EDITORIALIn einem Interview mit der Südthüringer Zeitung hat Ende Februar der Spitzenkandidat der Linkspartei in Thüringen, Bodo Ramelow, erklärt, »dass ich die DDR nach meinem Verständnis nicht für einen Rechtsstaat gehalten habe. Aber dass ich den politischen Begriff ›Unrechtsstaat‹ nicht verwenden würde.« In sehr gewundenen Formulierungen gestand Ramelow zwar ein, dass es in der DDR keine Rechtssicherheit gegeben habe, doch letztlich sei ihm das, »was der Begriff ›Unrechtsstaat‹ aussagen soll, […] schwer fassbar«. Das Faktum allerdings, dass es in der DDR keine Rechtssicherheit gab, dass die Justiz von Ermittlungsbehörden wie dem Ministerium für Staatssicherheit und vor allem von der politischen Führung, der SED, kontrolliert und wiederholt missbraucht wurde, genügt, um die DDR als Unrechtsstaat zu klassifizieren.
Für Streit sorgt seit geraumer Zeit allerdings weniger die Diskussion über diese Charakteristik des SED-Staates als die juristische Auseinandersetzung mit seinen Tätern. Dabei geht es weniger um die Ahndung der von ihnen begangenen Straftaten als um die Nennung ihrer Namen. Zahlreiche Personen aus Wissenschaft und Journalismus, vor allem aber Aufarbeitungsinitiativen sehen sich seit einigen Jahren angefeindet und mit Unterlassungsbegehren konfrontiert, weil sie es wag(t)en, die Namen einstiger Täter des SED-Regimes zu nennen. Einen solchen Fall hatte in der letzten Ausgabe des Deutschland Archivs André Gursky, Leiter der Gedenkstätte »Roter Ochse« in Halle (Saale), beschrieben. Im vorliegenden Heft bildet dieser Fall einen der Ausgangspunkte für die juristische Antwort auf die Frage: Darf man Stasi-Mitarbeiter beim Namen nennen?
Das DA versucht damit, dem großen Interesse an diesem Problem gerecht zu werden. Denn dieses Thema ist wesentlich für die weitere Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Soll die DDR kein abstraktes Gebilde bleiben – was sie ja auch nie gewesen ist –, so muss alles und müssen alle benannt werden dürfen, was und wer zu ihrer Gestaltung und zu ihrem Erhalt, aber auch zu ihrem Zusammenbruch und zur Überwindung der SED-Diktatur beigetragen hat.
Wie verschieden Gestaltungs(frei)räume in der DDR angelegt waren, beleuchtet nicht nur die politische Geschichte des SED-Staates. Wesentliche Antworten auf diese Frage können auch Forschungen zu Bereichen geben, die scheinbar an der Peripherie von Staat und Gesellschaft angesiedelt waren. Dazu gehört die Stadt(planungs)geschichte, der das Deutschland Archiv in der vorliegenden Ausgabe einen Themenschwerpunkt widmet. Hierbei spielen nicht nur Strukturen, sondern ebenfalls Personen eine wichtige Rolle, hing doch von deren Engagement, von ihren Kompetenzen die Entwicklung und Umsetzung zentralistisch vorgegebener Leitlinien ebenso ab wie deren Überwindung. Die Konzepte für Stadtentwicklung und Städtebau, neue Architektur- und Siedlungsformen wie auch der Umgang mit dem baulichen Erbe vergangener Zeiten geben wichtige Aufschlüsse über Gesellschaftsformationen ganz allgemein. Das gilt im Besonderen auch für die DDR. Städtebau und Stadtplanung prägten ganz entscheidend das Leben in der DDR und das Bild (von) der DDR.
Das Bild, das Menschen sich von der DDR machen und das Medien ihnen nahebringen, dient vielen als ein Indikator dafür, wie es um die »innere Einheit« Deutschlands im 20. Jahr seiner staatlichen Einheit bestellt ist. Der Begriff der »inneren Einheit« erlebt immer wieder gewisse Konjunkturen, und die anstehenden Jubiläen von 20 Jahren Mauerfall und deutscher Einheit werden eine solche erneut befördern. Anlass genug also, diesen Begriff im Deutschland Archiv einer näheren Betrachtung zu unterziehen.
ZEITGESCHEHEN
Thomas Starke: »Ach wie gut, dass niemand weiß …«. Darf man die Namen von Stasi-Mitarbeitern nennen? S. 197-206
Heinrich Bortfeldt: Kein Verhältnis zu Europa. Der Europaparteitag der Linken in Essen S. 207-211
Günter Agde: Bilder mit Rissen S. 211-215
Manfred Jäger: Fortlaufendes Nach-Denken. Zum 80. Geburtstag von Christa Wolf S. 215-223
Jörg Bernhard Bilke: Karl-Heinz Jakobs zum 80. Geburtstag S. 224-226
Anmerkungen zu: Peter Maser, Gedenken, Erinnern, Lernen und Tagen. Der Erfurter Gedenk- und Lernort Andreasstraße als zentraler Ort der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in Thüringen (DA, 1/2009, S. 16 – 22)
Hildigund Neubert: 46,6 Quadratmeter für 6 000 Haftschicksale S. 226-229
Peter Maser: Gegen jede Monopolisierung des Gedenkens S. 229-230
ZEITGESCHICHTE
Hans-Christian Herrmann: „Die kleine Wiedervereinigung“. 50 Jahre nach der Einführung der D-Mark im Saarland S. 231-238
Sven Schultze: Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in der SBZ/DDR. Zur Geschichte einer vergessenen landwirtschaftlichen Organisation 1946 – 1951 S. 239-246
Werner Landmann: Vom lästigen Anhängsel zum sozialpolitischen Flaggschiff. Vergleichende Untersuchung der Wohnungspolitik im Nationalsozialismus und in der DDR S. 246-255
Christoph Bernhardt: Die Peripherie als Seismograph. Einblicke in neuere Forschungsergebnisse zur DDR-Stadt(planungs)geschichte S. 256-260
Eduard Kögel: Rudolf Hamburger. Ein Leben zwischen Anpassung und Selbstbehauptung S. 261-266
Max Welch Guerra: „Städtebau als Triebkraft“. Ein fachpolitischer Reformflügel in der späten DDR S. 267-275
Harald Engler: Stadtplanung und Stadtentwicklung in einer kleinen DDR-Mittelstadt in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Das Beispiel Prenzlau S. 276-285
Henriette von Preuschen: Ungeliebtes Erbe? Zum Umgang mit kriegszerstörten Kirchen in der DDR am Beispiel der Bezirkshauptstadt Magdeburg S. 285-293
Thomas Hoscislawski: Wiederaufbauplanungen für das Leipziger Stadtzentrum 1945 bis 1990 S. 293-300
Anmerkungen zu: Julian-André Finke, Selbstbestimmter Staat oder Vasall Moskaus? Zur Souveränität der DDR am Beispiel des Diensthabenden Systems der Luftverteidigung, DA 41 (2008) 6, S. 993 – 1002Karl Harms S. 301
Julian-André Finke: Antwort auf Karl Harms S. 301-302
FORUM
Markus Linden: Innere Einheit. Konjunkturen und Defizite einer DebatteS. 303-312
Thomas Moser: RAF und kein Ende. Wer erschoss Generalbundesanwalt Siegfried Buback? Immer neue Fragen zu einem politischen AttentatS. 314-322
TAGUNGEN, VERANSTALTUNGEN
Hendrik Bindewald: Die deutsche, eine sensible Frage. Tagung in BerlinS. 323-326
Elke Kimmel: 20 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit. Geschichtsmesse in SuhlS. 326-328
Martina Thiele: Geschichtsjournalismus zwischen Information und Inszenierung. Tagung in EichstättS. 329-331
Silke Flegel: „Die Erfahrung der Freiheit“. Ein europäisches Gespräch in BochumS. 331-333
REZENSIONEN
Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel (Wolfgang Templin) S. 335-337
Deutsch-deutsche Geschichte: Umgang mit der NS-Vergangenheit, Hg. FWU/Bundesstiftung Aufarbeitung; Deutsch-deutsche Geschichte: Jugend in Ost und West, Hg. FWU/Bundesstiftung Aufarbeitung; Die 68er, Hg. FWU; Zeitenwende 1989/90, Hg. FWU/Bundesstiftung Aufarbeitung (Ulrich Bongertmann) S. 337-340
Thomas Großbölting, Dirk Hofmann (Hg.): Vergangenheit in der Gegenwart (Irmgard Zündorf) S. 341-342
Uta Franke: Sand im Getriebe (Martin Jankowski) S. 342-343
Ulrike Guckes: Opferentschädigung nach zweierlei Maß? (Achim Beyer) S. 343-344
Rita Pawlowski (Hg.): „Unsere Frauen stehen ihren Mann“ (Gerda Weber) S. 344-346
Sönke Friedreich: Autos bauen im Sozialismus (Renate Hürtgen) S. 346-348
Thomas Schmidt-Lux: Wissenschaft als Religion (Igor Polianski) S. 348-349
Matthias Rogg: Armee des Volkes? (Tilmann Siebeneichner) S. 350-351
Bernd Biedermann: Offizier, Diplomat und Aufklärer der NVA (Walter Jablonsky) S. 351-352
Armin Wagner, Matthias Uhl: BND contra Sowjetarmee (Bernd Stöver) S. 352-354
Herbert Elzer: Die Schmeisser-Affäre (Wolfgang Buschfort) S. 354-355
Petra Winter: „Zwillingsmuseen“ im geteilten Berlin (Martin Hollender)S. 355-356
Jochen Staadt, Tobias Voigt, Stefan Wolle: Operation Fernsehen (Sandra Pingel-Schliemann) S. 356-358
Peter Pragal: Der geduldete Klassenfeind (Hans Jürgen Fink) S. 358-359
Hans-Dieter Schütt: Spielzeit Lebenszeit – Thomas Langhoff (Heinz Klunker) S. 360-361
Carola Hähnel-Mesnard: La littérature autoéditée en RDA dans les années 1980 (Steffen Kaudelka) S. 361-362
Alena Wagnerová: Helden der Hoffnung (Udo Scheer) S. 362-363
Bill Niven: Das Buchenwaldkind (Eberhard Görner) S. 363-364
Arno Herzig: Schlesien (Bärbel Gafert) S. 365-366
Nina Tatter: Verortung durch Geschmack (Klaus Christoph) S. 366-367
Annotationen S. 367-370: Anne-Ev Ustorf: Wir Kinder der Kriegskinder (Lu Seegers); Karl Heinz Jahnke: Gegen das Vergessen! (Kurt Schilde); Werner Theuer †, Arno Polzin, Bernd Florath: Aktenlandschaft Havemann (Hermann Weber); Joachim Heise (Hg.): Christa Lewek (Rudolf Mau); Jost-Arend Bösenberg: Die Aktuelle Kamera (Gunter Holzweißig); Steffen Hirsch: Der Typus des „sozial desintegrierten“ Straftäters in Kriminologie und Strafrecht der DDR (Eva Klärner); Bettina Ernst-Bertram, Jens Planer-Friedrich: Pfarrerskinder in der DDR (Marc-Dietrich Ohse)
AKTUELLES AUS DER DDR-FORSCHUNG
1/2009. Ein Newsletter der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur S. 371-382
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes S. 383-384
Impressum S. 384