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Lange Zeit galten Agrarwachstum und bäuerliche Ökonomie als ein Widerspruch in sich. Dabei wurde die Tatsache ignoriert, dass im mitteleuropäischen Raum bäuerliche Familienbetriebe vor, während und nach den Agrarreformen weithin dominierten. Selbst in gutsherrschaftlich geprägten Regionen bewiesen sie unter ungünstigsten Verhältnissen eine erstaunliche Vitalität. Gerade die ostdeutsche Agrargeschichtsschreibung hat viel dazu beigetragen, den bäuerlichen Beitrag zur neuzeitlichen Agrarentwicklung herauszuarbeiten. Viele Fragen blieben dennoch offen. Die dynamischen, wachstumsfördernden Elemente der bäuerlichen Ökonomie, die entgegen der weltweiten entwicklungsökonomischen Lehrmeinung in Deutschland immer noch als eine eher statische Größe betrachtet wird, wurden für den mitteleuropäischen Raum bislang kaum systematisch analysiert. Über weite Strecken lasen sich die Erklärungen zur Persistenz bäuerlicher Wirtschaften immer noch als eine erlittene Geschichte, beruhend auf Konsumverzicht und Selbstausbeutung.
Die in der internationalen entwicklungsökonomischen und agrarhistorischen Forschung schon seit Jahrzehnten herausgearbeiteten Gründe für die Vitalität und ökonomische Überlegenheit bäuerlicher Familienwirtschaften sowie die Einsicht in die erstaunliche Anpassungsfähigkeit der Institutionen „traditioneller” Agrargesellschaften sowie ihrer Träger an marktbedingte Entwicklungen fanden bisher keinen ausreichenden Niederschlag in der deutschen Forschung. Galten Bauern lange Zeit, aufbauend auf einen eindrucksvollen Traditionsbestand von den Physiokraten, den englischen Klassikern, über Marx und auch Max Weber bis Anfang der 1960er Jahre eindeutig als Hindernis für eine marktorientierte dynamische Agrarentwicklung, so hat sich seitdem aufgrund der erfolgreichen „Grünen Revolution” in Asien und gestützt auf tausende von empirischen Studien zur bäuerlichen Ökonomie ein Paradigmenwechsel vollzogen. Heute gilt als unangefochtener Konsens in der Entwicklungsökonomie: „Peasants in developing economies ... are highly responsive to economic opportunities and perfectly capable of carrying out modern agriculture” (Yujiro Hayami 1998). Bäuerliche Ökonomie ist trotz all ihrer spezifischen Besonderheiten nicht das Gegenbild zur Moderne, sie ist vielmehr Ausgangspunkt und über lange Zeiträume hinweg notwendiger Rahmen für eine erfolgreiche Entwicklung.
Wir danken den Herausgebern der ZAA für die Möglichkeit, den Aufsatzteil dieses Heftes als Gastherausgeber gestalten zu können, und besonders Ilona Buchsteiner sowie in der Abschlussphase Stefan Brakensiek für die gute Zusammenarbeit. Als für das Gesamtheft verantwortliche Herausgeberin aus dem Kreis der ständigen Herausgeber hat Ilona Buchsteiner unsere Arbeit bis zu ihrem überraschenden Tod engagiert begleitet. Ihren wissenschaftlichen Ernst und ihren freundlichen, unprätentiösen Umgangsstil haben alle Beiträger des Aufsatzteils noch aus einem gemeinsamen Workshop in Münster in bleibend guter Erinnerung.
Heft 1, 51. Jahrgang, April 2004
Nachruf Ilona Buchsteiner, S. 9
Michael Kopsidis, Georg Fertig: Agrarwachstum und bäuerliche Ökonomie 1640-1880 Neue Ansätze zwischen Entwicklungstheorie, historischer Anthropologie und Demographie, S. 11
Frank Konersmann: Bauernkaufleute auf Produkt- und Faktormärkten - Akteure, Konstellationen und Entwicklungen in der Pfalz und in Rheinhessen (1760-1880), S. 23
Georg Fertig: „Der Acker wandert zum besseren Wirt”? Agrarwachstum ohne preisbildenden Bodenmarkt im Westfalen des 19. Jahrhunderts, S. 44
Hermann Zeitlhofer: Sozialer und demographischer Wandel im südböhmischen Kaplicky 1640-1840 - Eine Fallstudie zur Flexibilität traditionaler ländlicher Gesellschaften, S. 64
Heinrich Kaak: Ländliche Bevölkerung in Brandenburg zwischen Anpassung und Offensive - Wege der sozialen und wirtschaftlichen Behauptung von Dörfern im zentralen Oderbruch zwischen 1720 bis 1850, S. 84
FORUM
Julien Demade: Die ,neuen Leibeigenschaften'in Mittel- und Nordeuropa (13.-16. Jahrhundert) - Bericht über eine internationale Tagung (Göttingen, 6. bis 8. Februar 2003), S. 103
Simone Heimle: Sozialer Wandel in ländlichen Räumen - Tagung der Sektion Land- und Agrarsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 19.6.2003-21.6.2003 in Rostock, S. 112
Christof Jeggle: Geld, Kredit und Markt in vorindustriellen Gesellschaften Bericht über die 3. Tagung des Irseer Arbeitskreises für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 115
Siegfried Kuntsche: DDR-Landwirtschaft in der Zeitgeschichte Bemerkungen zu einer Forschungsbilanz, S. 120
REZENSIONEN
Siegfried Epperlein: Bäuerliches Leben im Mittelalter, S. 127
Bas J. P. van Bavel, Erik Thoen (Hg.): Land Productivity and Agro-Systems in the North Sea Area, S. 127
Johann Dorner: Herzogin Hedwig und ihr Hofstaat, S. 129
Susanne Rappe-Weber: Nach dem Krieg: Die Entstehung einer neuen Ordnung in Hehlen an der Weser (1650-1700), S. 130
Wolfgang Wüst (Hg.): Geistliche Staaten in Oberdeutschland im Rahmen der Reichsverfassung, S. 132
Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Bjern Poulsen (Hg.): Writing Peasants, S. 133
Elmar Rettinger: Die Umgebung der Stadt Mainz und ihre Bevölkerung vom 17. bis 19. Jahrhundert, S. 135
Wolfram Siemann, Nils Freytag, Wolfgang Piereth (Hg.): Städtische Holzversorgung, S. 136
Nicolas Bourguinat: Les Grains du desordre, S. 138
Uwe E. Schmidt: Der Wald in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert 142 Alix Johanna Cord: Die ostholsteinische Gutswirtschaft im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Hufenpächter, S. 139
Johann Heinrich von Thünen (1783-1850), S. 144
Christoph Pinzi, Peter Mayer-Diener: Eiserne Pflücker, S. 145
Tillmann Bendikowski: „Lebensraum für Volk und Kirche”, S. 146
Gerhard Röbbelen (Hg.): Biographisches Lexikon zur Geschichte der Pflanzenzüchtung, S. 148
Susanne Heim (Hg.): Autarkie und Ostexpansion, S. 149
Harms C. Löhr: Der Kampf um das Volkseigentum, S. 151