Effizienz um jeden Preis? Gesellschaftliches Unbehagen am agrotechnischen Fortschritt seit Mitte des 20. Jahrhunderts
Das Heft richtet den Blick auf die Träger/innen, Artikulationsweisen und Resonanzen jenes Unbehagens am agrotechnischen Fortschritt, das den Übergang zur Intensivlandwirtschaft von Anfang an begleitete. Der Bogen spannt sich von den 1950er Jahren, als in Europa nach Ende der kriegsbedingten Mangelsituation die Weichen für eine mechanisierte, zunehmend subventionierte Überschuss- und Exportproduktion gestellt wurden, bis zu den Kurskorrekturen der jüngeren Vergangenheit. Aktuelle Fragen zu den Formen, mit denen man in den westlichen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften Landwirtschaft betreibt, und den Folgen, die sie für Mensch und Umwelt haben, rücken dadurch in eine ‚mittlere‘ zeitliche Perspektive. Ebenso wird an der fälligen Historisierung des klassischen, wissenschaftlich-technischen Agrarmodernismus und seiner kritischen Gegenkräfte gearbeitet.
Im Zentrum stehen die agrarischen Praktiker/innen im weiteren Sinne, deren Verflechtungen und vor allem ihr Umgang mit den ökonomischen Umwälzungen und der sich daran entzündenden Kritik. Ausgeleuchtet wird mithin jener Interaktions- und Kommunikationsraum, dem für die Hegemonie des technisch-industriellen Paradigmas im primären Sektor wie für etwaige Revisionen entscheidende Bedeutung zukommt. Methodisch nehmen die Aufsätze einen wissens- und diskurshistorischen Blickwinkel ein, der – mit der Konzeptualisierung der agrarischen Moderne als institutionell eingebetteten kognitiven Projekts – die Forschung erheblich befruchtet hat. Zugleich versuchen die Autor/innen, einem wesentlichen Einwand gegen wissensgeschichtliche Interpretationen Rechnung zu tragen: der Ausblendung makroökonomischer Systemlogiken und Pfadabhängigkeiten – jedoch unter Festhalten an einer akteurszentrierten Mikroperspektive. Denn letztlich müssen auch industrie- und konsumgesellschaftliche Effizienzzwänge auf der Ebene des Einzelbetriebs subjektiv gegen potentiell divergierende – soziale, kulturelle, ökologische etc. – Wertorientierungen abgewogen werden. Dieser mit widersprüchlichen Rollenerwartungen behaftete Vermittlungsprozess, der gerade wegen seiner Relevanz für Selbstbild und Legitimation von Landwirt/innen dem ‚Unbehagen‘ reichlich Stoff liefert, bildet den gemeinsamen Nenner der versammelten Studien zur Schweiz und zu Deutschland.