Barbara Krug-Richter
„Strengere Tierwohlvorgaben – Schweinemarktkrise: Politik und LEH verschärfen die Krise in unverantwortlicher Weise! Mit einem dramatischen Appell warnt der Bauernverband Schwäbisch-Hall-Hohenlohe-Rems vor den Folgen der aktuellen, tiefen Krise am Schweinemarkt.“ … „Geflügelwirtschaft. Ripke warnt Agrarministerkonferenz vor Zusammenbruch der Tierhaltung – Alle reden über die Schweine, aber die Situation in der Geflügelbranche ist nicht besser, warnt Friedrich-Otto Ripke. Die Geflügelbranche kämpfe mit den wirtschaftlichen Folgen der Geflügelpest.“ Und Clemens Tönnies, bekanntlich Chef und Gründer des größten Schlachtbetriebes in Deutschland, warnte angesichts der aktuellen Diskussionen um ein Tierwohllabel in der Nutztierhaltung und der personalen Engpässe in den Schlachthäusern Anfang Oktober 2021 gar vor einem vollständigen Ende der Tierhaltung in Deutschland.
Die Situation in der deutschen Landwirtschaft wird seit Jahren als eine dauerhafter Krisen und zweifelhafter Zukunftsperspektiven erzählt. Afrikanische Schweinepest und Vogelgrippe bedrohen deutsche Vieh- und Geflügelbestände; die Einbindung der deutschen Landwirtschaft in inzwischen globale Märkte verlangt niedrige Preise, um mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können, der Preisdruck der deutschen Lebensmittelindustrie trägt das seinige zur Bedrohung bäuerlicher Existenzen bei, um hier nur einige Aspekte des Krisendiskurses um die deutsche Landwirtschaft zu nennen. Die Corona-Pandemie der Jahre 2020/ 2021 hat noch dazu wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen brennglasartig auch problematische Situationen in der Landwirtschaft einer breiteren Öffentlichkeit nahegebracht, als mit der vorübergehenden Schließung großer Schlachthöfe wie Tönnies und Westfleisch Schweinehalter ihre Tiere trotz Erreichen des Schlachtgewichts in den dann viel zu engen Ställen halten mussten. Insbesondere die landwirtschaftliche Nutztierhaltung steht seit geraumer Zeit im Fokus gesellschaftlicher Debatten, die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen hat die Coronakrise endgültig offengelegt.
Spätestens seit den sich deutlich abzeichnenden gravierenden ökologischen Krisen mit globalen Auswirkungen, wobei Erderhitzung und der Schwund der Biodiversität die wohl wichtigsten und bekanntesten darstellen, kommt ein weiteres Krisennarrativ hinzu, denn es wird von Wissenschaftler*innen wie Umweltbewegungen immer wieder auf die Rolle der Landwirtschaft in diesen Prozessen verwiesen. Schlagworte wie ‚Massentierhaltung‘, Glyphosat-Skandal, Überdüngung, Nitratbelastung des Grundwassers, Bodenerosion usw., aber auch Phänomene wie das Insektensterben sowie der hohe ökologische Fußabdruck von Fleischproduktion und Fleischkonsum werden vor allem in den Medien, aber auch in Teilen der Gesellschaft der konventionellen Landwirtschaft und der Agrarindustrie angelastet. Selbst die ‚Zukunftskommission Landwirtschaft‘, die die Bundesregierung im Juli 2020 als Reaktion auf andauernde Bauernproteste gegen Forderungen nach einem Strukturwandel einsetzte, kam in ihrem Abschlussbericht im Sommer 2021 zu dem Ergebnis, dass die Landwirtschaft in Deutschland grundsätzlich in Richtung Ökologie und Nachhaltigkeit umgebaut werden müsse, um zukunftsfähig zu werden und zu bleiben. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sehen sich viele Bauern und Bäuerinnen zunehmend verunsichert in Bezug auf ihre Zukunft und fühlen sich zusätzlich oft als UmweltsünderInnen diskreditiert.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen erschien es naheliegend, ein Heft der ZAA den Krisendiskursen und Zukunftsentwürfen in der und um die Landwirtschaft zu widmen, das auch Modelle für die Landwirtschaft der Zukunft diskutiert. Zentrale Themen dieser Diskurse sind schon seit Jahren alternative Wirtschaftsweisen in der Nahrungsmittelproduktion und im Umgang mit den tierischen Fleischproduzenten, und das sowohl für das Land als auch für die Stadt. Denn Formen der Nahrungsmittelproduktion etablierten sich schon vor Jahren auch in städtischen Räumen in Form von Urban Gardening, Gemeinschaftsgärten und Urban-Farming-Projekten nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Auch schon seit mindestens einem Jahrzehnt wird mit alternativen Projekten wie mobilen Gemüsegärten, aber auch Start-up-Ideen wie beispielsweise dem Tomatenfisch und anderen Formen nachhaltigen Gemüseanbaus in Städten experimentiert. Nicht nur auf große mediale Aufmerksamkeit, sondern auch zunehmende TeilnehmerInnenzahlen stoßen seit Jahren Gemeinschaftsprojekte wie Solidarische Landwirtschaften (sog. SolaWi’s), in denen Menschen nach im Detail unterschiedlichen Konzepten einen Bauernhof gemeinschaftlich bewirtschaften und sich die Ernte teilen. Und die klassische Form alternativen Landwirtschaftens, der biologisch-dynamische oder ökologische Landbau, entstand ja um 1920 im Kontext der Lebensreformbewegung, erlebte in den 1970er und frühen 1980er Jahren einen ersten und erlebt im Kontext der aktuellen Krisen gerade einen zweiten Höhepunkt. Der Klimawandel und seine schon jetzt spürbaren Folgen durch Dürre oder Starkregenereignisse rücken auch Formen von Landwirtschaft und Landschaftsgestaltung in den Fokus von Wissenschaft und Öffentlichkeit, die agrarhistorisch Interessierte doch ein wenig an vormoderne Verhältnisse erinnern. So wird in einigen Beispielbetrieben in Deutschland inzwischen unter wissenschaftlicher Begleitung mit sog. Agro-Forstsystemen experimentiert, einer Kombination von Baumanpflanzungen und Getreide- oder Gemüseanbau auf Äckern, die im landschaftlichen Erscheinungsbild entfernt an frühere Formen der Waldbeweidung erinnern, auch wenn das dahinterstehende Konzept ein anderes ist. Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und Erhalt der Biodiversität zählen zu den Leitzielen vieler Menschen, die alternative Modelle von Nahrungsmittelproduktion und -konsum entwickeln und propagieren.