EDITORIALUnter dem Motto »Unsere deutsche Einheit« trafen sich am 9. Januar ungefähr hundert Ost-West-Paare am Brandenburger Tor in Berlin. Das Treffen, zu dem Bundesminister Wolfgang Tiefensee eingeladen hatte, bildete den Auftakt zu den Veranstaltungen der Bundesregierung im Gedenkjahr 2009. Dabei sollten die Paare mit Partnern aus Ost- und Westdeutschland nicht nur »Vorbilder dafür sein, die Probleme der Einheit locker zu nehmen«, wie Tiefensee erklärte; sie sollten zugleich daran erinnern, dass noch vor 20 Jahren »die Mauer auch Paare getrennt hatte«.
Gerade die Verbindung gegenwärtiger Probleme und Aufgaben mit der Erinnerung an die Geschichte wird eine der zentralen Herausforderungen dieses Jahres sein, in dessen Verlauf der Konstituierung der Weimarer Republik vor 90 Jahren, des Beginns des Zweiten Weltkrieges durch den deutschen Überfall auf Polen vor 70 Jahren, des Stauffenberg-Attentats auf Hitler vor 65 Jahren, der doppelten Staatsgründung und damit der Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vor 60 Jahren und schließlich der Revolution in der DDR und – in deren Gefolge – des Falls der Mauer vor 20 Jahren gedacht werden wird und in dem zugleich die Zukunft unserer Gesellschaft angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise auf dem Prüfstand steht. Ein Jahr, in dessen Verlauf mit zahlreichen Wahlen auf verschiedensten Ebenen, bis hin zum Europäischen Parlament, über die politische Zukunft unseres Landes und unseres Kontinents entschieden werden wird. »2009 wird das Krisenjahr. 2009 wird das Jubeljahr«, prognostizierte Georg Diez jüngst im Magazin der Süddeutschen Zeitung: »Es wird ein einziges rauschendes Selbstbespiegelungsfest unserer Nation sein, die mal wieder vor lauter Historie die Gegenwart vergessen wird …«Doch weil die genannten Gedenktage in ihrer Gesamtheit keinesfalls nur Anlass zum Jubel geben, könnte »der absolute Erinnerungsnotfall«, den Diez vorhersieht, vermieden werden. Vielmehr bieten sie in ihrer Vielfalt die Möglichkeit, ein differenziertes Erinnerungsbild zu entwickeln. Dabei können durchaus die 60 Jahre Grundgesetz als Erfolgsstory gelten – und ebenso das Gelingen der Revolution vom Herbst ’89. Doch die Erinnerung an sie wird nicht nur – zu recht! – Stolz und Freude auslösen. So dürften einige ihrer Protagonisten dem »wunderbare(n) Hochgefühl, das wir 1989 hatten«, und den verpassten Chancen bei der (Mit-)Gestaltung der deutschen Wiedervereinigung hinterhertrauern, wie dies die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley vor kurzem in einem Interview tat.
Das Gedenken an die Herbstrevolution könnte zudem in den Strudel tagespolitischer Debatten hineingezogen und im Wahlkampf instrumentalisiert werden. Tendenzen dazu zeichnen sich bereits ab. Das lässt die Auseinandersetzung der CDU mit ihren einstigen »Blockflöten« ebenso erkennen wie Versuche der »Linken«, einseitige Schuldzuweisungen in Sachen SED-Unrecht an ihre Adresse abzuwehren. Interessant dürfte das Gedenkjahr 2009 also auf jeden Fall werden, und es bleibt zu hoffen, dass an seinem Ende die Öffentlichkeit der Konfrontation mit der Vergangenheit nicht überdrüssig ist. Das Deutschland Archiv wird dieses Jahr intensiv begleiten und dabei auch den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus lenken. Dies geschieht bereits in der vorliegenden Ausgabe, die erstmals auf die Rubrik »Kommentare« verzichtet, da tagespolitische Ereignisse vom DA kaum zeitnah begleitet werden können. Aktuellen Ereignissen wird fortan vorrangig die Rubrik »Zeitgeschehen« gewidmet sein. Hier wird künftig auch noch intensiver danach zu fragen sein, wie »zusammenwächst«, was zusammengehört, und danach, wie es »zusammen wächst« – ein Wortspiel, das Wolfgang Tiefensee bei dem Treffen in Berlin sowohl auf die privaten als auch auf die gesamtgesellschaftlichen Ost-West-Beziehungen anwandte.
ZEITGESCHEHENAndré Gursky: Erinnerungskultur konkret. Ein Erfahrungsbericht S. 5-10
Peter Jochen Winters: »Maueröffner« aus Versehen. Günter Schabowski wurde 80 Jahre alt S. 11-13
Bernd Lindner: »Ihr könnt mich mal!«. Zum Tod des Rockmusikers André Greiner-Pol (1952 - 2008) S. 13-15
DokumentationGedenken, Erinnern, Lernen und Tagen. Der Erfurter Gedenk- und Lernort Andreasstraße als zentraler Ort der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in Thüringen (Peter Maser) S. 16-21
ZEITGESCHICHTEManfred Görtemaker: Von Potsdam bis Kabul. Deutsche Außenpolitiken seit 1945 S. 22-30
Günther Heydemann: Zwischen Widerstand und Obstruktion. Großbritanniens Rolle und Politik unter Margaret Thatcher während der Wiedervereinigung Deutschlands 1989/90 S. 31-43
Michael Braun: Cadenabbia als literarischer und politischer Ort S. 43-47
Anna Schädlich: Roger Loewig - der unbekannte Meister. Ein deutscher Künstler überwindet die Politik S. 48-50
Jeannette van Laak: Zur SED-Kulturpolitik in den 1980er-Jahren. Das Beispiel der Bezirkshauptstadt Gera S. 50-58
Stefan Matysiak: Die Entwicklung der DDR-Presse. Zur ostdeutschen historischen Pressestatistik S. 59-73
Barbara Könczöl: Helden der Partei. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als Märtyrer der SED S. 74-82
Anmerkung: Antwort auf die Anmerkungen zu Jan Philipp Wölbern, »Die Entstehung des ›Häftlingsfreikaufs‹ aus der DDR, 1962 - 1964«, DA 41 (2008), S. 856 - 867, von Norbert F. Pötzl und Reymar von Wedel, DA 41 (2008), S. 1032 - 1035 bzw. 1035 f. (Jan Philipp Wölbern) S. 82-86
FORUMStefan Troebst: Geschichtswissenschaft im postkommunistischen Ost(mittel)europa S. 87-95
Michael Lühmann: Verdrängte Vergangenheit. Die CDU und die »Blockflöten« S. 96-104
Peter Steinbach: Widerstand im Nationalsozialismus. Annäherungsversuche im 60. Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland S. 104-113
Harald Bergsdorf: Fruchtbare Felder. Rechtsextremismus in Ostdeutschland S. 114-120
Kirsten Gerland: Die »89er«. Überlegungen zu einer Erfahrungsgemeinschaft ohne Erinnerungskultur S. 121-128
Anmerkung: 1968 und 1989. Reaktion auf Hans-Jürgen Fink, »'68 Ost und '687 West«, DA 41 (2008), S. 898 - 902 (Bernd Eisenfeld) S. 128-131
TAGUNGEN, VERANSTALTUNGENTom Thieme: 1989 und die Perspektiven der Demokratie. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft in Tutzing S. 132-134
Marc-Dietrich Ohse: Opposition und SED in der Friedlichen Revolution. Tagung in Berlin S. 134-137
Achim Beyer: Umbrüche und Zäsuren in der jüngsten deutschen Geschichte. Tagung in Tutzing S. 137-139
Lutz Haarmann: Bestandsaufnahmen und Perspektiven zu Nation und Nationalstaat am deutschen Beispiel. Tagung in Nürnberg S. 140-141
Achim Saupe: Zwischen Empathie und Kritik: »Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945«. Tagung in Jena S. 142-144
REZENSIONENUdo Wengst, Hermann Wentker (Hg.): Das doppelte Deutschland (Christoph Kleßmann) S. 145-146
Frank Möller, Ulrich Mählert (Hg.): Abgrenzung und Verflechtung (Detlef Kühn) S. 146-147
Jens Hüttmann: DDR-Geschichte und ihre Forscher (Rüdiger Thomas) S. 147-150
Niels Beckenbach (Hg.): Fremde Brüder (Rainer Eckert) S. 150-151
Franz Walter: Baustelle Deutschland (Gero Neugebauer) S. 151-152
Ehrhart Neubert: Unsere Revolution (Klaus-Dietmar Henke) S. 152-154
Jens Schöne: Die Friedliche Revolution (Rainer Eckert) S. 154-155
Karl-Heinz Baum, Roland Walter (Hg.): »… ehrlich und gewissenhaft …« (Matthias Kluge) S. 155-156
Patrick Lehn: Deutschlandbilder (Helge Matthiesen) S. 157Dan Diner: Gegenläufige Gedächtnisse (Katrin Hammerstein) S. 158-159Bernhard H. Bayerlein (Hg.): »Der Verräter, Stalin, bist Du!« (Georg Wurzer) S. 159-160
Stefan Karner, Vjaãeslav Selemenev (Hg.): Österreicher und Sudetendeutsche vor sowjetischen Militär- und Strafgerichten in Weißrussland 1945 - 1950/Avstrijcy i sudetskie nemcy pered sovetskimi voennymi tribunalami v Belorusi 1945 - 1950 gg. (Gerhard Wettig) S. 160-161
Wladislaw Hedeler, Horst Hennig (Hg.): Schwarze Pyramiden, rote Sklaven; Wladislaw Hedeler, Meinhard Stark: Das Grab in der Steppe; Wladislaw Hedeler (Hg.): Karlag (Anne Hartmann) S. 161-163
Thomas Strobel, Robert Maier (Hg.): Das Thema Vertreibung und die deutsch-polnischen Beziehungen in Forschung, Unterricht und Politik; Kinga Hartmann (Hg.): Geschichte verstehen - Zukunft gestalten (Wolfgang Schlott) S. 164-165
Rainer Bendel (Hg.): Vertriebene finden Heimat in der Kirche; Matthew Frank: Expelling the Germans; Andreas Kossert: Kalte Heimat; Matej Spurn˘: Flucht und Vertreibung; Tim Völkering: Flucht und Vertreibung im Museum (Winfrid Halder) S. 166-169
Maria Höhn: Amis, Cadillacs und »Negerliebchen« (Wolfgang Buschfort) S. 170-171
Rolf Bartusel: Der Generalstaatsanwalt braucht durchaus kein Jurist zu sein (Falco Werkentin) S. 171-172
Torsten Diedrich: Paulus (Peter Joachim Lapp) S. 172-173
Detlef Bald: Politik der Verantwortung; Helmut Schmidt: Außer Dienst; Hartmut Soell: Helmut Schmidt. Macht und Verantwortung (Bettina Tüffers) S. 173-176
Hans-Peter Schwarz: Axel Springer (Stefan Matysiak) S. 176-177
Christian Bunnenberg: Der »Kongo-Müller« (Ulrich van der Heyden) S. 177-178
Boris Spernol: Notstand der Demokratie (Anne Chr. Nagel) S. 179Klaus Ahlheim, Bardo Heger: Nation und Exklusion (Erich Röper) S. 180-181Klaus Finke: Politik und Film in der DDR (Anne Barnert) S. 181-182
Siegfried Lokatis, Ingrid Sonntag (Hg.): Heimliche Leser in der DDR (Rüdiger Thomas) S. 182-183
Christiane Baumann (Hg.): Rückblende (Joachim Walther) S. 184-185
Lutz Rathenow: Im Land des Kohls (Christian Dorn) S. 185-186
ANNOTATIONEN S. 186-190: Klaus Bästlein: Vom NS-Täter zum Opfer des Stalinismus (Karl Wilhelm Fricke); Robert Allertz: Die RAF und das MfS (Tobias Wunschik); Hagen Koch, Peter Joachim Lapp: Die Garde des Erich Mielke (Gunter Holzweißig); Andrea Herz (Hg.): »Nicht - im Namen des Volkes« (Falco Werkentin); Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte (Hedwig Richter); Per Brodersen: Die Stadt im Westen (Eckhard Matthes); Lutz Seiler: Turksib (Jürgen P. Wallmann); Wolf Biermann: Berlin, du deutsche deutsche Frau (Volker Strebel); Michael Jürgs: Wie geht's, Deutschland? (Marc-Dietrich Ohse)
DIE AUTORINNEN UND AUTOREN DIESES HEFTES S. 191-192IMPRESSUM S. 192
DIESER AUSGABE LIEGT DAS JAHRESINHALTSVERZEICHNIS 41 (2008) BEI. DAS JAHRESINHALTSVERZEICHNIS STEHT ZUM KOSTENFREIEN DOWNLOAD BEREIT UNTER http://www.wbv.de/fileadmin/webshop/pdf/DA_2008_Register_Online.pdf