"National and Regional Belonging in Twentieth-Century East Asia", herausgegeben von Stefan Hübner und Torsten Weber
Inhaltsverzeichnis AufsätzeStefan Hübner / Torsten Weberlntroduction: National and Regional Belonging in Twentieth-Century East Asia, S. 6 Die Konzepte von Nation und belonging sind entscheidend, um die Geschichte Ostasiens im zwanzigsten Jahrhundert als Periode der Entstehung von Nationen und der Neuverhandlung von Zugehörigkeitsgefühlen zu verstehen. Diskursive Verbindungen zwischen beiden Konzepten können mindestens bis ins neunzehnte Jahrhundert zurückverfolgt werden. Begegnungen mit dem westlichen Anderen seit dieser Zeit hatten einen wichtigen Einfluss auf Vorstellungen und Formierungen von Nationalstaaten in Ostasien. Während der Aufstieg des Nationalismus eigentlich nationale Abgrenzung von Nachbarn suggeriert, vereinigten Anti-Kolonialismus und Anti-Imperialismus eine wachsende Zahl von Asiaten im Kampf für Gleichheit und Selbstbestimmung. Dieser Kampf beeinflusste nicht nur die Zwischenkriegszeit, sondern charakterisierte auch die Epoche der Dekolonisation nach 1945. Dementsprechend diente vielen asiatischen Akteuren nicht nur die Nation, sondern auch die supranationale Region als Referenzpunkt für die Ausbildung eines Zugehörigkeitsgefühls. Dieses basierte oft auf kulturellen Elementen wie Religion, Sprache, Werten und Abstammungsmythen. Zahlreiche räumliche Vorstellungen von Kommonalität trugen dementsprechend zur gleichzeitigen Ausbreitung von Nationalismus und Regionalismus bei. Dieser Artikel vermittelt einen Überblick über die Bedeutung der Konzepte von Nation und belonging für die Geschichte Ostasiens im zwanzigsten Jahrhundert und diskutiert theoretische Ansätze, die zum Verständnis des Zusammenhangs der Konzepte dienen. Abschließend stellt er die fünf Fallstudien dieser Ausgabe vor.
Ivan SablinBuryat, Mongol and Buddhist: Multiple Identities and Disentanglement Projects in the Baikal Region, 1917-1919, S. 17 Die Baikalregion in Sibirien war lange Zeit ein Gebiet der Interaktionen zwischen europäischen, asiatischen und globalen Akteuren. Geographische Informationssysteme (GIS) dienen hier zur Rekonstruktion und Analyse von Beziehungsräumen, die durch diese Interaktionen entstanden. Zwischen 1917 und 1919, nach dem Fall des Chinesischen und des Russischen Reichs, kam es vermehrt zu Versuchen, die administrativen und internationalen Grenzen in dieser Region neu zu definieren. Unter anderem beteiligten sich lokale Intellektuelle und buddhistische Mönche an diesen Projekten der Entflechtung von Beziehungen. Zu diesen Projekten gehörten die 1917 ausgerufene Autonomie der Burjaten, die buddhistische Theokratie des abtrünnigen Mönchs Lubsan Samdan Tsydenov und die von japanischen Offizieren und dem Kosakenführer Semenov unterstützte pan-mongolische Föderation. Jedes Projekt konstruierte eine eigene Gruppenidentität und entwickelte eigene Beziehungsräume. Dieser Artikel untersucht, wie Konflikte zwischen konkurrierenden Identitäten gelöst wurden und warum letztlich alle drei Projekte scheiterten.
Torsten Weberlmagined Territoriality: Visual Portrayals of 'Asia' in the Age of Nationalism in East Asia, S. 37 Dieser Artikel untersucht die Darstellung ‚Asiens‘ als kulturell-politische Einheit in visuellen Imaginationen von Territorialität und politischen Karikaturen, die überwiegend in den 1930er und 1940er Jahren in Japan und China entstanden. Auf den ersten Blick stehen diese Portraits vor allem für eine asianistische Agenda, die asiatische Kommonalität in Abgrenzung zum ‚Westen‘ betont. Visionen eines geeinten Asiens enthielten oft jedoch auch sehr explizite Ansprüche auf Zentralität oder Führerschaft einer bestimmten Nation. Im Kontext des japanischen Imperialismus nimmt zwar meist Japan diese Rolle ein, allerdings zeigen Darstellungen ‚Asiens‘ aus Kollaborationsgebieten, dass auch anderen Nationen diese Rolle zugeschrieben werden konnte, solange dies innerhalb der asianistischen Metanarrative erfolgte. Damit ergänzten visuelle Imaginationen anderweitig verbreitete nationalistische Konzeptionen des Asianismus, wie sie vor allem seit den 1930er Jahren verstärkt propagiert wurden. Gegen dieses imperialistisch-hegemoniale Erbe des Asianismus nutzen Intellektuelle und transnationale Initiativen in Ostasien heute u.a. visuelle Darstellungen alternativer Territorialität, um zur Überwindung des gespaltenen Geschichtsbewusstseins und nationaler Chauvinismen beizutragen.
Konrad M. LawsonUniversal Crime, Particular Punishment: Trying the Atrocities of the Japanese Occupation as Treason in the Philippines, 1947-1953, S. 57 Nach dem Ende der japanischen Besatzung der Philippinen 1945 wurden dort Prozesse zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und von Landesverrat initiiert. Während im ersten Fall eine universalistische Kategorie von Verbrechen zur Strafe stand, ging es im zweiten Fall meist um den Verrat an der Nation, die als Opfer definiert wurde. Im Januar 1948 erklärte Manuel Roxas eine Präsidialamnestie für alle des Landesverrats Beschuldigten mit Ausnahme von Kollaborateuren aus dem Militär und der Polizei, Spionen, Informanten und gewalttätiger Verbrechen Beschuldigter. Die meisten der Fälle von Landesverrat, die diese Amnestie nicht umfasste, betrafen Personen, die Formen von Gräuel begangen hatte, die in Prozessen gegen Japaner als Kriegsverbrechen eingestuft wurden. Dieser Artikel untersucht den Prozess der gerichtlichen Aufarbeitung von Gewaltverbrechen und sexueller Gewalt, meist begangen durch Kollaborateure aus dem Militär und der Polizei, in den Philippinen nach 1945 gemäß dem Gesetz gegen Verrat. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern – ungeachtet der Tatsache, dass die Kriegsverbrecherprozesse der frühen Nachkriegszeit den Erwartungen in vielerlei Form nicht entsprachen – die alternative Kategorisierung von Brutalität im Krieg als Landesverrat nicht auch hochproblematisch war.
Amanda ShumanFrom Soviet Kin to Afro-Asian Leader: The People's Republic of China and International Sport in the early 1960s, S. 78 In den frühen 1960er Jahren nutze die chinesische Führung den internationalen Sport für ihr außenpolitisches Ziel der Neupositionierung der Volksrepublik China auf globaler Ebene. Damit versuchte sie auch, die bisherige geopolitische Situation in Asien gemäß ihren Interessen zu revidieren. Der Kulminationspunkt dieser Anstrengungen waren die Ersten Spiele der Neuen Aufstrebenden Kräfte (GANEFO), die im November 1963 in Jakarta abgehalten wurden und als Sport-Großereignis in vielerlei Hinsicht den Olympischen Spielen ähnelten. Die Volksrepublik leistete einen fundamentalen Beitrag zur Entstehung der Spiele, sendete die größte Delegation und gewann die meisten Medaillen. Der Artikel untersucht das Interesse und die Beteiligung Chinas an den GANEFO im Rahmen der Stärkung der chinesisch-indonesischen Beziehungen und des Versuchs, China als sozialistische Führungsmacht der afrikanischen und asiatischen Länder zu stilisieren. Die GANEFO sollten dementsprechend dazu dienen, Ideale des Afro-Asianismus im Sinne des revolutionären Sozialismus Chinas weltweit zu propagieren.
Martyn SmithBetween East and West: The Cold War, Japan and the 1964 Tokyo Olympics, S. 100 Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio dienten als Spektakel und Medienereignis dazu, die Idee einer einzigartigen asiatischen Identität mit der einer komplett neuen, modernen, ökonomisch entwickelten und demokratischen Gesellschaft zu verbinden. Japan wurde als ein nachahmenswertes Beispiel für einen erfolgreichen Modernisierungsprozess beworben, in dessen Verlauf es seine asiatische Identität und kulturelle Einzigartigkeit nicht verloren habe. Der Artikel untersucht, wie vor dem Hintergrund der ideologischen Prioritäten des Kalten Krieges die Frage nach der japanischen nationalen Identität in Debatten über den ‚Westen’ und über ‚Asien’ diskutiert wurde. Japan versinnbildlichte 1964 eine ‚globale Moderne’ nicht nur durch die Transformation seiner Infrastruktur. Nationale Identität wurde auch ein ‚Konsumartikel’ und ein ‚Japan’ entstand, das unabhängig von der symbolischen Politik der Olympischen Spiele existieren konnte und jungen Japanern in den Metropolen eine scheinbar unpolitische nationale Identität offerierte. Dieses Bild wurde sowohl dem internationalen wie auch dem nationalen Publikum vermittelt und kann im Rahmen seiner Beschreibung von ‚Japan‘, dem ‚Westen‘ und ‚Asien‘ als ein Produkt des Kalten Krieges betrachtet werden.
ForumMarcus OttoDezentrierung des Weltbildes? Die Krise der westlichen Zivilisation, das Ereignis der Dekolonisierung und die Frage des Subjekts im Diskurs der Geschichtsschulbücher in Frankreich in den 1960er Jahren, S. 117 The modern colonial representation of the world which in metropolitan France has emphatically manifested itself under the famous title of a mission civilisatrice depended on a methodological nationalism as well as a political-epistemological ethno- and eurocentrism. It thus constituted an imperial western subject position of representation. Yet this central subject position of representation has eventually been challenged and decentered by the historical process of decolonization since the 1950s. Hence this article investigates how and to what extent decolonization affected, changed and rearticulated the subject of representation. To do this it will focus on historical textbook knowledge in France in the 1960s. History textbooks are especially relevant in this regard insofar as they can be described as national autobiographies as well as prominent and effective media of the above mentioned modern (colonial) representation of the world.
Autorinnen und Autoren, S. 138