischen Stadt Harbin. Mehrere
Dutzend Zeitungen und Zeitschriften vor allem in russischer, chinesischer, japanischer und englischer Sprache, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienen – in der Zeit von 1917 bis 1932 weitgehend unbehelligt von Zensur –, bilden einen unikalen Quellenbestand für Untersuchungen über kulturelle Identitätsbildungen sowie Eigen- und Fremdwahrnehmungen
von Bevölkerungsgruppen in multikulturellen Gesellschaften.

Christian A. Hess
Gateway to Manchuria: The Port City of Dalian under Japanese, Russian and Chinese Control, 1898 - 1950, S. 47
Dieser Aufsatz untersucht die Transformation der Stadt Dalian (Russ. Dal’nii, Jap. Dairen) von einem Exporthafen der von kolonialen Einflüssen geprägten Mandschurei zu einer Industriemetropole
des japanischen Imperiums während der Kriegszeit und schließlich zu einer Modellstadt für industrielle Produktion der Volksrepublik China. Dalian ist ein besonders eindrückliches lokales Beispiel für den Übergang vom Imperium zur Nation in dem strategisch wichtigen Gebiet der Mandschurei. Der Beitrag analysiert, wie die aufeinander folgenden Regime die Stadt definierten und sich die Stadt in wechselnden geographischen und ökonomischen Kontexten
veränderte, von einem weit entfernten russischen Handelsposten über ein Zentrum des Exports während der japanischen Kolonialzeit und einer japanischen Produktionsstätte während des Krieges zu einer sowjetisch besetzten Zone und bis zu einem integralen Teil der Volksrepublik China. Diese fortwährenden Verschiebungen übten einen großen Einfluss auf die lokale Gesellschaft aus, insbesondere auf die chinesische Bevölkerungsmehrheit der Stadt. Der Wandel der wirtschaftlichen und politischen Funktionen der Stadt veränderte nicht nur ihre physische Gestalt, sondern auch die komplexe, im steten Wechsel begriffene Identität ihrer Bewohner. Als eine instant city oder „neue Stadt“ an den Grenzen des Imperiums, des militärischen Schutzgebiets und der Nation war die urbane Identität Dalians dynamischer als in anderen Städten Nordostasiens. Die Geschichte dieser Stadt rückt bislang von der historischen Forschung vernachlässigte Aspekte der großen Narrative von Entkolonialisierung, Revolution und Nationalstaatsbildung, die gemeinhin mit der Region in Verbindung gebracht werden, ins Zentrum der Analyse.

Susanne Hohler
Go Team Harbin. Sports, Borders and Identity in the 1930s, S. 60
In den 1930er Jahren war Harbin eine multikulturelle Stadt, in der Menschen aus mehr als 50 unterschiedlichen Nationalitäten mehr oder weniger friedlich zusammenlebten. Der multikulturelle Alltag mit all seinen Besonderheiten und Konflikten sowie die dynamischen Beziehungen zwischen Menschen so unterschiedlicher Herkunft machten Harbin zu einem außergewöhnlichen Ort, der auch heute noch das Interesse von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen weckt. Wie dieser Artikel zeigt, ermöglicht Sport einen einzigartigen Einblick in die komplexen, vielschichtigen und zeitweise durchaus konfliktgeprägten Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Stadt Harbin. Dieser Artikel versucht anhand von Sport Prozesse der Grenzüberschreitung und Grenzziehung zwischen den verschiedenen nationalen Bevölkerungsgruppen im sozialen Geflecht Harbins der 1930er Jahre zu beleuchten, indem das eigentliche Spielfeld oder der Sportplatz als städtischer Raum (urban space) konzeptualisiert wird – also als ein gemeinschaftlicher Raum (common space) oder eine Kontaktzone, wo sich Vertreter der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sowohl auf als auch außerhalb des Platzes begegneten. Mit Blick auf die multikulturelle Zusammensetzung der Bevölkerung, die wiederholten Machtwechsel und Auseinandersetzungen über die Identität Harbins waren sowohl die Ausgestaltung des als auch das Verhalten im städtischen Raum von größter Bedeutung. Dies führte häufig zu Konflikten. Ich argumentiere, dass aufgrund seiner besonderen Charakteristika das Spielfeld zu einem gemeinschaftlicher Raum werden konnte, auf dem ansonsten klar definierte Grenzen verschoben oder zumindest zeitweise aufgehoben werden konnten.

Benjamin lsitt
On the Borders of Bolshevism: Class, Race, and the Social Relations of Occupied Vladivostok 1918-19, S. 72
Nach der Revolution von 1917 war die Machtfrage in Vladivostok ungeklärt. Rivalisierende staatliche und nicht-staatliche Akteure rangen um politischen Einfluss. Die geopolitischen Konflikte
übertrugen sich auf die lokalen Verhältnisse und sozialen
Beziehungen – ein Prozess, der mit Blick auf Klasse, Rasse und Ideologie seinerseits Grenzen festlegte und soziale Räume im
besetzten Vladivostok formte. Nach dem Machtverlust der Bol’ševiki in Vladivostok strömten im Sommer 1 918 mehr als
einhunderttausend ausländische Soldaten in Russlands fernöstliche
Hafenstadt. Sie mischten sich mit der dort ansässigen asiatischen und europäisch-russischen Zivilbevölkerung und Emigranten, vorwiegend Anhängern der antibolschewistischen Weißen Bewegung, die vor dem Bürgerkrieg im Inland geflohen waren. Am Beispiel des besetzten Vladivostok soll in diesem Artikel das Konzept des „Wanderarbeiters“ so erweitert werden, dass es sowohl ausländische Soldaten als auch die lokale Zivilbevölkerung und Flüchtlinge erfasst. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Beziehungen zwischen den kanadischen Soldaten und der lokalen Zivilbevölkerung. Die höheren Offiziere identifizierten sich mit den Anhängern der Weißen Bewegung und reagierten mit Empörung auf die Guerilla-Taktik der Partisanenverbände aus den Dörfern der Region Primor’e. Einfache Soldaten hingegen standen den Zielen ihrer Länder in Russland eher skeptisch gegenüber und identifizierten sich mit dem Volksaufstand im Frühjahr 1919. Die Zivilbevölkerung chinesischer und koreanischer Abstammung wurde durch einen „kolonialen Blickwinkel“ wahrgenommen, aber kaum mit Geringschätzung, weil man sie (fälschlicherweise) für immun gegenüber kommunistischen Einflüssen hielt. In Cafés, auf den Straßen, in den Kinos und der Straßenbahn, auf Marktplätzen, in den Kasernen und Bordellen des besetzten Vladivostok entwickelten sich zwischen alliierten Soldaten und der aufsässigen Zivilbevölkerung der Grenzstadt komplexe Wechselbeziehungen, die einen einzigartigen sozialen Raum an der Grenze zum Bolschewismus schufen.

Sören Urbansky
Mapping Manchuria Station. Crossing Borders into the "Yellow Land", S. 87
Der Aufsatz untersucht Grenzstädte im wörtlichen Sinne, sprich urbane Siedlungen, die unmittelbar an Staatsgrenzen liegen und deren Schicksale durch politische Abgrenzungen von Nationalstaaten oder Imperien bestimmt wurden. Er analysiert die Geschichte des Grenzbahnhofs Man’čžurija (chin. Manzhouli) in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und zeichnet seine Topographie und wirtschaftliche Entwicklung sowie die sozialen Beziehungen der dort siedelnden Menschen nach. Man’čžurija liegt an der Grenze zwischen dem zu Russland gehörenden Transbajkalien und dem Nordosten Chinas. Erst mit dem Bau der Ostchinesischen Eisenbahn, dessen westlichen Endhaltepunkt Man’čžurija markiert, gewann der Ort an Bedeutung. Der Beitrag verfolgt zwei Ziele: Zum einen ist es ein Versuch, den Wert verschiedener historischer Quellengattungen (Reiseliteratur, ökonomische Berichte, Archivakten, Karten, Fotos
usw.) für die Erforschung kleiner Grenzorte zu ermessen, zu deren Geschichte die Quellenlage meist äußerst spärlich ist und das Material nicht selten über die ganze Welt verstreut liegt. Ein zweites Ziel dieses Beitrags ist die Erforschung des Charakters von Grenzsiedlungen als spezifischen urbanen Räumen mit einer besonderen Bevölkerungsstruktur. Er identifiziert verschiedene Kontaktzonen und Grenzlinien, die von den dort lebenden Bewohnern gezogen und überwunden wurden.

Buchbesprechung
Beate Wagner-Hasel: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher ( 1847-1930), Frankfurt am Main 2011 (Arnulf Kutsch), S. 106

Isabella Löhr: Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Neue Strukturen internationaler Zusammenarbeit 1886-1952, Göttingen 2010 (Malte Zierenberg), S. 109

Daniel Mare Segesser: Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte, 1872-1945, Paderborn 2010 (Adamantios Skordos), S. 112

Chang-Tai Hung: Mao's Political Culture in the Early People's Republic, Ithaca 2011 (Eva- Maria Stolberg), S. 116

Gary Haq / Alistair Paul: Evironmentalism since 1945, Routledge 2012 (Maxi Freund), S. 119

Belinda Davis / Wilfried Mausbach / Martin Klimke / Carla MacDougall (Hrsg.): Changing the World, Changing Oneself: Political Protest and Collective Identities in West Germany and the U.S. in the 1960s and 1970s, New York 2010
Martin Klimke / Jacco Pekelder / Joachim Scharloth (Hrsg.):
Between Prague Spring and French May. Opposition and Revolt in Europe, 1960-1980, New York 2011 (Michael Stauch), S. 123

Jie-Hyun Lim / Karen Petrone (Hrsg.): Gender Politics and Mass Dictatorship. Global Perspectives, Mass Dictatorship in the 20th Century, Basingstoke 2011 (Rebecca Friedman), S. 126

Toyin Falola / Saheed Aderinto: Nigeria, Nationalism, and Writing History, Rochester 2010 (Axel Harneit-Sievers), S. 129

Christopher J. Lee (Hrsg.): Making a World after Empire. The Bandung Moment and lts Political Afterlives, Athens 2010 (Tan See Seng), S. 131

Mabel Morana / Bret Gustafson (Hrsg.): Rethinking lntellectuals in Latin America, Madrid 2010 (Janet Burke), S. 133

Jürgen Kocka / Günter Stick (Hrsg.): Stiften, Schenken, Prägen. Zivilgesellschaftliche Wissenschaftsförderung im Wandel, Frankfurt am Main 2011 (Thomas Adam), S. 135

Akira Iriye / Pierre-Yves Saunier (Hrsg.): The Palgrave Dictionary of Transnational History, Basingstoke 2009 (Torsten Loschke), S. 138

Autorinnen und Autoren, S. 141

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