»Das ist der Beginn einer tiefgreifenden Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses in Deutschland.« – So kommentierte der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, das Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahl am 13. Mai. In der Tat könnte die politische Landschaft Deutschlands vor einer tiefgreifenden Veränderung stehen, sofern es der Linkspartei gelänge, in weitere westdeutsche Landesparlamente einzuziehen. Das Odium einer ostdeutschen Regionalpartei sogenannter »Einheitsverlierer« und »Ostalgiker« wäre die Linkspartei dann ebenso los wie das Verdikt der »SED-Nachfolgepartei«, die sie, historisch betrachtet, gleichwohl bleibt. Das hat auch Folgen für den Umgang mit der deutschen Zeitgeschichte, insbesondere für den mit der DDR-Vergangenheit. Die Linkspartei dürfte alles daran setzen, an diese Wunde nicht mehr zu rühren, eben den Ruch der »SED-Nachfolge« abzustreifen. Dabei dürften die WASG-Mitglieder behilflich sein, die künftig der Linkspartei angehören werden. Schließlich werden die westdeutschen WASGler kaum ein Interesse daran haben, das Erbe der einstigen ostdeutschen Staatspartei mit zu schultern, haben sie doch scheinbar mit der Geschichte des SED-Staates nichts zu tun. So wird sich mit der Fusion der neuen Linkspartei nicht nur die Parteienlandschaft in Deutschland ändern, sondern wird möglicherweise auch der Umgang mit der deutsch-deutschen Teilungs- und der ostdeutschen Diktaturgeschichte ein anderer werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich »Die Linke« zur jüngeren Vergangenheit verhalten, wie sie das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft mit der Aufarbeitung des »real existierenden Sozialismus in den Farben der DDR« verbinden wird. Welch verschiedene Facetten der Umgang mit dieser Geschichte besitzt, das wird in der vorliegenden Ausgabe des Deutschland Archivs deutlich. Die juristische Auseinandersetzung um (Mit-)Schuld wird ebenso thematisiert wie die kontroverse Erinnerung an den Alltag in der DDR. Zu dieser Geschichte gehört immer auch die westliche, die westdeutsche Seite. Dieser Aspekt einer integrierten deutschen Zeitgeschichte wird ebenfalls in verschiedenen Beiträgen des aktuellen Deutschland Archivs angesprochen. Die Folgen dieser Geschichte sind nach wie vor spürbar. Für die Ostdeutschen weit mehr als für die Westdeutschen, und unter den Ostdeutschen wiederum sind einige Bevölkerungs- bzw. Berufsgruppen stärker davon betroffen als andere. Fragen nach der Integration von Angestellten systemnaher bis systemtragender Professionen versprechen insofern besondere Aufschlüsse über Fortschritte und Erfolge oder Misserfolge des deutschen Einigungsprozesses. Dies gilt ganz allgemein auch für die Rücksicht auf ostdeutsche Erinnerungen, Erfahrungen und Befindlichkeiten. Diesen Themen misst gerade das Deutschland Archiv als »Zeitschrift für das vereinigte Deutschland« einen besonderen Stellenwert zu. Diese Gegenwartsfragen beeinflussen natürlich auch die Debatten um die Aufarbeitung der Geschichte und damit zugleich die Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Aufarbeitungslandschaft. Dies ist im vergangenen Jahr besonders deutlich geworden, als um die Empfehlungen der sogenannten Sabrow-Kommission gestritten wurde – auch hier, im Deutschland Archiv. Diese Auseinandersetzungen finden auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt. Das zeigt unter anderem die Diskussion um die Zeitschrift Horch und Guck, die im vorliegenden Heft noch einmal aufgenommen wird. Und – über kurz oder lang – werden diese Kontroversen auch die Linkspartei (wieder) einholen.
Marc-Dietrich Ohse, Hannover
KOMMENTARE Gegendarstellung und Richtigstellung zum Beitrag von Sven Felix Kellerhoff/Uwe Müller, Selbst verschuldet. Die Stasi-Unterlagenbehörde in der Legitimationskrise (DA, 2/2007, S. 197–201) S. 389 Gegendarstellung zum Beitrag von Sven Felix Kellerhoff/Uwe Müller, Selbst verschuldet. Die Stasi-Unterlagenbehörde in der Legitimationskrise (DA, 2/2007, S. 197–201) S. 389 Heinrich Bortfeldt: Im Gleichschritt. Die Doppelparteitage von Linkspartei und WASG in Dortmund vom 24./25. März 2007 S. 390-394 Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahl S. 394-395 Karl Wilhelm Fricke/Peter Steinbach/Johannes Tuchel: Widerstand gegen zwei Diktaturen in Deutschland – eine Herausforderung und Verpflichtung S. 395-397 Erich Röper: DDR-Verwaltungsentscheidungen haben Bestand. Zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts S. 397-400 Katharina Lenski: »Ewige DDR«. Blitzlichter einer ausgeblendeten DDR-Wirklichkeit verletzten das Bildergedächtnis ehemaliger DDR-Bürger. Zur Fotoausstellung »Ewige DDR« von Harald Hauswald in Jena S. 401-403 Rüdiger Thomas: Ein Brückenbauer mit Phantasie und Leidenschaft. Zum Tod von Werner Maibaum (1928–2007) S. 404-405 Anmerkungen zu Johannes Beleites, »Man schlägt den Sack und meint den Esel.« Zum Konflikt um die Zeitschrift Horch und Guck (DA, 2/2007, S. 205–209): - (Ilko-Sascha Kowalczuk/Edda Ahrberg/Hans-Georg Golz) S. 406 - Zu dem Beitrag von Johannes Beleites und zur vorstehenden Anmerkung (Renate Hürtgen) S. 407 - Für eine Aufarbeitung ohne Schläge, Esel, Säcke und Igel! (Dirk Moldt/Erhard Weinholz) S. 407-409 - Richtigstellung (Thomas Moser) S. 409
ZEITGESCHEHEN Hans-Joachim Asmus/Heinz-Gerd Weijers: Psycho-soziale Integration ehemaliger Volkspolizisten in die Landespolizei von Sachsen-Anhalt. Charaktermerkmale eines Berufs im Selbstbild S. 411-421
ZEITGESCHICHTE Alexander Gallus: Von Heinemann bis Havemann. Dritte Wege in Zeiten des Kalten Krieges S. 422-430 Christiane Baumann: »Sie haben uns ins Messer laufen lassen«. Interview mit Erich Loest S. 431-436 Beatrice Vierneisel: Die Volksbefragung 1951 S. 436-444 Sina Rosenkranz/Sarah Renner: »Zweigeteilt – niemals«? Die Südwestfunk-Sendungen »So sieht es der Westen …« und »So lebt man im Osten …« als Quelle der Zeitgeschichte S. 444-456 Michael Meißner: »Auf ein Ehrenwort, Genossen!«. Zu den Hintergründen der Verstaatlichungskampagne 1972 in der DDR S. 456-464 Heike Knortz: »Intensive« westdeutsche versus »extensive« ostdeutsche Ökonomie? Zu den Grenzen eines Systemvergleichs S. 464-475
DOKUMENTATION Gerhard Keiderling: Noch einmal: »Ich bin ein Berliner«. Margarete Plischke zur Vorgeschichte von Kennedys berühmten Satz S. 476-480
FORUM Raj Kollmorgen: Diskursive Missachtung. Zur Subalternisierung ostdeutscher Soziokulturen S. 481-491 Bernd Faulenbach: Konfrontative Kommunikation. Zum Verhältnis von Historikern der Bundesrepublik und der DDR und seiner Nachwirkung im vereinigten Deutschland S. 491-501 Doris Liebermann: Argonaut. Ikarus. Gordischer Knoten. Zum 60. Geburtstag des Malers Hans-Hendrik Grimmling (am 13. Juli 2007) S. 502-510 Thomas Beutelschmidt: Programmgeschichte des DDR-Fernsehens. Ein Projekt zur ostdeutschen Medienkultur S. 511-517 Korrektur zu: Gerhard Sälter, Die Bespitzelung von Kameraden. Informationsbeschaffung und Informanten des MfS in der Grenzpolizei der DDR in den Fünfzigerjahren (DA, 2/2007, S. 275–284) S. 517
TAGUNGEN, VERANSTALTUNGEN Volker Gransow: »Ein Scheißspiel, der Alltag«. Ausstellung »Parteidiktatur und Alltag in der DDR« im Deutschen Historischen Museum Berlin S. 518-519 Hendrik Bindewald: Osteuropäische Dissidenz und der Westen. 5. Internationales Symposium der Stiftung Ettersberg in Weimar S. 519-523 Hans-Martin Weichbrodt: Die DDR – eine »kommode Diktatur«? Tagung in Tutzing S. 523-527 Tobias Kaiser: Archiv, Forschung, Bildung. 15 Jahre Thüringer Archiv für Zeitgeschichte »Matthias Domaschk«, Tagung in Jena S. 527-529 Klaus Storkmann: Streitkräfte im Nachkriegsdeutschland. 29. Jahrestagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung S. 530-534
REZENSIONEN Matthias Matussek: Wir Deutschen; Reinhard Mohr: Das Deutschlandgefühl; Eckhard Fuhr: Wo wir uns finden; Richard Wagner: Der deutsche Horizont; Karl-Heinz Bohrer, Kurt Scheel (Hg.): Ein neues Deutschland?; Florian Langenscheidt (Hg.): Das Beste an Deutschland; Volker Kronenberg: Patriotismus in Deutschland (Eckhard Jesse) S. 535-537 Rainer Hufnagel, Titus Simon (Hg.): Problemfall Deutsche Einheit; Jürgen W. Falter u. a. (Hg.): Sind wir ein Volk? (Thomas Ahbe) S. 538-539 John Lewis Gaddis: Der Kalte Krieg; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg 1947–1991; Tony Judt: Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg (Fred S. Oldenburg) S. 539-541 Manfred Wilke: Der SED-Staat (Rainer Eckert) S. 541-543 Gunter Holzweißig: Quellenkundliche Anmerkungen zur DDR-Historiografie (Detlef Kühn) S. 543-544 Erich Loest: Prozesskosten (Jörg Bernhard Bilke) S. 544-545 Eckhard Jesse (Hg.): Friedliche Revolution und deutsche Einheit (Ilko-Sascha Kowalczuk) S. 545-546 Hans-Hermann Hertle, Konrad H. Jarausch (Hg.): Risse im Bruderbund (Gerhard Wettig) S. 547 Jutta Braun, Hans Joachim Teichler: Sportstadt Berlin im Kalten Krieg (Hans-Dieter Krebs) S. 548-549 Jens Ruchatz (Hg.): Mediendiskurse deutsch/deutsch; Claudia Dittmar, Susanne Vollberg (Hg.): Alternativen im DDR-Fernsehen?; Ingrid Scheffler (Hg.): Literatur im Hörfunk; Thomas Lindenberger (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg; Andrea Brockmann: Erinnerungsarbeit im Fernsehen (Gunter Holzweißig) S. 549-552 Udo Grashoff: »In einem Anfall von Depression …« (Helga Schultz) S. 552-553 Lothar Ehrlich (Hg.): »Forschen und Bilden« (Kai Agthe) S. 553-554 Gunnar Digutsch: Das Ende der Nationalen Volksarmee und der Aufbau der Bundeswehr in den neuen Ländern (Torsten Diedrich) S. 555-556 Susanne Falk: Geschlechtsspezifische Ungleichheit im Erwerbsverlauf (Gisela Helwig) S. 557 Juden in der Bundesrepublik Deutschland, Hg. Hochschule für jüdische Studien Heidelberg (Ansbert Baumann) S. 558 Thomas Schulte-Umberg (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe seit 1945 (Theo Mechtenberg) S. 559-560 Anke Silomon: Anspruch und Wirklichkeit der »besonderen Gemeinschaft« (Hermann Wentker) S. 560-562 Manfred Böttcher: Gratwanderungen einer Freikirche im totalitären Regime (Christian Halbrock) S. 562-563 Peter Müller: Symbolsuche; Andreas Butter, Ulrich Hartung: Ostmoderne; Frank Betker: »Einsicht in die Notwendigkeit« (Katja Schlenker) S. 563-566 Tim Spier u.a. (Hg.): Die Linkspartei (Armin Pfahl-Traughber) S. 566 Annotationen S. 567-568
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes S. 575 Impressum S. 576