Editorial: Formen des Kredits
Margareth Lanzinger
Kredit ist seit den 1990er-Jahren ein wichtiges Thema der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte sowie der Kulturanthropologie (z.B. Annales 1994; Muldrew 1998a; für Überblicke und Bestandsaufnahmen siehe Boelcke 1991; Briggs 2009; Briggs/Zuijderduijn 2018; Clemens 2008; Häberlein 2007; Lipp 2007; Schlumbohm 2007; Schofield/Lambrecht 2009). Entsprechend enorm ist die Fülle an Forschungsliteratur auch zu Kredit im ländlichen Raum. So ist das Ziel der folgenden Abschnitte, zum einen Schlaglichter auf einige allgemeinere konzeptuelle Herangehensweisen, die auch Ausgangspunkt und Ziel dieses Themenheftes mitbestimmt haben, zu werfen und auf diese Weise grundlegende Perspektiven auf das Thema Kredit herauszustellen und zum anderen die Beiträge dieses Themenheftes zu positionieren, die sich zeitlich vom späten 17. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit spannen. Ziel ist es, Formen des Kredits ins Zentrum zu stellen, die sich über spezifische Beziehungen erschließen und diese Beziehungen zugleich wesentlich mitgeprägt haben: Beziehungen zwischen Haushalten, zwischen Angehörige eines sozialen Standes, zwischen Arbeitskollegen sowie familiale, verwandtschaftliche und eheliche Beziehungen, die in ihren Logiken eng mit Geschlecht und Recht verknüpft waren. Das Heft versammelt damit situativ-kontextuell unterschiedliche Formen der sozialen Einbettung und Organisation von Kredit und erweitert zeitübergreifend die auf die Sozialität von Kredit gelegten Perspektiven.
Integrative Perspektivierungen
Unhintergehbar ist aus historischer Sicht ein Zugang, der Kredit als komplexes Phänomen fasst. Als richtungsweisend für eine multiperspektivische Sicht auf Kredit, ist das 1998 erschienene Buch von Craig Muldrew „The economy of obligation“ zum frühneuzeitlichen England anzusehen. Bereits der Untertitel „The culture of credit and social relations“ macht dies deutlich, indem er der Schuldenwirtschaft sowohl die „Kultur des Kredits“ als auch die „sozialen Beziehungen“, in die diese eingebunden war, als untrennbare Zusammenhänge hinzufügt. Kredit gründete gleichermaßen auf Beziehungen, wie er seinerseits Beziehungen stiftete Kreditwürdigkeit war mit sozialem Status, Reputation und Ansehen verbunden. Verpflichtung und Vertrauen waren dabei grundlegende Kategorien, die sowohl im Handeln der Akteure und Akteurinnen als auch im Charakter der Beziehungen zum Ausdruck kamen (Muldrew 1998a: 2–5, 173–174; 1998b; Dermineur 2018b). Streitigkeiten um nicht bezahlte Schulden machen Problemlagen und das Konfliktpotenzial sichtbar, das die unterschiedlichsten Personenkonstellationen betreffen konnte, zugleich aber auch Möglichkeiten des Aushandelns (Muldrew 1998a: Kap. 8). Studien wie diese und andere (Finn 2003) hatte Jürgen Schlumbohm vor Augen, als er vor fünfzehn Jahren konstatierte, dass gegenüber der zuletzt besonders produktiven französischen und britischen Forschung im deutschsprachigen Raum ein allzu einseitiges Fokussieren auf institutionelle Kredite dominiere, während soziale und kulturelle Aspekte vernachlässigt würden (2007: 8). Christine Fertig monierte zwei Jahre später: „studies approaching the issue of rural credit and its incidence, from the basis of micro-study, hardly exist“. Gabriela Signori merkte an, „dass wir über das Wie und Warum der Kreditaufnahme“ in der Vormoderne aus der Perspektive jener, die Geld brauchten, „noch erstaunlich wenig wissen“ (2014a: 7), mehr über jene, die Geld verliehen haben, über Kaufleute und Bankiers (North 1991). Über England und Frankreich hinaus sind inzwischen substantielle Studien hinzugekommen – insbesondere zu Kredit im nordwesteuropäischen und italienischen Raum, zum Mittelalter, zur Frühen Neuzeit in Stadt und Land (Briggs 2009; Briggs/Zuijderdujn 2018; Briggs 2018; Schofield/Lambrecht 2009; Signori 2014b; 2015; Weber 2021; Rössner 2020) sowie zu geschlechtergeschichtlichen Perspektiven (Dermineur 2018b). Es bleibt aber weiterhin einiges zu tun, vor allem hinsichtlich der Rekonstruktion lokaler Kreditnetzwerke und des Zusammenspiels zwischen informellen und institutionalisierten Krediten.
Laurence Fontaine unterscheidet im Kapitel über „peasants and debt logic“ auf Grundlage ihrer Untersuchung von Dörfern in der Haut-Dauphiné im 17. und 18. Jahrhundert vier Arten des Kreditbedarfs im ländlichen Raum: erstens kurzfristige Darlehen für Saatgut und um bis zur Ernte durchzukommen, die üblicherweise mit Getreide beglichen wurden, bei Verzug jedoch in Schuldscheinen mündeten; zweitens einjährige Darlehen, um Steuern zu bezahlen, drittens Darlehen für familiale Belange wie Hochzeiten oder Hausstandgründungen und viertens Kredite in Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Tieren, Gütern und Liegenschaften unter den Vermögenderen (Fontaine 2014: 42–44; 2003: Kap. 2 und 3). Johannes Bracht strukturiert die Kredite in Westfalen zwischen 1830 und 1866 ebenfalls in vier Kategorien: Besitzschulden infolge von Liegenschaftstransaktionen, Betriebsschulden, die „Abgabenrückstände, Konsumkredite, Löhne, Handwerkerrechnungen etc.“ umfassen, Investitionsdarlehen und Tilgungsschulden zum Zweck der Umschuldung (2013: 163). Zu differenzieren gilt es demnach zwischen Krediten, die aus Zahlungsrückständen und Auszahlungsansprüchen entstanden, und solchen, die aufgenommen wurden, um die Ressourcenbasis zu vergrößern und damit zugleich die ökonomischen Handlungsoptionen. Und auch dabei ist weiter zu unterscheiden, ob der Kredit in Liegenschaften und Produktionsmittel investiert wurde oder in Verbrauchs- und Konsumgüter. Wesentlich für den Grad der Prekarität von Schulden sei, so Laurence Fontaine, wer die Gläubiger waren. Besonders problematisch waren Händler, vor allem in stadtnahen Dörfern. Denn sie verkauften die Ernte und konnten dabei von den jahreszeitlichen Fluktuationen des Getreidepreises profitieren (Fontaine 2014: 47-48). Ähnlich stellt sich die Situation im Vergleich von drei ökonomisch und sozial unterschiedlich strukturierten westfälischen Ortschaften, die Johannes Bracht untersucht hat, dar: Während in Borgeln der Anteil an Krediten von Seiten städtischer Kapitalanbieter – nämlich „Kaufleute, Bürger und Handwerker aus Soest“ – hoch war, war der Kreditmarkt in Oberkirchen lokal dominiert; Löhne wiederum nahm eine Zwischenposition ein (Bracht 2013: 186–199).
Die in diesem Heft von Matthias Donabaum und Janine Maegraith präsentierten Fallstudien zum 18. Jahrhundert rekonstruieren Schuldenstände und rücken jene Schulden in den Vordergrund, die aus auszuzahlenden Erbteilen und im südlichen Tirol im Unterschied zu Niederösterreich auch aus zurückzuerstattenden Heiratsgütern resultierten. Die für beide Untersuchungsräume breit dokumentierte Praxis zeigt insgesamt sehr deutlich, dass diese Art von Schulden, von den Gerichten beziehungsweise den Grundherrschaften und dem Stadtrat als gleichermaßen relevant erachtet wurden und handlungsleitend waren, wenn es um deren Absicherung ging. Zwar ist die Frage der Verschuldung durch Erbteile immer wieder thematisiert worden, in der Kreditforschung wird diese jedoch eher selten gleichwertig mit Außenständen, die aus betrieblich-ökonomischen Zusammenhängen herrührten, behandelt. Die Rückerstattung von Heiratsgütern an Witwen ist im Vergleich dazu ein spezifischerer Fall, der mit ehelicher Gütertrennung verbunden war und vor allem für italienische und französische Mitgiftregime in den Blick genommen wurde. So nennt Laurence Fontaine verheiratete Frauen und Witwen unter den Hauptgläubigerinnen, weil deren Ehemänner die Mitgift verwalteten und ihre Erbteile investierten (Fontaine 2014: 48; siehe auch Arru 1998; 2011; Martini 1998). Insofern ist ein Ziel des Themenheftes, den Umgang mit Schulden explizit in ein relationales Setting einzubinden (siehe dazu auch Jancke/Schläppi 2015: 14–17) und dabei soziale Milieus, Geschlecht und Recht, aber auch Verwandtschaft als wichtige Perspektivierungen zu fassen. Verwandte als Gläubiger zu haben, konnte Vorteile bringen, barg zugleich aber zusätzliches Konfliktpotenzial in sich. Verwandtschaftsbezogene Schulden waren allerdings ein integrativer Teil von Erb- und Ehegüterpraxis. Transfers und Kredite setzten Verwandte, Nachbarn, die community, administrative Instanzen, den lokalen Markt und damit zugleich die lokale Ökonomie in Beziehung zueinander und schufen auf diese Weise ein breites Netzwerk. Das hat weitreichende Implikationen in Hinblick darauf, wie man lokale Ökonomien denken kann. Diese hingen nämlich immer auch von Verwandtschaftsnetzwerken ab.
Um die Praxis des Kredits in ihrer Vielfältigkeit zu erfassen, die ökonomischen, sozialen und kulturellen Kontexte, Ausprägungen und Implikationen zu rekonstruieren und zu analysieren, ist die Vernetzung von Quellenmaterial erforderlich, das Auskunft über Schuldenstände, Rückzahlungsfristen und Sicherstellungsobjekte gibt wie über Ausdrucksformen von Kreditwürdigkeit und die Art des Verhältnisses zwischen Schuldner:innen und Gläubiger:innen und über deren soziale Zugehörigkeit und deren Beziehungen, über Möglichkeiten und Strategien der Umschuldung, über „Wert“ und Last von Schulden in Relation zum aktiven Vermögen und in Relation dazu, wem man Geld schuldet, über rechtliche Grundlagen und Regelungen etc. Todfall- beziehungsweise Sterbfall-Inventare sind sehr wertvolles Material, denn sie geben Einblicke in „Schulden hinaus“ und „Schulden herein“ und weisen unter Umständen auch jene offenen Forderungen aus, die mit Sicherheit oder sehr wahrscheinlich für uneinbringlich gehalten wurden (Ogilvie/Küpker/Maegraith 2012). Inventare bieten zugleich nur Momentaufnahmen und müssen immer auch in Hinblick darauf problematisiert werden, dass die Altersverteilung ungleich repräsentiert ist und mehr Informationen über ältere Generationen greifbar sind. So geben auch Schuldscheine, Quittungen, Verträge, Buchführungen, eigene Register über Verpfändungen und Hypotheken, Grundbücher und anderes mehr Einblicke in Schuldenstände und Belastungen durch den Lebensverlauf hindurch. Die Autor:innen dieses Themenheftes nutzen ein breites Spektrum von Quellen: Inventare, Verträge, spezifische Bücher – Grund-, Satz-, Gewähr- und Abrechnungsbücher –, Akten aus Privatarchiven, aber auch Briefe und Interviews.
Generell ist davon auszugehen, dass selbst in quellenmäßig sehr reich belegten Milieus und Regionen lange nicht alle Schulden schriftlich dokumentiert wurden beziehungsweise lange nicht alle Schriftstücke, die Schulden verzeichnen, überliefert sind: wenn sie kürzere Laufzeiten hatten, sich im Bereich des alltäglichen Anschreibens bewegten (zu Anschreibebüchern Spieker 2015: 56), nur mit Handschlag besiegelt wurden, auf Kerbhölzern eingeritzt waren und im Wirtshaus oder auf dem Jahrmarkt anlässlich eines lokal oder regional üblichen Zahltages beglichen wurden (Johler 1999) oder wenn Zahlungsaufschübe Gegenstand mündlicher Aushandlung waren. Bei mündlichen Verträgen stellt sich umso mehr die Frage, von welcher Kultur der Absicherung diese begleitet waren. Wenn Zahlungsschwierigkeiten einen gerichtsanhängigen Streit nach sich zogen, fand Alltagspraxis einen schriftlichen Niederschlag in Gerichtsakten.
Ermöglichung oder Gefahr?
Kredit ist ein vielschichtiges Instrument – in vergangenen Jahrhunderten wie auch heute: Mikrokredite sind dafür gedacht, lokale Eigeninitiativen, insbesondere von Frauen, im Globalen Süden zu ermöglichen, aber auch daran gibt es Kritik: Letztlich würden sie die Armut verstärken, was unter anderem daran liegt, dass sie vielfach als Konsumkredite, nicht als Investitionskredite verwendet werden (Hickel 2015). So genannte faule Kredite und die dadurch entstandene Immobilienblase hatten wesentlichen Anteil an der Finanzkrise von 2008. Institutionen wie Schuldnerberatungen und Inkassobüros verweisen darüber hinaus auf Schwierigkeiten, die aus Schulden resultieren können. Mit diesen konträren Befunden aus einer Bandbreite an möglichen Wahrnehmungen sind zugleich historiographische Blickrichtungen angesprochen. Denn auch die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung changiert in ihren Zugängen und thematischen Fokussierungen zwischen tendenziell positiven, eher ambivalenten und kritischen Sichtweisen: Kredite konnten für Käufe, Anschaffungen, Investitionen und Zwischenfinanzierungen genutzt werden und damit Handlungsmöglichkeiten eröffnen und erweitern und zur Verbesserung der ökonomischen Situation beitragen (Lorenzini/Lorandini/Coffman 2018). Kredite konnten aber auch ohnehin prekäre Ökonomien in noch größere Abhängigkeiten bringen: wenn Kredite hauptsächlich aus Zahlungsaufschüben resultierten und Überschuldung strukturell angelegt war (Suter 2016; Fontaine 2014). Bei Überschuldung konnte Konkurs drohen mit Pfändungen oder einer Zwangsversteigerung, was für die davon Betroffenen bei entsprechender Rechtslage den sozialen Tod, Gefängnis oder zumindest den Verlust öffentlicher Ämter bedeutete, vor allem wenn es sich um betrügerischen oder fahrlässigen Konkurs handelte (Suter 2016; Fischer 2013). Kredit war demnach immer potenziell beides: Ermöglichung und Gefahr.
Die soziale und ökonomische Verfasstheit lokaler communities wirkte sich in der Vormoderne maßgeblich darauf aus, wer die Akteure und Akteurinnen auf den Kreditmärkten waren und wie sich diese gestalteten. Es machte einen Unterschied, ob Kredite sozial breit gefächert auf lokaler Ebene zugänglich waren oder ob „fremde“ städtische Eliten als Geldgeber fungierten, ob Schuldverhältnisse die Form von Klientelbeziehungen annahmen und mehrfache Abhängigkeiten schufen oder ob Kreditnetzwerke unter sozial tendenziell „Gleichen“, unter Nachbarn, Verwandten oder Arbeitskollegen bestanden (Beaur 1994; Bracht 2013: Kap. 4; Fontaine 2014: Kap. 2; Konersmann 2011: 87). So zeichnen sich auch im Zeitverlauf Verschärfungen dort ab, wo externe Akteure als Gläubiger ins Spiel kamen. In der von Elise Dermineur untersuchten seigneurie Delle geschah dies um die Mitte des 18. Jahrhunderts, als ein neuer Typ von Kreditgebern auf den Plan trat (Dermineur 2018a: 335–336, 339). Entscheidend ist dabei, dass die einen Formen des Kredits auf Reziprozität ausgerichtet waren, die anderen auf Profit (Muldrew 1993; Lipp 2007: 29–32). Im Zinsertrag sieht Craig Muldrew das Hauptinteresse frühneuzeitlicher Kreditgeber, im Zugang zu Kapital das Hauptinteresse der Kreditnehmer – und das heißt, „that the stereotypical avaricious lender hoping to acquire a piece of valuable land through forfeiture on an unpaid morgage was very much a minority activity“ (Muldrew 2018: 313; zu dieser vielfach jüdisch konnotierten Figur siehe Trivellato 2019). Alexandra Binnenkade bezeichnet Kredit in ihrer Studie zum ländlichen Aargau im 19. Jahrhundert als jüdisch-christliches „Kontaktmedium“. Sie kann zeigen, dass die stereotypisierte Rollenverteilung von Juden als Gläubigern und Christen als Schuldnern in Konkursfällen in der dörflichen Praxis aktiv hergestellt wurde: Um nicht den Nachbarn in einen Konkurs zu treiben, traten Kreditoren ihre Forderungen kurz vor dem Bankrott an jüdische Geldgeber ab, die dann mit dem Ruin von Schuldnern assoziiert wurden (2007; 2009).
Die Beiträge des Themenheftes sind in beiden Kontexten – Gefahr und Ermöglichung –, aber auch in Zwischenräumen und über die Jahre wechselnden Gemengelagen situiert. Janine Maegraith und Matthias Donabaum setzen bei neuralgischen Momenten an: beim allzu frühen Tod des Hofinhabers beziehungsweise bei der Übergabe durch die Witwe an die nächste Generation. In Welschellen blieb Gertraut Huberin nach dem Tod ihres Mannes Georg Obermellauner mit sieben Kindern und einer Schuldenlast zurück. In dieser Situation wurden die Schuldenstände offengelegt und aufgrund ihrer Höhe musste eine Lösung für den weiteren Umgang damit gefunden werden. Der Besitz des Verstorbenen wurde zur Beruhigung der Gläubiger mit einer Hypothek belegt. Der Verkauf des Hofes oder die Heirat eines Kindes standen zur weiteren Option. Während eine Heiratsverbindung, wie in dem Fall, den Hofbesitz sichern konnte, hatte die Heirat der Tochter Eva Rosina Leipolderin mit dem Lederergesellen Joseph Willerstorfer im agrarisch, vor allem durch Weinbau, geprägten Eggenburg und der Kauf des Hauses von der Mutter keinen vergleichbaren Effekt: Das Haus wurde nach Rettungsversuchen und Aufschüben am Ende doch zwangsversteigert. In beiden Fällen waren die Schulden in Form von Hypotheken, die auf den Liegenschaften lagen, abgesichert. Auch in Craig Muldrews Fallstudie zu England spielt die Absicherung der Schulden durch Landbesitz eine wichtige Rolle. Hier stehen die hoch verschuldeten Güter von Sir William Chaytor in Yorkshire Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts im Zentrum, in einer Übergangszeit, in der für solche Situationen neue rechtliche Regelungen geschaffen wurden wie die equity of redemption. Diese stellte den Wert des Besitzes nach Abzug der Belastungen in Rechnung und ermöglichte es, dass der mit hohen Schulden belastete Inhaber den Besitztitel wahren konnte. Die Hypotheken wurden damit zu Schulden mit einer langen Laufzeit, für die die Gläubiger Zinsen und damit dauerhafte Einnahmen erhielten. Den Verlust von Liegenschaften mussten so nur jene befürchten, die markant überschuldet waren. Das traf auch William Chaytor, der immer mehr Darlehen aufnahm, um fällig gestellte Forderungen begleichen zu können und schließlich ins Schuldgefängnis musste (zu dieser Institution siehe auch Finn 2003: Kap. 3–4) – im Grunde, um das Erbe der Söhne zu sichern, die dann tragischerweise alle drei vor ihm starben.
Das Abfedern und Auffangen von Geldbedarf für unterschiedliche Situationen und Zwecke, auch für Investitionen, stand hinter der Gründung des Ritterschaftlichen Kreditinstituts Stade im Jahr 1826, mit dem sich Kirsten Wandschneider auseinandersetzt. Das Netzwerk hinter dieser Korporation bildeten die zumeist adeligen Rittergutsbesitzer, so dass diese ein spezifisches soziales Milieu repräsentierte. Ziel dieses, nach preußischem Vorbild von der Landschaft getragenen, Kreditvereins war die Bereitstellung langfristiger Finanzierung zu leistbaren Zinsen für die Gutsbesitzer, die im Nachgang der Napoleonischen Kriege mit ebenso knappen wie teuren Krediten konfrontiert waren. Auch hier fungierte das Land als Sicherstellung, und zwar das Land aller, die der Landschaft angehörten und die auch alle unbeschränkt für die ausgegebenen Pfandbriefe hafteten. Eine vergleichbare Institution stellte der „Creditverein der Güter und Klöster in Schleswig-Holstein“ dar, der 1811 gegründet worden war. Bedarfslagen, Debatten und Vorbehalte – etwa von Seiten der Fideikommissinhaber – im Zuge des Entstehungsprozesses skizziert Peter Wulf in seinem Forumsbeitrag. Während in diesen Beiträgen das peer-to-peer lending die vorherrschende Form war, die mitunter auch in den Ruin treiben konnte, gestaltete sich das Verhältnis bei den von den saarländischen Bauinteressengemeinschaften nach dem Zweiten Weltkrieg an Bergleute vergebenen institutionellen Bauhilfen für die Errichtung eines Eigenheims komplexer. Für dieses von Joana Baumgärtel untersuchte Kreditmodell war das Beschäftigungsverhältnis konstitutiv: In den Bauinteressengemeinschaften schlossen sich Grubenverwaltungen und Bergleute zu einem Verein zusammen, der letzteren zu einem Eigenheim verhelfen sollte. Neben der Ermöglichung von Wohneigentum schuf diese Kreditform durch die Bindung an den Arbeitgeber zugleich Abhängigkeit und war an die Verpflichtung zur „gemeinschaftlichen Eigenleistung“ in Form von Bauarbeit gekoppelt. Dadurch, dass sie die Häuser kollektiv errichteten, waren die Bergleute aufeinander angewiesen. Diese spezifische Art der Darlehen ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass sie in der Regel über wenig Eigenkapital verfügten und daher kaum Zugang zu größeren Krediten hatten – Vorteile also gegenüber Nachteilen überwogen.
Alle Beiträge haben mit Grund und Boden und/oder mit Häusern und Höfen zu tun: als verschuldete Objekte und zugleich als Sicherstellungsobjekte, als Transfer- und Manövriermasse, als geschütztes und zugleich blockiertes Vermögen von Frauen, als Traum und Lebensprojekt. Gerade im Bereich der Erforschung von Landtransfers, die bereits seit den 1960er-/1970er-Jahren ein Thema der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, insbesondere des ländlichen Raumes sind, wäre eine abschließende Einschätzung noch verfrüht, vielmehr ist eine zunehmende Differenzierung festzustellen, die zu neuen Fragen führt. Chris Briggs (2009: 109) hat vor diesem Hintergrund festgestellt und zugleich postuliert, dass es nicht länger möglich ist, „to study the land market of any European region properly without simultaneously exploring local credit networks, since the two areas were evidently so closely interrelated“. Dasselbe gilt für die Forschung zu Wohneigentum (Derix/Lanzinger 2017). Transfers von Land, Haus und Hof, Landerwerb, Kauf und Errichtung von Häusern konnten mit einer Reihe unterschiedlicher Arrangements verbunden sein, unterschiedlichen ökonomischen und sozialen, ehelichen, familialen und verwandtschaftlichen Logiken folgen und zugleich Kredite sowie die Planung und Offenlegung der dafür vorgesehenen Finanzierungsmodi erfordern. Die Verflechtungen zwischen Transfer, Erwerb oder Errichtung und Finanzierung lassen es sinnvoll erscheinen, das Konzept von Vermögen zu erweitern. In einer breiten Perspektivierung umfasst dieses neben Liegenschaften und Geld auch Objekte – des täglichen Bedarfs ebenso wie Wertspeicher – und Ansprüche, auf Unterhalt und Versorgung zum Beispiel. Ebenso lassen sich Kredit und der Zugang zu Kredit als Ermöglichung unter Vermögen verbuchen. Besonders augenfällig werden die Folgen von nicht verpfändbarem Vermögen, wenn Inhaber von Fideikommissen – wie die Chaytors in Craig Muldrews Beitrag mit ihren entails – verschuldet waren und Grund und Boden nicht mittels Hypotheken „verflüssigen“ konnten.
Kategorien der Differenz, rechtliche Logiken und das Vermögen der Frauen
Sieht man Kredit als ein Instrument an, das in einer finanziell schwierigen Lage gewisse Manövriermöglichkeiten bot und Handlungsräume eröffnete – indem Investitionen getätigt, neue Unternehmungen in Angriff genommen oder das Bestehende ausgebaut werden konnten –, dann stellt sich grundsätzlich die Frage nach dem Zugang zu Kredit. Dieser war von Ungleichheit geprägt. Das Verfügen über Liegenschaftsbesitz als Sicherung, das regelmäßige Ausüben einer einkommensgenerierenden Tätigkeit, Ruf und Reputation einer Person und damit zugleich Gunst und Vertrauen des sozialen Umfeldes, der Nachbarn, der Verwandten, der dörflichen Öffentlichkeit, die Informationen über die wirtschaftliche Lage von potenziellen Kreditnehmer:innen hatten, waren entscheidende Ressourcen und Voraussetzungen für Kreditwürdigkeit. Und mehr noch: Diese Ressourcen und Voraussetzungen produzierten und reproduzierten ihrerseits soziale Differenzierung¸ und zwar auf einer moralischen Grundlage. Damit schrieben sie Ungleichheit weiter fort. Dies hatte „social and also, crucially, political implications which went far beyond the marketplace” (Muldrew 1998: 316).
Kredit war und ist demnach nicht für alle gleichermaßen zugänglich: Vermögen, sozialer Status, soziales Milieu, Familienstand, Geschlecht spielten dabei historisch und zum Teil immer noch eine Rolle. Die Nachkriegszeit war tendenziell davon geprägt, dass hauptsächlich die wirtschaftliche Situation – geregeltes Einkommen und Vermögen – über die Bonität entschied. Doch gab es weiterhin Asymmetrien, etwa auch in Hinblick auf den Zugang von Frauen zu Kredit (De Rosa 2021: 98–102). Das Problem konnte bereits damit beginnen, dass verheiratete Frauen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten kein Bankkonto eröffnen durften beziehungsweise die Erlaubnis ihres Ehemannes dafür brauchten. In Deutschland änderte sich dies im Gefolge des Gleichberechtigungsgesetzes von 1958, in Frankreich mit der Reform des ehelichen Güterrechts von 1965 (Bauer 2010: 167; Effosse 2021: 123–124). Felix Krämer (2016) spricht bezogen auf die US-Zeitgeschichte von „Schuldendifferenz“, um auszudrücken, dass sich Verschuldungslagen und Schuldenerfahrungen von Menschen aufgrund sozialer, ethnischer und Geschlechter-Differenzen deutlich unterscheiden. Derzeit sind es unter Umständen auch höchst undurchsichtige Algorithmen, die weit mehr als genuin wirtschaftliche Kriterien in ihre Berechnungen und Bewertungen einbeziehen und über die Kreditwürdigkeit einer Person entscheiden. Aber auch Warnungen vor allzu leichtem Zugang zu Kredit machen ebenso deutlich wie beispielsweise (Neu-)Regelungen der erforderlichen Höhe von Eigenkapital für einen Wohnbaukredit, dass Kreditwürdigkeit einen gesellschaftlich und institutionell verhandelten und zu verhandelnden Status darstellt. So sind die Fragen nach dem Zugang zu Kredit – mit der Präzisierung: Zugang zu welchem Kredit? – und danach, wie dieser organisiert war, nach den Kriterien der Vergabe und danach, welchen Logiken diese folgten, auch historisch gesehen grundlegend. Gewissermaßen auf eine Rochade verweist Maria Ågren für das frühneuzeitliche Schweden: In ihrem Fall konnte sich Nils Larson, der seine Kreditwürdigkeit eingebüßt hatte, hinter Kerstin, einer verheirateten Frau, verstecken und so zumindest ein kleineres Darlehen ergattern (2018: 126). Das zeigt zugleich, dass Frauen hier einen aktiven Part in rechtlich-finanziellen Angelegenheiten innehatten (siehe auch Maegraith 2022). Im europäischen Vergleich bestanden diesbezüglich beträchtliche Unterschiede. Diese hatten Implikationen für den Umgang mit Schulden, so dass Geschlecht und die divergierenden Rechtslagen als integrativer Teil der Geschichte des Kredits anzusehen sind. Dies zeigt sich besonders deutlich in den beiden Beiträgen zur Frühen Neuzeit.
Die drei Fallstudien zum südlichen Tirol, zu Niederösterreich und zu Yorkshire haben eines gemeinsam: Überall kamen Töchter als Besitznachfolgerinnen zum Zug, obwohl es Söhne gab. Diese waren entweder zu jung oder anderweitig tätig oder verstarben. Die vermögensrechtliche Situation der Frauen divergierte hingegen beträchtlich, und zwar was den Status des von Frauen in die Ehe eingebrachten Vermögens, den Zugriff darauf als verheiratete und verwitwete Frauen sowie den Schutz ihres Vermögens betraf. In Niederösterreich war der Rechts- und auch der Besitzstatus von Frauen, Ehefrauen und Witwen jenem der Männer weitgehend vergleichbar. Hier gab es keine Geschlechtsvormundschaft; Ehefrauen hatten auf Grundlage der vorherrschenden Gütergemeinschaft gleichberechtigten Anteil am ehelichen Besitz, was auch für Witwen eine vergleichsweise gute Position gewährleistete (Langer-Ostrawsky 2015). Insofern war es in diesem Ehegüterregime nicht vonnöten, dass das eingebrachte Heiratsgut als Absicherung im Witwenstand zurückerstattet wurde. Der Nachteil der Gütergemeinschaft lag darin, dass Frauen für die ehelichen und angeheirateten Schulden haftbar waren. Darin lag der Vorteil der Gütertrennung, wie sie in Tirol vorherrschte. Das Vermögen der Frauen war hier gegenüber den Gläubigern des Ehemannes abgesichert. Die Eheschließung hatte allerdings keinen ausgleichenden Effekt in Hinblick auf Vermögen, da das Vermögen von Männer- und von Frauenseite im Grunde getrennt blieb und nach dem Ende der Ehe wieder auseinanderfiel. Witwen bekamen ihr Heiratsgut und das weitere allenfalls ererbte Vermögen, das der Ehemann verwaltet hatte, zurückerstattet oder gutgeschrieben. Wie in Mitgiftregimen begründete das Vermögen der Ehefrauen hier ein Kreditverhältnis gegenüber den Ehemännern, das Vermögen der Witwen ein Kreditverhältnis gegenüber seinen Erben. Frauen, die über ein gewisses Heiratsgut und Vermögen verfügten, waren in diesem Ehegüterregime durchaus handlungsmächtig, agierten als Käuferinnen von Liegenschaften oder traten als Erbtöchter die Besitznachfolge an. Das getrennte und geschützte Vermögen der Frauen konnte auch für den Fall, dass Ehemänner in Konkurs gingen, einen Neubeginn ermöglichen: wenn Ehefrauen einen Teil der Liegenschaften bei der Zwangsversteigerung mit ihrem eigenen Vermögen erwarben oder vor dem völligen Ruin schützten, indem sie ihr Vermögen von dem des Ehemannes in einer bedrohlichen Verschuldungslage trennen ließen, so dass es vor den Gläubigern geschützt war und als Startkapital genutzt werden konnte (Suter 2016: 70; Fontaine 2007: 201). Die Unterschiede im ehelichen Güterrecht bilden sich sowohl in der Art der Schulden als auch im strategischen Umgang mit diesen ab.
Nochmals gänzlich anders gestaltete sich das Verhältnis von verheirateten Frauen zu Besitz und Vermögen im frühneuzeitlichen England: Bis zum Married Women’s Property Act von 1870 waren Frauen keine Rechtssubjekte, sie hatten keinen Rechtsstatus inne. Ehegüterrechtlich galt die coverture, was bedeutete, dass das Vermögen der Frauen mit der Heirat in das Eigentum der Ehemänner überging. Um das zu verhindern, konnten Eltern die Erbteile ihrer Töchter einem Trust überantworten und damit deren persönlichen Gebrauch sicherstellen, der freie Vererbbarkeit an Geschwister oder Verwandte einschloss und zumeist jährliche Renten einbrachte. Frauen konnten weder selbst Klage vor Gericht führen noch angeklagt werden – auch nicht von Gläubigern. Allerdings bestand die Möglichkeit, sich als selbständig und getrennt vom Ehemann wirtschaftend zu deklarieren und dadurch das Einkommen aus der eigenen Arbeit selbst zu verwalten. Die allgemeine Rechtslage änderte sich zwar 1870, doch nach dem Konkursrecht blieben Frauen weiterhin eine eigene Gruppe mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit, bis 1913 die Kategorie der Geschäftsfrauen als femmes soles eingeführt wurde (Aston 2019: 251–253), vergleichbar der pubblica mercantessa in Italien oder den frühneuzeitlichen Handelsfrauen im deutschsprachigen Raum, die für ihr ökonomisches Agieren keinen Geschlechtsvormund benötigten.
So war rechtlich eigentlich gar nicht vorgesehen, dass Peregrina Chaytor die Verwaltung der mit beträchtlichen Schulden belasteten Güter ihres Ehemannes übernahm, als dieser ins Gefängnis musste. Rechtliche Einschränkungen setzten sich, wie Craig Muldrew in seiner Analyse zeigt, nicht unbedingt in die Praxis um, wenn eine entsprechende Situation vorlag, eine Situation, die in eine Zeit diverser Erleichterungen im Fall hoch verschuldeter Güter fiel und in der das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Vermögen von Frauen, das in Fideikommissen eingefroren und vor dem Zugriff der Ehemänner geschützt war, Heiratsvertragsbestimmungen und Hypotheken erst geklärt werden musste. Dies macht die Briefe der Chaytors zu einer Quelle, die wertvolle Einblicke in diesen unter anderem für die Frage nach der Bedeutung von Familienbesitz wichtigen Veränderungsprozess eröffnet. In diesem Fall zeigt sich die Verflechtung von Schulden und Ehe sowie Rechten der Ehefrau besonders deutlich: Mit Peregrina hatte William die Tochter seines größten Kreditgebers geheiratet, so dass sie Anspruch auf Renten aus einem Teil seiner Güter hatte.
Zum Abschluss
Die Praxis des Anlegens – auch kleiner Beträge – gegen Zinsen war in der Frühen Neuzeit und darüber hinaus ebenso ubiquitär wie der Umstand, Schulden zu haben, einen integrativen Bestandteil lokaler Gesellschaften und Ökonomien darstellte: Nahezu jede und jeder hatte Schulden bei anderen, aber auch selbst Anspruch auf Rückzahlungen. Hinzu kommt, wie Chris Briggs (2009: 214) es ausdrückt, die „sophistication of rural credit mechanisms“. Die Omnipräsenz von Schulden macht die Rekonstruktion von Kreditnetzwerken bereits ausgehend von einem einzigen Dorf zu einem enorm aufwändigen Unterfangen. Schulden zu haben war „normal“, solange diese nicht ruinöse Ausmaße annahmen und den Wert des Landbesitzes deutlich überstiegen. Aus der Kreditperspektive gilt es abschließend auch nach den Kontexten der breiteren gesellschaftlichen Umdeutung vom Schulden-Haben zu fragen, in dem Sinn, dass diese möglichst rasch beglichen und nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Denkbar ist, dass dieser Prozess mit einer stärkeren Personalisierung von Schulden zusammenhängt, die nicht mehr auf einem Haus, Hof oder Gut lagen, nicht mehr weitervererbt werden konnten oder sollten, sondern einer Person zugeschrieben wurden, aber auch mit der zunehmenden Präsenz und Durchsetzung des Spargedankens im Laufe des 19. Jahrhunderts (Maß 2017; Bracht/Fertig 2008), der allerdings nicht neu war. Craig Muldrew (2011) konstatiert im Kontext englischer Manufakturarbeiter ab 1650 einen zunehmenden Trend, dass an die Stelle von chronischer Überschuldung die Möglichkeit trat, Kapital anzusparen, vor allem als Grundlage für Konsum. Eine Rücklage stellte auch kurzfristig investiertes Kapital dar, das im Bedarfsfall aufgekündigt und abgerufen werden konnte.
In der Frage, wer als Kreditvermittler fungierte, wissen wir mehr aus dem städtischen Kontext: Grundlegend war diesbezüglich die Studie von Philip T. Hoffman, Gilles Postel-Vinay und Jean-Laurent Rosenthal (2000: Kap. 4–7), die die Bedeutung von Notaren in diesem Zusammenhang herausgestellt haben. In englischen Provinzstädten waren oft attorneys, Anwälte, entsprechend aktiv oder im 19. Jahrhundert dann auch Bankiers (Muldrew 1998a: 241, 259; Spufford 1994: 1371–1372; Hudson 1989: 78-84, 98–99). Für den ländlichen Raum gibt es diesbezüglich noch Forschungsdesiderate. An klassische Orte des Austausches von Informationen – wie Jahrmärkte oder Kirchen – und an Amtsträger vor Ort ist dabei zu denken, aber auch an Gastwirte (Häberlein 2007: 43–47), die nicht selten selbst zu den lokalen Kreditgebern zählten (Johler 1999: 152). Johannes Bracht verweist für stadtnahe Räume auf Anzeigenblätter wie die Soester Wochenblätter, in denen bereits 1819 Kreditangebote aufscheinen (2013: 189–190).
Die Frage der Veränderung konstituiert einen wichtigen Gegenstand in der Kreditgeschichte. Sehr produktiv war die Kritik an einem allzu linearen Modernisierungsnarrativ, das von der Ablöse persönlicher und informeller Kredite durch Institutionen – vornehmlich Sparkassen und Banken – ausgeht. Wegweisend war in dieser Frage ebenfalls die Studie von Hoffman, Postel-Vinay und Rosenthal (2000; siehe auch Lipp 2007). Inzwischen geht man von einem sich ergänzenden Nebeneinander und Wechselwirkungen aus, was auch die Beiträge von Kirsten Wandschneider und Joana Baumgärtel sichtbar machen. Mischa Suter betont in seiner Studie zum protoindustriellen ländlichen Kanton Zürich und zur gewerblich-merkantilen Stadt Basel das Fortdauern personaler Kreditbeziehungen im 19. Jahrhundert und ortet „divergierende, nonsynchrone Temporalitäten“ – etwa zwischen Handel und Landwirtschaft (Suter 2016: 16). Maria Rosaria De Rosa kommt für Neapel um 1900 zum Schluss, dass das Kreditwesen in Form der Pfandleihe nicht nur die informelle, sondern gleichermaßen die institutionalisierte Praxis des Leihens und Verleihens von Geld bestimmte (De Rosa 2011). In diesem Bereich wie auch in anderen sind noch allerlei Fragen offen. Das Themenheft „Formen des Kredits“ versteht sich als Zwischenbilanz und Brücke zu einer integrativen Geschichte von Kredit und Schulden.